Erwartung (gebundene Ausgabe) / Jussi Adler-Olsen Testbericht

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ab 9,05
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Summe aller Bewertungen
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  durchschnittlich
  • Stil:  ausschmückend

Erfahrungsbericht von LilithIbi

"Woher wusste man schon zweifelsfrei, wer man war?"

4
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  durchschnittlich
  • Stil:  ausschmückend
  • Zielgruppe:  Erwachsene

Pro:

Spannung, Schreibstil, neue Personenentwicklungen

Kontra:

hier und dort etwas unglaubwürdig

Empfehlung:

Ja

"Das ist ja unerhört: ein Mann, der seinen Arbeitsplatz verlassen hat. Das würde ich doch gleich mal der Dienstaufsicht melden.“
Carl holte tief Luft. Warum in aller Welt saß Rose im Café und nicht bei Birthe Enevoldsen zu Hause? Aber falls sie glaubte, sie könnte ihren Caffée Latte abrechnen, hatte sie sich getäuscht.
„Hör doch erst mal zu, Carl. Außer dem Spachtel hängt da noch seine Suchmeldung, es geht um einen vermissten Mann. Meiner Erinnerung nach ist das einer der Fälle, die bei uns unten gelandet sind. Ich hab die Anzeige jedenfalls abgepult und bringe sie nachher mit. So, du bist vorgewarnt.“
Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Ohne echten Fall gab die einfach keine Ruhe. Aber wenn sie meinte, dass alle unaufgeklärten Fälle über seinen Schreibtisch gehen müssten, hatte sie sich geschnitten.Oder sie bestellte ihm erst mal einen Bypass.“
(Zitat, S. 129)

Ganz offen gesagt, hätte ich mit der Lektüre des 568 Seiten umfassenden jüngsten Werks seitens Jussi Adler Olsen in der Tat noch warten mögen, bis das Ganze irgendwann als Taschenbuch erscheinen würde. Bereits der vorhergegangene Teil las sich für mich kaum noch vergleichbar mit der immensen Zugkraft, die von den ersten Büchern rund um das Sonderdezernat Q mitsamt dem launigen Ermittler Carl Mørk ausging.
Dank einer imposanten Überraschungsschickschenkung jedoch musste ich weder den Verkaufspreis in Höhe von 19,90€ zahlen und kam ich dafür bereits jetzt in den Genuss des Thrillers ~ und kann vorweg nehmen, dass

“Erwartung“

es mir schwer machte, dass Buch auch bloß während des via Bahnfahrt erzwungenen Umsteigens aus der Hand zu legen.
Der nunmehr fünfte Fall für Carl Mørk spaltet sich im Grunde genommen gleich in drei verschiedene Ermittlungsarbeiten auf. Wie in den bisherigen Bänden auch geht es zum einem um einen Fall, der mehr „nebenbei“ abgehandelt wird und das Team um Carl ~ Rose und Assad ~ wie auch den Leser scheinbar erst mal einstimmen soll. Ein abgebranntes Hausboot gibt das ein oder andere Rätsel auf, während das Buch selbst mit einer völlig anderen Fallhandlung beginnt, welche sodann zum zentralen Hauptthema gemacht wird. Der Prolog beginnt im Herbst 2008 und hinterließ in mir als Leser vorab ein durcheinanderes Gefühl. Mitten im Dja-Reservat erfährt Louis von am letzten Tag seines Lebens, dass mit der finanziellen Unterstützung nicht nur gutes getan wird und auch er im Grunde genommen kaum die Macht hat, die er sich in seiner Arbeit als eine Art Entwicklungshelfer erwünscht hätte.

Für den Leser bleiben weder Tat noch Täter noch Opfer auf den ersten Buchseiten im Verborgenen, während sich erst nach und nach weitere, für mich bis zuletzt verwirrende Kontexte rund um Aktien, Auftragsmörder, Budgetpläne und immer weitere Beteiligte auftaten.

