Die Henkerstochter (Taschenbuch) / Oliver Pötzsch Testbericht

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ab 5,86
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Erfahrungsbericht von Lilia81

Blick in eine Henkersfamilie

Pro:

Krimi kombiniert mit Historie, Einblicke und Informationen in den Beruf „Scharfrichter“, spannend

Kontra:

Ende gefällt mir persönlich nicht so gut

Empfehlung:

Ja

Zu Weihnachten habe ich mal wieder zum Glück einen neuen Schwung Bücher bekommen, so dass ich jetzt erst mal wieder für 2-3 Monate mit Lesestoff versorgt bin. Zu meinen bevorzugten Stilen gehören Krimis und historische Romane. Hier möchte ich nun das Buch „Die Henkerstochter“ von Oliver Pötzsch vorstellen, dass schon seit längerem auf meiner Wunschbücherliste stand.


===Preis===
Es handelt sich hierbei um eine Taschenbuchausgabe und kostet bei Amazon 8,95 €, was der normale Preis für Taschenbücher ist.


===Autor===
Oliver Pötzsch, geboren 1970 als erster von drei Söhnen in München, begann 1991 mit dem Schreiben seiner ersten Fantasy Kurzgeschichten. Nach dem Abitur besuchte Pötzsch von 1992 bis 1997 die Deutsche Journalistenschule in München und war anschließend für den Bayerischen Rundfunk, zunächst im Bereich Radio, später für die wöchentliche Fernsehsendung quer tätig. Für das Freizeit Magazin des Bayerischen Rundfunks erstellt Pötzsch 1999 Fernseh-Reportagen aus Kuba, Südafrika und Vietnam.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit erforschte Pötzsch seine Familiengeschichte. Er ist ein Nachfahr der Kuisls, die vom 16. bis in das 19. Jahrhundert eine bekannte Henkerdynastie in Schongau waren. Die Forschungen hat er in drei Historienromanen verarbeitet. Hierüber berichtet er auch auf den letzten Seiten des Buches „Die Henkerstochter“ als eine Art Nachwort.

Folgende Werke wurden bisher von ihm veröffentlicht:
Die Henkerstochter. Ullstein, Berlin 2008, ISBN 978-3548268521
Die Henkerstochter und der schwarze Mönch. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3548268538
Die Henkerstochter und der König der Bettler. Ullstein, Berlin 2010, ISBN 978-3548281148
Die Ludwig-Verschwörung. Ullstein (noch nicht erschienen)

Das erste Buch „Die Henkerstochter“ wurde für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert.
Seine blutige Familiengeschichte beschäftigt Oliver Pötzsch bereits seit der Kindheit. Bei seinen Recherchen stieß er auf die Folterwerkzeuge seiner Ahnen und einen Meisterbrief, der seinem Vorfahren eine 'besondere Kunstfertigkeit beim Köpfen' bescheinigt.


===Klappentext===
Kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg wird in der bayerischen Stadt Schongau ein sterbender Junge aus dem Lech gezogen. Eine Tätowierung deutet auf Hexenwerk hin und sofort beschuldigen die Schongauer die Hebamme des Ortes. Der Henker Jakob Kuisl soll ihr unter Folter ein Geständnis entlocken, doch er ist überzeugt: die alte Frau ist unschuldig. Unterstützt von seiner Tochter Magdalena und dem jungen Stadtmedicus macht er sich auf die Suche nach dem Täter.


===Cover===
Das Buch ist 18,8 cm x 12 cm x 3,2 cm groß (übliches Taschenbuchformat) und umfasst 512 Seiten. Es ist hauptsächlich in den Farben braun, hellbraun gehalten. Im Hintergrund sieht man die Stadt Schongau in dem Stil Bleistiftzeichnung schemenhaft dargestellt. Auf der Vorderseite ist neben dem Titel „Die Henkerstochter“ in roter Schrift, der Autor „Oliver Pötzsch“, dem Hinweis „historischer Roman“ noch eine bildliche Darstellung von zwei Personen abgebildet. Hierbei handelt es sich zum einen um den Henker Jakob Kuisl (groß, breite Schultern), der der verurteilten Frau, die in einem roten Kleid mit Augenbinde dargestellt wird, beruhigend zuspricht. Wirklich sehr passend auf die Handlung bezogen! Die Rückseite gibt dem Käufer Informationen über die Handlung (siehe Klappentext, einem Kindermörder auf der Spur – der Henker ermittelt), der IDSN Nummer und den Preis.
Die gesamte Aufmachung lässt einen schnell auf einen historischen Roman tippen. Der Buchtitel ist in einer etwas verschnörkelten, altertümlichen Schriftart dargestellt. Das Cover ist passend und gibt einen Teil der Handlung (Job des Henkers) gut wieder. Sehr gelungen!


