Kehraus (DVD) Testbericht

Kehraus-dvd-komoedie
ab 8,07
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Erfahrungsbericht von mima007

Gerhard Polts bissigste Satire

Pro:

unterhaltsam, witzig, sehr bissig/satirisch, genau beobachtend, klasse Darsteller; passablbes Bonusmaterial

Kontra:

Sound & Bild auf altem Stand, könnte spannender sein & mehr Extras aufweisen

Empfehlung:

Ja

\"Kehraus\" ist eine bissige Satire auf die Unsitten im Versicherungswesen, allerdings nicht nur von außen betrachtend, sondern mit dem Blick des Insiders enthüllend, was in den Burgen der Fidelitas (das heißt vielleicht \'Treue\', könnte aber auch von dem deutschen \'fidel\' = fröhlich abgeleitet sein) vor sich geht. In jedem Fall mutet der Film wie eine kafkaeske Höllenfahrt an.

Filminfos

O-Titel: Kehraus (D 1983), DVD: Oktober 2002
FSK: ab 12
Länge: ca. 88 Min.
Regisseur: Hanns Christian Müller
Drehbuch: Hanns Christian Müller, Gerhard Polt, Carlo Fedier
Musik: Hanns Christian Müller

Darsteller:
Gerhard Polt: Ferdinand Weitel, Bauarbeiter
Gisela Schneeberger: Rosi Waguscheit, Sekretärin bei der Fidelitas
Jochen Busse: Prof. Heinzel, Rationalisierungsexperte
Dieter Hildebrandt: Dr. Berzelmayer, Personalchef der \"Fidelitas Assekuranz\"
Nikolaus Paryla: Arno Freiherr von Mehling, Versicherungsvertreter der Fidelitas
Bruno Jonas: Geschäftsführer und Veranstalter des \"Ball des Versicherungswesens\"
u.a.

Handlung

Ferdinand Weitel (Polt) will die sieben Versicherungsverträge zurückgeben, die er mit Herrn von Mehling (Paryla), einem Vertreter der \"Fidelitas Assekuranz\", abgeschlossen hat und die ihn fast die Hälfte seiner Netto einkünfte kosten würden. Nachdem er sich notgedrungen für einen besuch der Fidelitas einen Tag freinehmen musste, setzt er hartnäckig alles daran, den Herrn von Mehling im Hochhaus der Fidelitas aufzuspären.

Doch von Mehling steckt in Geldnot und will die Abschlussprämie kassieren. Daher lässt er sich überall verleugnen, wo Weitel auftaucht. Machnal verpasst Weitel das flüchtige Wild nur um Haaresbreite, doch er bekommt unverhofft eine Verbündete in Gestalt der Sekretärin Rosi Waguscheit (Schneeberger). Nachdem sie ihn zuvor fieserweise zum Vorstand geschickt hatte, platzte Weitel in eine Sitzung, wo sich die Chefs (Hildebrandt u.a.) das neue Videoüberwachungssystem anschauten. Beschluss: Der 6. Stock wird wegrationalisiert. Und da man schon dabei ist: Warum nicht auch gleich den 5. Stock?

Im Austausch für den Hinweis, dass der gesamte 6. Stock per Video überwacht wird - \"machen\'s doch einfach den Krapfen über die Kamera\" - verrät ihm Rosi, dass von Mehling am Abend auf dem \"Ball des Versicherungswesen: Traumpolice\" an Fasching erwartet werde. Weitel fackelt nicht lange, denn er will unbedingt diese Last loswerden und nicht noch einen Arbeitstag opfern. Rosi verschafft ihm, der keine Einladung hat, Zutritt zum Ball, indem sie ihn als \"Dr. Berzelmayer\" einschleust. Schon bald hat er das scheue Wild entdeckt und gestellt. Das Ergebnis ist enttäuschend.

Während mit steigendem Alkoholpegel das Ausmaß an Flegelhaftigkeit und Gewalt zunimmt, erweist sich Weitel als ein herzensguter Mensch, der Rosi Waguscheit, die enttäuscht von ihren eigenen Kollegen schon gehen wollte, unter seine Fittiche nimmt und mit ihr in die Bar geht.

Dort kommt es quasi zum Showdown mit den Chefs, die sich inzwischen mit halbausgezogenen \"Damen\" vergnügen. Als sich die Bosse über ihre Untergebenen lustig machen, verraten sie, dass beschlossen wurde, den gesamten Stock dichtzumachen. Rosi Waguscheit würde also arbeitslos werden. Herr von Mehling klappt sofort zusammen, und ein Bürolaufbursche mit echtem Revolver rastet komplett aus.

Der Rest der Veranstaltung versinkt in Chaos, doch der Film endet gut.

Mein Eindruck: der Film

Der Handlungsablauf lässt sich als christliches Martyrium beschreiben. Zunächst wird der gute Bayer vom Teufel besucht, der ihm auch sofort die Seele abluchst (oder einen Gegenwert: Lebensqualität). Um das Verlorene wiederzugewinnen, begibt sich der Geschädigte in die Höhle des Löwen. Dort verirrt er sich erst einmal in einem kafkaesken Labyrinth beziehungsweise er wird in die Irre geschickt, wobei sich der Gesuchte natürlich verleugnen lässt. Nach einmal in das Zimmer der Oberteufel (Chefetage) gewinnt unser Mann eine leidende Seele als Verbündete (Rosi), mit der es ihm gelingt, einen entscheidenden Schritt vorwärtszukommen, auch wenn dies weitere Qualen zur Folge hat.

Er landet nämlich auf einer Veranstaltung, die sich zum reinsten Pandämonium entwickelt. Der Humor ist ebenso wie die Sitten in der untersten Etage angesiedelt. Auf diesem Fasching zeigt die Branche der Versicherungsteufel ihr wahres \"Vampir\"-Gesicht. Aufgrund einer durchaus christlich geführten Auseinandersetzung mit den Oberteufeln, die in der tiefsten Hölle, der Bar, residieren und dort dem \"Teufel Alkohol\" ebenso frönen wie frivoler Sinnenlust, gelingt es unserem Ober-Bayer, eine reinigende Explosion herbeizuführen: Ende der Veranstaltung: alle Teufel werden ausgetrieben. Zusammen mit seiner Leidensgenossin entkommt unser Mann dem allgemeinen Zusammenbruch und fährt offenbar schnurstracks in den Himmel auf, der da Ehehafen heißt.

Man kann diese Story wahrscheinlich auch anders interpretieren. Aber eine gewisse Ähnlichkeit mit oberbayerischen Morality Plays hat sie schon. Jedenfalls darf man ihre Folgerichtigkeit und ihren genialen Abschluss bewundern. Es gibt keine Längen. Ständig richtet die Kamera ihren mitleidslosen Blick auf die Sünden, die auf dem Ball massenweise begangen werden - und es sind nicht immer die klassischen, die da bestraft werden. So weigert sich beispielsweise einer der Gäste, Alkohol zu bestellen und hält sich stundenlang an seinem Becher Mineralwasser fest. Die Geschäftsleitung, ja, sogar der Wachdienst sind empört über diese Konsumverweigerung und werfen den Delinquenten brutalstmöglich die Eingangstreppe hinunter. Dabei dürften ein paar Rippen zu Bruch gegangen sein.

Natürlich entbößt der gesamte Film den Sündenpful des Versucherungsunwesens. Aber nur der Streiter reinen Herzens darf diese Hölle auch kritisieren. Und die Kritik bewahrt er sich für das Finale auf. Dabei trifft er nur sehr wenige Verfehlungen, denn die großen Sünden sind schon längst deutlich geworden: Die Oberteufel wie der \"Herr Doktor Berzelmayer\" wirft zwar reihenweise Mitarbeiter hinaus, die dann auf der Straße stehen, sackt aber gleichzeitig ein hohes Gehalt, das er für und Privatflüge (zu seinen diversen Geliebten?) ausgibt. Der \"Herr Professor Heinzel\" ist keinen Deut besser, denn er verkauft sich selbst als Hure der Wirtschaftsbosse, um seinerseits Huren genießen zu können.

Das alles ist ja nichts Neues, und so mancher Insider der bayerischen Verhältnisse könnte die eine oder andere prominente Figur wiedererkennen. Was aber den Filmemachern seinerzeit wirklich gelang, ist die scharfe Zeichnung, ja Kenntlichmachung solcher Figuren des Wirtschaftslebens. Leider fehlt jede Art von Politiker in diesem Ensemble. Das hätte vielleicht den Rahmen des Themas gesprengt. Ein Statement der Macher zu diesem Punkt wäre willkommen gewesen, ist aber auf der DVD nicht zu finden.

Die Figuren werden jedenfalls von einigen der besten und bekanntesten Schauspieler und Kabarettisten Deutschlands gespielt: Hildebrandt (Lach- und Schießgesellschaft, \"Scheibenwischer\"), Polt und Schneeberger (\"Fast wie im richtigen Leben\"), Bruno Jonas, Paryla und viele weitere. Polt und Schneeberger tauchen auch wieder in der Urlaubssatire \"Man spricht Deutsh\" auf, an der Seite von Hildebrandt und Werner Schneyder.

Übrigens wird im gesamten Film hochdeutsch gesprochen, so dass auch Nordlichter und Fischköpfe keine sprachlichen Verständnisprobleme haben dürften. Zumindest theoretisch.

Die DVD

Technische Infos
Bildformate: 4:3
Tonformate: DD 2.0
Sprachen: D
Untertitel: keine

Extras:

- Fotogalerie: Kinoaushang, andere Fotos (19)
- Polt extra: Preise und Auszeichnungen; Diskografie; Literatur
- Pressestimmen
- More Polt: a) Trailer zu \"Man spricht Deutsh\" (auf DVD/VHS); b) Trailer zu VHS \"Höhepunkte aus \'Fast wia im richtigen Leben\'\"
- Cast & Crew: Bio- und Filmografien

Mein Eindruck: die DVD

Bei der Zusammenstellung der DVD wurde leider weniger auf dokumentarische Beiträge als vielmehr auf Werbung geachtet. Dazu gehören die Trailer, aber auch die Listen mit Polts Werken lassen sich als Reklame auffassen. Denn er ist ja schon längst eine nationale Institution, dem der Deutsche und der Bayerische Literaturpreis verliehen wurden. Die Filme \"Kehraus\" und \"Man spricht Deutsh\" machten ihn am bekanntesten, doch weitaus bissiger sind seine satirischen Beobachtungen in \"Fast wia im richtigen Leben\".

Da sich Polt schon frühzeitig mit Hanns Christian Müller zusammengetan hatte, spielte dieser eine große Rolle bei der Realisierung des Films \"Kehraus: Buch, Musik und Regie sind ihm zugeschrieben. Dies ist einer der Textseiten aus den Bio- und Filmografien zu entnehmen. Sie liefern den größten Informationsgehalt im Bonusmaterial, neben den 19 offiziellen und inoffiziellen Fotos aus dem Film.

Die Navigation der Menüs im Extras-Teil der DVD ist einfach. Die Menüs selbst weisen einen Hintergrund auf, der dem Faschingsthema angemessen ist.

Unterm Strich

\"Kehraus\" ist eine bissige Satire, wie man sie im deutschen Spielfilm eher selten findet. Sie ist noch am ehesten mit \"Schtonk!\" zu vergleichen, welcher allerdings nicht im Versicherungsunwesen, sondern im Journalistenmilieu spielt. Die bekanntesten deutschen Kabarettisten haben an \"Kehraus\" mitgewirkt, und ihrem Einfallsreichtum und ihrer Angriffslust ist es zu verdanken, dass die Satire nie zurückweicht vor dem Horror, den sie entblößt, sondern ihre Bissigkeit behält.

Die Ausstattung der DVD hätte üppiger und moderner ausfallen können. Aber nach 20 jahren kann man wahrscheinlich nicht mehr verlangen, muss vielmehr froh sein, dass die meisten Mitwirkenden noch am Leben sind. Ein Blick auf die Geburtsdaten in den Biografien bewirkt da eine gewisse Ernüchterung.

Michael Matzer (c) 2003ff

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