Alle sieben Wellen (Taschenbuch) / Daniel Glattauer Testbericht
- Niveau:
- Unterhaltungswert:
- Spannung:
- Humor:
- Stil:
Erfahrungsbericht von marina71
Rettungslos verliebt per E-Mail
Pro:
kunstvolle Sprache, gefühlsbetont, witzig, unterhaltsam
Kontra:
nichts
Empfehlung:
Ja
In „Alle sieben Wellen“, dem Fortsetzungsroman bekommen die zwei Liebenden eine Chance auf ein anderes Ende und lernen sich auch wirklich real kennen.
Man muss jedoch nicht „Gut gegen Nordwind“ gelesen haben, um auch ohne Vorkenntnisse in das zweite Buch einzusteigen, so wie ich.
Der Autor:
Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, Autor und Journalist. Bücher (u.a.): Die Ameisenzählung (2001), Darum (2003), Die Vögel brüllen (2004), Der Weihnachtshund (Neuausgabe 2004). Mit seinem letzten Roman, Gut gegen Nordwind (2006), gelang ihm ein Bestseller, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch als Hörspiel, Theaterstück und Hörbuch zum Erfolg wurde.
Inhalt:
Emmi Rothner versucht mit Leo wieder Kontakt aufzunehmen. Sie schreibt ihm eine E-mail nach der anderen. Allerdings antwortet ihr ständig nur der Systemmanager: „Achtung. Geänderte E-mail-Adresse. Der Empfänger kann seine Post unter der gewählten Adresse nicht mehr aufrufen. Neue e-mails im Posteingang werden automatisch gelöscht. Für Rückfragen steht der Systemmanager gerne zur Verfügung.”
Das hindert Emmi allerdings nicht daran, ihre E-mails zu schreiben, wenn auch an den Systemmanager, so bekommt selbst dieser ihren Frust über das Abtauchen Leos ab.
Doch plötzlich ist Leo aus Boston zurück und antwortet. Und dann geht der liebevolle Schlagabtausch wieder von vorne los. In Leos Leben gibt es jetzt eine neue Frau, Pamela, die er in Boston kennengelernt hat und er fest entschlossen ist, es mit ihr zu versuchen.
Emmi hingegen gesteht Leo, dass ihre Ehe auf dem Prüfstand steht, dass sie keine Herzensangelegenheit mehr ist.
Zwischen den E-mails treffen sich Leo und Emmi hin und wieder in einem Café, wobei man nur über die nachfolgenden E-mails mitbekommt, wie es ihnen dort ergangen ist.
Der E-mail-Kontakt hört nicht auf. Immer wieder versuchen sie sich aus dieser Verbindung zu winden, einen erneuten Abschied herbei zu führen, ihr Leben einfach ohne den anderen weiter zu führen.
Aber es geht nicht. Zu allem Überfluss führen sie auch noch ein allerletztes Treffen herbei. Zum Abschied. Dass es natürlich genau die gegenteilige Wirkung hat lässt sich natürlich vermuten.
Leseprobe:
Vier Tage später
Betreff: Nur drei Fragen
Herr Systemmanager,
ein offenes Wort: Ich bin in einer Notsituation. Ich brauche die aktuelle Adresse von Herrn »User« Leo Leike, ich brauche sie wirklich! Ich muss ihm DRINGEND drei Fragen stellen:
1.) Lebt er noch?
2.) Lebt er noch in Boston?
3.) Lebt er schon in einer neuen E-Mail-Beziehung?
Wenn 1.) zutrifft, würde ich ihm 2.) nachsehen. Aber 3.) könnte ich ihm niemals verzeihen. Er darf in diesem halben Jahr fünfzehn neue Anläufe mit Marlene unternommen, darf sie täglich nach Boston haben einfliegen lassen. Er darf jede Nacht in billigen Bostoner Plüschbarbänken versumpft, jeden Morgen zwischen Betonbrüsten einer biederen blonden Bostoner Barbie-Beautybar-Behübscherin aufgewacht sein. Er darf dreimal geheiratet und jeweils dreieiige Drillinge an Land gezogen haben. Nur eines darf er nicht: ER DARF SICH IN KEINE ANDERE FRAU, DIE ER NOCH NIE GESEHEN HAT, SCHRIFTLICH VERLIEBT HABEN. Das bitte nicht! Das muss einmalig geblieben sein. Ich brauche diese Gewissheit, um halbwegs unbeschadet über die Nächte zu kommen. Bei uns bläst beharrlich der Nordwind. Lieber Systemmanager, ich kann mir ungefähr ausmalen, was Sie mir antworten werden. Aber ich ersuche Sie dennoch: Springen Sie über Ihren Schatten und richten Sie Leo Leike, mit dem Sie garantiert in gutem Kontakt stehen, meine Botschaft aus. Und sagen Sie ihm, er kann sich ruhig einmal melden. Tun Sie’s! Danach wird es Ihnen besser gehen. So, und jetzt dürfen Sie wieder Ihr Gebet sprechen.