===handelnde Personen===
Jakob Kuisl Scharfrichter aus Schongau
Simon Fronwieser Sohn des Stadtmedicus
Magdalena Kuisl Henkerstochter
Anna Maria Kuisl Jakobs Frau
Georg und Barbara die Zwillinge Kuisl
Bonifaz Fronwieser Vater von Simon
Martha Stechlin, Hebamme
Josef Grimmer, Fuhrmann
Georg Riegg, Fuhrmann
Konrad Weber Pfarrer
Katharina Daubenberger Hebamme
Resl Magd
Martin Hueber Fuhrmann aus Augsburg
Franz Strasser Wirt
Agathe Kratz, Frau vom Krämer
Maria Schreevogl, Frau des Ratsherren
Graf Wolf Dietrich von Sandizell kurfürstlicher Pfleger
Söldner
Ratsherren
Kinder


===Buchaufbau===
Zu Beginn ist eine kleine Karte in Bleistiftzeichnung der Stadt Schongau abgebildet, auf der einzelnen Häuser der handelnden Personen zu sehen sind. Hier erkennt man, dass das Haus des Henkers außerhalb der Stadtmauern liegt. Dann folgen die Auflistung der im Buch vorkommenden Personen und der Prolog. Die Handlung ist in 16 Kapitel unterteilt, welche jeweils mit Datum und zum Teil Uhrzeit versehen sind. Extra Überschriften sind ihnen nicht gegeben. Zum Schluss folgt der Epilog und eine Art Nachwort, in dem der Schriftsteller über die Entstehung des Romans berichtet.


===Handlung===
Der Roman beginnt mit einem Prolog am 12.10.1624. Der Junge, Jakob Kuisl, ist Sohn des Stadthenkers in Schongau und muss diesem bei einer Exekution assistieren. Jakob muss in seinen jungen Jahren lernen, sich mit dem Töten und dem Tod auseinanderzusetzen.
Kapitel 1-16
35 Jahre später, am 24.04.1659 ist Jakob in die Fußstapfen seines Vaters getreten und ist nun selber Henker der Stadt. Er lebt mit seiner Familie, Frau Anna Maria, Tochter Magdalena und den Zwillingen Georg und Barbara, außerhalb der Stadtmauern behaglich in seinem Haus.
Ein durch Messerstiche ermordeter Junge wird aus dem Lech in Schongau gezogen. Neben den Verletzungen weist er noch auf der Schulter ein rotes Mal auf, was sogleich als Hexenzeichen deklariert wird. Die Schuldige ist gleich gefunden – die Hebamme Martha Stechlin, denn wer sonst könnte etwas damit zu tun haben. Außerdem ist bekannt, dass der Junge am Vorabend noch bei ihr war. Die Hebamme wird in der Fronfeste festgesetzt und der Henker Jakob bekommt den Auftrag, mit allen Mitteln der Folter für ein möglichst baldiges Geständnis der Hexe zu sorgen. Die Sache soll schließlich schnell vom Tisch.
Neben Jakob Kuisl haben auch der junge Medicus Simon Fronwieser und der Ratsherr Jakob Schreevogel Zweifel an Hexerei und einer Schuld der Hebamme. Sie ahnen, dass mit der Hinrichtung der Hebamme, von einem anderen Verbrechen abgelenkt werden soll. Weitere Kinder sterben und alle haben dasselbe Zeichen auf der Schulter. Die Angst in der Stadt steigert sich zu Hysterie und obwohl die Hebamme hinter Schloß und Riegel sitzt, glauben die Leute, dass sie für die Morde verantwortlich ist. Dann verschwinden weitere Kinder, der Rohbau eines Leprosoriums wird zerstört und eine Lagerhalle fällt den Flammen zu Opfer. Der Henker wird gezwungen, mit der Folter zu beginnen. Zugleich macht er sich mit Simon auf die Suche nach dem wahren Verbrecher.
Mehr möchte ich hier nicht verraten, denn ansonsten wäre ja die ganze Spannung dahin!!!


