Worrisome Heart - Melody Gardot Testbericht

Manch Schönheit hat einen tragischen Hintergrund. So auch die Musik von Melody Gardot, die sie vielleicht nicht gemacht hätte, hätte sie vor etwa fünf Jahren keinen schweren Unfall gehabt. Damals wurde sie beim Radfahren von einem Jeep erfasst und schwer verletzt. Als sie Monate später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, riet ihr ein Arzt bei einer Untersuchung - weil er wusste, dass sie schon vorher nebenbei als Pianistin und Sängerin jobbte - zur Musiktherapie, die ihr beim Aufarbeiten der Erlebnisse helfen sollte. Gesagt, getan: Sie begann Texte zu schreiben und sie aufzunehmen. Dies hatte, neben der Therapie, aber noch einen anderen Grund: Melody litt damals unter ihrem Kurzzeitgedächtnis. Deshalb schrieb sie auf und sang, was ihr einfiel, um es sich später anhören und sich erinnern zu können. So entstand während ihrer Genesung die EP „Some Lessons: The Bedrom Sessons“, die mit guten Kritiken überhäuft wurde.

Erst Jahre später - nämlich 2008 - erschien ihr Debütalbum „Worrisome Heart“, um das es hier geht. Zehn Lieder gibt sie darauf zum Besten, die, obwohl man es aufgrund des tragischen Hintergrundes annehmen könnte, nicht ganz so melancholisch klingen. Vorzugsweise geht es um Träume, um Wünsche, die man als Mensch so hat und natürlich um Liebe - viel Liebe, die sie hörbar auch in die Scheibe gesteckt hat. Dabei ist eine gefühlvolle Jazzplatte entstanden, die immer wieder durch nostalgische Töne überzeugt und eine ebenso alte Szenerie bietet: Irgendwo in einer Jazzbar, wo sich hinten Mobster ihren Geschäften widmen, vorne Soldaten zwischen Anzugtypen entspannen, Kellnerinnen hektisch Whisky servieren und blauer Dunst in die Luft steigt, da haucht vorne Melody Gardot mit verruchter Stimme "I need a man..." ins Mikrofon..

1. Worrisome Heart (04:22)
Das Piano beginnt zuerst ziemlich trocken zu spielen, danach setzt der Bass ein und die Melodie wird langsam, aber stetig aufgelockert. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Melody Gardot „I need a man, with my worrisome Heart“ sehnsüchtig zu singen beginnt. Ruhig und bedacht singt sie, mit verruchter und zeitgleich sanfter Stimme, dass sie glücklich wäre, einen Mann zu finden, der sie so nimmt, wie sie ist und dass sie Abwechslung von ihren schwierigen Wegen braucht. „Worrisome Heart“ ist ein gelungener Einstieg in das gleichnamige Album und vermittelt sofort die Atmosphäre, die einem bei jedem der 10 Songs erhalten bleibt: Ruhiger, sanfter Jazz, zum Zurücklehnen und Lauschen.

2. All That I Need Is Love (02:37)
Ein ganzes Stück fröhlicher und schwungvoller geht es in diesem zweiten Lied zu. Inhaltlich geht es nun nicht mehr darum, Wünsche zu äußern oder von „schwierigen“ Pfaden abzukommen, als vielmehr um Anschuldigungen, gar Klarstellungen gegenüber vielen – ihr bekannten – Männer, die sie „ausgelacht“ haben und denken, sie können „alle haben.“ Da singt sie, mit viel Sarkasmus in der Stimme, dass sie gar nicht bemerkt haben, wie „klein“ sie eigentlich noch sind. Schlussendlich „nimmt sie ihre Gedanken“ und schreitet fröhlich, mit dem Traum die wahre Liebe zu finden, hinfort. Begleitet wird sie in „All That I Need Is Love“ von Blasinstrumenten, leichten Bässen und u.a. einer Gitarre; besonders gegen Ende trällert sie leicht mit der Melodie und lockert die Stimmung dadurch zusätzlich auf.

3. Gone (02:52)
Wesentlich melancholischer ist „Gone“ - „Gegangen“ - wobei es nicht um den Tod, sondern einfach um das physische Nichtvorhandensein geht. Leicht gequält singt sie darüber, dass sie nicht zu den Schritten von jemandem aufwacht, weil niemand läuft. Denn es ist „alles gesagt“ und die Person, die eigentlich da wäre, ist eben deshalb weg – und weil die Zeit dafür gekommen war. Im Hintergrund hört man eine Gitarre, hin und wieder kommen Violinen zum Einsatz. „Gone“ ist zweifelsohne das bislang ruhigste und inhaltlich traurigste Lied auf „Worrisome Heart“, wird dennoch von Melody Gardot glaubhaft und gefühlvoll interpretiert.

