American History X (VHS) Testbericht

American-history-x-vhs-drama
ab 8,21
Auf yopi.de gelistet seit 10/2004

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Erfahrungsbericht von catmother

Rassenhaß und Neonazis: ein besonderer Ethik-Grundkurs

Pro:

sehr realistisch, sehr vielschichtig, ein grandioser Norton, sollte Pflichtveranstaltung in Schulen sein

Kontra:

ziemlich heftig

Empfehlung:

Ja

Seid ihr bereit, auf einen Seelentrip zu gehen? Aber Vorsicht, das wird keine leichte Kost. Im Gegenteil, der Film geht erschreckend an die Nieren – wenn ihr nicht gerade zu den Vertretern unserer Gesellschaft gehört, die meinen, Deutschland sei nur für Deutsche da.


** Die Story **
Daniel Vinyard (Edward Furlong) ist an sich ein guter Schüler. Aber jetzt hat er zum großen Entsetzen seines Deutschlehrers Murray (Elliott Gould) einen ernst gemeinten Aufsatz über das Buch ”Mein Kampf” abgeliefert. Und er meint es tatsächlich ernst, ist Danny doch Mitglied der rassistischen Gruppe White Power, deren neonazistische Parolen und Mitglieder das schöne Städtchen Venice Beach beherrschen.

Gegen den Widerstand von Lehrer Murray will Sweeney (Avery Brooks), der schwarze Direktor der Highschool, den Jungen jedoch nicht aufgeben. Er scheißt ihn ordentlich zusammen und verdonnert ihn zu einem Sonderkurs in Geschichte. Er nennt das den Geschichtskurs ”American History X” und fordert von Danny, bis zum nächsten Tag einen Aufsatz über seinen Bruder zu schreiben, darüber, wie dessen Tun und Handeln sich auf ihn und das Leben seiner Familie ausgewirkt hat.

Rückblende: Derek Vinyard (Edward Norton) ist ein exzellenter Schüler, aber er kommt nicht darüber hinweg, daß sein Vater bei einem Feuerwehreinsatz in einem Schwarzenviertel erschossen wurde. Zu dieser Zeit entwickelt er seinen Haß auf Schwarze und Gelbe und Juden und, und, und – der Objekte für seinen Haß gibt es viele. Gleichzeitig siedelt sich der Rassist Cameron Alexander (Stacey Keach) in Venice an, schart unentschlossene und orientierungslose Jugendliche um sich und gründet White Power, eine Gang mit Naziambitionen. Derek wird sein Kronprinz, weil er es wie kein anderer versteht, andere mit brillanten Argumenten und kämpferischen Reden zu überzeugen.

Aber er macht das beileibe nicht auf die plumpe Art. Nein, er spricht aus, was alle denken, die keine Arbeit haben, in ihren Jobs durch billigere schwarze, asiatische oder mexikanische Arbeitskräfte ersetzt wurden, die nirgendwo mehr in Ruhe abhängen können, weil die schwarzen Gruppen immer an ihren Plätzen rumlungern, die sich in ihren eigenen Vierteln nicht mehr sicher fühlen, weil Überfälle durch Farbige an der Tagesordnung sind... Die Wut ist doch verständlich, oder?
Mit Terror und Überfällen räumt White Power aber nun endlich im Viertel wieder auf. Damit macht sich Derek aber auch jede Menge Feinde.
Als Zeichen seiner Überzeugung trägt Derek ein riesiges eintätowiertes Hakenkreuz über dem Herzen.

Dies alles erlebt Danny in einem Alter, wo er noch sehr beeinflussbar ist, und er liebt seinen Bruder über alles. Doch der verliert auch innerhalb der Familie immer häufiger die Kontrolle, weil nicht alle Familienmitglieder mit seiner Haltung einverstanden sind. Schlimmer noch, seine Mutter Doris (Beverly d’Angelo ) hat sich sogar mit einem Juden angefreundet, den Derek erfolgreich verjagt.
Eines Nachts brechen mehrere bewaffnete schwarze Jugendliche in Dereks Auto ein. Er überrascht sie und bringt zwei von ihnen um. Dafür geht er für mehr als drei Jahre ins Gefängnis, und auch das nur so kurz, weil Danny nicht gegen seinen Bruder ausgesagt hat.

Als Derek wieder draußen ist (und hier setzt der Film eigentlich ein), realisiert er, daß sein Bruder in seine Fußstapfen getreten ist und immer noch mit seinen alten Freunden aus der Rassistenszene rumhängt. Das gefällt ihm plötzlich garnicht mehr und keiner versteht, was mit ihm passiert ist. Was hat den großen Nazi da im Gefängnis so verändert, daß er sich von seiner früheren Überzeugung distanziert und mit den alten Freunden überwirft?


** Darsteller **
Edward Norton fiel mir das erste Mal so richtig positiv durch seine Rolle als Anwalt in dem Film ”Larry Flint” auf, nachdem er in Zwielicht einen faszinierend schizophrenen Mörder gespielt hatte, wofür er eine Oscarnominierung bekam. Die zweite erhielt er für ”American History X”, mit dem er den Durchbruch als Charakterschauspieler hatte. Er fällt irgendwie immer mit extremen und schwierigen Rollen auf – wie z.B. in Fight Club.
Es klingt sicher komisch, aber ich hatte beim Zusehen das Gefühl, Norton lebt die Rolle des Derek. Nicht, daß er davon aus tiefstem Herzen überzeugt wäre, aber eine solche glaubhafte Darstellung einer negativen Figur ist mir selten vors Auge gekommen. Man erinnere sich nur an den Gesichtsausdruck, als Derek nach dem Mord an den zwei schwarzen Jugendlichen verhaftet wird – soviel Stolz auf seine Tat, soviel Überzeugung und Hochgefühl, für eine Tat, die seiner Einstellung entspricht, in den Knast zu gehen – da frage ich mich, wo nimmt dieser junge Mann die Erfahrung her, sowas zu spielen?

