Collonil Classic Rustikal Neutral Testbericht

Präludium grosso


Erst dachte ich: da habe ich mir was aufschwatzen lassen. Etwas später war ich der Meinung, dass ich eigentlich einen guten Kauf gemacht habe. Heute schließlich bin ich überzeugt, dass ich mir etwas habe aufschwatzen lassen und zugleich ein gutes Produkt bekommen habe. Schließt sich das aus?

Erst mal langsam und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen! Also, ich habe mir ein neues Paar Schuhe gegönnt, schlichte Lederschuhe. Fanatische Tierliebhaber mögen mir verzeihen, aber ob das Leder nicht doch von einer glücklichen Hindu-Kuh kam, kann keiner ausschließen und wenigstens ich bin überzeugt davon.

Beim Anblick meiner bisherigen Schuhe - übrigens wahrscheinlich Treter, gefertigt aus der ausgedienten Hülle einer glücklichen Almkuh, die sicherlich eines natürlichen Todes gestorben ist - kam mir, während ich minutenlang der neuen Verkäuferin beim krampfhaften Stakkatotippen und Ausbruch erster Schweißtropfen, der Gedanke, dass es doch etwas geben müsste, was das Leder dazu verleitet, in seinem künstlich aufbereiteten Farbton etwas dauerhafter zu verweilen.
Besonders die Schuhspitze ist meine ganz persönliche Problemzone. Selbst mit enormem Schuhcremeaufwand lässt sich die weiße, kahle Stelle, die etwa so schick wie eine Halbglatze ist, nicht mehr kaschieren.

Die Verkäuferin war sichtlich erleichtert, dass sie einen Kunden mit schier unendlicher Geduld vor sich hatte - schließlich kauft nicht jeder Hindu-Kuh-Lederschuhe - und einen, der auch noch eine der wenigen Fragen stellt, die den Wissensschatz einer Schuhverkäuferin aktivieren können. (Nein, diese Verkäuferin war mir auch nicht ganz unsympathisch!)

Sie empfahl mir eben jenes Produkt mit dem unmöglichen Namen, das in der Lage sein sollte, den Farbton des Schuhes dauerhafter zu konservieren. Collonil Classic Rustikal Neutral klingt einfach so, als ob ein in Bayern geborener Deutsch-Süd-Ost-Afrika-Kollonialist auf einen Gesinnungsgenossen britischer Prägung trifft, ihn von seinen kulinarischen Vorlieben erzählt, woraufhin jener entgegnet: „Well, it was nice to meet you“.

Na gut, jetzt folgt einfach eine nüchterne Produktbeschreibung und ein langweiliger Erfahrungsbericht.

Ach, und um nicht in den Verdacht zu geraten, ich würde mit dem Namen des Produktes allein diesen Bericht künstlich aufblähen, - das tue ich, wie jedem klar sein dürfte, mit seltsamen Darstellungen meiner gedanklichen Verfassung beim Kauf des Produktes - kürze ich den Namen des Lederfarbtonschutzmittels einfach mit CCRN ab, was ein wenig an CCTV oder CCCP erinnert. [Beispiel einer Sackgassenassoziation!]


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Der Hersteller, der Preis und das Fehlen der Angabe der Inhaltsstoffe


Die Salzenbrodt GmBH & Co. KG ist der CCRN-Hersteller, der seit 101 Jahren Schuhpflegeprodukte vertreibt. Da ich meine Schuhe in einem Laden gekauft habe, der im letzten Jahr sein 130 jähriges Bestehen feierte, bewegte ich mich also fast in der Sphäre traditionellen Bewusstseins, das einem Oranier kalte Schauer einjagen kann, wenn er sich auf den Weg macht, historische Pfade zu pflegen.

Froh war ich allerdings, als ich beim Studium der Verpackung bemerkte, dass ich einen lokalen Händler unterstützt habe, was mir in der ökologisch-denkender-und-verantwortlich-handelnder-mensch-der- auf-regionale-erzeuger-setzt-Skala wieder ein paar Punkte verschafft. Vielleicht sogar so viele, dass mir der Kauf von Lederschuhen einer einstmals glücklichen grasenden Kuh irgendwann mal, wenn nicht verziehen, so doch positive Erwähnung finden wird.