Rasch stellte sich für mich persönlich heraus, dass „Erwartung“ bereits von Grund auf kaum ein Volltreffer für mich würde werden kennen; geht es hier um ein Thema, bezüglich dessen ich zum Teil gewissermaßen verständnis-resistent bin.''' So sehr ich mich auch versuche, in die genauen Abläufe hineinzudenken, habe ich bis zuletzt nicht konkret verstanden, wie genau es eigentlich funktioniert, was in dem Buch schließlich die ganze Zeit über funktioniert. Klingt jetzt wahnsinnig kompliziert ausgedrückt, doch um nichts in der Welt will ich „Erwartung“ einen der Offenbarungspunkte vorwegnehmen.

Fakt ist: '''Jussi Adler Olsen ist zweifelsohne kein „Vorwurf“ zu machen, den Leser quasi im''' '''Tal der Unnachvollziehbarkeit stehen zu lassen ~ vielmehr gibt es schlicht und''' '''ergreifend Themen, die man mir für meinen Teil 101 mal darlegen könnte um''' '''sie mir zu erklären... der Klickmoment bleibt mir auf ewig vorenthalten.'''

Umso bemerkenswerter somit, dass „Erwartung“ sich '''nichtsdestominder absolut spannend, fesselnd wie zugkräftig''' liest. Naturgemäß geht es nicht bloß um Aktien, Finanzbetrug und gewissenhaften Menschen, die aufgrund ihres Umdenkens respektive nicht-mitmachen-Wollens aus dem Weg geschafft werden müssen. Vielmehr steht der 15jährige Bettlerjunge Marco im Mittelpunkt des Buches, welcher auf der Flucht vor Clan-Anführer Zola zufällig über die Leiche von Louis stolpert. Zola, der seine „Sippschaft“ als eine Art „große Familie“ bezeichnet, trachtet Marco somit den Rest des Buchs über nach dessen Leben, hetzt zunehmend mehr Personen auf den Jugendlichen und fürchtet selbst, dass seine Machenschaften ans Tageslicht geraten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Zola mehrere Jugendliche zwingt, für ihn betteln zu gehen und sich dem Taschendiebstahl zu verpflichten, um die Beute tagtäglich bei Zola abzuliefern. Wer in Zolas Augen zu wenig bringt, wird brutalst bestraft ~ eine Thematik, von der man als Nachrichtengucker immer wieder einmal hört und weswegen oftmals geraten wird, bettelnden Immigranten Geld zu geben, um den „Chefs“ langsam aber sicher ihr Geschäft zu vermiesen.

Wie einseitig diese Idee ist, beweist „Erwartung“ förmlich nebenbei. Zola scheut sich bspw. Nicht davor, höchstpersönlich dafür Sorge zu tragen, dass der Mitleidsbonus seiner „Angestellten“ sich de facto erhöht ~ und er somit wieder mehr Geld einnimmt.
Interessanterweise trägt „Erwartung“ den kleinen Untertitel „Der Marco-Effekt“, welcher zum einen dem dänischen Originaltitel entspricht und zum anderen meines Erachtens nach auch deutlich besser zum Buchinhalt passt als der hierzulande dazu gedichtete.

Weitere Spannung bringt die Umstrukturierung auf Ermittlerseiten mit sich ~ '''Fans der Reihe dürften nicht minder darüber erschrecken, dass''' '''das Sonderdezernat Q getrennt werden soll....'''

Insbesondere für neue Leser, die von den auftretenden Personen, interpersonellen Verbindungen wie charakterlichen Eigenschaften zwangsläufig noch nichts vernommen haben, gestaltet sich in meinen Augen '''die Umsetzung''' auch in diesem Band eingangs etwas schwerfällig.
Bereits auf den ersten Seiten prasseln diverse Figuren auf den Leser ein; mehrere Umstände, Verknüpfungen und weitere familiäre wie auch kollegiale Verbindungen in die Story eingeflochten, dass ich der ein oder andere sich anfänglich etwas schwer tun wird, überhaupt durchzublicken.

