Der Stellvertreter (DVD) Testbericht

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ab 7,91
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Erfahrungsbericht von mima007

Anrührendes Drama des zwecklosen Widerstands

Pro:

spannend, temporeich, detaillierte Faktenkenntnisse, anrührend, gute Schauspieler, vermeidet Voyeurismus; ausgezeichnete BBC-Doku

Kontra:

theatralische Dialoge, unwahrscheinliches Verhalten Gersteins; kein making-of

Empfehlung:

Ja

Ein SS-Offizier mit christlicher Überzeugung versucht, während des 2. Weltkriegs die katholische Kirche dazu zu bewegen, die Judenvernichtung zu verhindern. Ein Jesuitenpater hilft ihm dabei, um den Preis des eigenen Lebens.

OSCAR-Preisträger Costa-Gavras (\"Z\", \"Mad City\") hat ein Theaterstück des deutschen Autors Rolf Hochhuth verfilmt, das bereits 1963 bei seiner Uraufführung für Furore sorgte. In Frankreich wurde der Streifen 2001 in sieben Kategorien für den \"Cesar\" vorgeschlagen, darunter für den besten Film, die beste Regie und den besten Darsteller.

Filminfos

O-Titel: Der Stellvertreter (USA 2001), DVD: 2002
FSK: ab 12
Länge: 125 Min.
Regisseur: Costa-Gavras (\"Z\")
Drehbuch: Costa-Gavras/Grumberg, nach dem Stück von Rolf Hochhuth
Musik: Armand Amar
Darsteller: Ulrich Tukur (Kurt Gerstein), Mathieu Kassovitz (Graf Fontana), Ulrich Mühe (The doctor/Mengele) u.a.

Handlung

Kurt Gerstein (Tukur) ist ein gläubiger Christ, der sich schon lange in der evangelischen Bewegung engagiert hat. Allerdings sass er deswegen bereits im Gefängnis, seit die Nazis an die Macht gekommen sind. Immerhin hat er aus dieser Zeit noch etliche Kontakte, die ihm nun in der kommenden schweren Zeit nützlich sein können. Er scheut sich nicht, auf Menschen zuzugehen und sie um Hilfe zu bitten, wenn es ihm sein Gewissen gebietet. Er ist glücklich mit einer Frau aus der Universitätsstadt Tübingen verheiratet und hat drei Kinder.

Ende 1940, nach einem Jahr Krieg gegen Polen und Frankreich, erhält er den Auftrag, die Desinfektionsanlagen der Wehrmacht zu inspizieren und zu verbessern. Als technischer Ingenieur gehört er zwar dem Hygieneinstitut der Waffen-SS an, doch die normale SS requiriert kurzerhand seine Dienste. Seit die SS von Himmler geführt wird, wächst ihre Macht stetig. Ein Doktor (herrlich opportunistisch: Ulrich Mühe) führt Gerstein nach erfolgreicher Wehrmachtstournee in eines der neuen \"Arbeitslager\", die dem \"Aufbau eines neuen Ruhrgebiets im Osten\" dienen. Der Doktor (er hat keinen Namen, aber stellen wir ihn uns als eine historische Gestalt wie Josef Mengele vor) lädt Gerstein ein, einen Blick durch die Wand eines Desinfizierungsgebäudes zu werfen. Der Betrachter ist zutiefst erschüttert, was in der mit Zyklon-B-Gas gefüllten Baracke geschieht. Der Doktor: \"Das, was Sie gesehen haben, kennen keine zehn Menschen auf der Welt.\"

Nun ist Gerstein klar, dass die Nazis und insbesondere die SS daran arbeiten, die Juden systematisch zu vernichten, und zwar nicht nur die deutschen und die österreichischen, sondern die Juden ganz Europas. \"Der Führer wünscht, die Sache bis 1948 erledigt zu haben\", erfährt Gerstein. Es handelt sich um die \"Sache\" von 10 bis 11 Mio. europäischen Juden, und das umfasst alle Gebiete bis zum Ural und Kaukasus. \"1949 ist der Rest der Welt dran, und 1950 ist ein Sabbatjahr\", witzelt der Doktor. Wer den Roman \"Vaterland\" von Richard Harris (\"Enigma\") gelesen hat, weiß, dass diese Zahlen und Pläne stimmen. In \"Vaterland\" werden sie sogar realisiert...