4. Sweet Memory (03:22)
Erinnerungen spielen eine große Rolle im Leben – manchmal sind sie positiv, manchmal nicht, wertvoll sind sie oft in beiden Fällen. Melody Gardot hat eine „süße“ Erinnerung, die ihr unaufhaltsam im Kopf umhergeht, die sie aber in „Sweet Memory“ nicht ganz verraten mag. Jedenfalls singt sie recht unbesorgt darüber, dass sie sich an die Erinnerung immer dann erinnert, wenn das Wetter schön ist – keine Wolken, heiterer Sonnenschein – und dann stellt sie sich vor, dass ihre Erinnerung wieder zur Realität wirkt, während sie von Gitarren und leichten Bässen begleitet wird. Der vierte Song auf dem Album ist ebenfalls schön interpretiert, die Melodie allerdings klingt etwas monoton und hätte ein wenig Abwechslung vertragen.

5. Some Lessons (05:24)
„Some Lessons“ ist düster, traurig, verlassen, aufgegeben. Ihre fast schon gebrochene Stimme singt darüber, dass sie sich aufgegeben hat und nicht mehr glaubt, überleben zu können. Dass sie sieht, wie das Leben einfach an ihr vorbeizieht, ohne Halt zu machen und zu warten. Und dann, wenn man schon glaubt, alles ist vorbei, scheint sie Mut zu fassen und erzählt: „Some lessons we learn the hard way / Some lessons don't come easy / That's the price we have to pay“ - tatsächlich: Viele Erfahrungen, viele Lektionen sind nicht einfach und gelegentlich glaubt man, an ihnen zu scheitern. Ich denke, das ist genau das, was Melody Gardot mit diesem Lied ausdrücken will – immer einen Lichtblick suchen, auch wenn es hoffnungslos scheint.

6. Quiet Fire (04:14)
Aufatmen heißt es wieder bei „Quiet Fire“, denn depressive Texte sucht man vergeblich. Finden hingegen kann man Willen – erneut den Willen, die Liebe zu finden. Aber sie will diese nicht so einfach haben – sie will um sie kämpfen, um anschließend zu wissen, was sie hat. Bis dahin brennt sie „innerlich“ wie Feuer, und genauso ist dieses Stück interpretiert: Für bisherige Verhältnise ungewöhnlich euphorisch: Das Klavier setzt klassisch an, der Bass kommt rhythmisch, die Gitarren spielen unbekümmert vor sich hin.

7. One Day (02:03)
„One Day“ führt die Vorfreude weiter; wieder geht es um Liebe (was auch sonst?). Der Text zeigt sich ebenso kurz wie das Lied selbst: Wenn sie „die“ Person gefunden hat, werden die Wolken fallen und die Sonne scheinen. Wenn sie „die“ Person gefunden hat, wird diese die Sterne durch ihre Augen sehen können. Klar – ziemlich romantisch, nur etwas kurz. Begleitet wird ihr Gesang von einer Gitarre.

8. Love Me Like A River Does (04:06)
„Love Me Like A River Does“ ist so ein nostalgischer – nostalgischer noch als die vorherigen -, Song dass es nur schwer zu glauben ist, dass Melody Gardon nicht älter als 23 ist. Lange Strophen singt sie, der Refrain dramatisch durch Trompeten und das Klavier inszeniert, über ihren Wunsch, geliebt zu werden, wie von einem Fluss, wie von einem Wasserfall, wie vom Wasser. Es ist eine Balade, die sofort in eine alte Jazzbar versetzt. Zwischen trockenem Whisky und blauem Dunst, ist sie auf der Bühne und gibt dieses Lied zum Besten – wunderbar!

9. Goodnite (03:05)
Melody zeigt sich in „Goodnite“ als jemand, der Träume überwachen und filtern kann. Zunächst fordert sie auf, sich hinzulegen und zu schlafen. Sie verspricht, sie würde neben einem wachen und böse Träume vertreiben. Man solle sich allerdings nicht wundern, wenn eine Sommerbrise zu spüren ist – das nämlich ist dann nur sie. Am Ende hört sich ihre Stimme wie aus einem alten Radio an – was wieder den nostalgischen Effekt auslöst – und schließt dieses äußerst unterhaltsame Lied gekonnt ab, das so gar nicht zum Einschlafen bewegt.

10. Twilight (01:01)
„Twilight“ ist der instrumentale Abschluss von „Worrisome Heart“, fast alle Instrumente kommen noch einmal zum Einsatz, spielen gekonnt miteinander und enden dann, nach etwa einer Minute, abrupt.

---> Die CD
Interpretin: Melody Gardot
Albumtitel: Worrisome Heart
Erscheinungsjahr: 2008
Land: USA
Sprache: Englisch
Preis: 12,99 EU
Genre: Jazz

---> Fazit
Tragik und Schönheit liegen nah beieinander - so auch bei Melody Gardot. Kennt man den Ursprung ihrer Musik, so ist es erstaunlich, wie zuversichtlich, wenig melancholisch, sehr liebevoll und fröhlich sie singt. Ungeachtet des Hintergrundes ist es wunderbar nostalgischer, abwechslungsreicher Jazz, den die junge Sängerin uns da bietet. Leider ist ihr erstes Album mit einer Spielzeit von etwa einer halben Stunde etwas kurz geraten - aber vielleicht (und hoffentlich) kommt noch eines hinterher, das dann länger unterhält und länger in eine abgelegene Jazzbar entführt, neben Mobster, Whisky und Rauch.