Freundliche Grüße, Emmi Rothner.
Zehn Sekunden später
AW:
ACHTUNG. GEÄNDERTE E-MAIL-ADRESSE. DER EMPFÄNGER KANN SEINE POST UNTER DER GEWÄHLTEN ADRESSE NICHT MEHR AUFRUFEN. NEUE E-MAILS IM POSTEINGANG WERDEN AUTOMATISCH GELÖSCHT. FÜR RÜCKFRAGEN STEHT DER SYSTEMMANAGER GERNE ZUR VERFÜGUNG.
Dreieinhalb Monate später
Betreff: Bitte weiterleiten
Hallo Leo,
hast du neue Mieter auf Top 15? Falls du in Boston bist, warne ich dich. Wundere dich nicht über die Stromrechnung. Die haben die ganze Nacht das Licht an.
Schönen Tag, schönes Leben, Emmi.
Zwei Minuten später
Kein Betreff
Hallo?
Eine Minute später
Kein Betreff
Huhu, Herr Systemmanager, wo sind Sie?
Eine Minute später
Kein Betreff
Muss ich mir Sorgen machen oder darf ich hoffen?
Elf Stunden später
Betreff: Zurück aus Boston
Liebe Emmi,
dein Gespür ist verblüffend. Ich bin seit nicht einmal einer Woche wieder im Lande. Was also den Strom betrifft: den verbrauche ich selbst. Emmi, ich wünsche dir, ach, was wünsche ich dir nach so langer Zeit? Klingt wohl alles ziemlich banal. Am besten, wenn auch fünf Monate verfrüht: Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Ich hoffe, es geht dir gut, mindestens zweimal so gut wie mir.
Adieu. Leo.
Einen Tag später
Betreff: Ratlos
Was war das? War das was? Und wenn es was war, und was es auch war, war’s das dann schon wieder? Ich kann’s nicht glauben.
E.
Drei Tage später
Betreff: Fassungslos
Leo, Leo, was ist aus dir geworden? Was hat Boston aus dir gemacht?
E.
Einen Tag später
Betreff: Abschließend
Lieber Leo,
das Gefühl, das du mir seit fünf Tagen gibst, ist schlimmer als jedes mir von dir jemals zuvor gegebene, und du hast mir wahrlich schon schlimme Gefühle gegeben, durch dich habe ich erst erfahren, wie schlimm schlimme Gefühle wirklich sein können. (Schöne übrigens auch.) Aber dieses hier kannte ich noch nicht: Ich bin dir lästig geworden. Du kommst aus Boston zurück, aktivierst dein »Outlook«, genießt den Ausblick auf fernschriftliche Rückeroberung der Heimat. Schon langen die ersten spannenden E-Mails fehlgeleiteter Zeitungsabonnentinnen ein. Stoff für neue geistige Abenteuer mit anonymen Frauen, vielleicht ist ja gar einmal eine unverheiratete dabei. Und dann: Ach, da schreibt eine gewisse Emmi Rothner.
Der Name kommt dir irgendwie bekannt vor. War das nicht diejenige, die du in geschulter virtueller Rattenfängermanier schon so gut wie ins Bett geschrieben hattest, die bereits am Sprung in deine Arme war? Doch in einem letzten Reflex ihrer Vernunftbegabung ist sie dir schicksalhaft ferngeblieben, hat dich verfehlt, ist im Taumel um Haaresbreite an dir vorbeigeschrammt. Nun, neuneinhalb Monate sind vergangen, Frust und Frau waren für dich längst vergessen. Da meldet sie sich, taucht unverhofft in deiner Mailbox auf. Du wünscht ihr – sehr lustig, Leo, wie in deinen besten Zeiten – mitten im Sommerloch frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Und tschüss! Sie hat ihre Chance gehabt. Jetzt drängen neue nach.
Da stört sie, da nervt sie. Also einfach ignorieren, Leo, nicht wahr? Sie wird schon aufhören. Sie hört schon auf. Sie hört auf, versprochen!
PS: Du hoffst, dass es mir »mindestens zweimal so gut« geht wie dir? Leider, Leo, ich weiß zwar nicht, wie gut es dir geht. Aber dafür, dass es mir mindestens zweimal so gut gehen könnte, geht es mir mindestens zehnmal zu schlecht. Aber das soll dich nicht weiter bekümmern.
Emmi.
PPS: Danke, dass du mir noch einmal zugehört hast. Jetzt kannst du mir wieder deinen netten Systemmanager schicken. Mit dem kann man wenigstens ungestört über das Wetter plaudern.
Eine Stunde später
AW:
Ich hätte nicht zurückschreiben dürfen, liebe Emmi. Jetzt habe ich dich (schon wieder) verletzt, das wollte ich nicht. DU BIST MIR NIEMALS LÄSTIG. Das weißt du. Ich müsste mir sonst selbst lästig sein, denn du bist ein Teil von mir. Ich trage dich immer mit mir herum, quer durch alle Kontinente und Gefühlslandschaften, als Wunschvorstellung, als Illusion des Vollkommenen, als höchsten Liebesbegriff. So warst du mit mir fast zehn Monate in Boston, so bist du mit mir wieder heimgekehrt. Aber, Emmi, mein physisch lebbares Leben ist inzwischen weitergegangen, es musste weitergehen. Ich bin dabei, mir etwas aufzubauen. Ich habe in Boston jemanden kennengelernt. Es ist noch zu früh, um, du weißt schon wovon, zu sprechen. Aber wir wollen es miteinander probieren. Sie hat einen Job hier in Aussicht, sie wird vielleicht herziehen. In dieser Horrornacht, als unser »erstes und letztes Treffen« so kläglich am Nichtzustandekommen gescheitert ist, da habe ich unsere virtuelle Beziehung auf brutale Weise abgebrochen. Du hattest, auch wenn du es bis zuletzt nicht wahrhaben wolltest, eine Entscheidung getroffen, und ich habe dir geholfen, sie zu vollziehen. Ich weiß nicht, wie du heute dastehst mit Bernhard, mit deiner Familie. Ich will es auch gar nicht wissen, denn es hat nichts mit uns beiden zu tun. Für mich war die lange Schweigepause notwendig. (Wahrscheinlich hätte ich sie nie mehr beenden dürfen.) Sie war notwendig, um unser einzigartiges Erlebnis zu konservieren, um unsere innige, vertraute, intime Nicht-Begegnung auf Lebenszeit haltbar zu machen. Wir hatten es auf die Spitze getrieben. Weiter ging es nicht. Eine Fortsetzung gibt es nicht, auch nicht, ja erst recht nicht ein Dreivierteljahr später. Bitte sieh es auch so, Emmi! Halten wir hoch, was war. Und belassen wir es dabei, sonst zerstören wir es.
Dein Leo.
Meine Meinung:
Die E-mails der beiden bestehen aus schönen Wortspielereien, bei denen man mitlachen muss. Der Autor hat einen einmaligen Stil entwickelt durch diese Art der Kommunikation per Mail. Jede Mail hat einen besonderen Charme.
Der Roman enthält viel Spannung, die Dramatik steigt immer mehr voran. Es herrscht ein flottes Tempo, man fliegt regelrecht über die Seiten hinweg. Der Dialog zwischen Emmi und Leo ist sehr witzig, aber auch voller Gefühl. Der Autor zeigt viel Sprachwitz.
Man hat das Gefühl, man sei live dabei bei den E-mails, man schaue in fremde oder eigene Mailboxen hinein.
Einerseits schreiben sie gekonnt alltäglich wie bei einem Plauderstündchen, auf der anderen Seite aber auch sehr tiefsinnige Dinge. Die E-mails sind ganz und gar nicht kitschig geschrieben, auch wenn es viel um Gefühle geht.
Emmi scheint die antreibende Kraft zu sein bei der Aufrechterhaltung der E-mail-Beziehung, Leo hingegen schreibt viel mit Verstand und Beherrschung. Nur manchmal, wenn er viel getrunken hat, dann schreibt er seine Gefühle von ihm los und verliert jegliche Blockade.
Daniel Glattauer hat ein wunderschön zu lesendes Buch geschrieben, manchmal macht es einen sogar nachdenklich. Das Buch sprüht vor Witz und Einfallsreichtum und ist gleichzeitig wunderbar gefühlsbetont.
Emmi und Leo erleben Höhen und Tiefen, und was sie miteinander erleben, in ihrem Austausch, lässt sie zu neuem Denken streben. Manchmal geht es stürmisch zu und manchmal eher plätschernd, so erlebe ich das auch als Leser, ich fühle mich auch auf mindestens 7 verschiedenen Wellen.
Fazit:
Daniel Glattauer ist ein wunderschönes und fesselndes Buch gelungen. Es ist ergreifend, enthält viele Höhen und Tiefen, einmal hat man Hoffnung, ein anderes Mal verliert man sie wieder. In meisterhafter Sprache ist hier ein spannender und gefühlvoller Roman entstanden.
