Sturz ins Leere (DVD) Testbericht

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ab 7,78
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Erfahrungsbericht von catmother

Dokudrama einer wahren Bergsteiger-Tragödie

Pro:

dramatisch, spannend, beeindruckende Umsetzung des Buches, grandiose Aufnahmen

Kontra:

Bergsteigerfilme sind nicht jedermanns Sache

Empfehlung:

Ja

Heute gibt es gleich wieder einen Filmtip von mir für ein wirklich beeindruckendes Dokudrama, das am heutigen Abend erstmals im Fernsehen ausgestrahlt wird. Es ist um 23 Uhr auf der ARD zu sehen.

Ich kann mich dunkel erinnern, daß ich - wohl im Jahr des Kinostarts - über diesen Film gehört hatte und auch noch dachte, nun ja, so neu ist das Thema ja dann doch nicht. Nun gehe ich mal davon aus, daß der Film es nicht lange in unseren Kinos ausgehalten hat, denn hier hat bisher noch niemand darüber berichtet und ich habe auch kein Bild davon in meinem Kopf.
Nun bekam ich durch Zufall beim Zappen genau diese Bilder von Schnee, Eis und zwei Bergsteigern vor die Augen und war dann doch etwas gefesselt.

Also will ich euch darüber berichten.


** Die Geschichte **
1985 begeben sich die zwei befreundeten jungen Briten, der 25jährige Joe Simpson und der 21jährige Simon Yates, in einen entlegenen Winkel Perus. Die beiden sehr ehrgeizigen Bergsteiger haben sie sich vorgenommen, über die jungfräuliche Westwand einen berüchtigten Sechstausenders zu bezwingen - den 6356 Meter hohen„Siula Grande“.

Beide waren schon viel in den Alpen gewandert, aber auch andere Bergsteiger interessieren sich auch sie vor allem für Extreme, neue unentdeckte Wände, neue Routen. Diese Wand war die letzte große Felswand in dem Gebirge, wo noch niemand geklettert war - eine große Herausforderung.

Sie schlagen ihr Basislager in einem abgelegenen Tal, zwei Tagesmärsche von der Straße, ungefähr 5 Meilen von der Wand entfernt auf. Ein dritter junger Mann namens Richard Hawkins soll sich um das Basislager und um die Ausrüstung kümmern, während die beiden im Berg sind.

Dann machen sich Joe und Simon auf den Weg, im sogenannten Alpin-Stil die Westwand zu bezwingen. Alpin-Stil bedeutet, daß man Proviant und Kleidung im Rucksack hat und versucht, vom Lager aus den Berg in einem Anlauf zu bezwingen. Es ist, so sagt man, der Stil der Puristen. Man schlägt keine Seile ein, hat keine Lager mit Nahrung, zu denen man im Notfall zurückkehren kann.
Wenn man schwer verletzt ist, muß man mit dem Tod rechnen, denn es gibt keine Rettung.
Bei so einer Tour geht man eine Seilschaft mit dem Partner ein, man muß sich auf dessen Geschicklichkeit und Kraft verlassen können.

Nach dem ersten Tag sind sie mit ihrer Leistung zufrieden und zuversichtlich, daß sie es schaffen können. Bei diesen Höhen muß man sehr viel trinken, 4-5 Liter Flüssigkeit sind notwendig, um nicht zu dehydrieren. Dazu muß man viel Schnee schmelzen, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Leider ist es aber genau das, was die beiden wegen des begrenzten Vorrats an Propangas nicht in ausreichender Menge taten.

Der zweite Tag beschert ihnen einen Schneesturm, der Lawinen von Pulverschnee verursacht und das letzte Stück der Wand zu einem 60-70 m langen Alptraum werden läßt. Das Klettern ist sehr schwierig bei Pulverschnee, und sie brauchen für die Strecke von wenigen Hundert Metern 5 bis 6 Stunden. Sie klettern bis in die Dunkelheit und bleiben über Nacht in einer Schneehöhle.

Am dritten Tag liegt vor ihnen eine Felsformation aus Überhängen, Verwerfungen, Wächten und Rinnen aus Pulverschnee. Sie wissen, daß sie diesen Weg nicht mehr hinunter können, daß sie geradewegs in eine Falle laufen.
Am Nachmittag des dritten Tages erreichen sie tatsächlich den Gipfel.
Doch nun kommt der Abstieg, der weitaus schwierigere Teil des Unternehmens. Sie wollen auf einem abschüssigen Kamm nach unten gehen, um sich dort schließlich abzuseilen. Doch der Kamm erweist sich als Wächte und bricht immer wieder weg. Kurz nach Beginn des Abstiegs haben sie die Orientierung verloren, dabei haben sie gerade mal 500 m geschafft. Abends geht auch noch das Propangas aus.

