Keine Lieder über Liebe (DVD) Testbericht

“Keine Lieder über Liebe” ist ein Kunstwerk. Ein Geniestreich, besonders, wenn man es als Ganzes betrachtet: Ein und dieselbe Geschichte, erzählt aus allen 3 Sichtweisen der verschiedenen Protagonisten auf ihre ganz eigene Art und Weise, unterstrichen durch die Art und Weise des Mediums. Wir haben ein Buch, eine CD und einen Film. Um die Geschichte im Ganzen zu verstehen, sollte man sich auch alle drei Komponenten zu Gemüte führen.
Die CD der Hansen-Band, die nur für dieses Werk geschaffen wurde, besitze ich bereits und kenne somit Markus’ Seite der Geschichte. Das Buch, genauer gesagt, das Tagebuch von Ellen, der weiblichen Protagonistin, habe ich zu Weihnachten bekommen, zusammen mit dem Film, der aus Tobis Perspektive erzählt.
Eine wahnsinnig tolle Idee, eine Geschichte so zu erzählen, auf diese Weise die verschiedenen Erlebnisse subjektiv zu präsentieren und dem Leser, Hörer und Zuschauer somit eine vollkommen freie Interpretation möglich macht, indem der Fokus nicht nur auf einer einzigen Hauptperson ruht, sondern gleichwertig alle Seiten belöeuchtet. Kein Gut, kein Böse, kein Richtig und kein Falsch. Wie im richtigen Leben. Das macht es natürlich nicht leichter, sondern fordert heraus - die Entscheidung, auf wessen Seite man steht, wird einem selbst überlassen und nicht vorweggenommen, durch mehr oder wenig offensichtliche Manipulation des Regisseurs/Autors/Songwriters.

In dieser Rezension soll es nun ausschließlich um die DVD gehen, was natürlich nicht ganz einfach ist, da der Film nur ein Drittel des Ganzen darstellt. Aber worum geht es eigentlich?

Ellen ist mit Tobi zusammen, vielleicht seit knapp 2 Jahren und eigentlich auch glücklich. Eigentlich auch nicht, irgendwie fehlt etwas. Nur was? Vielleicht hängt das Gefühl, etwas zu vermissen, damit zusammen, dass Ellen vor einem Jahr mit Tobis Bruder Markus geschlafen hat, den sie kurz vorher erst kennengelernt und seitdem auch nicht wiedergesehen hat. Tobi weiß nichts davon und Ellen wird seitdem von der Geschichte verfolgt - Markus geistert in ihrem Kopf und in ihrem Herzen herum und so langsam glaubt Ellen, dass sie sich das Ganze eher schönredet, als die Fakten zu sehen.
Markus wiederum ist Sänger der Hansen-Band und ist gerade im Begriff, auf Tour zu gehen. Tobi, seines Zeichens Nachwuchs-Regisseur, bescließt, seinen Bruder auf Tour zu begleiten und einen Dokumentarfilm über die Band zu drehen. Ellen möchte er dabei haben, was diese zwar etwas verwundert zur Kenntnis nimmt, aber dennoch mitfährt - um Markus endlich aus ihrem Kopf zu kriegen.
Was sie nicht weiß: Tobi möchte sie nur dabei haben, um endlich ans Licht zu bringen, was er schon lange ahnt: Irgendwas war damals zwischen Ellen und Markus.

Während das Buch “Keine Lieder über Liebe” Ellens Gedanken und Gefühle während der Tour beschreibt, stellt der Film im Prinzip den fertigen Dokumentarfilm dar. Es ist also kein “normaler” Film, sondern zeigt lediglich das, was die Kamera für die Doku aufgezeichnet hat und somit lediglich Tobis Eindrücke.
Jetzt stellt sich die Frage, was man zuerst kennen sollte. Die CD ist da außen vor, die kann man auch einfach so hören, ohne Buch und Film unbedingt sehen zu müssen, um sie zu verstehen. Aber Buch und Film gehen Hand in Hand und es wäre ziemlich sinnfrei, nur eine der beiden Geschichten zu kennen - nur zusammen ergeben sie wirklich tiefen Sinn.
An und für sich ist es wohl egal, ob man erst den Film oder das Buch guckt/liest, ich würde jedoch empfehlen, sich zuerst das Buch durchzulesen. So habe ich es getan und empfand es so am befriedigensten. Kennt man Ellens Gedanken schon, versteht man ihr Handeln im Film besser - sicher gilt das auch andersrum, aber Ellen ist so oder so die wohl emotional wichtigste Person in der ganzen Geschichte, weshalb ich finde, dass man sie zuerst kennenlernen sollte.
Dazu kommt, dass sich einige Sachen nur klären, wenn man beide Seiten kennt. Im Buch werden einige Dinge offen gelassen, die erst im Film geklärt werden und genauso versteht man Ellen nicht unbedingt, wenn man das Buch nicht kennt.