Infos über das Buch:
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Deuticke im Zsolnay Verlag; Auflage: 6 (4. Februar 2009)
ISBN: 978-3552060937
Preis: € 17,90
92 Bewertungen, 30 Kommentare
-
03.11.2010, 22:32 Uhr von leseflippi
Bewertung: besonders wertvollein super gelungener Bericht! Danke dafür! LG
-
22.01.2010, 13:52 Uhr von ndagaria
Bewertung: sehr hilfreichsehr ausführlich beschrieben
-
30.07.2009, 15:36 Uhr von christianpirker
Bewertung: sehr hilfreichToller Bericht! Liebe Grüße, Christian
-
06.06.2009, 16:20 Uhr von sandieheinrich
Bewertung: sehr hilfreichGrüßle aus der Hauptstadt
-
06.06.2009, 13:11 Uhr von ronald65
Bewertung: sehr hilfreichlg
-
31.05.2009, 18:12 Uhr von dz161
Bewertung: sehr hilfreichToller Bericht. lg diaz161
-
20.05.2009, 14:07 Uhr von Michaela2015
Bewertung: sehr hilfreichviele grüssle, gegenlesungen freuen mich!
-
16.05.2009, 15:54 Uhr von krullinchen
Bewertung: sehr hilfreichViele Grüße!
-
14.05.2009, 16:24 Uhr von Wuschel11
Bewertung: sehr hilfreichliebe Grüße ...............
-
13.05.2009, 00:39 Uhr von frankensteins
Bewertung: sehr hilfreichsuper beschrieben lg Werner
-
13.05.2009, 00:36 Uhr von anonym
Bewertung: besonders wertvolltoll beschrieben aber ich konnte mit einem Buch von ihm nichts anfangen und versuche es nicht nochmals
-
10.05.2009, 11:12 Uhr von anonym
Bewertung: sehr hilfreichSH ......... Liebe Grüße
-
07.05.2009, 14:01 Uhr von Beachtime01
Bewertung: sehr hilfreichSehr guter Bericht! Ich habe beide Bücher sehr gerne gelesen =) Liebe Grüße Beachtime01
-
06.05.2009, 21:13 Uhr von LiFo
Bewertung: sehr hilfreichSehr schön berichtet! Liebe Grüße, Lifo
-
06.05.2009, 09:35 Uhr von sigrid9979
Bewertung: besonders wertvollSchöner Bericht . Lg Sigi
-
05.05.2009, 18:41 Uhr von paula2
Bewertung: sehr hilfreichliebe Grüße
-
05.05.2009, 11:59 Uhr von tk7722
Bewertung: sehr hilfreichEin sehr schöner Bericht, liebe Grüße
-
05.05.2009, 11:27 Uhr von ManfredJG
Bewertung: sehr hilfreichDas würde mir auch gefallen, Manni
-
04.05.2009, 23:02 Uhr von Bunny84
Bewertung: sehr hilfreichSehr Hilfreich. Liebe Grüße aus dem Münsterland sendet dir Anja
-
04.05.2009, 22:04 Uhr von droehn
Bewertung: sehr hilfreichToller Bericht, lg droehn
-
04.05.2009, 18:20 Uhr von werder
Bewertung: sehr hilfreichNetter Bericht! LG aus Hannover!
-
04.05.2009, 18:16 Uhr von Miraculix1967
Bewertung: sehr hilfreichWWW = Wunderschöne Wochenstartswünsche! LG aus dem gallischen Dorf Miraculix1967
-
04.05.2009, 17:15 Uhr von anonym
Bewertung: sehr hilfreichSH für deinen guten Bericht.LG Bernd
-
04.05.2009, 17:01 Uhr von Puppekaa
Bewertung: sehr hilfreichSehr schöner Bericht - LG
-
04.05.2009, 16:54 Uhr von sabtau
Bewertung: sehr hilfreichGuter Bericht. Grüßle
-
04.05.2009, 16:08 Uhr von tina08
Bewertung: sehr hilfreichViele Grüße .... Tina
-
04.05.2009, 15:38 Uhr von Carmen70
Bewertung: sehr hilfreichSuper berichtet.Carmen70
-
04.05.2009, 14:53 Uhr von Iris1979
Bewertung: sehr hilfreichSuper Bericht. Liebe Grüße Iris
-
04.05.2009, 14:35 Uhr von taeler
Bewertung: sehr hilfreichSchöner Bericht! LG
-
04.05.2009, 14:35 Uhr von minasteini
Bewertung: besonders wertvollTolle Buchvorstellung, das ist ein Buch für mich.
Bewerten / Kommentar schreiben