==Fakten===
Taschenbuch: 512 Seiten
Verlag: Ullstein Taschenbuch (1. April 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3548268528
ISBN-13: 978-3548268521
Größe und/oder Gewicht: 18,8 x 12 x 3,2 cm


===Leseprobe===
„Wir wollen beginnen.“

Die Zeugen hatten in der Zwischenzeit Platz genommen. Martha Stechlin drückte sich an die gegenüberliegende Wand, als suchte sie ein Mauseloch, durch das sie entwischen könnte.

„Sie soll sich ausziehen“, sagte Johann Lechner.
Jakob Kuisl sah ihn verwundert an.

„Aber, Ihr wolltet doch erst ...“

Ich sagte, sie soll sich ausziehen. Wir wollen sie auf Hexenmale untersuchen. Wenn wir welche finden, dann ist ihre Schuld erwiesen, und die Befragung wird umso schneller vonstatten gehen.“ Zwei Büttel gingen auf die Hebamme zu, die sich mit verschränkten Armen in eine Ecke gehockt hatte. Der Bäcker Michael Berchtholdt leckte sich die dünnen Lippen. Er würde heute noch zu seinem Schauspiel kommen.
Jakob Kuisl fluchte innerlich. Damit hatte er nicht gerechnet. Das Untersuchen auf Hexenmale war ein oft angewandtes Mittel bei der Hexenjagd. Waren am Körper der Verdächtigen merkwürdig geformte Muttermale zu sehen, deutete das auf ein Zeichen des Teufels hin. Oft machte der Henker dann noch die Nadelprobe, bei der er der vermeintlichen Hexe in das verdächtige Muttermal stach. Kam kein Blut, war sie mit Sicherheit eine Hexe. Kuisl wusste von seinem Großvater, dass dieser Mittel und Wege gekannt hatte, Blutungen bei der Nadelprobe zu verhindern. So war der Prozess schneller zu Ende, und der Henker kam schneller an sein Geld ...
Ein reißendes Geräusch schreckte ihn aus den Gedanken. Einer der Büttel hatte der Stechlin das stinkende, fleckige Kleid vom Leib gezerrt. Darunter war die Hebamme bleich und mager. Blaue Flecken waren an den Schenkeln und Oberarmen zu sehen, Überbleibsel vom Kampf mit Josef Grimmer gestern früh. Mit beiden Händen versuchte sie Brüste und Scham zu bedecken und drückte sich an die Kellerwand.
Der Büttel zog sie an den Haaren empor, so dass sie laut aufschrie. Jakob Kuisl sah, wie die kleinen, roten Augen des Bäckers Michael Berchtholdt den Leib der Hebamme wie mit Fingern abtasteten.

