A.I. - Künstliche Intelligenz (DVD) Testbericht

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ab 15,13
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Erfahrungsbericht von wildheart

Die Herrschaft instrumenteller Vernunft

Pro:

Für mich ein Klassiker; DVD mit viel interessantem Bonusmaterial

Kontra:

DVD-Bild nicht optimal

Empfehlung:

Ja

Man hat diesem Film Spielbergs einiges vorgeworfen: Er sei zu rührselig, besonders in der langen Schlusssequenz. Er habe die philosophischen Ambitionen Stanley Kubricks – der seine Idee zu einem solchen Film nach jahrelangem eigenen Bemühen aufgab und es Spielberg überließ, etwas damit anzufangen – in keiner Weise in die filmische Tat umgesetzt usw. Einige Kritiker warfen Spielberg einen Hang zum naiv-kindlichen Klischee vor. Tatsächlich hat sich Spielberg in diesem Film über weite Strecken versucht, in ein kindliches Gemüt hineinzuversetzen – und gerade das halte ich für einen Vorteil dieses Streifens.

Dem Film ist Kubrick'sches Denken und Fühlen sehr deutlich anzumerken – das geht bis in einzelne szenische Abläufe (die Musik ist darauf abgestimmt), an der Dramaturgie, etwa des untergegangenen, verlassenen Manhattan, an der Silhouette von „Rouge City“ – und nicht zuletzt an dem eigentlichen Star dieses Films, Haley Joel Osment, der den elektronischen Ersatzjungen überzeugend spielt.

Ich kann auch nicht nachempfinden, dass dieser Film lediglich von seinen visuellen Fähigkeiten lebt. Spielberg hat Kubricks Idee nicht „verraten“; er hat sie meisterhaft umgesetzt in ein Sciencefiction-Märchen, das so viel Realität enthält, das es mich jedenfalls zum ständigen Nachdenken anregt:

Henrys und Monicas (Sam Robards, Frances O'Connor) Sohn Martin liegt im Koma und es ist nicht sicher, ob er jemals wieder aufwacht. Henry arbeitet bei einer Firma, die Roboter in höchster Qualität herstellt. Und er ist auserkoren, einen kleinen Roboterjungen, der zumindest nach außen von Menschen nicht zu unterscheiden ist, mit nach Hause zu nehmen – als künstlichen Ersatz für den menschlichen Sohn. Nach anfänglichem Zögern entschließt sich Monica, David zu akzeptieren und sagt ihm die Worte ins Ohr, die ihn endgültig auf ihre Person hin programmieren.

Doch dann erwacht Martin, und es beginnt seinerseits ein Konkurrenzkampf gegen David, der die Eltern schließlich dazu veranlasst, ihn an die Firma zurückzugeben. Doch Monica kann dies nicht übers Herz bringen und setzt ihn im Wald aus, damit er nicht in seine Einzelteile zerlegt wird.

Nun beginnt das, was ich die Odyssee Davids durch den menschlichen Weltraum nennen würde. Zusammen mit dem zum Frauenheld programmierten Roboter Joe (Jude Law) und einem Roboter-Teddybären versucht er, der keinen Identitätsnachweis (gleich „Lebensberechtigung“) besitzt, der Jagd der Menschen auf „Robotermüll“ zu entkommen. Mit knapper Not kann er sich der – römischen Kampfarenen nachempfundenen – Vernichtung in einem Stadion entziehen, in dem Menschen ihre Freude daran empfinden zuzusehen, wie Roboter brutal zerstört werden.

Und David sucht ... Er sucht die blaue Fee, von der ihm Monica erzählt hat und die Pinocchio von einer Puppe in einen Menschen verwandelt haben soll. Er glaubt sie gefunden zu haben: Zusammen mit seinem sprechenden Bären stürzt er mit einem Hubschrauber ins Meer und sieht sie vor sich, die doch nur die Gallionsfigur eines untergegangenen Schiffes ist ...