Naja, weiß gar nicht, ob das angegebene und sehr umständliche, zudem inexistente Gütesiegel auch auf Nichtnahrungsmittel bezogen ist und ob wirklich auch nicht-beabsichtigt-gut-Getanes gewürdigt wird, trotzdem bitte ich euch, es einfach nicht weiter zu erzählen! An wen auch immer!


So, zurück zum sachlichen Bericht, ähm. Die Adresse des Herstellers lautet:

Salzenbrodt GmbH & Co. KG
Hermsdorfer Straße 70
13437 Berlin
Telefon: 030/41404512
E-Mail: www.collonil.com

Die sekundäre oder Adresse des wahren Inhabers lautet (Ist nicht so einfach erkenntlich.):

Donau Business Center
Handelskai 388/Top 862
1020 Wien
Telefon: 01/2031526


Für die 75 ml Spezial-Lotion (Liebe yopi-Mitarbeiter, bitte verändert das Bild!) CCRN habe ich zwischen 5 und 6 Euro bezahlt, genau weiß ich das nicht mehr, da ich es zusammen mit den Schuhen und - der Verkaufstrick der neuen, ungeschickten Verkäuferin klappt bei mir immer - zwei Socken-Packungen erstanden habe.

Im Nachhinein dachte ich: was für ein dummer Kauf, habe mir gerade in einer Mischung aus Langeweile, purer Mitmenschlichkeit und Neugierde so ein Zeug aufquatschen lassen, das sowieso sein ganzes Leben in einem dunklen Schrank fristen muss, ehe es in sich vertrocknen wird. Was war das für eine Gefühlslage damals: peinlich-gereizt-mit-einem-Schuss-ich-sag-es-keinem-weiter-Gefühl vielleicht.

Nun schreibe ich also darüber und es ist, als ob ich ein seit langem mit mir getragenen Berg an Schuldgefühl und Scham endlich hinter mir lassen kann und ab jetzt viel unbeschwerter und selbstsicherer den nächsten Fehlkauf entgegensteuern kann.

Wenn man die Produktverpackung nur lange genug untersucht, weil man sich noch am Tage des Erwerbens damit auseinander setzten muss, was genau da eigentlich ins Einkaufsnetz gelangt ist, fällt einem auf, dass sämtliche Inhaltsangaben fehlen. Man weiß also nicht einmal, ob das Mittel krebserzeugend, allergieauslösend oder in Notfällen auch trinkbar ist.
Vielleicht sind aus diesem Grund auch die goldigen yopi-Kategorien ‘Verträglichkeit‘, ‘Wirkung‘, ‘Ergiebigkeit‘ und ‘Geruch‘ zu diesem Produkt auswählbar? Oder deswegen die Adresse in Österreich? Oder hatte Wittgenstein unrecht und das heidegger‘sche Nichts hat sich wirklich ‘genichtet‘? Verstörendes Phänomen, jedenfalls im 21. Jahrhundert.


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Die Produktversprechen und die Produkterfahrungen


„Schützt und pflegt Fettleder, Oilnubuk und rustikale Leder. Frischt die Farben auf und erhält eine spezielle Optik. Schwamm leicht andrücken, gleichmäßig auftragen und trocknen lassen.“

Der erste Satz zeigt, dass ich das Wissen einer Schuhverkäuferin schlichtweg unterschätze, was zum Henker sind Fettleder und Oilnubuk? Jeweils das zweite Nominativ des Kompositions sagt mir etwas, aber warum diese schmierigen Wortanfänge, wozu ist das gut und wer sagt so etwas? Sicher eher Platoniker als Idealisten, oder waren es doch die Konstruktivisten (lol)?

