Final Cut (Taschenbuch) / Veit Etzold Testbericht

Final-cut-taschenbuch
ab 10,28
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Summe aller Bewertungen
  • Niveau:  sehr anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  kein Humor
  • Stil:  ausschmückend

Erfahrungsbericht von LilithIbi

„Lebenszeichen, auch wenn man tot ist.“

4
  • Niveau:  sehr anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  kein Humor
  • Stil:  ausschmückend
  • Zielgruppe:  Männer

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

„Carla atmete durch und betrat das Schlafzimmer.
Gestern war ein besonderer Tag gewesen.
Gestern hatte sie wieder daran gedacht, dass sie vor zwanzig Jahren an genau diesem Tag ihre kleine Schwester zum letzten Mal gesehen hatte.
Gestern hatte sie zum ersten Mal Post von einem Killer bekommen, an sie adressiert.
Und gestern hatte sie zum ersten Mal einen Mord auf CD-Rom gesehen.
Doch was sie jetzt sah, war jenseits von allem, was sie erwartet hatte.“
(Zitat, S. 107)

Der Autor Veit Etzold ist niemand, von dem ich persönlich jemals zuvor etwas gehört hatte, bevor ich mich an die Lektüre des beinah durchgehend spannenden 447seitigen Thriller

===“Final Cut“=== begab. Jenes Buch las ich binnen zweier Tage durch, vollends gefesselt und immer wieder überrascht, wie rigoros es möglich sein sollte, Dinge, die man so oder so ähnlich schon fast zur Genüge gehört hat (oder doch eher nie zur Genüge hören kann?), in nahezu meisterhafter Manier atemberaubend aufs Papier zu bannen.
Der Klappentext der imposant gestalteten Taschenbuchs fasst sich kurz, führt ein wenig in die Irre und stellt dennoch ungefähr den Kernpunkt dar, dem sich der Serienkiller in den Plot bedient.

Die eigentlichen beiden Handlungsstränge kristallisieren sich in den drei Buchteilen BLUT, FEUER und TOD nach und nach heraus, verschmelzen bereits auf S. 98 miteinander und sorgen somit dafür, dass der Leser sich selbst ohnehin nicht entscheiden könnte, welche Entwicklung er vorrangig verfolgen wollen würde:
Obzwar es in erster Linie um den Serienkiller geht, der Hauptkommissarin Clara Vidalis eine CD-ROM mit dem aufgezeichneten Mord an der jungen Jasmin zuschickt und von Anfang an auf eine Verbindung angespielt, die zusätzliche (An)Spannung verursacht; so konnte ich für meinen Teil es ebenfalls kaum erwarten, zu erfahren, was es mit dem absonderlichen Live-Casting-Show „Shebay“ auf sich haben würde, die der Medienmogul Albert Torino ins Leben ruft.

Ohne allzu viel von den mannigfaltigen Überraschungen vorwegzunehmen, die „Final Cut“ parat hält, kann ich meines Erachtens nach ausführen, dass „Shebay“ genau das sein soll, was der Name vermuten lässt: in einer Casting-Show geht es darum, die ansprechendste Frau auszuwählen, worüber der Zuschauer am heimischen PC gegen eine Gebühr in Höhe von 10Euro mit-entscheiden kann. Die Gewinnerin kommt nicht nur groß raus, sondern „darf“ obendrein mit einem der Zuschauer den Paarungsakt zelebrieren.... von nichts kommt bekanntlich nichts. Wie viele zwielichtige Zuschauer jenes Versprechen anlocken wird, gibt dem Macher der Sendung naturgemäß lediglich dahingehend zu denken, inwieweit das Ganze anwaltlich abgesichert sein kann.

Durchaus liegt auf der Hand, dass die Serienmörder-Thematik vom Verfasser nicht nur großflächiger behandelt wird, sondern ebenfalls die blutigere Variante der beiden Entwicklungsverläufe darstellt, wenngleich letztgenanntes ebensowenig vor einer nicht zu verneinenden interpersonellen Grausamkeit zurückschreckt.

Zartbesaitete Bücherwürmer sollten meiner Vermutung nach ihre Augäpfel nahezu völlig von der Lektüre lassen, während ich andererseits der Meinung bin, dass man gar nicht deutlich genug sagen kann, welcher Gefahr man sich durch leichtfertige Leichtsinnigkeit tagtäglich aussetzt und wie einfach es ist, jemanden, der bereits tagelang unentdeckt tot in seiner Wohnung liegt ist, virtuell am Leben zu erhalten.
Treffsichere Passagen wie

„Die Menschen reden nicht mehr miteinander, sondern mit Webseiten, sie treffen sich nicht mehr, sondern tauschen sich über soziale Netzwerke aus. Sie setzen sich Reizen aus, die auf die gleichen Nervenbahnen im Hirn einwirken wie Nikotin und Kokain. Elektronische Drogen. 60 Milliarden E-Mails werden täglich weltweit verschickt, eine digitale Kakophonie der Kommunikation, die die Lebenswelt der Menschen immer mehr aus der Wirklichkeit in eine künstliche Welt aus Bits und Bytes verlagert. Frühere Endgeräte musste man mittels klobiger Knöpfe bedienen, während die heutigen iPhones und iPads gestreichelt und liebkost werden wollen wie eifersüchtige Geliebte, die niemanden neben sich dulden.“
(Zitat, S. 16)

