Der Pianist (VHS) Testbericht

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ab 12,27
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Erfahrungsbericht von starfax

Polanski läßt kalt

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Ein wichtiges und hochaktuelles Thema, eine spannende, historisch verbürgte Geschichte, Roman Polanski als Regisseur und viele Vorschußlorbeeren machten mich neugierig auf den \"Pianisten\".
Allerdings war mir klar, daß ich zum vergleich herausgefordert würde, nachdem ich \"Schindlers Liste\" als einen der besten Beiträge zum Thema Holocaust sehe. Und nachdem ich mir \"Der Pianist\" nun angesehen habe - und auch schon einige Meinungen dazu gelesen habe, fühle ich mich bereit, meine Meinung auszubreiten - und ich freue mich schon auf eure Kommentare!

DIE STORY:

Adrien Brody spielt den jungen, jüdischen Pianisten Vladek Spielmann aus Warschau, der beim dortigen Rundfunk arbeitet und schon ein wenig bekannt ist.
Als die Deutschen 1939 Warschau besetzen, sperren sie die dortigen Juden in ein hermetisch abgeriegeltes Ghetto, wo sie unter erbärmlichen Verhältnissen vegetieren müssen. Auch Spielmann und seine Familie sind darunter.
Den Todeszügen nach Auschwitz entgeht Spielmann als einziger aus seiner Familie und es gelingt ihm, aus dem nun verlassenen Ghetto zu entkommen und bei Bekannten unterzutauchen. Später, als die Deutschen immer mehr Hausdurchsuchungen durchführen, muß er erneut fliehen, kommt zuerst in einem verlassenen Krankenhaus und später auf dem Dachboden eines Hauses mitten unter Ruinen unter.
Verwundet, hilflos und hungernd fristet er sein kärgliches Dasein bis er eines Tages, kurz vor Einmarsch der Russen, von einem deutschen Offizier (gespielt von Thomas Kretschmann) entdeckt wird, der ihn aber nicht erschießt, sondern ihn erst Klavier spielen läßt und ihm dann Nahrung zukommen läßt.
Nach dem Krieg spielt Spielmann wieder im Rundfunk, der Soildat aber ist vermutlich in einem russischen Kriegsgefangenenlager umgekommen.

DER FILM:

Nun muß ich zugeben, die erste Frage, die ich mir stellte, war ein bißchen ungerecht, nämlich: Was will dieser Film uns sagen. Ich verlor ein bißchen aus den Augen, daß es eine wahre Geschichte ist (der echte Spielmann ist im Jahr 2000 gestorben) und verlangte etwas mehr an Stellungnahme. Gerade das Ende fand ich seltsam. Nach all den Strapazen, die er durchlitten hat, kommt Spielmann durch und man sieht ihn lediglich Klavier spielen. Alles ist wieder, wie es war. Der Soldat ist tot - von seiner guten Tat hat er nichts mehr gehabt.
Aber gerade das ist wohl wirklich der Punkt - es ist eine wahre Geschichte, keine, in der die Moral von der Dramaturgie oder irgendwelchen Erwartungshaltungen bestimmt wird.
Gerade, daß die Figur des Soldaten so im Ungewissen bleibt (warum handelte er so: Aus echtem Mitgefühl oder Reue, oder wollte er für \"später\" einfach eine gute Tat vorweisen können?), fand ich sehr befremdlich (inzwischen habe ich erfahren, daß man es auch so interpretieren könnte: es ist auch ein Machtspiel...ob man jemanden, dem man überlegen ist, tötet, oder ihm hilft - es gibt einem das Gefühl von Macht).
Aber auch an anderen Stellen fehlte mir etwas.
Alle Figuren außer Vladek sind nur sehr grob umrissen. Das mag etwas damit zu tun haben, daß er nun mal die unbedingte Hauptfigur ist, aber eine genauere Schilderung seiner Bekannten und Familienangehörigen hätte ich für wünschenswert gehalten - insbesondere die Beziehung zu seinem Bruder, der für sich schon das wandelnde Klischee eines jugendlichen Rebellen ist, wäre interessant gewesen. Aber gerade hier beschränkt sich das Drehbuch auf ein paar abgedroschene Formeln wie \"dir ist ja alles egal\" und ähnliches. Aber eine echte Motivation für die Feindseligkeit oder deren Entwicklung werden nicht gezeigt. Und so verhält es sich mit vielen Figuren. Vieles wird angerissen und angedeutet, aber nichts wirklich erklärt.
Wenn aber keine echten Beziehungen gezeigt werden, und dadurch der Protagonist eher blaß bleibt, kann er noch so viel durchmachen, es läßt eher kalt.
Später dann, als der Film sich in Schilderungen der Grausamkeiten und der Willkür der Besatzer erschöpfte, stieg ich endgültig aus.
Mein Gefühl war, ich schaue die ganze Zeit einen Film an. (Leider kann ich es zur Zeit nicht anders beschreiben)Und das ist etwas, was nicht passieren sollte.
Es ist einfach so, daß dieses ganze Ausmaß des Entsetzens, die Grausamkeiten und das Leiden von Vladek auf der Flucht schlicht abgefilmt werden.
Meiner Meinung nach sind diese Vorgänge aber so ungeheuerlich, daß sie vom Verstand nur schwer zu begreifen sind.
Spielberg hat duch die Verfremdung mit Schwarz-Weiß und gewisse Stilelemente adäquate Bilder gefunden, die auch den Verstand ansprechen, aber nicht nur.
Es gibt viele Vorwürfe zu \"Schindlers Liste\", der Film sei zu melancholisch oder gefühlig. Aber ich glaube, gerade über Emotionen kann man dieses Thema am besten packen und bearbeiten.
Über Gefühle erfahre ich mehr, als mein Verstand je packen könnte.

MEINE KRITIK:

Eine wichtige Geschichte zu einem wichtigen Thema, aber meiner Meinung nach bleibt der Film zu sehr beim \"Abfilmen\" - und damit zu oberflächlich. Nüchternheit schön und gut, aber bei diesem Thema ist Nüchternheit ein schmaler Grat und bloß abgefilmte Gewaltszenen wirken auf Dauer ermüdend.
Dazu kommen Schwächen bei den Dialogen. Der sparsame Einsatz von Musik mag für manche immerhin positiv sein, wird so doch Vladeks Klavierspiel mehr zur Geltung gebracht.
Adrien Brody spielt sehr zurückgenommen, wirkt manchmal fast schon benommen, bleibt meiner Meinung nach Geschmackssache.
Alles in allem eine gute Absicht, aber mit zum Teil verfehlten Mitteln.
(Vielleicht sollte ich der Vollständigkeit halber sagen, daß ich bis auf \"Neun Pforten\" und \"Frantic\" keinen von Polanskis Filme wirklich gut fand - möglicherweise also auch das eine Geschmacksfrage).

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