Gersteins Gewissen diktiert ihm, sofort die restliche Welt von diesem ungeuerlichen Verbrechen zu informieren. Seine Frau will er damit nicht belasten, und sein Schwiegervater ist auf die Parteilinie eingeschworen und glaubt jedes Wort der Nazi-Propaganda (sogar an die \"Geheimwaffe\", nämlich die Atombombe). Also wendet er sich an neutrale Staaten wie Schweden, an die evangelische Kirchenbewegung, an die katholische Kirche. Während noch Bischof von Galen wieder die Nazis wettern darf, so sind die Ohren in der päpstlichen Nuntiatur in Berlin verschlossen.

Einzige Ausnahme in Papstkreisen: der junge Graf Riccardo Fontana, ein Jesuitenpater (Kassovitz). Als einziger findet er die Beweise, die der SS-Mann Gerstein vorlegt, überzeugend. Als einziger in der Nuntiatur macht er es zu seinem Auftrag, ja zu seiner Lebensaufgabe, den Papst dazu zu bewegen, die Vernichtung der Juden Europas anzuprangern und wenn möglich sogar zu verdammen. Dabei soll Riccardo sein Vater helfen, der mit dem Papst verwandt ist. Allerdings hat die katholische Kirche ihre eigene Ansicht von europäischer Außenpolitik (siehe die BBC-Doku) und der Heilige Vater keine Ahnung, was wirklich vo sich geht. Selbst als Riccardo supergeheime Zahlen der KZ-Vernichtungsraten vorlegt, fällt niemand in Ohnmacht, sondern alle wehren ab -- selbst die Amerikaner.

Während Gerstein die technischen Voraussetzungen für die Vergasung sabotiert und begrenzten Erfolg hat, müht sich Fontana vergebens, den Papst zu einer Judenverteidigung zu bewegen. Dessen Weihnachtsansprache 1942 ist für die beiden Verschwörer eine einzige Enttäuschung. Das Worte \"Juden\" wird nicht einmal erwähnt. 1943 marschieren die Deutschen in Rom ein und transportieren die ersten tausend Juden ab. Während der \"Stellvertreter Gottes auf Erden\" wieder einmal die Augen verschließt, greifen die Priester, Nonnen und Ordensbrüder zur selbstlosen Hilfe und öffnen ihre Tore für Juden, Konvertiten und andere Verfolgte. (Die BBC-Doku stellt diese Vorgänge detailliert dar, während der Film sie nur streifen kann.)

Nun ist auch Riccardo mit seinem Latein am Ende. Mitten in einer Audienz beim Papst heftet er sich zum Entsetzen aller Umstehenden einen gelben Judenstern an die Soutane und besteigt hernach einen der Viehwaggons beim Judentransport nach Auschwitz. Wenn der Stellvertreter Gottes versagt, so muss er, Riccardo, herausfinden, ob er nicht Gott in den Lagern und Krematorien finden kann, sagt er sich. \"Jagt ihn durch den Schornstein!\", befiehlt der Doktor. \"So kommt er am schnellsten in den Himmel.\"

Mein Eindruck: der Film

Costa-Gavras hat ein Spielfilm inszeniert, der durchaus spannend ist und sowohl zu unterhalten als auch zu berühren weiß. (Wir gehen mal davon aus, dass die Darstellung der geschichtlichen Fakten korrekt ist.) Aber zwei Dinge sind ebenfalls nicht zu übersehen: Dieser Film beruht auf einem Theaterstück und will den Zuschauer aufklären und bewegen. Hier scheint der alte Gedanke des \"Theaters als moralische Anstalt\" gemäß Friedrich Schiller durch. Das muss nichts Schlechtes sein, sondern hat schon viele Erfolge hervorgebracht. Da Hochhuths Stück 1963 Aufsehen und Protest erregte, durfte Costa-Gavras mit den gleichen Wirkungen rechnen, denn das Thema an sich ist nicht zu den Akten gelegt worden.