2000 Jahre später, die Menschheit ist längst ausgestorben, glaubt David, für den Zeit keine Rolle spielt, noch immer, die Fee vor sich zu haben – bis ihm die neuen Erdenbewohner, „Außerirdische“, deutlich machen, dass sie ihm aus der Locke, die er einst Monica abgeschnitten hat, gentechnisch seine „Mutter“ nur für einen Tag ins Leben zurückholen können. David schläft am Abend dieses Tages neben Monica ein, zum ersten Mal schläft er und träumt ...

Manche mögen dies für kitschig halten, doch der Film wirft mehr Fragen auf, als dass er auf mich honigsüß gewirkt hätte – im Gegenteil. Allein schon der Anfang des Films ist kritisch genug: Soll es eines Tages erlaubt sein und angenommen werden, hochentwickelte computergesteuerte Ersatzkinder für eigene Kinder zu produzieren? Sind nicht schon Embryonen, die im Anfangsstadium gentechnisch beeinflusst wurden, um mit keiner Behinderung, unheilbaren Krankheit oder gar mit gewünschtem Outfit als Lebewesen auf die Welt zu kommen, der Anfang von Menschenzüchtung, vor der dann keine Künstlichkeit mehr Halt macht? Steht David nicht im Grunde da als Sinnbild für den vermeintlich „perfekten“, genetisch-künstlich erzeugten Menschen, so dass z.B. „Behinderte“ (welches Wort!) dann wirklich zu etwas Abnormen erklärt werden können, obwohl sie doch in der Vielfalt der menschlichen Population nur eine von Tausenden von Möglichkeiten darstellen? Dürfen wir oder ein Teil von uns darüber entscheiden, welche dieser Möglichkeiten akzeptabel sind und welche nicht? Dürfen wir Individualität und genetische Ausprägung bewerten?

Steht die Kampfarena, in der die Roboter unter dem Jubel der Massen vernichtet werden, nicht ebenso für die Kälte gegenüber den Outsidern der gegenwärtigen Gesellschaft (und dazu zählen nicht nur seelisch oder körperlich sehr kranke Menschen, sondern alle diejenigen, die eben anders zu sein scheinen oder sind als die „gesunde Mehrheit“ oder die, die sich dafür hält, es erlauben will oder erlaubt).

David, das heißt die Technik, die die Menschen selbst geschaffen haben, schlägt zurück: Er überlebt die gesamte Menschheit und fängt an – zu träumen. Es ist der Traum, aus der Künstlichkeit einer Entwicklung auszutreten, mit der sich die Menschheit selbst dem Untergang geweiht hat: dem Glauben an die Machbarkeit all dessen, was machbar zu sein scheint und was gemacht werden kann, an die instrumentelle Vernunft (wie Adorno und Horkheimer dies vor langen Jahren genannt haben), dem Irr-Glauben an eine Vernunft, die sich aus technologischer Praktikabilität zu ergeben scheint: Was gemacht werden kann, darf auch gemacht werden; die Ethik der Moderne scheint sich aus der Machbarkeit zu ergeben, das „Sollen“ aus dem „Können“. Doch während die Menschheit sich zu Tode „technologisiert“ hat, fangen die Maschinen an menschlich zu werden, an das alte Märchen von der Menschwerdung, nein, nicht einer Puppe, sondern der Menschen selbst zu glauben!

Mag sein, dass Spielbergs Film nicht an Kubricks „Odyssee im Weltraum“ oder „Clockwork Orange“ herankommt. Doch sein Film ist in gewisser Weise auch Kubricks Vermächtnis. Die Twin-Towers von Manhattan, die im Film zu sehen sind: als Ruinen in einem untergegangenen, überfluteten Millionen-Stadtteil von New York – sie erinnern mich an die Gefährlichkeit einer noch lange nicht überwundenen, sondern allzu gegenwärtigen instrumentellen Vernunft.

Wertung: 10 von 10 Punkten.

