Glennkill (gebundene Ausgabe) / Leonie Swann Testbericht

Glennkill
ab 6,11
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Erfahrungsbericht von Gemeinwesen

Ein echter Wolltreffer

Pro:

die originelle Grundidee

Kontra:

ein etwas nachlässiges Lektorat

Empfehlung:

Ja

Schenkt man Zahlen Glauben, wie sie zum Beispiel auf der Website irlandlexikon.de veröffentlicht werden, dann beträgt das Zahlenverhältnis zwischen Lebewesen der Gattung Ovis und der Spezies homo sapiens sapiens auf der Grünen Insel derzeit 1,23:1. Mit anderen Worten: Es gibt in Irland mehr Schafe als Menschen. Eigentlich sollte man meinen, das seien der Vierbeiner genug. Leonie Swann sieht das offenkundig anders, denn ein grausiger Leichenfund setzt in ihrem Buch nicht nur eine Reihe von Geschehnissen in Gang, sondern korrigiert die Zahlenrelation zugunsten der Schafe: Plötzlich hat das Örtchen "Glennkill" einen Schäfer weniger.


In ihrem literarischen Debüt „Glennkill“ verschiebt Leonie Swann die irische Ratio zwischen Mensch und Schaf zugunsten der Vierbeiner: Bereits auf der ersten Seite ihres Romans dezimiert sie die menschliche Population des imaginären irischen Küstenörtchens Glennkill. Eines schönen Tages liegt Schäfer George leblos auf der Wiese. Und der Annahme, der Gute könne auf natürliche Weise aus dem Leben geschieden sein, steht der Spaten entgegen, den man George durch den Leib gerammt hat. Noch bevor Georges Artgenossen sich fragen können, wer ein Motiv dafür gehabt haben könnte, den Schäfer zu killen, sind schon Georges Schutzbefohlene zur Stelle – allen voran das Schaf-Fräulein Miss Maple, das von Stund an eigene Ermittlungen anstellen wird.


Schafe als die besseren Menschen

Denn die Schafe von Glennkill sind nicht irgendwelche tumben Woll-Lieferanten, sondern allesamt und jedes einzelne für sich echte Persönlichkeiten. Sie sind die Hauptfiguren in „Glennkill“, und Menschen spielen in Leonie Swanns zwar eine Rolle, aber eben nicht die Hauptrolle. In ihrer Geschichte, die sie uns aus der Perspektive der Schafe von Glennkill erleben lässt, sind Menschen gewissermaßen die schlechteren Schafe: ausgestattet mit einem bedauernswert unterentwickelten Geruchssinn und folglich in der Welt ziemlich orientierungslos – so sehen es jedenfalls die Schafe, und weil in „Glennkill“ alles aus Sicht der Schafe von Glenkill geschieht, stellt Swann ihrem Buch ganz folgerichtig auch kein Dramatis Personae voran, sondern ein Dramatis Oves.

Es ist diese spezielle Sicht auf die Dinge, der das Buch seinen speziellen Reiz verdankt. Denn Schäfer George und seine Artgenossen teilen sich zwar die irische Landschaft mit den Schafen von Glennkill, aber trotzdem liegen zwischen beiden Fraktionen Welten. In der Schnittmenge beider Welten liegt jede Menge komisches Potenzial, und das lotet Swann auf sehr charmante Weise aus. Denn die Schafe von Glennkill sind nicht nur starke Persönlichkeiten, sondern halten sich außerdem für ziemlich bewandert in der Welt der Menschen: Immerhin hat Schäfer George seinen Schafen Zeit seines Lebens gern vorgelesen, und so haben sich Miss Maple, Mopple the Wahle, das schwarze Schaf der Herde Othello und die anderen Schafe von Glennkill im Laufe der Jahre ein erkleckliches Weltwissen aneignen können. Oder doch wenigstens das, was sie dafür halten, denn Schäfer George war, wie der Leser schnell erfährt, nicht nur ein Mensch, der den Begriff des Schäferstündchens sehr wörtlich genommen hat, sondern außerdem ein großer Freund von Liebesromanen reichlich trivialer Natur.

Wann immer Swanns Schafe auf Mysterien stoßen, die sich nicht mit dem Wissen erklären lassen, das unsere Schafe sich in des Schäfers Vorlesungen angeeignet haben, verhalten Miss Maple und ihresgleichen nicht viel anders als unsereiner: da wird munter spekuliert, gewagt interpretiert und Sinn in Dinge hineingeheimnist, dass es eine wahre Freude ist. Insbesondere die Eindrücke, die der Ortsgeistliche bei den Schafen mit seinen bildhaften Vergleichen vom guten Hirten und seinen Schafen hinterlässt, lassen schmunzeln – und es kann auch nicht erstaunen, wenn die Schafe zu dem Schluss gelangen, der Herr Pastor (lat.: Hirte) höre auf den Namen „Gott“.


Lob für Swanns literarisches Debüt

Mit „Glennkill“ ist Leonie Swann, erst kürzlich in einem SPIEGEL-Artikel über junge deutsche Autoren wieder mit Lob bedacht, ein sehr unterhaltsames Buch gelungen. Der Stil, in dem Swann schreibt, ist unprätentiös, im besten Sinne unbekümmert und unbemüht – selbst die grausigen Umstände, unter denen die Leiche des Schäfers gefunden wird, werden so lakonisch geschildert, dass niemand Albträume fürchten muss. So ergibt sich nicht zuletzt ein interessanter Kontrast zwischen den düsteren Ereignissen rund um das Örtchen Glennkill und dem charmanten Plauderton, in dem uns Swann davon berichtet.