Dadurch, dass der Film wie ein Dokumentarfilm aufgemacht ist, wirkt er sehr natürlich. Es sind viele Szenen dabei, die das Gesamtergebnis eher wie einen privaten Amateurfilm wirken lassen, insbesondere, weil die Doku sich später zu einer Beziehungsdoku entwickelt und nicht wie die eigentlich geplante Tour-Doku.
Die Schauspieler reden nicht nach Drehbuch-Dialogen, sondern völlig frei und ohne allzu festgelegte Anweisungen. Dadurch, dass man nur zwei der Schauspieler wirklich kennt, nämlich Heike Makatsch als Ellen und Jürgen Vogel als Markus, nimmt man allen das Verhalten wirklich ab und stellt gar nicht in Frage, dass es wirklich spontanes, improvisiertes Auftreten ist.
Leider fängt der Film nicht so viele Gefühle ein wie es das Buch schafft, was aber wohl in der Natur der Sache liegt. Natürlich ist ein persönlich geschriebenes Tagebuch emotionaler als ein Film, der nur “zufällige” Szenen einfängt, die teilweise etwas willkürlich aneinandergereiht oder gar unwichtig wirken.

Meine Befürchtung war, dass die Musik der Hansen-Band zu sehr im Vordergrund stehen könnte. Immerhin wurde die Band um Jürgen Vogel einzig und alleine für diesen Film gemacht, die Songs extra dafür geschrieben und sogar auf CD gepresst. Übrigens ist die Band auch wirklich auf Tour gegangen und das Publikum war auch nicht eingeweiht.
Wenn man sich dann noch anguckt, wer eigentlich hinter der Band steht, geht man umso mehr zurecht davon aus, dass das Ganze eher Werbung für das Hamburger Label “Grand Hotel Van Cleef” sein könnte: Thees Uhlmann, Max Schröder, Marcus Wiebusch und Felix Gebhard sind Kennern der deutschen Indie-Szene sicherlich ein Begriff, und selbst Laien sagen die Namen Tomte oder Kettcar sicherlich etwas.
Aber: Falsch gedacht. Die Band steht mehr im Hintergrund, als ich dachte. Die einzelnenen Bandmitglieder werden kaum gezeigt und nur wenige Songs werden angespielt. Marketingtechnisch dürfte das eher schlecht durchgezogen sein, wenn es denn so geplant war. Glaube ich aber nicht. Die sind ja auch nicht doof. Es ist jedenfalls löblich, dass die Band so sehr im Hintergrund gehalten wurde und die Geschichte im Vordergrund stand.

Die Story ist natürlich an sich gar nicht besonders innovativ; eine stinknormale Dreiecksbeziehung, es geht um Liebe und Treue - eigentlich klingt das ziemlich gewöhnlich. Und gerade DAS ist es auch, was den Film ausmacht. Kann etwas brutaler sein als die echten Geschichten, die jedem wirklich passieren könnten? Genau dadurch wird der Film so hart und real, weil die meisten sich mit den Gefühlen identifizieren können und jeder weiß: Im Prinzip kann mir so etwas auch passieren.
So schlicht die Story ist, so sehr berührt sie den Zuschauer. Durch die ganze Art des Filmes macht sie noch betroffener, weil nichts jemals gespielt wirkt, sondern so echt, als würde man es selber erleben. Ein Horror-Film auf emotionaler Ebene.

Die DVD bietet neben dem Film noch ein paar wundervolle, herausgeschnittene Szenen, beispielsweise Herrn Wiebusch, wie er den But Alive-Song “Ich werde sie Yoko Ono nennen” akutisch zum Besten gibt, ein paar Interviews mit den Bandmitgliedern zum Thema Liebe und Beziehungen und so weiter, außerdem gibt es im Bonusmaterial noch Interviews mit den Darstellern und Musikvideos der Hansen-Band, ingesamt ein sehr gelungener Mix an Zusatzinfos und ausgesprochen interessant.

Im Zusammenhang mit dem Buch und der CD gibt sich eine wundervolle Geschichte, ohne romantisches Getue oder obskure, dramatische Wendungen. Eine reale Beziehungsgeschichte, wie sie wirklich geschehen könnte, wie einige sie vielleicht bereits erlebt haben oder noch werden.

Für weitere Infos: www.keine-lieder-ueber-liebe.de