Edward Furlong ist wohl jedem noch bekannt aus den beiden Terminator-Filmen, wo er zwar auch der rebellische, aber immerhin noch hübsche, kleine Junge war, den es zu beschützen galt. Dieses Image hat sich hier grundlegend gewandelt.
Seine Figur des Danny ist im Film nicht auf gut oder böse festgelegt, er verkörpert eher den Typ des Beeinflußbaren, der aus Liebe und Abhängigkeit zu einem anderen Menschen dessen Einstellungen und Überzeugungen übernimmt und eines Tages bemerkt, daß er keine eigenen Meinung mehr hat, schlimmer noch, daß die, die er als Meinung akzeptiert hat, grundlegend falsch war. Und das hat er für meine Begriffe hervorragend und sehr, sehr glaubhaft rübergebracht.

In weiteren, vergleichsweise kleinen, aber nicht unbedeutenden Rollen Stacey Keach (den ich garnicht wiedererkannte), Avery Brooks als sozial engagierter Lehrer und Beverly d’Angelo als verzweifelte Mutter zweier Nazis. Fairuza Balk als Dereks Nazi-Freundin Stacy habe ich noch bemerkt, die in dem kürzlich von mir beschriebenen Film Valmont eine Hauptrolle spielte.


** Filmkritik **
Es ist wohl das erste Mal, daß man einen Nazi zum Helden eines Films machte. Doch man begreift im Laufe der Geschichte, daß ein Mensch mit dieser Gesinnung nicht geboren wird, sondern durch Erziehung, durch Einfluß von außen zu einem Verachter aller Andersartigen wird. Wenn man selbst keine Orientierung hat, keine eigenen festen Prinzipien, und wenn dann noch solche Umstände wie ein seelischer Einschnitt im Leben durch den Tod eines Vorbilds oder Verlust der Arbeit hinzukommen, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Extremismus – falls es einen charismatischen Führer gibt, der ausspricht, was man fühlt und dem man folgen kann.

Faszinierend und sehr realistisch an dem Film ist die Tatsache, daß die Figur des Nazis Derek sehr ambivalent, also nicht eindeutig böse ist. Im Gegenteil, eigentlich ist man geneigt, sie eher zu verstehen und zu achten: Derek ist ein ordentlicher und sehr moralischer Mensch (klammert man mal Rassismus aus), er verurteilt Drogen genauso, wie wir es tun, er würde für das Wohl seiner Familie alles tun, ihre Sicherheit und Wohlstand ist seine erklärtes Ziel und er will Arbeit für seine Landsleute. Wer kann ihm eigentlich seinen Haß übel nehmen, daß gerade Sicherheit nicht möglich ist angesichts der ständigen Gewalt durch ”Ausländer”?

Denn mit seinen nazistischen Platitüden spricht er leider genau das aus, was die Leute denken. Er kanalisiert ganz geschickt die Aggressionen der Jugendlichen, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse vernachlässigt wurden und macht sie sich für seine Zwecke zu nutze. Genauso funktionieren rassistische und nazistische Bewegungen.
Und seien wir ehrlich – dieser Film widerspiegelt doch kein ausgesprochen amerikanisches Problem. Er ist genauso auf Europa, auf Deutschland übertragbar. Nur daß es hier weniger wahrscheinlich ist, daß man mit Waffengewalt Racheakte verübt.
Das Tragische an dieser Figur finde ich, daß dieser intelligente und charismatische Junge in einem anderen Leben jede Chance gehabt und vielleicht Jurist geworden wäre. Als Zuschauer wechselt man mehrmals im Film die Meinung über Derek: einmal kann man voll nachvollziehen, warum er so geworden ist und hat Verständnis für ihn, dann wieder haßt man ihn für das was er tut, wenn er gewalttätig ist. Die eine Szene, wo er den Kopf des Autodiebs auf dem Bordstein zertrümmert, ist einfach furchtbar.

Was mich am meisten erschüttert hat an dem Film ist die Tatsache, daß er so desillusionierend ist: Rassismus hat so tiefe Wurzeln, den werden wir wohl niemals überwinden. Und es ist beileibe kein weißes Problem. Auch unter Schwarzen oder anderen Bevölkerungsgruppen gibt es Rassismus (Black Power, Jugoslawien, Araber). Insofern hätte der Film auch einen schwarzen Hauptdarsteller haben können.

Daß der Film nicht mit Friede, Freude, Eierkuchen ausgeht, war eigentlich zu erwarten, und das fand ich gut so. Es gibt in dieser Frage höchst selten ein Happy End und zeigt ganz deutlich, daß es nicht genügt, einzelne zu überzeugen, solange das System, das Rassismus fördert, nicht geändert wird. Es war für mich geradezu äußerst deprimierend zu erkennen, daß diese Spirale der Vorurteile und Gewalt und Haß und Aggressionen nie aufhören wird, solange wir Menschen nicht als Menschen und nicht als Angehörige einer Rasse oder Minderheit sehen und akzeptieren.


** Meine Meinung **
Ein äußerst bewegender Film, der sich durchaus als Teil von Ethik- oder Geschichtsunterricht eignen würde. Grausam, eindringlich und noch lange nachwirkend.
Unbedingt ansehen!


** Daten **
USA 1998
Genre: Drama
Regie: Tony Kaye
FSK 16

31 Bewertungen, 1 Kommentar

  • liiiiindaaaaa

    29.03.2006, 14:22 Uhr von liiiiindaaaaa
    Bewertung: sehr hilfreich

    über gegenlesungen würde ich mich freuen;)