Am vierten Tag sind sie sich sicher, daß sie den Abstieg schaffen werden. Sie kommen an eine vertikale Wand, die Joe hinunter klettern muß, indem er sich mit den beiden Eisbeilen in die Wand hängt. Doch er stürzt ab. Als er unten ankommt, hat er furchtbare Scherzen in Knie und Oberschenkel. Was er zu dem Zeitpunkt nicht weiß: durch den Aufprall hat sich sein Schienbein durch das Kniegelenk hochgetrieben und den Oberschenkel-Knochen gespalten. Er redet sich zunächst ein, daß das Bein nicht gebrochen ist, denn er weiß, daß das sonst sein Ende ist. Doch beim nächsten Auftreten hört er den Rest des Knochens brechen.

Als Simon bei ihm ankommt und an die Konsequenzen denkt, denkt er kurz daran, daß er, wenn Joe jetzt noch einmal stürzen würde, einfach verschwinden und damit überleben könnte.
Dann beschließt er, Joe mit Hilfe eines 90 m langen Seils, geknüpft aus ihren beiden 45 m Seilen, Stück für Stück abzuseilen. Bei der Mitte muß Joe immer Stand haben und das Seil entlasten, damit Simon den Knoten durch die Öse bekommt.

Dann hängt Joe über einem Abgrund, 25 m über einer Gletscherspalte, und er kann das Seil nicht mehr entlasten. Beide können sich nicht hören und sehen, keiner weiß, wo der andere steht oder hängt.
Es wird Nacht. Die Kuhle, in der Simon sitzt, schmilzt und er rutscht immer weiter ab. Joe gelingt es nicht, an dem Seil wieder hinaufzuklettern, weil seine Finger gefroren sind. Beide wissen, daß sie auf diese Weise sterben werden.

Am Ende trennt Simon das Seil durch.


** Darsteller **
Es gibt hier drei echte Darsteller und drei Schauspieler, denn die Besteigung wird nicht noch einmal von den beiden Bergsteigern durchgeführt.

Joe Simpson studierte Englisch und Philosophie, ehe er sich voll und ganz auf das Bergsteigen konzentrierte und durch Erstbesteigungen und seine gefährlichen Expeditionen zu einer lebenden Legende wurde.
Nicht mal nach seinem Beinahe-Tod am Siula Grande hörte er mit dem Extremsport auf. Drei weitere Kletterunfälle später ist er heute passionierter Fallschirmspringer und Greenpeace-Aktivist.
Sein Buch „Sturz ins Leere“ (1988) wurde in 14 Sprachen übersetzt und weltweit über 500.000 Mal verkauft.
Er wird gespielt von Brendan Mackey, einem britischen Darsteller, der mir allerdings unbekannt ist.


Simon Yates studierte Biochemie, ehe er Bergsteiger wurde. Wie Simpson hörte er nach der Tragödie in Peru damit nicht auf und kletterte noch viele Jahre in den entlegensten Gebieten der ganzen Welt.
Auch er veröffentlichte zwei Bücher.

Er wird gespielt von Nicholas Aaron, der unter anderem schon einmal als Bergsteiger in “Killing Me Softly“ und auch in „Band of Brothers“ zu sehen war.


** Filmkritik **
Der Film basiert auf dem gleichnamigen, internationalen Bestseller von Joe Simpson, in dem er offen über die Ereignisse in den Anden spricht und quasi Simon entlastet. Deshalb hat er das Buch auch seinem Freund und Mitbesteiger Simon gewidmet.

Ursprünglich wurden die Rechte von Hollywood gekauft. Da es aber scheinbar unmöglich schien, einen mehrtägigen inneren Monolog zu verfilmen, gab man die Rechte wieder frei. Gottseidank, denn dann wäre vermutlich ein zweiter „Cliffhanger“ daraus geworden.
Regisseur und Oscarpreisträger Kevin McDonald und Produzent John Smithson fanden eine nicht alltägliche, dafür sehr anschauliche Möglichkeit der filmischen Umsetzung: die Kombination von Realismus und Dokumentation. Während die beiden echten Bergsteiger Joe Simpson und Simon Yates, inzwischen 20 Jahre älter, vor der Kamera mit Blick auf den Zuschauer die wahre Geschichte jeweils aus ihrer Sicht und Perspektive, oftmals abwechselnd. So kann man sich als Zuschauer aber auch sehr gut in die Situation einfühlen, versteht besser die Handlungen und Entscheidungen. Vor allem die Tatsache, daß die beiden so sachlich, fast unemotional über die Geschehnisse sprechen, macht ihre grausige Lage dort oben an dem Berg irgendwie noch unfassbarer.

Dazwischen können wir, gespielt von Schauspielern und Stuntmen, die nachgestellte Geschichte der Besteigung und der anschließenden Tragödie des Abstiegs verfolgen, und das extrem realistisch. (Diese Kletterszenen wurden übrigens in den französischen Alpen gedreht.) So wird der Film zu einer Art filmischem Tagebuch.
Das Dokudrama wurde damals weltweit zu einem Riesen Erfolg und verdrängte in England sogar Michael Moore’s „Bowling for Columbine“ als besten Dokumentarfilm aller Zeiten.

