Ich war Saddams Sohn (Taschenbuch) / Karl Wendl, Latif Yahia Testbericht

Goldmann-wilhelm-gmbh-ich-war-saddams-sohn-taschenbuch
ab 9,86
Auf yopi.de gelistet seit 06/2004

5 Sterne
(7)
4 Sterne
(0)
3 Sterne
(1)
2 Sterne
(0)
1 Stern
(0)
0 Sterne
(0)

Erfahrungsbericht von TurboFranky

Brutal, aber wichtig!

Pro:

tiefe Einblicke in Saddams Regime

Kontra:

viele Details zur Folter im Irak, sehr brutal

Empfehlung:

Ja

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
UNBEDINGT LESEN!
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Wer ist Saddam Hussein? Wer könnte das besser wissen als sein Sohn? Oder der Doppelgänger von genau diesem? ICH WAR SADDAMS SOHN heißt der Titel eines erschreckenden und zugleich unglaublich spannenden Buches. Es sind die Aufzeichnungen des Doppelgängers von Saddams Sohn Odai, im Exil in England geschrieben. Mehr als die Fernsehbilder des Irak-Krieges gibt dieses Buch von Latif Yahia auf 317 Seiten Einblicke in das System von Terror, Folter und Unterdrückung im Irak unter Saddam Hussein. In einigen Besprechungen wird das Buch vor allem als „brutal“ bezeichnet. Das stimmt, allerdings ist es wahrscheinlich nicht einmal annähernd so brutal wie die Realität im Irak.
Für Menschen wie mich, die Krieg generell als falsches Mittel der Auseinandersetzung halten, liefert diese Autobiografie Anlass zum Nachdenken. War es vielleicht doch richtig, die Menschen im Irak gewaltsam zu befreien? Ich schreibe hier übrigens über die Taschenbuch-Ausgabe, die bei Goldmann erschienen ist. Das Buch kostet 9,90 Euro.

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
WAS STEHT DRIN?
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Der Autor und Saddams Sohn Odai sind auf dieselbe Schule gegangen. Schon damals fiel die große äußere Ähnlichkeit zwischen beiden auf. Fatal für Latif Yahia, wie sich später herausstellen sollte. Denn das Regime suchte ihn als Doppelgänger für den Saddam-Sohn aus, „bildete ihn aus“ und nahm ihm seine eigene Identität. Konkret bedeutet das zum Beispiel: Da Odai Hussein schiefe Zähne hatte, wurden dem Doppelgänger dessen eigene so abgeschliffen und operiert, bis sie übereinstimmten. In langen, brutalen Trainings mit Misshandlungen lernte der Doppelgänger, sich genau so zu bewegen wie Odai, genau so zu sprechen – eine exakte Kopie des zweifelhaften Originals zu werden. Ein einziges Mal, sehr spät, hatte er für wenige Stunden Gelegenheit, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen. Seine Eltern hatten jahrelang nichts mehr von ihrem Sohn gehört.
Das Buch beschreibt sehr ausführlich und sehr anschaulich all diese Stationen, nennt Namen und zitiert Dokumente. Beschrieben wird der Weg zum Doppelgänger, die Erlebnisse als solcher und letztlich die gelungene Flucht.

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
WAS HAT MICH BEEINDRUCKT?
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

DAS SYSTEM – Bitte versteht das Wort „beeindruckt“ nicht falsch. Dennoch war es für mich erschreckend, zu sehen, mit welchem Aufwand das Saddam-System den Präsidenten-Clan beschützt und sichert. Da wundert es einen wirklich nicht, dass es den Amerikanern bis heute nicht gelungen ist, den Ex-Diktator ausfindig zu machen. Mit einem gigantischen Aufwand an Psycho-Terror (Schläge, Isolationshaft in einer quadratmetergroßen, rot angestrichenen Zelle) wurden Menschen wie der Doppelgänger zunächst seelisch gebrochen, dann technisch perfekt (stundenlange Videotrainings, Probeauftritte in der Öffentlichkeit) ausgebildet. Und schließlich im Luxus gefangengehalten. Selbst das eigene Volk merkte nicht, dass bei Großveranstaltungen, selbst bei Staatsempfängen ausländischer Politiker, nicht der wirkliche Odai zugegen war, sondern lediglich der Doppelgänger. Ähnlich lief die Sache auch bei Saddam Hussein.
DIE SCHEINHEILIGKEIT – Dass die Paläste Saddams unfassbar reich, das Volk jedoch bitter arm war, wissen wir. Gesehen haben wir einige Bilder davon bei der amerikanischen Eroberung Bagdads. Welche abartigen Orgien sich hinter den Palastmauern abspielten, haben wahrscheinlich die wenigsten von uns auch nur erahnt. Drogen, Alkohol und Gruppensex in Massen. Finanziert durch Diebstähle und Terror. Der Fisch stinkt vom Kopf her, heißt es im Volksmund. Dass dies auch im Saddam-System so war, macht das Buch anschaulich deutlich. An etlichen Stellen erfährt man, wie das Volk vom Diktator ausgebeutet wird.
DIE WILLKÜR – Immer wieder beschreibt Latif Yahia Menschen, die von Saddams Clan vollkommen willkürlich exekutiert und gefoltert wurden. Eine junge Braut zum Beispiel wollte der Saddam-Sohn vor den Augen des Ehemannes vergewaltigen. Beide sträubten sich und kamen zum Tod. So wie viele junge Frauen, die Odai erst vergewaltigte und dann brutal ermorden ließ. Selbst der Doppelgänger erfuhr diese Gewalt mehrfach am eigenen Leib. Sobald Odai das Gefühl hatte, nicht mehr hundert Prozent vertrauen zu können, demonstrierte er durch Gewalt seine Macht. Wie hilflos die Menschen im Irak diesem Terrorregime ausgeliefert waren, wird dabei sehr, sehr deutlich. Auch der Doppelgänger durchlebte etliche dieser Situationen. Als seine „Ausbildung“ abgeschlossen war, wurde er Saddam Hussein vorgestellt, der persönlich entscheiden sollte, ob Latif der geeignete Doppelgänger für seinen Sohn sei. Hätte Saddam verneint, wäre dies mit Sicherheit Latifs Ende gewesen.
FOLTER – Ich erspare Euch hier die Details und greife diesen Punkt dennoch auf, weil Latif Yahia ihn selbst ausführlich nennt. Für den Leser sind die seitenlangen, detailgenauen Beschreibungen der Foltermethoden im Irak zweifelsohne eine Zumutung. Zarten Gemütern kann es dabei schlecht werden. Aber so blöd das jetzt unter Umständen klingt: Da muss man als Leser durch, sonst plätschert das Buch an der Oberfläche.

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
FAZIT: LESEN!
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°

Vieles in dem Buch liest sich wie eine Horror-Geschichte – die leider wahr ist. Das Saddam-Regime ließ beispielsweise brutalste Folterungen auf Video festhalten und zwang Mitarbeiter wie den Doppelgänger, sich diese anzuschauen – als Abschreckung. Solche Szenen zu lesen, ist schrecklich. Und dennoch sind sie vielleicht notwenig, um sich der Wirklichkeit im Irak anzunähern. Eine Welt, die uns – auch mir – bislang ziemlich fremd geblieben ist und die wir nur durch Fernsehbilder kennen.,
Ich kann wirklich jedem von Euch dringend raten, dieses Buch zu lesen. Es wird Euer Irak-Bild maßgeblich verändern.

Ich hoffe, dass es den Menschen im Irak nun tatsächlich besser gehen wird.

15 Bewertungen