Die diversen Zeitsprünge wurden auch hier durch ungefähre Zeitangaben wie „Herbst 2008“ kenntlich gemacht; überlappen tut sich nichtsdestotrotz das ein oder andere, wodurch die konstante Aufmerksamkeit des Lesers von Anfang bis Ende gefordert wird.

Was die Bücher rund um das Sonderdezernat Q so besonders macht, sind ohne Frage die schrulligen Charaktere. Ermittlungsleiter Carl Mørk ist nicht gerade der Liebling seiner Vorgesetzten, wirkt in den ersten Momenten eher unsympathisch, arbeitsfaul und kaum je um eine Ausrede verlegen. Dass er eigentlich lediglich aus dem Grund zum Leiter des Sonderdezernat ernannt wird, weil niemand der bisherigen Kollegen mit ihm zusammenarbeiten möchte, gibt dem Gebilde natürlich einen besonderen Schliff. Während er sich seinem Schicksal Band für Band zunehmend fügt, ist es inmitten von „Erwartung“ neben dem sich körperlich-gesundheitlich erholenden Assistent Hafez el-Assad nunmehr insbesondere Rose, die sich mit immensen und schier unermüdlichen Arbeitseifer auf ihre Außeneinsätze stürzt und Carl hierbei das ein ums andere Mal in Wallung bringt.

Fans der Reihe dürfen sich weiterhin auf neuerliche Details rund um die zunehmend geheimnisvolle Figur von Assad freuen, während es ferner weitere Entwicklungen rund um Hardy und nicht zuletzt Mona zu berichterstatten gibt.
Kaum, dass man sich als Leser auf einen Fokus festgelesen hat, geht der Autor zu einem anderen Erzählstrang über ~ '''die hohe Spannung bleibt somit durch die Bank erhalten und bietet neben dem''' '''vorhandenen Miträtselfaktor des öfteren Wendungen, die man teils kopfschüttelnd '''teils staunend, teils fassungslos mitverfolgt.'''

Für mich persönlich kleiner Negativeffekt, das „Erwartung“ meines Empfindens nach um die '''ein oder andere Unglaubwürdigkeit''' nicht umhin gelangt. Dass es Marco immer wieder gelingen soll, noch-so-vielen Verfolgern zu entkommen, sich stetig im letzten Moment zu verstecken und somit offenkundig klüger sein soll als die gewissenlosesten Profis zusammengenommen, sei einmal dahingestellt ~ wahrlich schwer vorstellbar hingegen, wie rasch Marco, der weder über einen Ausweis verfügt noch je seinen vollen Namen nennen wird, zig Helferjobs an Land zieht, die über Botendienste bis zum bereits genannten Plakate-kleben gehen.
Hinzu gesellt sich der Aspekt, dass er schließlich kostenlos bei einem Paar unterkommt, welchem dieses Hilfsangebot im weiteren Verlauf zum Verhängnis kommen wird.

Jene Glückseligkeit, die Marco ab seiner Flucht widerfährt, ist weiterhin nicht das einzige zuckerwattige, mit dem „Erwartung“ bis zuletzt aufwartet. Mal völlig von dem Umstand ab, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (fast) ein jeder Leser dem jugendlichen alles Gute wünscht, fühlt sich der Thriller meiner Meinung nach somit ein wenig weniger realistisch an. Um jene Kritik zu untermauern, nehme ich dem potentiell Interessierten nicht zu viel vorweg, wenn ich ausführe, dass mir die große Angst, die Zola vor Marco hegen soll, nicht als vollends schlüssig erweist. Darüber, dass Marco über Insider-Wissen verfügt und bei einer polizeilichen Anzeige zig Details offenbaren kann, die Zola gefährlich werden könnten, müsste sich dieser meiner Vermutung nach kaum derartige Sorgen machen. Zum einen hat Marco sich selbst strafbar gemacht, verfügt über keinerlei Papier und muss somit um seine Abschiebung bangen... zum anderen wird Zolas Clan stetig als Über-mächtig dargestellt, so dass es im Grunde genommen keinerlei Problem darstellen sollte, sich von heut auf morgen einen anderen Wirkungskreis zu suchen.