Schon einmal war der Bruch des Tabus unter Bergsteigerkameraden Gegenstand bzw. Handlungsdetail eines Films. In „Vertical Limit“ schnitt der Vater des Helden das Seil durch, an dem sein Sohn hing und rettete durch seinen eigenen Tod dessen Leben.
Hierin ist das Dokudrama noch extremer, und schon das Buch entfachte damals eine unglaubliche Diskussion. Darf ein Bergsteiger einen anderen abschneiden oder zurücklassen, um sein oder beider Leben zu retten? Die Geschichte dieser Tragödie gibt Simon Yates zwar Recht, denn nur seine Entscheidung hat es ermöglicht, daß beide Freunde überlebten. Ich muß gestehen, ich weiß darauf keine Antwort. Ich weiß nicht, was ich in der gleichen Situation getan hätte oder tun würde. Vermutlich kann man sowas auch garnicht im Voraus planen oder entscheiden - man muß das dann von einem Augenblick auf den anderen mit sich ausfechten. Und ich kann nur hoffen und beten, daß ich nie vor so eine Entscheidung gestellt werde.

Ich muß zugeben, ich hatte für diesen Sport nie was übrig und auch nicht für die Leute, die sich in vollem Bewußtsein diesem Risiko aussetzen. Ich habe noch nie verstanden, was es bringen soll, auf einen Berg zu kraxeln und sich Zehen und Finger und Ohren abfrieren zu lassen. Wie sagt Joe selbst: „Normalerweise führen wir ein Leben ohne Risiko, aber bewußt kalkulierte Risiken bringen Abwechslung in die Eintönigkeit, ein Gefühl von Freiheit.“ Nun ja, wenn sie genau das brauchen um den Kick zu kriegen, dann brauchen sie sich auch nicht zu wundern, wenn sie in dem Risiko umkommen.
Beide wußten ja auch um die Gefahren dieser Unternehmung, weil es bisher noch niemand über diese Wand geschafft hat, und es zeugt von gewisser Arroganz, zu sagen: „Riskieren wir’s! Wir sind besser als die anderen.“

Aber auch die Spannung kommt natürlich nicht zu kurz: spätestens nach dem Absturz von Joe strebt die auf einen Höhepunkt zu, denn obwohl wir ja durch die Beteiligung beider Bergsteiger wissen, daß sie beide überlebt haben, ist es angesichts der Ereignisse für uns höchst spannend, wie sie es aus dieser Hölle heraus geschafft haben könnten.

„Sturz ins Leere“ wurde als bester britischer Film mit dem BAFTA ausgezeichnet.


** Meine Meinung **
Diese Mischung aus Dokumentarfilm und Spielfilm überzeugt nicht nur durch eine unglaublich dramatische Story und eine interessante filmische Umsetzung der Vorlage, sondern neben den technischen Aspekten des Bergsteigens auch durch grandiose Landschaftsaufnahmen, die an Originalschauplätzen unter Expeditionsbedingungen gedreht wurden, viel Dramatik und Spannung sowie atmosphärische Dichte.
Es ist eine Chronik, was der Mensch in Extremsituationen leisten und auch erleiden kann.

Auch wenn ich persönlich den Bergsteiger-Enthusiasmus nicht nachvollziehen kann, muß ich doch gestehen, daß der Film ein wirklich sehenswertes Bergdrama ist, das auch mich als Nichtalpinisten bewegt hat.

Und zum Schluß will ich euch noch die folgenden Worte von Joe ans Herz legen: „Man muß Entscheidungen fällen, man muß immer Entscheidungen fällen, auch wenn sie manchmal falsch sein sollten. Wenn man sich nicht mehr entscheidet, dann ist man erledigt.“


** Die DVD **
Sprachen:
Deutsch 5.1 Dolby Digital
Englisch 5.1 Dolby Digital, 5.1 dts
Untertitel: Deutsch (ausblendbar)
Bildformat: 1,85:1 (anamorph)

DVD-Extras
Return to Siula Grande
What Happened Next
Interviews
Trailer


** Daten **
Großbritannien 2003
Genre: Dokudrama
Originaltitel: Touching the Void
Regie Kevin Macdonald
FSK 12

21 Bewertungen, 5 Kommentare

  • chapikra

    03.01.2006, 14:59 Uhr von chapikra
    Bewertung: sehr hilfreich

    Merksmir Sandra

  • topfmops

    28.12.2005, 14:25 Uhr von topfmops
    Bewertung: sehr hilfreich

    auch um 23 uhr hab' ich was anderes - besseres - vor.

  • sape26

    28.12.2005, 13:43 Uhr von sape26
    Bewertung: sehr hilfreich

    toller Bericht!!lg,Sandra

  • anonym

    28.12.2005, 11:44 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • Lidlefood

    28.12.2005, 11:21 Uhr von Lidlefood
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich