dol2day.de Testbericht

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Erfahrungsbericht von Megaira

Spielerisch in die Politik

Pro:

Politik zum Anfassen und selber machen

Kontra:

anfangs schwer zu durchschauende Struktur

Empfehlung:

Ja

Kürzlich habe ich eine kleine Hausarbeit über die Website www.dol2day.com im Rahmen eines Seminars über direkte Demokratie geschrieben. Diese Website möchte ich Euch hier nun vorstellen, aber ohne dabei in wissenschaftliche Floskeln zu verfallen. Mit anderen Worten: Es ist keine Kopie meiner Hausarbeit. Der inhaltliche Aspekt der Website steht in diesem Bericht im Vordergrund.

Democracy Online Today (dol2day)
Auch wenn der Titel nicht so klingt, es ist eine deutschsprachige Spiel-Plattform. Das Begrüßungsfenster baut sich schnell auf. Hier erfahre ich zunächst in kurzen Sätzen, worum es geht und kann mich entweder einloggen bzw. anmelden oder den Gastzugang wählen und schnuppern. Ein Gast kann alle Bereiche einsehen, aber nicht aktiv am Spiel teilnehmen.

Worum geht’s?
Wie bereits erwähnt, ist es eine Spiel-Plattform. Meiner Meinung geht es aber noch weit darüber hinaus, denn dol2day simuliert die Politik eines Staates. Dabei ist dol2day der Staat und alle angemeldeten Mitglieder sind die Bürger. Nun geht es darum, diesen Staat aktiv zu gestalten, Regeln zu verändern, zu diskutieren usw. - Demokratie zum Anfassen.

Betreiber
Verantwortlich zeichnen vier Personen, die sich für dieses Projekt zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen haben. Die Informatik- und Medizintechnikstudenten aus Aachen haben aus eigenem Interesse heraus die Idee entwickelt und die Plattform 1999 aufgebaut. Am 3.3.2002 wurde der Verein „dol2day - Verein für multimediale Partizipation e.V.“ gegründet. Ziel des Vereins ist die Förderung der politischen Bildung im virtuellen als auch im realen Raum.

Anmeldung
Bei der Anmeldung fragt dol2day die vollständige private Adresse und Telefonnummer ab. Damit soll verhindert werden, daß Doppelaccounts entstehen, also eine Person zwei Accounts besitzt und somit doppeltes Stimmrecht. Diskreter Umgang mit den Daten wird garantiert. Das will ich mal glauben, bisher konnte ich auch nichts Negatives feststellen. Ansonsten: Niemand zwingt mich zur Anmeldung.

Struktur
Das Schnuppern ist gar nicht so leicht, denn die Site ist vielfältig verzweigt. Das mag abschrecken, da man irgendwann nicht mehr weiß, was man am Anfang eigentlich wollte. Andererseits macht das Stöbern auch Spaß. Vielleicht erst mal die derzeitige Internet-Kanzlerin (die 10. seit Bestehen der Site) besuchen, oder in die Doliszite (Erklärung folgt) reinlesen, oder Foren oder Parteien besuchen – die Möglichkeiten sind endlos.
An der Struktur bemängele ich die Unübersichtlichkeit. Es sind viele Parteien vorhanden, die offensichtlich gleiche/ähnliche Ziele verfolgen. Inzwischen habe ich durch Stöbern allerdings erfahren, daß die Parteienmasse beseitigt werden soll.
FAQ gibt es natürlich auch, was für den Anfang ganz hilfreich ist.

Neologismen
Die Schöpfer von dol2day waren bei Bezeichnungen recht kreativ, jedoch lassen sich die spezifischen Begriffe gut nachvollziehen. Die Bürger von dol2day werden „Doler“ genannt, weshalb aus dem Plebiszit kurzerhand ein „Doliszit“ wurde. Vor der Abstimmung steht die „Ini“, was schnell als Initiative erkannt wird. Da eine interne Kommunikation per eMail möglich ist, gibt es die „DolMail“. Wie das auf einer Plattform so üblich ist, schleichen sich schnell Abkürzungen ein, so z.B. KAF für Kanzleramts-Forum, DA für Doppelaccount usw.

