Stimmen in der Nacht (Taschenbuch) / Laura Brodie Testbericht

ab 7,03
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Erfahrungsbericht von LilithIbi

"Was war ihr Leben anderes als eine Anzahl abschreckender Beispiele?"

Pro:

wendungsreich, überzeugend, authentisch, rundum-Blicke, intensiv, spielt mit dem Leser

Kontra:

schießt zwischendurch leider etwas über das gut gemeinte Ziel hinaus

Empfehlung:

Ja

„Wenn ich mit der Highschool fertig bin, möchte ich frei sein. Frei von der Gefangenschaft in diesem Gebäude. Frei von der Enge der Kleinstadt, wo alle über die Angelegenheiten ihrer Nachbarn reden. Frei von den Blicken der Lehrer, Eltern und Fremden, die zu wissen glauben, was in meinem Kopf vor sich geht, obwohl sie gar nichts wissen. Ich möchte irgendwo hingehen, wo ich keine Vergangenheit habe und wo keine Erwartungen auf mir lasten. Ich möchte noch einmal ganz von vorne Anfangen.“
(Zitat, S. 147)

Jene Zeilen, die die 15jährige Maggie verfasst, könnten ebenso gut aus der Feder vieler erwachsener Menschen stammen. Der einzige gravierende Unterschied mag sein, dass Maggie im Alter von 5 Jahren Zeuge wurde, wie ein Dreiergespann Studenten ~ Jacob, Kyle und Sandy ~ ihre Mutter Emma Opfer blutiger Gewalt werden ließ. Der Versuch, die aufsässigen Halb-Erwachsenen von ihrem Grundstück zu verbannen, eskaliert aufgrund dessen, dass es immer weniger Respekt, Anstand und Gerechtigkeitssinn zu geben scheint ~ ein Umstand, den das 334seitige Drama

“Stimmen in der Nacht“

in mehreren Facetten wie Gelegenheiten immerfort aufgreift. Die erschreckende Entwicklung, dass die Atmosphäre im Klassenzimmer zunehmend als bedrohlich empfunden werden kann, Gewalt gegen Polizisten, Politiker oder gar Ärzte, die nicht das gewünschte Medikament verschreiben wollen... all dies wird wie nebenbei in die Erzählung eingewoben, während der Leser vorrangig an Maggies Leben teilhaben darf.

Jene befindet sich noch lange nach der Tat-Nacht in therapeutischer Behandlung, wird von ihrem Vater über-vorsichtig umsorgt und hat doch gewisse schulische Probleme, die sie selbst nicht so recht einzuordnen weiß. Durch immerwiederkehrende Alpträumen nähert sich nicht nur der Leser, sondern ebenso Maggie Stück für Stück dem, was genau in der fraglichen Nacht geschehen ist. Löblich hieran durchaus, dass die Geduld des potentiell Interessierten nicht überstrapaziert wird, man sich nicht mehrfach durch ein und die selben Szenen lesen muss sondern die Neugierde respektive Wissbegier nach und nach gestillt wird.

Bemerkenswerterweise behandelt _„Stimmen in der Nacht“_ nun nicht die schwierige Rehabilitation von Maggie, verzichtet vielmehr auf den Fokus eine 1-Personen-Schicksals und blickt bei fast jeder betreffenden Person hinter die Kulissen, um den Leser stellenweise eiskalt zu erwischen. Mitgefühl, Schrecken, Betroffenheit wie auch Wut sind die Emotionen, die die Lektüre während des gefesselten Leseprozesses in mir auslösten.

Generell gestaltet sich das Buch Dank des packenden Schreibstils hochgradig spannend, gipfelt sodann in einer Wendung, die mir persönlich den Unterkiefer förmlich aushakte. Meiner Vermutung nach wird mit eben jener Offenbarung niemand wirklich gerechnet haben können, stellt Laura Brodie's Schreibkunst ein phänomenal gelungenes Spiel mit den leserlichen Interpretationen dar.

Jener Effekt wiederholt sich in dem Buch erneut, ohne hierbei auch nur einen Hauch „zu dick aufgetragen“ zu wirken ~ gleichermaßen schmerzen diverse Passagen unsagbar, gehen unter die Haut und hinterlassen Spuren wie eine zusätzliche Sicht auf die Dinge, die sich am Tag X zugetragen haben.

Erfreulich ebenso, dass die mannigfaltigen Rückblicke sich keineswegs störend auf den Lesefluss auswirken, wenngleich „Stimmen in der Nacht“ zwischenzeitlich ein wenig zu sehr über den Tellerrand hinauszuschauen droht. Ob es unbedingt notwendig gewesen sein mag, seitenweise Erzählungen über diverse Gewaltversuche in Frauenhäusern etc. pp. Zu präsentieren, sei einmal dahingestellt ~ der Langatmigkeit kommt dieser Aspekt tragischerweise minimal zu Gute.

Vielmehr unglücklich stimmte mich jedoch der Versuch, welcher Märtyrer-hafte Persönlichkeit Emma rückblickend eingeimpft werden sollte. Für meinen Geschmack schoss die Verfasserin hierbei ein wenig über das wohlgemeinte Ziel hinaus, überzeichnete sie die Charakterbeschreibung der Dozentin so sehr, dass diese Gefahr läuft, vom Leser als tendentiell unsympathisch eingestuft zu werden.

Im Gegenzug dazu steht die Frage nach Schuld, Reue, Vergebung, Vergessen-können, nach-vorne-blicken, Neubetrachtung und „profanes“ Verarbeiten-können ganz oben in der Thematik, während der erhobene Zeigefinger dann und wann eher vom äußersten Rande als „hallo-wach“ Effekt statt belehrendes Mahnmal angesehen werden darf.

Summa summarum


klebte ich bei diesem Roman förmlich an den Zeilen, ließ mich allzu gerne mitreißen und immer wieder überraschen, worüber hinaus mittelschwere Schock-Effekt ebenfalls ihren Platz fanden. _„Stimmen in der Nacht“_ berührt mehrere Facetten im leserlichen Gefühl, stellt den Leser immer wieder auf die neue Probe ob seines Urteilsvermögens. Dass vieles nicht immer so ist, wie es auf den ersten oder gar zweiten Blick zu sein scheint, beweist die Lektüre aufs raffinierteste.

Der meinerseitige Punktabzug basiert demnach lediglich darauf, dass _„Stimmen in der Nacht“_ zwischendurch nicht umhin kommt, durch allzu fürsorglich gemeinter Rand- wie Runduminformationen über Maggies Mutter Emma ein wenig Langatmigkeit zu präsentieren, die meines Empfindens nach den erzählerischen Rahmen sprengt.

Nichtsdestominder endet meine Berichterstattung mit einer eindringlichen Empfehlung (nicht nur) für all jene, die sich während wie auch im Lektüren-Anschluss gerne mit ihrer eigenen Emotionen befassen, ohne hier je zu einem endgültigen Ergebnis gelangen zu müssen.

23 Bewertungen, 4 Kommentare

  • XXLALF

    16.01.2013, 22:25 Uhr von XXLALF
    Bewertung: sehr hilfreich

    und liebe grüße

  • Clarinetta2

    16.01.2013, 14:32 Uhr von Clarinetta2
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr gut vorgestellt

  • katjafranke

    16.01.2013, 11:10 Uhr von katjafranke
    Bewertung: sehr hilfreich

    Würde mich freuen über deine Gegenlesung. Viele liebe Grüße von KATJA

  • mausi1972

    16.01.2013, 11:01 Uhr von mausi1972
    Bewertung: sehr hilfreich

    Grüße Marion