Mehr noch: eben jene „dann fangen wir halt wo anders von vorne an“ Gedanken finden in der Lektüre gleich mehrfach ihren Platz, so dass ich meine These als bestätigt empfinde.

Neben dieser meinerseitigen Kritik finden glücklicherweise '''Dramatik, Selbsterkenntnismomente, Einfühlsamkeit, Authentizität''' '''nebst nervenaufreibendem Material''' ebenfalls ihren Platz; auch fehlt der '''typische Humor''' nicht, der Jussi Adler Olsens Publikationen meiner bisherigen Erfahrung nach stets den letzten Schliff gibt. Carl Mørk als Zyniker durch und durch sorgt für den ein oder anderen sarkastischen Gedankengang, der den Leser schmunzeln lässt und die Atmosphäre somit erwartungsgemäß auflockert ~ und nicht zuletzt dafür Sorge trägt, dass ich hinsichtlich mancher bereits angesprochener Mankos ein Auge zudrücke.

Summa summarum

löste auch „Erwartung“ in mir nicht mehr die geballte Begeisterung in mir aus, mit der die ersten drei Bände mich förmlich an die Zeilen kleben ließen.
Schonungslose Formulierungen, unverschnörkelte beim Namen genannte Ereignisse und der richtige Sinn dafür, wann Details wie hoch dosiert werden sollten geben “Erwartung“ das, was den Thriller so fesselnd macht ~ im Zusammenspiel mit Wortlauten, die augenzwinkernd vorgetragen werden und in absolut filigraner Hinsicht die Schwere aus der buchstäblich gefühlten Thematik nehmen, entstand auch hier ein Werk, welches ich einerseits durchaus empfehlen würde, andererseits nicht umhin komme, zu betonen, dass dieser Band sich meines Empfindens nach ebenfalls mitnichten an „Erlösung“ messen kann. Letztgenanntes Werk besticht durch eine weitläufiger Raffinesse, durch einen weitläufigeren Tiefsinn wie auch eine Art Bewunderung für den Täter ('tschuldigung) ~ Aspekte, denen (nicht nur) „Erwartung“ unabstreitbar ein wenig hinterherhumpelt.

Allumfassend sagte mir „Erwartung nicht so sehr zu wie die Werke drumherum ~ trotz der ein oder anderen sehr verstörenden Passagen geht der Thriller nicht so nahe, wie er könnte, verliert sich dieser jedoch ein paar Mal zu oft in ausufernden Verknüpfungssträngen, die meines persönlichen Geschmacks nach schlicht und ergreifend zu viel des Wollknäuels sind.

Rigoros betonen möchte ich noch einmal, dass mir persönlich das Aktien-(Unter)Thema an sich nicht liegt, so dass „Erwartung“ es bei mir grundsätzlich etwas schwerer haben durfte, mich vollumfänglich zu mitzureißen. Dank der für mich nicht (be)greifbaren Randentwicklungen rund um Marcos magisches Händchen, was die Ergatterung von diversen Helferjobs angeht wie auch die große Frage, warum Zola sich solche Mühe macht, den Knaben aus dem Weg zu räumen, kommt der Thriller jedoch um einen Punktabzug nicht umhin und macht es sich inmitten der Neutralitätsempfehlungen gemütlich.

9 Bewertungen, 1 Kommentar

  • Clarinetta2

    08.10.2013, 19:08 Uhr von Clarinetta2
    Bewertung: besonders wertvoll

    sehr gut vorgestellt-bw-