A.I. – Künstliche Intelligenz
(Artificial Intelligence: A.I.)
USA 2001, 146 Minuten
Regie: Steven Spielberg

Drehbuch: Steven Spielberg, Ian Watson, Brian Aldiss
Musik: Paul Barker, Max Brody, Deborah Coon, Al Jourgenson, John Williams
Director of Photography: Janusz Kaminski
Schnitt: Michael Kahn
Produktionsdesign: Rick Carter
Hauptdarsteller: Haley Joel Osment (David Swinton), Jude Law (Gigolo Joe, Lover Mecha), Frances O’Connor (Monica Swinton), Brendan Gleeson (Lord Johnson-Johnson), Sam Robards (Henry Swinton), William Hurt (Professor Allen Hobby), Jake Thomas (Martin Swinton), Ken Leung (Syatoo-Sama), Michael Manteil (Dr. Frazier),

Internet Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0212720

Weitere Filmkritik(en):
„Chicago Sun-Times“ (Roger Ebert) (3 von 4 Punkten):
http://www.suntimes.com/ebert/ebert_reviews/2001/06/062901.html

„Movie Reviews“ (James Berardinelli) (3 von 4 Punkten):
http://movie-reviews.colossus.net/movies/a/ai.html


© Ulrich Behrens 2003 für
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----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2004-11-09 13:00:50 mit dem Titel „Wo die Träume geboren werden ...“

„... Und zum ersten Mal kam er
an den Ort, wo die Träume
geboren werden.“


VORSICHT SPOILER: DIE GESCHICHTE WIRD BIS ZU ENDE ERZÄHLT!

Was nach dem Menschen kommt ... nach dem Krieg und nach der Liebe, nach der Geschichte und nach dem Geld, nach der Macht und nach dem Tod, nach der Gier und der Besessenheit ... Was nach dem Menschen kommt, das ist vielleicht die Frage danach, was im Menschen mehr stecken könnte – eine geradezu irrsinnige Frage angesichts der Schlachten, die der Mensch geführt hat und immer noch führt und führen wird. Da ist nichts mehr an Erinnerung des gemeinsamen Ursprungs der einzigen menschlichen Rasse, die sich später teilte in schwarz und gelb, rot und weiß, nur außerhalb unserer Erfahrung und unserer Erinnerung, außerhalb unseres Gefühls liegender wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Ursprung dessen, was wir Mensch nennen. Das ist die Frage, die quälende Frage eines Stanley Kubrick, die sich durch alle seine Filme zieht. Man kann nicht normal sein, wenn man sich diese Frage stellt, denn sie steht so weit außerhalb unseres Horizonts, unseres Alltags, unserer Biografien, dass allein ihre Formulierung des Pathologische des Fragenden sichtbar macht.

Und doch ist fraglich, ob diese Frage Pathologisches ausdrückt oder nicht viel mehr die Antworten, die wir auf unsere Existenz geben. Es ist Steven Spielberg, der die Kubrick’sche Frage aufgrund eines immerhin schon 60 Seiten umfassenden Drehbuchentwurfs und Gesprächen mit dem verstorbenen Regisseur weiter verfolgte und in seinem umstrittenen Film „A.I. – Künstliche Intelligenz“ bebilderte. Ich sehe in diesem Film immer wieder die Fortführung von Kubricks „2001: A Space Odyssee“, auch wenn die Antworten, die Spielberg gibt – wenn es sich denn überhaupt um Antworten handelt –, vielleicht anders ausgefallen sind, als sie bei Kubrick, hätte er den Film noch inszenieren können, ausgefallen wären. Es ist müßig, darüber nachzudenken. Denn „A.I.“ ist trotzdem eine Hommage an Kubrick, fast in jeder Hinsicht.

Der enorme visuelle Aufwand, der sich u.a. in den phantastischen Bildern von „Rouge City“, der Skyline eines untergegangenen Manhattan, den Außerirdischen, der Arena usw. zeigt, hat sich gelohnt. Und es ist meinem Eindruck nach keineswegs so, dass dieser visuelle Aufwand Mängel des Films überdecken würde. Für „A.I.“ gilt, was bei den meisten Filmen Spielbergs richtig ist: Geschichte und Charaktere stehen im Vordergrund, nicht die Technik.