„Muss das sein? Gebt ihr doch wenigstens einen Stuhl!“


===Fazit===
Das Buch hat mich ein wenig überrascht – positiv. Es handelt sich hierbei um eine gelungene Mischung aus historischem Roman und Krimi. Hier findet man Mord, Liebe, Humor, Aberglaube, Tiefsinnigkeit und einige Dinge zum Nachdenken.
Die Geschichte ist spannend und ich habe eigentlich von Anfang an mit gerätselt, wer der Mörder der Kinder sein könnte, welche Beweggründe dahinterstecken und welche Rolle hierbei die hohen Ratsmitglieder wohl spielen. In meinen Augen war es einfach zu auffällig, dass sie keinerlei Zweifel an der Schuld der Hebamme zuließen und Indizien gar nicht annehmen wollten. Nach und nach kommen zur Aufklärung immer mehr Dinge ans Licht. Die Gespräche zwischen zwei Männern, die immer wieder in die Handlung eingeflochten wurden, haben mich zunächst noch mehr verwirrt. Sie steckten hinter all dem, aber welche Namen erfäjhrt man erst zum Schluss. Der auftauchende Skelettmann kam mir schon unheimlich vor, obwohl ich wusste, dass es dafür bestimmt eine plausible Erklärung gab (es wird berichtet, dass der Mann eine Hand nur aus Knochen hat). Nachdem ich einige Leute verdächtigt, sich dies aber nicht bestätigt hatte, blieb der Täter bis zum Ende unaufgedeckt. Was ja eigentlich für einen Krimi spricht! Etwas enttäuscht war ich dann doch über den Schluss / Aufklärung der Morde, denn da fehlte mir persönlich ein wenig die Raffinesse. Es war zu platt und einfach. Hier hätte ich mir ein bisschen mehr erhofft.
Die historische Seite kommt in dem Buch nicht zu kurz. Der Roman lässt ein gutes Bild der damaligen Zeit wiederaufleben und den Leser den Hexenwahn, die Hexenverfolgung samt Aberglauben dieser Zeit miterleben. Von den Romanakteuren werden wiederholt besonders zwei berüchtigte historische Ereignisse, die sie zum Teil selbst miterlebt haben, in Erinnerung gerufen: Die Schongauer Hexenprozesse (1589/90), bei denen 63 unschuldige Frauen infolge der durch ein Unwetter ausgelösten Hysterie gefoltert und hingerichtet wurden. Die "Magdeburger Hochzeit" im Mai 1631 mit der Eroberung der Stadt und dem anschließenden größten Massaker des Dreißigjährigen Krieges durch die Armee des Johann t' Serclaes, Graf von Tilly. Ich finde den Widerspruch der Menschen immer sehr erstaunlich. Einerseits sind sie zu den „Kräuterhexen“ gegangen, um sich Mittel gegen allerlei Krankheiten, Ziehen und Beschwerden geben zu lassen, da sie sich zumeist keinen Arzt leisten konnten oder die Behandlung beim Stadtmedicus nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, Außerdem konnte man ja nicht mit solchen Sachen wie Potenzprobleme, Regelschmerzen ect. zu einem Arzt gehen. Auf der anderen Seite wurde genau auf den Frauen dann rumgehackt und mit dem Finger gezeigt. Sie kann ja nur mit dem Teufel im Bunde sein. Gerade dies wird in dem Roman sehr gut verdeutlicht. Die Hebamme Martha Stechlin hat so vielen Babys geholfen, auf die Welt zu kommen – so viele Frauen bei der Geburt und der Nachbehandlung unterstützt. Und doch wird gleich ihr Name genannt, als der tote Junge aufgefunden wurde. Sie kann auf Besen reiten, ist mit dem Teufel im Bunde und kann jeden verhexen – allein durch Blicke. Selbst als sie schon eingesperrt ist, ist sie für die weiteren Todesopfer und an dem Verschwinden der Kinder verantwortlich. Da leidet man dann als Leser schon mit der Frau. Der Aberglaube der damaligen Zeit ist zum Teil doch recht erschreckend. Da ich schon einige historische Romane aus dem Bereich der „Hexenverfolgung“ gelesen habe, waren mir die meisten im Buch vorkommenden Dinge bereits bekannt. Was aber das Schrecken und Unverständnis darüber nicht geschmälert hat.

In dem Buch erfährt man sehr viel über den Beruf des „Henkers“ (Scharfrichter), seinen sozialen Status und die Sitten und Gebräuche. Das war mir zum größten Teil so nicht bekannt und hat mich wirklich sehr interessiert und zum Teil verwundert, da ich mir über den Beruf bisher keinerlei weiteren Gedanken gemacht habe. Verbindet man doch mit diesem Beruf eher einen gefühlslosen, brutalen, großen und starken, sadistischen Menschen, so wird das Vorurteil einfach ein wenig beiseite geräumt. Dies gelingt Oliver Pötzsch durch die Einflechtung vieler kleiner Details und Wissenswertes aus dem Leben einer Henkersfamilie.

Die Tätigkeiten der Scharfrichter gehörten in das „unehrliche“ Berufsfeld und so wurden sie nicht in die Zünfte aufgenommen. Sie konnten auch sonst auf vielfältige Weise von der Gesellschaft ausgeschlossen werden (zum Beispiel kein Zutritt zu Wirtshäusern, Verweigerung eines ehrlichen Begräbnisses). Die Unehrlichkeit wurde vererbt und konnte selbst Generationen betreffen, die nichts mehr mit der unehrlichen Tätigkeit zu tun hatten.
Der Henker Jakob und seine ganze Familie waren in einer Stadt gefürchtet, verachtet und ihnen wurde aus dem Weg gegangen. Den Kontakt mied man, da man in ihnen den Tod sah. Bei Begegnungen konnte nur ein schnelles Kreuzzeichen helfen. Die Familien wohnten außerhalb der Stadtmauern. Wie es damals üblich war, wurde der Beruf vom Vater an den Sohn weitergegeben. Geheiratet wurde nur innerhalb der Henkerkreise, so dass da natürlich ein hoher Verwandtschaftsgrad mit der Zeit entstand. Die Töchter konnten nur in diesen Kreisen heiraten und halb verrufenen Tätigkeiten (Wahrsagen, Liebes- und Schadenszauber, magischen oder Naturheilverfahren) nachgehen. Und wie es dann ja so oft ist, verlieben sich in dem Buch die Henkers Tochter Magdalena und der Sohn des Stadtmedicus, Simon ineinander. Die Eltern der beiden sind darüber natürlich nicht begeistert und verbieten ihnen den Kontakt zueinander. Man heiratet innerhalb seines Standes – alles andere ist nicht gewünscht und erlaubt. Die jungen Menschen kennen die Problematik, aber setzten sich zum Teil darüber hinweg. Ob sie am Ende die Hindernisse überwinden, erfährt man zum Ende der Geschichte.
Zu den direkten Aufgaben des Scharfrichters gehörte die eigentliche Hinrichtung und die Folter zur Geständniserzwingung als Teil des Gerichtsverfahrens. Auch für die Durchführung von Körper- und Ehrenstrafen war er zuständig. Daneben musste er auch oft weitere unangenehme und geächtete Aufgaben übernehmen − z. B. die Kloakenreinigung, das Abschneiden und das Bestatten von Selbstmördern oder die Aufsicht über die Prostituierten. Genau wie sein Vater, trinkt (oder besser besäuft) sich auch Jakob vor jeder Hinrichtung/Folter bis zur Besinnungslosigkeit, um mit der ganzen Sache besser umgehen zu können und fertig zu werden. Berührt hat mich die Tatsache, dass Jakob sehr behutsam (so weit es eben geht) und respektvoll mit den Menschen, die hingerichtet oder gefoltert werden sollen, umgeht. Er ist nicht von Natur aus gerne brutal, sadistisch (im Gegensatz zu manchen Ratsherren, die nach den Schmerzensschreien der Hebamme scheinbar regelrecht gieren) oder weidet sich an dem Schmerz/Leid/Angst der Betroffenen. Er tut nur seinen Job – effizient und schnell. Er spricht ihnen beruhigend mit leiser Stimme zu (Es wird nicht wehtun. Ich versprechs Dir. Es wird nicht wehtun). Durch die Tätigkeit konnten sich Scharfrichter solides Wissen auf dem Gebiet der Anatomie aneignen. So mancher kannte sich mit dem menschlichen Knochenbau und der Anordnung der inneren Organe besser aus als der ortsansässige Bader.
Die medizinischen Kenntnisse nutzten sie außerdem noch für andere Tätigkeiten. So praktizierten die Scharfrichter oft erfolgreich neben ihrem eigentlichen Beruf als Heiler und sicherten so ihre Existenz zusätzlich ab. So handhabt das auch Jakob. Er sieht sofort, wenn ein Knochen gebrochen ist, welche Kräuter auf eine Wunde müssen, damit sie sich nicht entzündet, und wie man Salben herstellt. Dieses Wissen der Kräuterkunde gibt er seiner Tochter Magdalena weiter. Simon, der Sohn des Stadtmedicus , hat selber ein paar Semester Medizin studiert (dann ging dafür das Geld aus) muss erkennen, dass der Henker um einiges mehr Ahnung auf dem Gebiet der Heilkunst hat, als sein Vater. Die Familie Kuisl bewahrt einen regelrechten Schatz in ihrem Haus auf (was zur damaligen Zeit wirklich sehr ungewöhnlich und wertvoll war). Sie besitzen ein ganzes Regal mit Büchern. Zum größten Teil handelt es sich hierbei um Kräuterkunde, Aufzeichnungen der Vorväter und Theorien über den menschlichen Körper, die in den Universitäten bis dato nicht gelehrt und für Unfug gehalten wurden. Das ist guter Lernstoff für Simon und sein Interesse daran ist groß. Jakob lässt ihn an seine Büchersammlung. Der Vater hat auch Magdalen (was seine Frau nicht verstehen will) das Lesen beigebracht. Die Bildung ist für die damalige Zeit schon beachtlich.
Durch die Recherchen für diesen Bericht habe ich herausgefunden, dass Herr Pötzsch noch weitere Romane veröffentlicht hat, in dem es ebenfalls um die Familie Kuisl geht. Die Titel stehen schon mal auf meiner Bücherkaufliste und ich bin wirklich sehr gespannt, ob diese auch so gut zu lesen sind und die Handlung einen mitreißt. Mal schauen!
Im Gegensatz zu den historischen Romanen von Lorentz und Schweigert steht hier mal ein Mann im Mittelpunkt des Geschehens, was mal eine kleine Abwechslung ist. Oliver Plötzsch ist hier ein packender und spannender Krimi gelungen, der zudem viele Informationen zu dem verrufenen und geheimnisvollen Handwerk des Scharfrichters und einen Einblick in den Hexenglauben der damaligen Zeit bietet. Das ganze Buch über reißt die Spannung nicht ab. Der Schluss/Aufklärung der Morde ist für mich zwar nicht so gewesen, wie ich es mir vorgestellt habe, aber das ist wohl einfach Geschmackssache. Hier kam mir ein wenig zu viel Abenteuer, Dramatik vor.
Sehr viele verschiedene Charaktere/Charakterzüge sind hier zu finden: gewinnorientierte Kaufleute und Handwerker, habgierige Söldner, Sadismus, Aberglaube, Standesdünkel, Berechnung, Hilfsbereitschaft, Großmut, Barmherzigkeit. Das macht den Roman unter anderem sehr lebendig, anschaulich und interessant. Der Schreibstil gefällt mir ganz gut, denn er ist flüssig, sinnig und unterhaltsam. In nur wenigen Tage hatte ich das Buch zu Ende gelesen.
Diesen historischen Kriminalfall kann ich einfach nur weiterempfehlen und ich werde mir sicherlich mit der Zeit die weiteren Bücher von Oliver Plötzsch kaufen.

56 Bewertungen, 15 Kommentare

  • Lale

    12.05.2012, 02:06 Uhr von Lale
    Bewertung: sehr hilfreich

    Allerbesten Gruß *~*

  • The_Ghostwriter

    21.04.2012, 15:33 Uhr von The_Ghostwriter
    Bewertung: besonders wertvoll

    BW, janz klar. LG, the_ghostwriter

  • titus01

    17.04.2012, 12:24 Uhr von titus01
    Bewertung: besonders wertvoll

    Toller Bericht...LG...titus01

  • xSunnyx

    04.04.2012, 15:32 Uhr von xSunnyx
    Bewertung: besonders wertvoll

    BW und viele liebe Grüße

  • hameln58

    16.03.2012, 16:22 Uhr von hameln58
    Bewertung: besonders wertvoll

    ich wünsche Dr ein schönes Wochenende und liebe Grüße

  • hoteltester1020

    15.03.2012, 00:17 Uhr von hoteltester1020
    Bewertung: besonders wertvoll

    Klasse Bericht :)! BH!

  • giselamaria

    14.03.2012, 16:08 Uhr von giselamaria
    Bewertung: besonders wertvoll

    uff - ist ja grausiger Inhalt, ob frau da nach dem Lesen noch schlafen kann, ohne vom Henker zu träumen ?? - ;-) - LG gisela

  • Tweety30

    13.03.2012, 17:22 Uhr von Tweety30
    Bewertung: besonders wertvoll

    BW und liebe Grüße!

  • morla

    12.03.2012, 17:46 Uhr von morla
    Bewertung: besonders wertvoll

    wünsche einen gute wochenstart lg. petra

  • herbertschmidt88

    12.03.2012, 09:58 Uhr von herbertschmidt88
    Bewertung: besonders wertvoll

    fast a bisserl zviel für einen Bericht

  • XXLALF

    12.03.2012, 09:55 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    ...und einen guten wochenstart

  • uhlig_simone@t-online.de

    12.03.2012, 09:08 Uhr von [email protected]
    Bewertung: besonders wertvoll

    Liebe Grüße v. Simone, freue mich über Gegenlesungen

  • sammelmeilen

    12.03.2012, 09:03 Uhr von sammelmeilen
    Bewertung: besonders wertvoll

    bw & lg Antje

  • katjafranke

    12.03.2012, 09:03 Uhr von katjafranke
    Bewertung: sehr hilfreich

    Viele liebe Grüße. KATJA

  • michiprimel

    12.03.2012, 08:44 Uhr von michiprimel
    Bewertung: besonders wertvoll

    für mich bw G.L.G. michi