Mängelexemplar (Taschenbuch) / Sarah Kuttner Testbericht

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ab 6,63
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Summe aller Bewertungen
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  durchschnittlich
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  humorvoll
  • Stil:  ausschmückend

Erfahrungsbericht von LilithIbi

Ich bin ein wenig kaputtgegangen.

4
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  humorvoll
  • Stil:  durchschnittlich
  • Zielgruppe:  Männer

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

„Es geht nicht. Deshalb bin ich hier. Wieder hier. Denn ich habe wieder Angstanfälle, und ich bin traurig, und diese Angst macht mir noch mehr beschissene Angst und mich noch schlimmer traurig. (…) Mir persönlich ist beispielsweise ein Bein, das aus Gründen einer messerscharf diagnostizierten Krankheit amputiert werden muss, deutlich lieber als Angstanfälle, die keiner versteht und die deshalb auch nicht abgeschnitten, ausgemerzt, über den Jordan geschickt werden können. Aber genau das ist der Punkt. Ich habe zwar noch beide Beine, stecke aber in einer neuen Angstspirale.“
_(Zitat, S. 8, 9)


Sarah Kuttners 263 Seiten umfassender Roman

==Mängelexemplar==

ignorierte ich solange, bis ich es endlich schaffte, alle meine von-der-kann-doch-nix-sinniges-kommen-Vorbehalte gegenüber jener Dame in die Kategorie „es gehört mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben“ zu verschieben.

Et voilà, auch diese Entscheidung habe ich nicht bereut. Vielmehr muss ich gestehen, dass Kuttner zweifellos mehr auf den Kasten hat, als sie in ihrer recht fragwürdigen MTV Sendung darzubieten versuchte.

Die _Handlung des Romans ist rasch auf den Punkt gebracht: Karos Seelenwelt bricht zusammen. Erst verliert sie ihren Job, beendet „versehentlich“ ihre Beziehung, die eigentlich schon längst keine mehr war ~ und bekommt mitten im Baumarkt eine Art Panikattacke. Karo begibt sich sodann in therapeutische Hände, erhält Tabletten, die ihr ein wenig Sicherheit suggerieren sollen. Tatsächlich geht es Karo dank dieser Medikation besser ~ doch vor Rückschlägen ist sie längst nicht gefeit.


==Die Umsetzung==

konzentriert sich hier auf eine lockere, zugleich jedoch nicht un-ernste Art und Weise. Sarah Kuttner schaffte hier, dem Leser eine unterhaltsame Lektüre darzubieten, die keineswegs die erforderliche Tiefgründigkeit vermissen lässt oder gar die Thematik verharmlost. Nichtsdestotrotz gestaltet sich „Mängelexemplar“ zweifellos weniger bedrückend als vergleichbare Veröffentlichungen, vereinzelt lässt sich sogar – wenn auch irgendwie unpassenderweise – anhand der geschilderten Zusammenbrüche über eben jene schmunzeln. Was nicht gleichbedeutend damit zu nennen ist, dass Sarah Kuttner sich über das Krankheitsbild lustig machen würde; ganz und gar nicht. Vielmehr nimmt sie ihrem Roman die absolute Negativ-Stimmung, mildert die Wirkung auf durch den Schreibstil ab, ohne dabei etwas herunterzuspielen.

In diesem ferneren Zusammenhang hatte ich aufgrund persönlicher Erfahrungen Spaß an den nachfolgenden Zeilen, die ebenfalls im Wesentlichen Kern der Szenerie eigentlich alles andere als amüsant sind:

„Viele Menschen steigen aus. Aber wo bleibt Philipp? Es ist wie mit den Koffern am Flughafen: Meiner kommt immer zuletzt. Dabei muss man nur früh genug von seinem Sitzplatz aufstehen, und zack, kann man als einer der Ersten verstrahlt auf den Bahnsteig plumpsen. Stattdessen lässt sich Philipp Zeit, egal ob sein Mädchen zwischen tausend Reisenden auf dem Bahnsteig wartet. Ich versteh das nicht. Ein bisschen Mitdenken finde ich nicht zu viel verlangt. Endlich entdecke ich meinen Freund. Er sieht angepisst aus. Und plötzlich möchte ich am liebsten schnell wieder weg. Egal wohin. Notfalls mit dem Teenager neben mir. Komm, kleiner Mann, lass uns zu dir nach hause gehen. Wir können Bushido hören oder ein brutales Videospiel spielen. Philipp hasst schon wieder irgendwas mit Leidenschaft. Seine Miene verdüstert sich noch mehr, als er mich entdeckt, vermutlich, weil er glaubt, in mir jemanden gefunden zu haben, dem er den Hass mitteilen kann. Aber ich möchte nicht diejenige sein. Ich will in den Arm genommen und liebgehabt werden. Nichts, was einem auf einer Zugfahrt passieren kann, ist schlimm genug für dieses _Gesicht!“
_(Zitat. S. 45/46).


~ Weiß man als Leser nicht, auf welches Buch man sich hier einlässt, trifft die ins absolut Bedrohliche kippende Stimmung umso mehr. Obschon der Roman mit der Wiedereinfindung Karos bei einem Therapeuten beginnt, hat man jenen Tobak nicht unbedingt erwartet ~ genauso wenig wie ich, dass die Autorin tatsächlich in der Lage ist, sich in solche Geschehnisse hineinzufühlen

Die Gründe, die hinter Karos Angststörung stehen, bleiben eher im Hintergrund; werden zwar kurzläufig benannt, spielen jedoch im Dreh- und Angelpunkt nur eine mindere Rolle. „Mängelexemplar“ konzentriert sich vielmehr auf die psychische Belastungsstörung an sich, beschreibt die Krankheit im Alltag, in der Wirkung sowie in der Behandlung.

Hervorzuheben ist insbesondere, dass die Autorin nicht vergisst, gewisse Vorurteile Antidepressiva anzusprechen bzw. auszuräumen zu versuchen. So geht sie verstärkt darauf ein, dass jene Medikamente nicht das Bewusstsein verändern, sondern vielmehr helfen, die Gefühle ins richtige Maß zu dosieren. Ebenso wird klar, dass potentielle Patienten viel Geduld aufweisen müssen, es keine „Kurzzeitbehandlung“ geben kann oder gar darf, um die Seele wieder „in den Griff“ zu bekommen.

Es dauert seine Zeit, bis Karo versteht, was mitunter mit ihr los ist: sie kann sich selbst nicht spüren. Zwar verletzt sie sich aus diesem Grunde nicht selbst, spielt jedoch vehement die Rolle der Unnahbaren, hält ihre Gefühle vor anderen vehement zurück, macht gerne Witze, zieht Dinge ins Lächerliche und prahlte in ihrer Kindheit fast schon damit, wenn sie äußerliche Verletzungen vorzeigen und darüber hinaus direkt von ihrem „fürchterlichen Onkel“ erzählen konnte.
Erst, als die Therapeutin deswegen betroffen reagiert, merkt Karo, dass ihr Zusammenbruch fast schon überfällig war.

Darüber hinaus findet selbst jenes seinen Platz, welches in mir selbst eine Hürde bildet: die Problematik, sich wieder und wieder mit Vergangenem zu konfrontieren, zu geißeln fast, zurückliegende Dinge zu zergrübeln und somit lebendig zu halten.

Sprich: „Mängelexemplar“ überzeugte mich um so vieles mehr, als ich es mir hätte vorstellen können. Den Roman las ich über zwei Tage verteilt; was lediglich daran festzumachen ist, dass ich oftmals das Buch sinken ließ um in gekonnter Manie vor mich hinzustarren und jene Zeilen auf mich wirken zu lassen.

==Summa summarum==

Kleiner Wermutstropfen stellt der Umstand dar, dass Sarah Kuttner scheinbar auf Teufel komm raus ein wunderbares Ende kredenzen wollte. Ich würde nichtmal unbedingt sagen, dass sie _viel zu dick auftrug und der Roman somit Richtung unglaubwürdig fallen würde... doch manches läuft mir persönlich einfach zu glatt. Neuer Job, neue Liebe, neues Glück... hätte hier noch „hurra, Karo ist geheilt“ aus allen Ecken geschrien, so hätte ich in meiner Bewertung dem Buch konsequent 1-2 Sterne abziehen müssen.

Da dem jedoch nicht der Fall ist, erhält „Mängelexemplar“ von mir die volle Punktzahl sowie eine dicke Empfehlung nicht nur für jene, die sich zwar für die „Seelenkrank“-Thematik interessieren, jedoch andere Veröffentlichungen zu niederschmetternd finden; sondern gleichermaßen für Betroffene und Liebhaber der humorvoll-tiefgründigen Unterhaltung.

34 Bewertungen, 9 Kommentare

  • LeonaMercedes

    22.05.2010, 10:26 Uhr von LeonaMercedes
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr hilfreich. Freue mich übers Gegenlesen. LG Leona

  • Free22

    17.05.2010, 19:39 Uhr von Free22
    Bewertung: sehr hilfreich

    Super Bericht! Einen schönen Montag wünsch ich dir& auf gutes Gegenlesen (;

  • tina08

    17.05.2010, 11:42 Uhr von tina08
    Bewertung: sehr hilfreich

    Viele Grüße ... Tina

  • Lale

    16.05.2010, 23:09 Uhr von Lale
    Bewertung: sehr hilfreich

    Allerbesten Gruß

  • sigrid9979

    16.05.2010, 21:47 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Netter Bericht..Lg Sigi

  • peter_nordberg

    16.05.2010, 20:08 Uhr von peter_nordberg
    Bewertung: sehr hilfreich

    Toller Bericht von dir. lg Peter

  • Cessie47

    16.05.2010, 19:20 Uhr von Cessie47
    Bewertung: sehr hilfreich

    Guter Bericht, liebe Grüße

  • XXLALF

    16.05.2010, 19:14 Uhr von XXLALF
    Bewertung: sehr hilfreich

    ganz liebe sonntagsgrüße

  • hjid55

    16.05.2010, 17:12 Uhr von hjid55
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr hilfreich und liebe Grüße Sarah