Wer einen Costa-Gavras-Film anschaut, muss wissen, worauf er sich einlässt. Wer \"Z\" und \"Missing\" (mit Jack Lemmon) kennt, wird sich über \"Der Stellvertreter - Amen\" nicht wundern. Erstaunlich ist schon eher, mit welcher Wärme und Souveränität hier Weltgeschichte inszeniert wird. Alle Schauspieler sind ja aus der ersten Riege des jeweiligen Charakterfachs, auch wenn osteuropäische Darsteller bei uns eher unbekannt sein dürften. Und sie wissen ihre jeweilige Rolle nicht nur auszufüllen, sondern eigenständig zu gestalten.

Meine Einwände

Aber es gibt auch Einwände. Sämtliche Dialoge stammen wohl aus dem Stück, sind also auf das Notwendigste reduziert, und jedes Wort lässt sich auf die Goldwaage legen. Das aber erzeugt einen Effekt der Hochspannung, die die ständige Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert. Nach zwei Stunden kann das ganz schön ermüdend sein. Man ist für jede Szene dankbar, die bei Gersteins daheim spielt. Ein klein wenig Entspannung muss eben sein.

Die verdichteten Dialoge erlauben keine Floskeln usw., die man im täglichen menschlichen Umgang gebraucht. Daher erscheinen etliche Szenen nicht realistisch, sondern theatralisch. Das ist offenbar unvermeidlich und muss hingenommen werden. Aber es erscheint schon sehr früh unplausibel, dass Gerstein nicht der Bespitzelung durch die Gestapo und andere Organisationen ausgesetzt ist. So kann er seine Informationen über die neuen Gräueltaten aus den polnischen KZs einfach an den erstbesten schwedischen Gesandten weitergeben, der ihm auf dem Zug nach Hause begegnet. Es ist eine der unwahrscheinlichsten Szenen des ganzen Films. Alle weiteren schwedischen Kontakte sind ebenso inszeniert. Sie entziehen Gersteins Figur jede Glaubwürdigkeit, zumindest in ihrer öffentlichen Dimension. Man nimmt der Figur durchaus die Rolle des besorgten, fürsorglichen Vaters ab. Aber das ist leider nicht genug.

Es wurde die Kritik erhoben, der Filme verzettele sich in mehreren Handlungssträngen. Nun ja, es gibt zwei davon, und der zweite ergibt sich als direkte Folge des ersten: Gerstein gelingt es, den Jesuiten Riccardo Fontana (Kassovitz) vom Wahrheitsgehalt seiner Informationen zu überzeugen. Fontana dringt bis einer Papstaudienz mit Gersteins und seinem eigenen Anliegen vor. Das ist also durchaus stringent erzählt. Auch als die römischen Juden deportiert werden, ist Gerstein vor Ort, ebenso wie Riccardo.
Nichts bereitet den Zuschauer auf das katastrophale Ende von Gersteins und Riccardos Bemühungen vor. Auch die letzte Szene ist ein Schlag ins Gesicht: Einer der größten Naziverbrecher in den KZs, der \"Doktor\", erhält einen Freifahrschein ins sichere Ausland.

