Not That Kind Testbericht

Wieder einmal eine Frau in den Spuren von Tina Turner? Tatsächlich ließen erste Hör- und Sehproben darauf schließen. Aber natürlich ist Anastacia kein Ersatz für Tina.

Gegenteilig verbieten sich Vergleiche von vorne herein. Schließlich zeichnen sich wirklich große Sängerinnen durch ihre persönliche Ausstrahlung aus, weniger durch den Vergleich mit großen Vorbildern. Aber: Wer sich von seiner Plattenfirma zehn Jahre jünger machen lässt liefert sich einer platten Firma aus. Fans verarschen, nein Danke. Und deshalb schon jetzt und vorab ist diese Scheibe für mich mit einem Makel behaftet ungeachtet der Musik.

Mit dem Tina-Attribut ist dummerweise auch Anastacia in das Rennen um Chartplatzierungen geschickt worden. Als vermeintliche "Weiße Tina Turner" ging sie mit der CD "Not That Kind" auf die Ohren und eroberte sofort Spitzenplätze in den Charts.

Unabhängig von den meines Erachtens voreiligen Lobeshymnen und schnellen Chart-Platzierungen habe ich mich relativ spät entschieden, die dazu gehörige CD zu kaufen. Vorgewarnt von anderen "Tina Turner-Nachfolgerinnen" sah ich auch "Not That Kind" entgegen und fand mich bestätigt.

Der Opener "Not That Kind" kommt gewaltig und gut. Soulig, sehr guter Backgroundgesang (netterweise gleich von Anastacia selbst eingesungen) und überhaupt. Hier stimmt der Groove.

Es folgt DER Hit "I'm Outta Love". Als Fan von guten Rhythmusgitarren freue ich mich über ein ansprechendes Intro, ärgere mich aber anschließend über für meinen Geschmack zu simple Songstrukturen. Charts-tauglich und eingängig aber bei Weitem kein Evergreen.

"Cowboys and Kisses" ist mein Lieblingssong der CD. Von akustischen Gitarren und vielstimmigem Hintergrundgesang getragen wird eine schöne Ballade gesungen, die Charakter hat und auch trotz (oder wegen) der schlichten Struktur im Gedächtnis haften bleibt. Anastacia nimmt sich sichtlich zurück und zeigt in dieser Zurückhaltung stimmliche Vielfalt.

Ähnlich geht es in dem Song "Who's gonna stop the Rain" weiter. Sparsam instrumentiert, die Melodie ist ruhig, eingängig und bestimmt von der akustischen Gitarre. Zum ersten Mal taucht beim Hören der Verdacht auf, dass Anastacia in der Modulation und Phrasierung der Stimme über keine großartige Bandbreite verfügt. Aber vielleicht irre ich mich auch.

Fragen wirft das nächste Stück auf. "Love is alive" erinnert im Intro ein wenig an die famose Band "Mothers Finest", geht dann aber schnell in Beliebigkeiten über. Gute Stimme, schlechte Musik.

Leider geht es ähnlich weiter. Es folgen Kompositionen, die den stimmlichen Möglichkeiten (so wie sie sich andeuten) Anastacias bei Weitem nicht gerecht werden.

Zum Beispiel "I ask of You". Eine Ballade, klaviergetragen, von einer Beliebigkeit, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel schreit. Schön, aber langweilig.

Etwas Abwechslung bringt da schon "Wishing Well": soulig, ein bisschen südamerikanisch im Rhythmus, und angelegt als ein Autobahn-tauglicher "Layback-Song".

Weniger "Made for Loving you" als eher "Made for Boring you" ist der nachkommende Song. Ein schlapper Funk aus dem man mehr hätte machen können. Es lebe Prince.

Die Ballade "Black Roses" zeigt erneut auf stille Art und Weise die stimmliche Bandbreite Anastacias und das, was man von folgenden CD's erwarten muss: Abwechslung.

"Yo Trippin'" ist nichts weiter als ein Lückenfüller. Entbehrlich.

Melancholisch, brav, nichts besonderes: "One More Chance" hat man tausendfach gehört: von Mariah Carey oder Whitney Houston, meinetwegen auch von der Streisand. Nett, aber nichts Neues.

Und was kommt zum Schluss? Die "Same Old Story": ein "Wir-wolln-uns-mal-verabschieden-Stück" mit Leuchtkerzen-Hochhalte-Romantik", die - zumindest bei mir - nicht verfängt.

Die Variationsbreite der Stimme Anastacias deutet sich an. Die Musik wird dessen aber nicht gerecht. Sie jetzt zu einer Nachfolgerin Tina Turners zu ernennen ist vollkommen verfehlt. Dieses Schicksal haben bereits andere geteilt. Ich erinnere da nur beispielhaft an Hanne Boel.

Anastacia kann ihren Weg machen mit guten Songschreibern wie sie zum Beispiel Tina Turner hat(vor allem Tony Joe White). Mit ihren 26 Jahren ist sie noch jung genug, sich zu entwickeln. Die Debut-CD gibt zu dieser Hoffnung Anlass, mehr jedoch nicht.

Fazit: Ich finde Anastacia gut. Sie hat eine Super-Stimme. Nur leider: Ihre Debut-CD schneidet bei mir eher mittel ab. Und die "Verjüngungskur" der Sängerin lässt mich an der Redlichkeit der Firma und zumindest am Verstand der Sängerin zweifeln. Negativ übrigens auch das Inlet: Viele nette Brillen-Fotos der Künstlerin, Credits und Danksagungen, leider keine Songtexte.


(Auch bei Ciao als Dr.WeissViel)