INSTRUMENTALISIERUNG ALS ORGANISATIONSPRINZIP
VON GESELLSCHAFT UND DIE RESTE VON HUMANITÄT


Wir befinden uns in einer nahen Zukunft; große Teile der Erde sind überflutet. Wissenschaftler haben Meccas entworfen, mechanische, meist menschenähnliche Gestalten, die den Menschen zu allerlei Diensten zur Verfügung stehen – sogar, um unerfüllte Kinderwünsche zu erfüllen. Das Ehepaar Monica und Henry Swinton (Frances O’Connor mit einer beeindruckenden Leistung, Sam Robards) leidet darunter, dass der gemeinsame Sohn Martin (Jake Thomas) im Koma liegt und kaum eine Chance hat wieder aufzuwachen. Cybertronics, die Firma, für die Henry arbeitet, hat einen neuen Mecca entwickelt, ein Kind, das lieben kann, einen Prototyp namens David (Haley Joel Osment), der elternlosen Kindern das Leben versüßen soll.

Was ist Liebe? Prof. Hobby (William Hurt) von Cybertronics definiert dies vor versammelter Mann- und Frauschaft ziemlich präzise: Liebe ist das Verlangen, geliebt zu werden, und sei es – wenn es nicht anders geht – durch eine fast perfekte Maschine, die darauf programmiert ist, Gefühle vorzutäuschen. Aber kann der Mensch, der von einem Mecca geliebt wird, diesen auch lieben? Ja, antwortet Prof. Hobby. Die Liebe zu dieser Maschine ist die Vortäuschung und Selbsttäuschung desjenigen, der eine solche Maschine sein eigen nennen darf. Liebe wird zur Täuschung, zum Selbstbetrug.

Monicas Antwort auf den Vorschlag ihres Mannes, diesen David als Ersatz (!) für Martin auszuprobieren (!), ist zunächst Wut, Angst und Distanz, doch schon bald Gewöhnung, Annäherung und Zuneigung. Sie prägt schließlich David auf ihre Person durch das Ablesen eines Wort-Codes, der David auf sie fixiert: „Mama!“ Die Täuschung, Selbsttäuschung scheint perfekt. Und obwohl David nicht essen und schlafen muss, eben eine Maschine ist, entsteht eine Beziehung zwischen Mensch und Maschine, die alles danach aussehen lässt, dass Liebe funktioniert. Ein neuer Sohn ist geboren.

Als Martin unerwartet aus dem Koma erwacht, entstehen Konkurrenz, Neid, Rachegefühle auf Seiten Martins, der erkennt, dass die perfekte menschliche Imitation, die David darstellt, für ihn eine Gefahr sein könnte. Nur Henry weiß im Grunde, was hier abläuft, und er weiß es doch nicht. Für Henry, den Menschen- und Maschinenvater, ist klar, dass David nur eine Simulation, eine täuschend echte Nachbildung eines Jungen ist, die man nach Gebrauch oder bei Schwierigkeiten wieder entsorgen kann. Was allerdings auch Henry nicht bewusst ist: Durch das Erwachen Martins aus dem Koma wird deutlich, dass auch Martin eine Funktion hat, ja, ein Instrument ist, auf dem die Eltern spielen. Jetzt kann Martin wieder als das Instrument dienen, das David nur als Interimslösung darstellte.

Dieser einleitende Teil verdeutlicht, wie menschliche Gesellschaft organisiert erscheint: als gegenseitige Instrumentalisierung, hier in Form der Mutter-Kind-Liebe. Der Schein des kleinen David als „richtiger Junge“ ist nur ein Reflex dieser Instrumentalisierung auch rein menschlicher Beziehungen. Der Betrachter der Szenerie wiederum beginnt bereits hier, gerade wegen der täuschenden Echtheit dieses Davids Mitgefühl zu entwickeln: mit einer Maschine. All das ist Perversion der Verhältnisse und zugleich doch deren krasse Realität.