Das Ergebnis ist ein Roman, der Züge von Richard Adams’ Kaninchen-Klassiker „Watership Down“ trägt; teils hat mir das Buch auch Herbert Rosendorfers „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ in Erinnerung gerufen, das ich vor Jahr und Tag ebenfalls gern gelesen habe. „Glennkill“ ist nicht nur ein unterhaltsamer Schmöker, sondern ein Buch, das immer wieder die Frage aufwirft: Warum ist nicht schon viel früher jemand auf die Idee gekommen, Schafe zu den Hauptpersonen eines Romans zu machen? Jetzt gibt es ihn, den ersten „Schafkrimi“ (es wird nicht überraschen, dass Swann ihn unter dem Eindruck geschrieben hat, den ein Irlandaufenthalt bei ihr hinterlassen hat), und es bleibt zu hoffen, dass Swanns origineller Einfall von allzu vielen Epigonen verschont bleibt. Mir jedenfalls sind die Schafe von „Glennkill“ auf Anhieb sympathischer gewesen als das Gros der Zauberschüler, Symbologen, weiblichen Thirtysomething-Verlagsangestellten, einsamen Kommissaren und anderen Protagonisten, mit denen ich in den letzten Monaten und Jahren Bekanntschaft schließen durfte.


Ein Buch - zwei Ausgaben

Bei der Ausgabe, die eine mir nahe stehende Dame mir freundlicherweise unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, handelt es sich um eine Art Vorzugsausgabe, die offenbar nur im stationären Buchhandel zu bekommen ist und die sich von den Kontingenten von amazon & Co. durch ihre Illustrationen unterscheidet. Im Gegensatz zur „Online“-Ausgabe sind die in meinem Exemplar sehr zahlreich: Zusätzlich zum Text des Romans hat auf den Buchseiten noch ein kleines Daumenkino Platz gefunden. Und was zeigt das? Natürlich ein Schaf, das in kleinen Bocksprüngen durchs Buch springt: Wer partout nicht lesen mag und trotzdem auf die Nachttischlektüre nicht verzichten mag, darf also den Daumencineasten in sich wecken und vorm Schläfchen 24 Schäfchen pro Sekunde zählen. Preislich unterscheiden sich die Ausgaben natürlich nicht voneinander – beide schlagen in der Anschaffung mit EUR 17,90 zu Buche; sämtliche anderen Angaben nicht inhaltlicher Art, die ggf. von Interesse sind, sind nur einen Link weit entfernt und finden sich unter anderem bei den einschlägigen Online-Buchhändlern.

Nachtrag: Etwas stört mich an "Glennkill", weil es sich durch das gesamte Buch zieht. Offensichtlich weiß Leonie Swann nicht, dass es einen Unterschied zwischen den Formen Konjunktiv I und Konjunktiv II gibt, wie man sie bildet und wann man welche der beiden Möglichkeitsformen verwendet. Für eine Autorin ist das eine lässliche Sünde, für einen gewissenhaften Lektor (und letzteren hätte ich Swann und ihren Lesern gewünscht) leider nicht.

33 Bewertungen, 11 Kommentare

  • campino

    09.04.2008, 20:36 Uhr von campino
    Bewertung: sehr hilfreich

    LG, Andrea

  • bodenseestern

    28.01.2007, 02:19 Uhr von bodenseestern
    Bewertung: sehr hilfreich

    +++liebe Grüsse von Petra+++

  • hjid55

    31.12.2006, 15:22 Uhr von hjid55
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh & wünsch dir eine schöne Silvester Feier. lg Sarah

  • Düsseldorf

    20.01.2006, 00:23 Uhr von Düsseldorf
    Bewertung: sehr hilfreich

    hey das ist wirklich ein sehr gelungener bericht, ich hoffe wir lesen uns noch oft hier ,werde nun mehr aktiv sein ! MFG DÜSSI ! :)

  • Sang_il

    16.01.2006, 17:23 Uhr von Sang_il
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schöner Bericht! Weiter so, viele Grüße Sang_il

  • anonym

    15.01.2006, 15:30 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh, LG Birgit :-)

  • WreckRin

    15.01.2006, 14:55 Uhr von WreckRin
    Bewertung: sehr hilfreich

    toller Bericht! <br/>freu mich über Gegenlesungen <br/>Gruß, Sandra

  • Lidlefood

    12.01.2006, 22:09 Uhr von Lidlefood
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • sindimindi

    12.01.2006, 19:14 Uhr von sindimindi
    Bewertung: sehr hilfreich

    Gelungener Beitrag! - ich hab' von Leonie Swann das erste mal in Denis Schecks Literatursendung im Ersten gehört...;-) - und er hat sich auch über den grünen Klee gelobt.Da Sindi und ich oft mit Schafen zu tun haben(wohnen in einer Schäferlaufstadt),

  • anonym

    12.01.2006, 15:03 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    ***SH und LG***

  • morla

    12.01.2006, 14:24 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich