The Gathering (VHS) Testbericht

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ab 9,86
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Erfahrungsbericht von Hindenbook

Die traurigen Gaffer der Weltgeschichte

Pro:

Einfache, gut ausgedachte Mystery-Story.

Kontra:

Die Katze verlässt den Sack ein wenig früh ...

Empfehlung:

Ja

I. Inhalt

Die junge Amerikanerin Cassie Grant besucht die Kleinstadt Glastonbury in der englischen Grafschaft Somerset. Was sie dort will, weiß sie leider nicht mehr, da sie von Marion Kerkman in einem Moment der Unachtsamkeit mit dem Auto angefahren wurde. Dabei bleibt sie zwar unverletzt, verliert aber das Gedächtnis. Die zerknirschte Marion nimmt Cassie mit in ihr Haus.

Das ist riesig und war einst ein Kinderheim, welches nach unerfreulichen, sorgfältig vertuschten Vorkommnissen geschlossen wurde und lange leer stand, bis es der Restaurator und Historiker Simon Kirkman erwarb und mit Marion und seinen Kindern Emma und Michael aus erster Ehe einzog.

Simon hat viel zu tun in Glastonbury. Gerade ist nach einem bizarren Unfall ein einmaliger Fund aufgetaucht: Unweit der berühmten Abtei von Glastonbury kam tief unter der Erde ein Kirchenbau aus dem 1. Jh. unserer Zeitrechnung zum Vorschein. Wie es scheint, hat ihn Josef von Arimathia, ein Onkel Jesu Christi, errichten lassen, der als Zeuge der Kreuzigung seines Neffen beiwohnte und angeblich Anno 63 n. Chr. als Missionar nach England segelte.

Ein einmaliges historisches Relikt folglich, das indes bei den Kirchenmännern von Glastonbury keine echte Freude aufkommen lässt. Sie wissen um das düstere Geheimnis der alten Kirche. Ein bemerkenswertes Altarrelief zeigt die Kreuzigung. Allerdings steht nicht Jesus am Kreuz im Mittelpunkt der Szene, sondern Männer und Frauen, die vor ihm stehen und neugierig gaffen, ohne einen Finger zu rühren.

Cassie könnte dazu einiges sagen. Sie leidet als Nachwirkung ihres Unfalls unter Visionen, sieht ansonsten quicklebendige Bürger mit schrecklichen Wunden durch die Straßen von Glastonbury wandeln, wird von geisterhaften Erscheinungen gepeinigter Kinder im Haus ihrer Gastgeber geplagt, von unfreundlichen Gestalten verfolgt, die nur sie und der offenbar hellsichtige Michael zu sehen scheinen.

Sehr real ist die Bedrohung durch Frederick Argyle, den Dorftrottel, der einst im alten Kinderheim gequält wurde und darüber seinen Verstand verlor. Seit Jahren kocht es in ihm; nun will er an den nie bestraften Peinigern der Vergangenheit Rache nehmen. Niemand ahnt die nahende Katastrophe. Allerdings hat Simons Freund, der geistliche Wissenschaftler Luke Fraser, inzwischen erschrocken entdeckt, dass die Gaffer der Hinrichtungsszene auf vielen Gemälden der Weltgeschichte und später auf Fotos immer wieder auftauchen. Sie scheinen unsterblich zu sein und stets dort aufzutauchen, wo bald ein Unglück stattfinden wird.

Was wollen sie in Glastonbury? Der Bischof wünscht vor allem Diskretion, allein Cassie weiß, dass Bedrohliches bevorsteht. Niemand glaubt ihren Warnungen, nur der junge Dan Blakeley stellt sich auf ihre Seite. Doch auch er spielt eine Doppelrolle, und er ist es, der Cassie mit der erschütternden Wahrheit konfrontiert, während Fred die Schrotflinte lädt und seinen Rachefeldzug beginnt ...

II. Darstellung

Das Rückgrat eines \"guten\", d. h. unterhaltsamen Films, den man sich gern bis zum Schluss anschaut, weil man sich stets fragen kann, wie die Geschichte ausgeht, ist ein solides Drehbuch. Schauspieler, die ihren Job verstehen, sind selbstverständlich ebenfalls wichtig, aber außerhalb des deutschen Privatfernsehens scheint es davon genug zu geben.

\"The Gathering\" ist keine Offenbarung - weder als Film generell noch als Beitrag zum phantastischen Genre. Aber hier wird eine Story erzählt, die auf einer guten Idee basiert und fast durchweg spannend entwickelt ist. Die Vorstellung, dass die Gaffer unter dem Kreuze Christi einst mit einem Fluch belegt wurden, hat genau die Qualität, die einem (Dreh-)Buch Überzeugungskraft und Eigenleben einhaucht.

Zumal \"The Gathering\" sich der christlichen Mythen wohl dosiert bedient, sie seinem Publikum nicht à la \"End of Days\" mit dem Holzhammer einprügelt, die Kirche nicht als Hort machthungriger Verschwörer und notorischer Vertuscher (\"Jesus war ein Frauenheld! - Eigentlich war Judas der wahre Heiland, aber Jesus hat ihn gemobbt - Jesus war römischer Spion!\") auf dem Niveau von Hollywood-Nazis oder Kino-Kommunisten anprangert.

Nein, es geht vor allem um die Frage, ob Ereignis vorherbestimmt sind, die Zeit wie auf Schienen einer unabwendbaren Zukunft entgegenläuft. Diese Frage wirft - \"Star Trek\"- Fans werden es bejahen - reizvolle Gedankengänge auf. \"The Gathering\" spielt viele davon durch. Lässt Gott mit sich würfeln? Lässt sich dem Schicksal ein Schnippchen schlagen? Gibt der Wille, es wenigstens zu versuchen, den Ausschlag?

Glastonbury ist ein klug gewählter Ort für die Suche nach Antworten. Hier ist der Boden in der Tat mit Historie getränkt. Der Vorgängerbau der Abteikirche ist womöglich das älteste Gotteshaus in Westeuropa überhaupt. Diese legendäre \"Alte Kirche\" gilt nach einem Brand im Jahre 1184 als zerstört; \"The Gathering\" variiert geschickt diesen Aspekt und deutet ihn als unheimliches, vom Erdboden getilgtes Geheimnis um.

Auch sonst können sich die Kulissen sehen lassen. Sie geben der Handlung einen glaubhaften Rahmen. Zudem wird diese ohne inszenatorischen Schnickschnack erzählt, der sich im modernen Effekt-Kino allzu häufig als fauler Budenzauber entpuppt, welcher ein nicht vorhandenes Drehbuch ersetzen soll.

Das bedeutet nicht, dass \"The Gathering\" auf Schockeffekte verzichtet. Sie werden gut dosiert und wirken sehr überzeugend. Als es die Handlung erfordert, blendet die Kamera nicht der Zensur zuliebe ab. Wenn der irre Fred um sich schießt, wird gezeigt was er anrichtet. Als er Michael und seine Schwester mit blanker Waffe und Mord bedroht, scheut sich der Film nicht diese Szene zu zeigen. Sie wirkt nicht voyeuristisch, sondern beängstigend: Amok ist ein archaisches Phänomen.

Die Auflösung der Geschichte, die hier nicht verraten werden soll, ist zwar nicht überraschend - sie wird recht früh enthüllt und der echte Grusel-Profi hat sie sogar noch früher erraten -, aber konsequent und logisch. Leider knickten Regisseur und/oder Drehbuchautor und Produzenten dann doch ein und klebten ein süßliches Pseudo-Happy- End an. Dem Erfolg des Films war das trotzdem nicht dienlich. Im Kino lief \"The Gathering\" ohne besondere Resonanz; dies auch an der Kasse, was angesichts des beschränkten Budgets (das sich nie negativ bemerkbar macht) allerdings die DVD- Vermarktung wettmachen dürfte.

Ohne Löcher im logischen Gewebe kommt natürlich auch \"The Gathering\" nicht davon. So sollte man beispielsweise die Frage umgehen, wieso sich die unsterblichen Gaffer nie um eine Erlösung vom Fluch bemüht haben. Wie uns \"The Gathering\" lehrt, ist das doch gar nicht so schwer ...

Für wen arbeitet Simon Kirkman als Restaurator, dass er sich ein solches Haus leisten kann? Ich wünsche sofort Antwort, damit ich mich bei dieser Firma bewerben kann ...

Als zur Unsterblichkeit Verfluchter kann man nicht sterben, was nachvollziehbar ist. Aber sein Gedächtnis kann man verlieren ...? Und wie kommt eine Ex-Bürgerin Jerusalems zu einem waschechten amerikanischen Akzent ...?

Die Gaffer versammeln sich auf den Schlachtfeldern der Weltkriege, am Zündplatz der ersten Atombombe ... und jetzt in Glastonbury, wo ein kleiner Amokläufer seinem Job nachgeht? Gibt es in diesen Tagen keine spektakulärere Katastrophe auf dieser großen Welt, die das Anschauen eher lohnte?

Aber das sind Einwände, die man wie gesagt unterlassen sollte. Sie helfen immerhin \"The Gathering\" korrekt als Film zu identifizieren, der unterhalten soll, aber nicht belehren will (oder kann).

III. Schauspieler

Es ist gar nicht so selten, dass ein Film von einem einzigen Schauspieler oder in diesem Fall einer Schauspielerin getragen wird. Zwar leisten alle Darsteller gute Arbeit, aber ein Großteil der sachten Faszination, die von \"The Gathering\" ausgeht, geht auf Christina Ricci zurück.

Schon in ihren jungen Jahren stach sie positiv unter Hollywoods Kinder-Klonen hervor. Aus einer ganz und gar nicht disneyliken, d. h. weder auf niedlich getrimmten noch konservativen Klischees angepassten Darstellerin ist eine junge Frau mit großem, rundem, ausdrucksstarken Gesicht fern angeblicher Schönheitsideale geworden, die sich perfekt in die Rolle der mysteriösen Cassie fügt und jede Szene dominiert.

Die anderen Schauspieler können da kaum mithalten. Peter McNamara als Amok laufender Frederick Argyle, der einerseits wenig mehr tun muss als mit wirrem Blick & eben solchen Haaren durch Glastonbury zu stapfen, ist eine Ausnahme. Andererseits weiß er (mit Unterstützung des Drehbuchautors) verblüffend deutlich zu machen, dass kein Mensch aus heiterem Himmel zum Massenmörder wird, sondern es stets eine Vorgeschichte gibt, die niemand wirklich wissen möchte, bis sie nach dem Tag X von der Presse anklagend ans Tageslicht gezogen wird.

Harry Forrester ist ein angenehmer Kinderdarsteller. Er wirkt glaubhaft, ist weder altklug noch in der Krise übermenschlich einfallsreich - kein \"Kevin-macht-Kleinholz-allein-zu- Haus\". Seine übersinnliche Gabe akzeptiert er, obwohl sie ihm zu schaffen macht; auch das nimmt ihm der Zuschauer ab. Was will man (s. o.) mehr verlangen?

IV. Fazit

Keine cineastische Meisterleistung, sondern einfach \"nur\" ein unterhaltsamer Film, eher Phantastik als Horror, basierend auf einer guten Idee, die manchmal ein wenig zu bieder in schöne bis maßvoll schockierende Bilder umgesetzt wird. Ansprechend ist der \"europäische\" Stil des Films, d. h. der Verzicht auf die plumpe Überrumpelung des Zuschauers durch grelle Effekte, Geisterbahn-Musik oder pseudo-hektische Schnitte. Die aufgesetzte Schlusscoda ist unter diesen Voraussetzungen verzeihlich.

IV. Filmdaten

Originaltitel: The Gathering (GB/USA 2002)
Regie: Brian Gilbert
Darsteller: Christina Ricci (Cassie Grant), Ioan Gruffud (Dan Blakeley), Stephen Dillane (Simon Kirkman), Kerry Fox (Marion Kirkman), Simon Russell Beale (Luke Fraser), Robert Hardy (Bischof), Harry Forrester (Michael), Jessica Mann (Emma), Peter McNamara (Frederick Argyle), Bridget Turner (Mrs. Groves), Madhav Sharma (Dr. Byworth) u. a.; Drehbuch: Anthony Horowitz
Produktion: Marc Samuelson, Peter Samuelson, Pippa Cross
Ausführende Produktion: Steve Christian, Jerome Gary, Anthony Horowitz, Patrick McKenna, Duncan Reid
Kamera: Martin Fuhrer
Musik: Anne Dudley
Länge: 92 Minuten
FSK: 16
Film-Website: http://www.thegathering-film.de*
DVD-Release: 16.03.2004

* Bietet nur reine Werbung ohne echten Informationsgehalt und wird sicherlich bald - da dann veraltet - aus dem Internet verschwinden.

V. Features der DVD :

Hier regiert zumindest auf der Leih-DVD, die zuerst erschienen ist, die traditionelle Nüchternheit. Da gibt es dürftige Texttafeln mit den Bio- und Filmografien der Hauptdarsteller und des Regisseurs. Auch die obligatorischen Trailer für andere Streifen dürfen nicht fehlen. Darüber hinaus existieren aber einige Interview-Clips, die freilich nur die üblichen Phrasen (\"Tollster Film, an dem ich jemals gearbeitet habe! - Regisseur genial! - Kolleginnen und Kollegen liebst Freunde!\" usw. usf.) dreschen. Aber wer braucht eigentlich diesen verlogenen, planlos aufgespielten, meist nur scheinbar informativen Feature-Kram? Der Hardcore-Fan wird ihn auf der Kauf-DVD finden, der Filmfreund ihn nicht vermissen, sondern sich über das freuen, worauf es ankommt: die ausgezeichnete Bild- und Tonqualität.


(Copyright 12.04.2004/Dr. Michael Drewniok)

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