Die DVD

Technische Infos:
Bildformate: 1,85:1, 16:9
Tonformate: DD 2.0 und DD 5.1 (Engl. nur DD 2.0)
Sprachen: Dt., Engl.
Untertitel: dt. Untertitel ausblendbar

Extras:

- Doku \"Pius XII, der Papst, die Juden und die Nazis\" (60 Minuten, BBC, 1995)
- Doku \"Von Kurt Gerstein zu Ulrich Tukur\"Cast & Crew (17 Min.)
- Fotogalerie
- Bio-/Filmografien
- Dt. Kinotrailer
- DVD-Rom-Part: Weblink zu www.concorde-home.de

Mein Eindruck: die DVD

Die einstündige BBC-Filmdokumentation \"Pius XII, der Papst, die Juden und die Nazis\" wurde bereits im deutschen Fernsehen gezeigt. Kommentiert in englischer Sprache, mit deutschen Untertiteln, schildert sie das Thema des Holocaust an den europäischen Juden von seinen Anfängen bis zum Jahr 1944, als nicht verhindert wurde, dass auch die ungarischen Juden in die Todeslager deportiert wurden.

Durch Zeitzeugen auf allen Ebenen - vom Vorzimmer des Papstes bis zur KZ-Überlebenden - wird das Bild einer Zeit gezeichnet, inder sich die katholische Kirche nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Aber auch die Alternativen, die dem Papst offenstanden, werden aufgezeigt, um so deutlich zu machen, welche Möglichkeiten er hatte und nach welchen Maßgaben er handelte.

Die zweite Dokumentation ist im Grunde ein kleines Schauspielerporträt: Ulrich Tukur, der Schauspieler und Sänger, wie er sich mit der historischen Figur \"Kurt Gerstein\" auseinandersetzte. Zu seinem höchsten Erstaunen lebte er einmal selbst nur zwei Etagen oberhalb der Gerstein\'schen Wohnung in Tübingen - ohne etwas von dieser Koinzidenz zu ahnen. Er zeigt uns auch den Platz, an dem einmal die Tübinger Synagoge stand und wo heute ein Mahnmal an den Holocaust erinnert. Nur zwei Menschen kehrten aus den Lagern zurück.

Die Fotogalerie fängt noch einmal wichtige Eindrücke aus dem Film ein, während die bio- und filmografischen Anmerkungen Informationen über Person und Werk des jeweiligen Mitwirkenden liefern. Dabei fällt auf, dass Costa-Gavras nicht nur mit \"westlichen\" Darstellern arbeitete, sondern auch mit Schauspielern aus Rumänien, wo wichtige Teile des Filmes entstanden. Der Man, der Riccardos Vater spielt, war immerhin einige Jahre lang der Kulturminister der rumänischen Regierung.

Unterm Strich

Fern von der Befriedigung voyeuristischer Zuschauerinteressen bewegt sich \"Der Stellvertreter\" zwischen Spielbergs \"Schindlers Liste\" und zahlreichen Holocaust-Dokumentationen wie etwa \"Shoah\". Gemäß seiner linken politischen Überzeugung benutzt Costa-Gavras auch diesen seinen Film als Instrument, um den Zuschauer aufzuklären und zu bewegen. Was bewegt wird, sind nicht nur Überzeugungen und Einstellungen, sondern ganz bewusst auch Emotionen, so etwa Ungläubigkeit und Empörung sowie Abscheu, .aber auch Zuneigung und Sympathie.

Natürlich vergisst der Regisseur nie, dass seine Verfilmung eines Theaterstücks auch geschichtliche Fakten wiedergibt und eine Geschichte zu erzählen hat. Auch wenn sich der zentrale Handlungsstrang um die historische Figur des Kurt Gerstein aufspaltet, so sind es doch eher die Unwahrscheinlichkeiten in der Darstellung der Szenen, die stören. Keine Rede ist hier von Bespitzelung, Abhören, Gestapo usw., sondern lediglich von Gersteins erfolgreichen Kontakten mit dem Ausland. Die Informationen in den Filmdokumentationen geben über diesee Frage leider auch keinen Aufschluss.

Daher kann ich dem Film lediglich vier von fünf Sternen zusprechen.

Michael Matzer (c) 2003ff

26 Bewertungen