SÜNDENFALL UND UNBEWUSSTE KAPITULATION
VOR EINER REVOLUTION MENSCHLICHER GEFÜHLE


Doch die Geschichte wäre schnell zu Ende, würde jetzt nicht etwas passieren, sprich: inszeniert werden, was der Erzählung über die Menschheit eine bestimmte Richtung geben würde: Monica hatte Martin und David die Geschichte von Pinocchio vorgelesen. Jetzt, als Martin wieder zum funktionstüchtigen Sohn avanciert ist, soll David (da er auf Monica geprägt und daher zu einem anderweitigen Einsatz untauglich ist) verschrottet werden. Monica jedoch entwickelt nun Mitleid, ja Mitgefühl mit David.

Sie setzt ihn aus. Diese Szene im Wald, dieser Vorgang, ist zentral für den Film. Denn hier bündelt sich in der mitfühlenden Mutter zweierlei, Konträres. Der menschliche Urinstinkt, das Leben-Wollen und das Leben-Erhalten, auch eine Art Urvertrauen, „bremsen“ die brutalen Folgen (Vernichtung) der instrumentellen Vernunft und des tötenden Verstandes. In der Aussetzung Davids kulminieren Liebe und Selbsttäuschung aufgrund der Instrumentalisierung. David wird die Mutter entzogen, bzw. sie entzieht sich ihm, doch zugleich ermöglichst sie ihm das Leben – ohne sie. Für einen ausgesetzten Menschen wäre dies eine existenzielle Katastrophe. Die Situation ist paradox, weil sich diese Handlung auf einen Mecca bezieht, eine Maschine, und eben nicht auf einen Menschen. Der Betrachter jedoch steigert sein Empfinden für diesen Pseudo-Menschen, vielleicht gerade weil es sich um eine Maschine handelt und man unbewusst spürt, was es heißen würde, wenn es sich wirklich um einen Menschen handeln würde.


EVOLUTION, VERGESELLSCHAFTUNG,
BIOGRAFIE, ERINNERUNG ...


Was jetzt geschieht? Die Menschheitsgeschichte wird – in einer verfremdeten Form – rekapituliert. David, der mit seinem kleinen Teddy (eine ebenfalls programmierte Maschine) weiter zieht – was soll er auch sonst tun? –, erinnert sich. David wurde nicht geboren, er wusste nicht, woher er kommt, nur, wohin er zu gehen hatte, als er von Monica geprägt wurde. Jetzt, da Monica ihn verlassen hat, erinnert er sich, man könnte sagen: plötzlich, sozusagen aus dem Stand heraus entwickelt diese Maschine eine Biografie. Er erinnert sich an die Geschichte von Pinocchio, an dessen Suche nach der blauen Fee, die ihn nun vermenschlichen soll, um ihn zur Mutter zurückzubringen. Er überträgt ein Märchen auf das eigene Schicksal, und erst durch diese Übertragung wird David zu so etwas wie einem fühlenden und leidenden Wesen. Durch diese Übertragung, die gleichzeitig einen Lernprozess in Gang setzt, kommt Geschichte in das Leben einer Maschine – und wird damit (weitgehend) vergleichbar mit der eines Menschen.

David entwickelt einen Traum, ein Ziel, das er von nun an vehement verfolgt. Menschen spielen in der Folgezeit immer weniger eine Rolle, nur als Zerstörer, Gefahren, in der Arena, in der Menschen nach dem bekannten Muster von Brot & Spiele Meccas zerstören – unter dem tosenden Beifall der Besucher. „Fleisch-Fest – Fest des Lebens“ nennen die Menschen diese Vernichtungsaktion und begründen sie damit, dass die gefühllosen Maschinen keine Überhand gewinnen dürften!