Partei oder Volk
Mitglieder können sich in der breiten Masse des Volkes bewegen oder sich einer Partei anschließen. Parteigründungen sind natürlich auch möglich. Sobald man sich einer Partei angeschlossen hat, ist deren Emblem neben dem eigenen Nickname sichtbar.
Die Unterteilung „Partei“ oder „Volk“ wird aus technischen Gründen vorgenommen. Natürlich hat jedes Parteimitglied das gleiche Stimmrecht wie jeder Doler.
Die Parteien lehnen sich namentlich oft an real existierende Parteien an, jedoch besteht keine direkte Verbindung. Dol2day lehnt es ab, Sprachrohr einer Partei oder politischen Strömung zu sein. Somit bleibt diese Site unabhängig von der realen Tagespolitik, was natürlich nicht bedeutet, daß tagespolitische Themen nicht diskutiert werden. Ganz im Gegenteil.

Punktesystem
Es handelt sich um eine Spiel-Plattform, also gilt es Punkte zu erspielen. Der Punktestand berechtigt zu höheren Weihen, d.h. aktive Politik zu gestalten. Das Punktesystem ist komplex, aber läßt sich in diese Möglichkeiten aufteilen:
Onlineminuten sammeln
Dolpoints sammeln
Vertrauen erwerben
Bimbes verdienen
Ohne weiteres kann jedes Mitglied Umfragen starten und Meinungen in Foren ausdrücken. Innerhalb der Diskussionen kommt es dann auch zum Kennenlernen und Vertrauenstausch. Vertrauen und Dolpoints sind Indikatoren für die politische Kompetenz des einzelnen.
An Abstimmungen kann nur teilnehmen, wer eine Mindestanzahl Onlineminuten in seinem Profil hat.
Das Punktesystem ist wie gesagt recht komplex und da es nicht Schwerpunkt meiner Arbeit war, habe ich mich nicht intensiver damit beschäftigt. Mir ist klar, daß mir das als negativ für diesen Bericht angekreidet werden kann. Allerdings lege ich mehr Wert auf den demokratischen Aspekt. Wer sich anschließend für diese Site interessiert und aktiv werden möchte, tut dies nicht aus dem Grund, Punkte zu sammeln.

Die Ministerien
Ein Staat hat eine Regierung und einen Kanzler: Der Internet-Kanzler bzw. –Kanzlerin bildet ein Kabinett, das sich aus zur Zeit fünf Ministerien zusammensetzt: Real-Life (RL), Marketing, Interna, Justiz und Kanzleramt. Die Ministerien zeigen, worum es den Dolern geht.
Das Real-Life-Ministerium organisiert Chats mit Politikern der realen Welt, stellt also den inhaltlichen Bezug des Virtuellen zur Realität her. Neben der Anknüpfung an die reale Politik betreibt dieses Ministerium Öffentlichkeitsarbeit, unterstützt RL-Treffen und gibt sie bekannt. RL-Treffen finden regelmäßig in verschiedenen Städten statt. Ebenso nimmt das Real-Life-Ministerium Kontakt zu Schulen auf, um dort das Projekt vorzustellen und gemäß Vereinssatzung des Fördervereins die politische Bildung zu fördern.
Wirtschaft ist nicht nur in der realen Politik ein wichtiges Ressort, sondern auch in der Internetregierung: Marketing beschäftigt sich mit der technisch aufwendigen Plattform und versucht Möglichkeiten zur Kostensenkung und Finanzierung zu finden. Eine Mitteilung aus einem Newsletter zeigt einen Teil des Betätigungsfelds: Dol-Solidarität bringt dol2day 15% eines Buchkaufs im Internet ein, um den Server zu finanzieren.
Interna beinhaltet zumeist organisatorische Bereiche. Wenn die Internetseite beispielsweise unübersichtlich wird, da viele Foren existieren, kann dieses Ministerium Einfluß nehmen und Strukturveränderungen bewirken bzw. vorschlagen. Grundsätzlich ist diese Instanz für alle internen Belange zuständig, die von den Diskussionskategorien bis zur Technik reichen.
Eine Justiz ist offensichtlich ebenfalls notwendig, denn wo diskutiert wird, wird oft auch gestritten. Die Doliquette gibt Regeln im Sinne einer Etikette zum Umgang miteinander vor. Das dol-Gesetzbuch bestimmt formale Abläufe, die zum Beispiel für Doliszite eingehalten werden müssen. Für den Streitfall gibt es sogar Schlichter und Anwälte.
Das Kanzleramt repräsentiert die Politik-Community und hat gleichzeitig die Regierungsleitung inne. Es ist natürlich direkt dem Kanzler unterstellt. Dem Kanzleramt gehören demnach Kanzler, Vize-Kanzler und zwei Minister an. Alle vier sind für die Moderation des Kanzleramts-Forums zuständig. Es ist das einzige Ministerium, das Kontakt zur Redaktion (Betreiber) hält.
Jedes Ministerium ist mit zwei Personen besetzt, wovon eine als Team-Leiter fungiert. Wie bereits erwähnt, existiert ein Kanzleramts-Forum. Daneben gibt es für jedes Ministerium ein eigenes Forum, das von den jeweiligen Ministern moderiert wird. In diesen Foren kann jedes Mitglied Meinungen äußern, Kritik üben oder auf Beiträge anderer reagieren. Generell ermöglichen die Foren einen direkten Kontakt der Basis zur Regierung und lebhafte Diskussionen. Zusätzlich ist jedes Regierungsmitglied wie auch jedes andere per interner DolMail erreichbar.

Was mir gefällt
Es gehört schon einiges dazu, eine Idee zu entwickeln und den Mitgliedern selbstverantwortlich zu überlassen. Die Betreiber haben großes Vertrauen in die Demokratie gesetzt und liegen damit auf der Sonnenseite. Insgesamt sind 24.000 Mitglieder angemeldet, wovon etwa ein Drittel aktiv ist. Ich finde es beachtlich, wie dieser Dol-Staat sich selbst gestaltet. Die Mitglieder entscheiden selbst in Abstimmungen über die Spielregeln bzw. einzuhaltende Formalitäten. Hier und da habe ich Diskussionen in einzelnen Foren gelesen, die mir deutlich gemacht haben, daß es hier um ein ernstzunehmendes Spiel geht. Einige Mitglieder sind politisch offenbar sehr interessiert, entwickeln eine dementsprechende Diskussionsfreude und bringen reichlich Engagement mit. Ein Kanzler bzw. eine Kanzlerin investiert viel Freizeit während der viermonatigen Legislaturperiode. Meiner Ansicht nach ist dol2day die ideale Plattform, Schülern und allen Politik-Interessierten politische Abläufe greifbar zu machen. Chats mit Politikern und RL-Treffen sind sicherlich ein Schmankerl für die Aktiven.
Die anfangs erwähnte Unübersichtlichkeit will ich nicht als Minuspunkt werten. Schließlich gilt es viele Menschen unter einen Hut zu bringen. Organisatorisch und webdesignerisch (gibt’s das Wort eigentlich?) ist das gar nicht so leicht.
Einen schalen Beigeschmack hat im demokratischen Sinne das Eingriffsrecht der Redaktion/Betreiber. Ihr Einflußrecht kommt manches Mal einer Zensur gleich. Allerdings habe ich auch Verständnis dafür, daß die Betreiber ihren Augapfel hüten wollen.

Vielen Dank für die Ausdauer beim Lesen. Kürzer gings nicht – nur länger ;-).

© Megaira 03/2003