„… erhält eine spezielle Optik“ – ein Wortwitz für das jüngere Publikum. Wahrscheinlich als Ausgleich für das ich-verkrieche-mich-ins-loch-und-niemand-darf-von-meiner-willensschwäche-erfahren-Gefühl, denn sich dieses Produkt aufschwatzen zu lassen, dürfte auf einen heranwachsenden kool-savas-hörenden-und-dauer-gechillten hormongesteuerten Halbwüchsigen ungefähr so wirken wie als ob die Mutter mit Milch und Keksen ins Zimmer platzt, wenn man zum ersten Mal … - ihr könnt es euch aussuchen.

Naja, Suggestion ist die Macht des Wortes, ob in der Werbung oder in der Kirche oder in der Politik oder in den Medien oder, oder, oder. Schön ist jedenfalls die einfache Anwendungsbeschreibung. Schlicht und setzt sogar das Wissen voraus, dass man die ‘Speziallotion‘ sich nicht ins Gesicht, sondern auf seine Schuhe schmiert.

So, nun benutze ich also CCRN seit ca. 8 Monaten und habe es - trotz einiger kurzer Überlegungen - nur auf meine Schuhe gestrichen. (‘Gekleistert‘ wäre wirklich abwertend, aber ‘aufgetragen‘ suggeriert ‘einfach‘ gibt nicht die ein aufgebrachte Mühe wieder, meine Schuhe damit zu ‘lotionieren‘. Jedenfalls nicht meine Überwindung, es doch hin und wieder zu tun, um nicht das schlechte Gefühl eines Fehlkaufes ertragen zu müssen!)

Zu meinem Erstaunen und wahrscheinlich entgegen der Erwartungen der Leser, die den Quatsch bis hierhin wirklich gelesen haben und nun auf eine vernichtende Kritik lauern, hat das Zeug erstaunlich gut gewirkt. Jedenfalls bilde ich mir das ein. Und nun begreifen Sie vielleicht das Dilemma, in dem ich stecke …
Wie hätten die Schuhe ohne CCRN ausgesehen? Bin ich nur aufmerksamer gewesen, doch weniger zu Fuß gelaufen oder habe ich lediglich weniger Schien- wie Tischbeine getreten als sonst? (Das letzte halbe Jahr war sehr harmonisch!)
Ich habe einfach kein Referenzobjekt. Um wirklich empirisch zu untersuchen, hätte ich an denselben Tagen denselben Weg zur selben Zeit gehen müssen, um zu wissen, ob es CCRN oder doch die guten, widerstandfähigen neuen Fettlederschuhe, die aus der sie-wissen-schon-woraus-Sache gefertigt wurden, waren.


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Mein Fazit


Worum geht es hier eigentlich???

Soll ich nun CCRN empfehlen? Meine Schuhe sind sauber, aber wie kann ich beurteilen, ob es CCRN war? Bin ich nicht meinen eigenen Suggestionen unterlegen, Suggestionen, die sich aus Produktversprechungen ergeben, denen man folgt, ohne zu wissen, was man da eigentlich vor sich hat?

Vielleicht ist der Inhalt nur ein uraltes, in Vergessenheit geratendes Hausmittel, das aus Pferdekot und Mandelkernen besteht? Oder doch ein in Indien hergestellter Lack, der auf Kosten einiger Hindu-Kühe zustande kam? Ich bin kein Buddhist, aber wie viele Dinge haben wir, die keinen wirklichen nutzen haben? Heute schon mal in den Schrank geschaut?

Nein, ich bin kein Missionar! Ich empfehle einfach - trotzdem - dieses Produkt!!! Aus welchen Gründen? Nun, einmal bin ich fest davon überzeugt, dass man sich selbst auch einmal widersprechen sollte und zum anderen: wenn CCRN vielleicht die Eigenschaft hat, Gedanken über Hindu-Kühe und Heidegger zu evozieren, ja Einsichten in eigene Handlungsmotivationen auslösen kann, ja dann, dann kann es ja nur für jeden förderlich sein. Dann stimmt das Preis-Leistungsverhältnis und ich kann es weiter empfehlen!


Dieser Bericht umfasst eigentlich 1.363.000 Wörter, die jedoch nur zum Teil verschriftlicht wurden.


Vielen Dank für Eure Lesungen und Nichtlesungen.