Die purpurnen Flüsse (DVD) Testbericht

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Die-purpurnen-fluesse-dvd-thriller
ab 11,22
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Erfahrungsbericht von mima007

Rasanter Thriller, erstklassiger Silberling

Pro:

spannend, flott erzählt, gute Darsteller, Showdown; umfangreiche DVD-Extras

Kontra:

schwer durchschaubare Vorgeschichte & Handlungslogik

Empfehlung:

Ja

In Guernon, einem französischen Alpendorf, kommen zwei Kommissare einer Mordserie auf die Spur. Doch der Täter weist den ungleichen Ermittlern den Weg zu einem grauenvollen Geheimnis, das an der abgeschieden gelegenen Universität gehütet wird - mit allen Mitteln.

Filminfos

O-Titel: Les rivières pourpres (F, 2000), DVD: ab 6.5.2002
FSK: ab 16
Länge: 105 Min.
Regisseur: Mathieu Kassovitz
Drehbuch: Mathieu Kassovitz, Jean-Christophe Grangé (Buchautor)
Musik: Bruno Coulais
Darsteller: Jean Reno, Vincent Cassel, Nadja Farès, Dominique Sanda u.a.

Handlung

Kommissar Pierre Niémans, ein Pariser Kriminologe (Jean Reno), wird in das 600 km entfernte Alpenstädtchen Guernon gerufen, um einen bizarren Mord aufzuklären. Die in einer Bergwand gefundene Leiche verfügt weder über Augen noch Hände, lässt sich also kaum identifizieren. Doch schon bald ist bekannt: Rémy Calois, 32, wurde vor seinem Tod fünf Stunden lang gefoltert. Welcher Unmensch ist dazu fähig, fragt sich Niémans.

Calois war zu Lebzeiten Bibliotheksleiter der Eliteuniversität von Guernon, wo man sogar über eine eigenes medizinisches Zentrum mit Entbindungsstation (wichtig!) verfügt. Hier glaubt man noch an den römischen Spruch \"mens sana in corpore sano\" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper). Phallische Säulen schmücken den Vorhof des grauen Empfangsgebäudes.

Hier stößt Niémans nicht nicht nur auf den geheimnisvollen Augenarzt und Mutationsspeziakisten Chernezé, sondern auch auf die Frau, die Calois gefunden hat: Fanny Fereira (Nadja Farès) ist eine hervorragende Bergsteigerin. An der Uni ist die für die Gletscherbeobachtung und -verwaltung zuständige Person. Verblüfft registriert der Kommissar, dass sie auf die elitären Studenten und das gesamte System gar nicht gut zu sprechen ist, obwohl sie davon profitiert.-

Am gleichen Tag befindet sich Kommissar Max Kerkerian (V. Cassel) im Dorf Sarzac, um auf dessen Friedhof eine Grabschändung zu untersuchen. Das Grab gehört einem Mädchen namens Judith Herault, das vor Jahren auf mysteriöse Weise an der Autobahn ums Leben kam. Doch an Judiths Schule sind alle ihre Akten und Fotos gestohlen worden. Auch von ihrer Mutter bekommt Max nur Rätsel gestellt: Die blinde Nonne faselt etwas von \"den Teufeln\" in Guernon. Dort wurde Judith geboren und ambulant behandelt. Klarer Fall, dass er dorthin fahren muss.

Mit Fannys Hilfe findet Niémans eine weitere Leiche: mitten im Gletscher über Guernon. Es ist die von Philippe Sertis, einem Mitarbeiter, der die Entbindungsstation der Uni leitete. Als Niémans Sertis\' Wohnung durchsuchen will, ertappt er Kerkerian auf frischer Tat bei einem Einbruch. Max hatte den Hinweis auf Sertis von Skinheads bekommen, mit denen er sich prügelte.

Nun also müssen sich die beiden ungleichen Cops zusammenraufen. Dabei ist Pierre Niémans, der Pariser Dozent, eindeutig der Meister und Kerkerian der Schüler, dem die undankbare Aufgabe zufällt, ständig dumme Fragen zu stellen. Dennoch stoßen sie im Haus von Sertis schnell auf bizarre Experimente, an der Uni auf eine faschistisch angehauchte Doktorarbeit und beim Augenarzt Chernezé sogar auf den Killer...

Der Showdown aber findet ganz woanders statt: oben auf dem Gletscher. Und dort erwartet das dynamische Duo eine handfeste, tödliche Überraschung.

Mein Eindruck: der Film

Die vordergründige Ermittlung verläuft ohne viele Schnörkel, wenn man einfach den Schritten von Niémans folgt. Sie führen schnurstracks zum Mörder. Kompliziert wird die Sache erst durch den Handlungsstrang, den Kerkerian einführt und der das Indiz auf die Identität des Mörders zunächst andeutet und schließlich liefert. (Dass das Finale doch noch eine Überraschung bereithält, davon ahnt man bis zuletzt nichts.)