David und Gigolo Joe (Jude Law), ein Maschinen-Callboy, der von Frauen gemietet werden kann und die sexuellen Wünsche besser als jeder Mann erfüllen soll (ohne Folgen, versteht sich), begegnen sich hier, gefangen im Käfig. Und wieder steht die Welt Kopf: Als das Publikum David sieht, protestiert es gegen seine Vernichtung, weil es ihn für einen Menschen hält. Wir protestieren mit. Warum? David schreit, zeigt Gefühle, akklamiert seinen Wunsch, seine Sehnsucht. Das kann nur ein Mensch! Er und Joe entkommen, und in Rouge City, einem riesigen Vergnügungsviertel, dem Sodom und Gomorrha der Zukunft, führt ihn Joe zu einem Wahrsager, einem Computer, der den Namen Dr. Know trägt, aus dessen Antworten auf die Frage nach der blauen Fee Joe schlussfolgert, man müsse an das Ende der Welt reisen, um sie zu finden. Vieles läuft in „A.I.“ wie im Märchen, allerdings in einer technizistisch überwölbten Welt und so real, dass es erschreckend und phantastisch zu gleichen Teilen ist.

Aus der Sex-Maschine Joe entwickelt sich plötzlich und paradoxerweise: ein Freund. Ein Freund, der David folgt und ihm hilft, obwohl er weiß und dies auch David sagt, dass Menschen Maschinen nur wegen dem lieben, was die Maschinen für sie tun, nicht aber die Meccas selbst. Diese „maschinelle“ Art der Solidarität, des Gesellschaftlichen, scheint ohne wirklichen Eigennutz. Doch sie resultiert daraus, dass Joe seine Funktion für Menschen verloren hat (er sollte vernichtet werden). Was sollte er jetzt tun? Aus dem Funktionsdefizit, aus einem Mangel heraus (!), entwickelt Joe ein anderes Interesse. Er macht aus der Not eine Tugend. Auch er, der Ex-Stricher, lernt.

Joe hält das versunkene Manhattan, wo nur noch die Wolkenkratzer aus dem Meer ragen, für das Ende der Welt. Dort fliegen Joe und David und Teddy hin und dort trifft David auf Prof. Hobby und muss feststellen, dass der inzwischen Dutzende von Davids produziert hat und durch die Beeinflussung von Dr. Know ihn hierher gelockt hat. Und nun entwickelt David so etwas wie Individualität: Er zerschlägt einen seiner bereits fertigen Klone. Und mit dieser Individualität einher geht – ebenfalls entlang der Menschheitsgeschichte – die Entstehung von Abgrenzung, Gewalt, Vernichtungswillen – und Verzweiflung.

Und wiederum folgt ein Akt, der einen Fort-Schritt darstellt: David, der auf dem Rand eines Wolkenkratzers sitzt, lässt sich fallen, stürzt ins Meer – und findet dort scheinbar die Erfüllung all seiner Träume: eine menschengroße weibliche Figur, die er für die blaue Fee hält. Märchen aller Orten. Denn auch hier greift die Inszenierung des Regisseurs knallhart ein. Sie lässt ihn fallen. Aber dieses Fallen, dieser Sprung in die Tiefe, die einen Menschen wahrscheinlich getötet hätte, dieser Selbstmordakt, ist doch „nur“ Symbol für einen dieser Sprünge, die die Menschheitsgeschichte immer wieder geprägt haben: Man muss ins kalte Wasser springen, um fortzukommen.

Zusammen mit Teddy sitzt er dort, in dem Fahrzeug auf dem Meeresgrund, mit dem er hierher gekommen ist, 2000 Jahre lang und bittet die Fee immer wieder, ihm seinen Wunsch zu erfüllen: Mensch zu werden. Als die Außerirdischen, freundliche, wohlgesonnene Wesen, ihn aus dem Eis ziehen und die Fee zerfällt, scheint Davids Traum unerfüllbar geworden. Doch in Wirklichkeit wird sein Traum auf ein realistisches Maß zurecht geschnitten: Aus der DNA der Locke, die David aufgrund einer Racheaktion Martins Monica abgeschnitten und die Teddy aufbewahrt hatte, können die fremden Wesen für einen Tag Monica zum Leben erwecken – ein Tag des Glücks, der Erfüllung, aber auch ein Tag des endgültigen Abschieds, ein Tag der Freude und der Tränen für David, ein Tag von dem einer der Außerirdischen sagt:

„... Und zum ersten Mal kam er
an den Ort, wo die Träume
geboren werden.“


Man könnte sagen, dass dieses Ende ein typisch Spielberg’sches Ende ist, ein Ende, in dem Spielberg (wie in „E.T.“) die Grenzen der Erfüllung kindlicher Träume und Wünsche auslotet, ein aus humanistischer Tradition geborener Schluss, der zwar der Menschheit, die es nicht mehr gibt, aber ihrer Geschichte eine Chance gibt, denn in David ist all das gespeichert, was für die Menschheitsgeschichte wesentlich ist. Wäre Kubrick da nicht pessimistischer gewesen, hätte er einen anderen Schluss bevorzugt?

Wenn man sich an das Ende von „2001: A Space Odyssee“ erinnert, ist dies zumindest fraglich. Will man „A.I.“ unbedingt als verfremdete „Geschichte vom Erwachsenwerden“ verstehen (Pinocchio könnte ja darauf hindeuten), würde dieses Ende Distanz zu Kubrick bedeuten. Ich sehe das anders. Spielberg ist hier sehr nahe an Kubricks Frage „Was nach dem Menschen kommt ...“, indem er (ähnlich, wenn auch anders wie Kubrick in „2001“) die Menschheitsgeschichte in ihren wesentlichen emotionalen wie verstandesmäßigen „Eckpunkten“ – verfremdet durch die Hauptperson, eine Maschine – nacherzählt: Unschuld, Vertreibung aus dem Paradies, Gedächtnis, Individualität, Sozialität, vor allem aber die scheinbar unausweichliche Entwicklung hin zur instrumentellen Vernunft im Sinne Adornos, einer Vernunft, die die negativen und negierenden Folgen der Dialektik der Aufklärung zum Maßstab menschlichen Daseins werden lässt. „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist dafür nur ein schwacher Ausdruck. Das Robbespierre’sche „Tugend durch Terror“ schon eher – auch wenn dies in „A.I.“ nicht derart brutal erscheint, weil die Erzählung sich scheinbar auf einen widerstreitenden Begriff von Liebe reduziert.

Wie bei Kubrick jedoch auch verbleibt eine bei Spielberg vielleicht nicht aus der Verzweiflung geborene, aber dennoch vage „Hintertür“, ein „Hintertreppchen“: Monicas emotional bedingte Erinnerung an Mitgefühl und die Geschichte von Pinocchio als Grund für die Suche nach der Erfüllung, nach Glück. Als Monica nach dem einen Tag Glück wieder einschläft und stirbt, liegt David neben ihr und schläft ebenfalls. Er, die fühlende Wunschmaschine, trägt die Summe menschlichen Daseins und die Substanz der Geschichte in all ihrer Dialektik in sich – wie wir alle. Wir müssen sie nur entdecken.


ZUR DVD
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Format: Dolby, Surround Sound, PAL, Widescreen
Studio: Warner Home Video - DVD
Sprachen: Deutsch (Dolby Digital 5.1 EX, Dolby Digital 5.1) Englisch (Dolby Digital 5.1 EX, Dolby Digital 5.1) Spanisch (Dolby Digital 5.1 EX, Dolby Digital 5.1)
Bildformat: 16:9, 1.85:1

Die von Warner Home Video editierte Doppel-DVD ist hinsichtlich der Ausstattung sicherlich außergewöhnlich. Allerdings lässt das Bild des Hauptfilms zu wünschen übrig. Zeitweilige Doppelkonturen und die Körnigkeit des Bildes führen zu einem permanenten Flächenrauschen. Das Bild scheint oft überscharf, und auch der Kontrast hat seine Macken. Oft werden scharfe Konturen der Personen von grellem Licht überzeichnet. Gut aufeinander abgestimmt ist dagegen der Ton, sowohl was die Filmmusik, als auch was die Dialoge anbetrifft. Gerade bei Effekten erscheint der Ton realistisch, der Raumklang ist fast optimal.

In dem edel gestalteten Schuber findet sich auf Disk 1 neben dem Film ein relativ kurzes Making Of, das aber für sich nur eine Art Einführung in den Film darstellt. Es macht neugierig auf das Bonusmaterial der Disk 2. Dort findet man zunächst eine Einführung in die beiden Hauptfiguren David und Gigolo Joe („Die Schauspielkunst von A.I.“) anhand der beiden glänzend spielenden Schauspieler. Dieser Teil liefert viel Stoff zur Interpretation, da er zu den Rollen der beiden, besonders zu der von Joe, vielfältige Informationen liefert. Ausführlich wird über das Design und insbesondere auch über die Kostüme berichtet („Das Design“), ebenso über Musik, Beleuchtung und die Konstruktion der Meccas. Besonders interessant und ausführlich dargestellt von Dennis Muren, dem visual effects supervisor des Films, über die special effects und die Sequenz, in der Manhattan als Ruine der Zivilisation gezeigt wird („Ein Überblick von Dennis Muren“). Auch über den Bau von Rouge City erfährt man hier Interessantes. Schließlich runden „Abschließende Worte“ des Regisseurs das Bild dieser gelungenen DVD-Edition ab.

Es wäre zu viel des Guten, auf diese spannenden Extras der zweiten DVD detailliert einzugehen. Man sollte sich überraschen lassen.

Noch eine gute Meldung: Die Doppel-DVD kostet bei amazon und jpc derzeit € 14,99, in der Schweiz bei 1a-DVD-Shop umgerechnet € 14,82, ist also angesichts des umfassenden Bonusmaterials günstig zu erwerben.

Insgesamt kann die Box, trotz einiger Einschränkungen beim Bild, also überzeugen und ist für Liebhaber des Films unbedingt empfehlenswert.

Wertung Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat: Besonders wertvoll.
Wertung DVD: 9 von 10 Punkten.

A.I. – Künstliche Intelligenz
(Artificial Intelligence: AI)
USA 2001, 146 Minuten
Regie: Steven Spielberg

Drehbuch: Steven Spielberg, Ian Watson, Brian Aldiss
Musik: John Williams
Director of Photography: Janusz Kaminski
Montage: Michael Kahn
Produktionsdesign: Rick Carter
Darsteller: Haley Joel Osment (David), Frances O’Connor (Monica Swinton), Sam Robards (Henry Swinton), Jake Thomas (Martin Swinton), Jude Law (Gigolo Joe), William Hurt (Prof. Hobby), Ken Leung (Syatyoo-Sama), Ashley Scott (Gigolo Jane), John Prosky (Mr. Williamson), Brendan Gleeson (Lord Johnson-Johnson)

Internet Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0212720


© Ulrich Behrens 2004

47 Bewertungen, 2 Kommentare

  • XXLALF

    16.02.2010, 08:12 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    ein wirklich wahnsinns schöner und spannender film, der gestern abend im fernsehn kam, wobei du den filmbericht einfach grandios dazu geschrieben hast. was mir auch sehr, sehr gut gefällt ist, dass du das was man beim filmanschauen spürt und merkt und denkt in deine worte gefasst hast. ein einfach super toller bericht, wobei, wenn man den film erst kurz davor gesehen hat, dieser, so empfinde ich wenigstens, vor seinen augen nochmals abläuft. also diesen bericht zu lesen hat mich heut sehr gefreut. war für mich wie ein wunderschönes geschenk. natürlich ein bw und ganz liebe grüße

  • mima007

    13.11.2004, 18:24 Uhr von mima007
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wo hast du nur diese ganzen Theorien (vgl. Zwischenüberschriften) her? Würd mich wirklich interessieren. VG, mima