Es ist dieser Handlungsstrang, der die ganze Geschichte mit einem Nimbus des Mysteriösen und Bizarren umgibt. Eine besondere Schwierigkeit liegt für den Zuschauer darin, dass diese bizarren Aspekte so schnell vorgebracht werden (und häufig noch direkt beim Drehen geändert wurden!), dass ein relativ großes Durcheinander entsteht, dass sich erst auflöst, wenn man über die Vorgänge, die zu den Morden führten, dreimal nachdenkt. Doch dann erscheint alles ganz plausibel. Kassovitz, der Drehbuchschreiber vor Ort, hat also dieses Chaos zu verantworten.

Nun ist aber ein Film etwas völlig anderes als ein Buch, das still, offen und zugänglich vor dem Leser liegt. Eine Film wird durch Bewegung definiert - daher rührt ja der Begriff \"movie\" (abgeleitet von \"moving pictures\"). Schon die kürzesten Passagen, in denen Niémans und Kerkerian Licht ins Dunkel bringen, indem sie die Fakten zusammentragen (etwa im Polizeicafé), scheinen den Fluss dieses Thrillers übermäßig aufzuhalten. Als Ergebnis funktioniert der Film als Thriller, doch nur leidlich als erzählte Geschichte mit etwas Tiefgang. Im Buch dürfte das Verhaltnis zwischen Form und Inhalt genau umgekehrt sein - jedenfalls verläuft dort die Story ganz anders, wie in den Interviews klar gemacht wird.

Dabei geht es im Grunde um ein wichtiges Thema: rassische Züchtung an einer abgeschlossenen Universität, aber auch der Missbrauch von Menschen, die geraubt werden, um den Folgen der an der Uni auftretenden Inzucht abzuhelfen. Genauso gut könnte sich der Plot um Klonexperimente drehen. Von diesen weiß man, dass sie an US-Instituten durchgeführt werden, die sektierisch angehauchten Gruppen gehören.

Alle Versuche, den Übermenschen zu schaffen, verweisen zurück auf die Ideologie der Nationalsozialisten, deren Rassenwahn sechs Millionen Menschen das Leben kostete (wenn nicht noch mehr). Ein Polizist bringt es daher im Film in einem Wort auf den Punkt: \"Nazischeiße\". Aber wer weiß, was Le Pens Genosen treiben würden, wenn sie an die Macht kämen? Auch bei ihnen gehört Rassenwahn zum Parteiprogramm.

Trotz dieses gewichtigen Themas musste (wollte?) der Regisseur einen Thriller schaffen, der Filmgesetzen gehorcht. Dementsprechend erfolgreich wurde der Streifen auch, so dass Produktionen wie \"Der Pakt der Wölfe\" (wieder mit V. Cassel) und \"Vidocq\" (Drehbuch wieder von Grangé) darauf aufbauen konnten und dem französischen Film zu internationaler Beachtung verhalfen.

Die DVD

Technische Infos
Bildformate: 1:2,35 anamorph
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, F
Untertitel: D für Hörgeschädigte

Extras:

- Making-of: L\'enquete (= die Ermittlung): 52 Min.
- Die Entstehung der Pathologieszene (die 1. Leiche): 26:30 Min.
- Interview mit Jean Reno (in seiner \"Biografie): ca. 9:50 Min.
- Bio- und Filmografien von: Jean Reno, V. Cassel, N. Farès, M. Kassovitz
- Vergleich Film & Storyboard: \"Verfolgungsszene\"
- Storyboard-Abbildungen
- Trailer

Mein Eindruck: die DVD

Die Kaufversion der DVD ist gut ausgestattet: Die Extras sind praktisch ebenso lang wie der Film selbst. Das Making-of \"L\'enquete\" ist von erster Güte und sauber strukturiert: Es liefert alle nötigen Infos mit. Angesichts der zahlreichen Interviews mit den Machern, die da eingeflossen sind, ist es für manchen Zuschauer fast schon zuviel des Guten.

Am besten gefällt mir das Interview mit Jean Reno: Dieser freundliche Riese hat so viel Erfahrung, dass er zu jedem möglichen Aspekt etwas Intelligentes (oder zumindest Freundliches) zu sagen weiß. Der Rest der Extras ist wirklich etwas für Filmkenner. Neben einer tiefgehenden Analyse der Szene in der Pathologie, wo Niémans die erste Leiche sieht (Remy Calois), gehört dazu der direkte, parallel eingeblendete Vergleich zwischen Storyboard und Film anhand der Verfolgungsszene vor dem großen Finale. Die restlichen Storyboards sind u.a. deswegen interessant, weil eine Sequenz die nicht gezeigte Einleitung zeigt, die Niémans als einen ziemlich brutalen Kerl zeigt. Im Film ist diese Figur von Reno viel nachdenklicher, intellektueller dargestellt.

Unterm Strich

Trotz der mühsam zu entdeckenden Vorgeschichte der Mordserie ist \"Die purpurnen Flüsse\" ein flott gedrehter, immens spannender Thriller à la \"Das Schweigen der Lämmer\" und \"Sieben\". Die DVD bietet endlich Gelegenheit, die rasant ablaufende Handlung zu sezieren und auf die Reihe zu bringen.

Das Bonusmaterial bietet ein ausgezeichnetes Making-of und viele Beiträge, die Filmkenner und -studenten gleichermaßen hilfreich finden dürften. Normalverbrauchern dürfte dies wohl schon zuviel des Guten sein.

Michael Matzer (c) 2003ff

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