finden sich meiner Erfahrung nach in der letzten Zeit in vielerlei Veröffentlichungen, werden zum Gegenstand manches Horrorszenarios gemacht und bilden nicht allzu selten die Art Umstand, die sich der jeweilige Täter zu Nutzen macht. Auch Veit Etzold spielt in „Final Cut“ darauf an, wie sehr der durchschnittliche User sich selbst zum Köder macht, der allzu bereit seine Zeiten der Abwesenheit und privateste Gewohnheiten ins Netz stellt. Nichtsdestominder treffen die Formulierungen wie Ausführungen des Autoren tief ins Mark, während die nachzulesende Leichtsinnigkeit des 31jährigen Jakob mir als Leser beklemmende Kopfschmerzen verursachte. Spätestens in diesen Kontext fällt auf, dass „Final Cut“ sich eines gewissen Anspruchs bedient, spezielles Vorwissen erfordert und gerne Fachausdrücke benutzt, die zum Teil im direkten Satzanschluss erklärt werden. Wie nebenbei lernt der bis dato unwissende Leser, was sich hinter der Bezeichnung (bzw. der erschreckenden „Tugend“) „Giftgiver“ verbirgt, erfährt genaueres über die Begriffe „Sub“, „Bottom“, „Doms“ oder „Tops“. Und das alles auf einer einzigen Buchseite.

„Snuff“ bzw. „Tiersnuff“, „Päderast“ wie auch „Happy Slapping“ hingegen sind Begriffe, die der Thriller-Interessierte zumindest schon einmal gehört haben sollte, um sich auszumalen, was in dem Buch an Brutalität auf einen zukommt.
Dass sich die Lektüre an Erwachsene (bzw. gereifte Interessenten) richtet, wird spätestens dann klar, wenn man sich durch akribische Beschreibungen der Laborarbeit liest. Generell tat sich in mir über kurz oder lang das Gefühl auf, in Veit Etzold eine Person entdeckt zu haben, der TV-Formaten wie „CSI: LV“ zumindest nicht völlig abgeneigt zu sein scheint. Dort wie auch in diesem Buch liegt das Gewicht stark auf der Ermittlungsarbeit, der Nachforschung, der Untersuchung wie der zum Teil umfangreichen Erklären, wie die Spurensuche von statten geht. Insbesondere die Obduktion von Käfern ist es, die mich persönlich an den CSI-Charakter Gil Grissom denken ließ.
Was in der Tat keine Kritik sein soll ~ vielmehr freut dieser erzählerische Schwerpunkt sicherlich diejenigen, die über Thriller, in denen der Fokus die Polizeiarbeit lediglich streift, eher ein wenig enttäuscht wären.

Absonderlicherweise bedient sich der Autor zugleich eines leicht verständlichen Schreibstils, der zum einen die Schwere durchaus aufzulockern versteht, zum anderen jedoch stellenweise in mir für Irritation führte. Fakt ist, dass im Einzelfall fast schon wieder zu viel nach-erklärt wird; Zusammenhänge, die der Leser an für sich bereits begriffen haben sollte, werden nochmals unter die Lupe genommen und zerpflückt. Es wirkt, als wollte der Verfasser sicher gehen, dass auch wirklich jeder Leser verstanden hat, dass derjenige welche, der erneut jemanden mit einer Injektionsnadel betäubt, fürwahr derselbe ist, der zuvor seelenruhig in der Wohnung vereinzelter Opfer wartete (Facebook sei Dank ist es in der Tat kinderleicht herausfindbar, wie lange manche „Freunde“ ihren Wohnort verlassen).

Ich bin mir nicht sicher, ob der stetig explizite Passagen-Abschluss-Hinweis aka „ein Brille mit einem Rahmen aus mattem Edelstahl“ quasi „für Dumme“ platziert wurde, oder eher eine Art Stilmittel des Autors darstellen soll ~ ähnlicher Natur, wie John Carpenter als Leitmotiv stetig das „Halloween-Theme“ erklingen lies, wenn Michael Myers auf dem Bildschirm erscheint.
So oder so: es fällt schwer, bei jener Zeile umhin zu kommen, diabolisch-vorfreudig noch gefesselter auf die Buchseiten zu blicken.

Dadurch jedoch, dass an anderer Stelle hochtrabende Theorien über christliche Rituale abgehalten werden, spitzfindige Analysen über die Beweggründe von Serienmördern wie Triebtätern allgemein ihren Platz finden und nicht zuletzt der Autor sich manchesmal dazu verleiten lässt, vor sich hinzuphilosophieren, wirkt der Thriller in der literarischen Umsetzung ein wenig unausgeglichen. Kurzweilige Langatmigkeiten in meinem Empfinden lassen sich somit kaum vermeiden, was den hohen Lesegenuss im Gesamtwerk jedoch nur geringfügig zu schmälern vermag.

Besonders erwähnenswert nicht zuletzt, dass der Leser bereits in der zweiten Buchhälfte um den Täter Bescheid weiß, sich dessen Motive nach und nach aufzudröseln beginnen. Der Blick in die Kindheit des Killers mag ein wenig klischeebeladen sein, geht dennoch zweifellos an die leserliche Substanz und impft nicht zuletzt in einer weiteren verstörenden Offenbarung eine unweigerliche (wenn auch negativ gefärbte) Bewunderung für den Protagonisten ein.

Weiterhin besticht die Lektüre durch diverse provokante Denkanstöße, bezüglich derer ich persönlich mich nicht entziehen konnte, anschließend noch eine Weile darüber zu sinnieren:

„Der Grund, weshalb es keinen weiblichen Michelangelo und keinen weiblichen Mozart gibt, ist der, dass es auch keinen weiblichen Jack the Ripper gibt“
(Zitat. S. 283)

sowie

„...und fragte sich gleichzeitig, was denn nun wirklich sadistisch war. Einen Mord zu zeigen, den niemand erwartet, oder einen Mord_ nicht zu zeigen, den alle erwarten?“
(Zitat, S. 290)

De facto geht „Final Cut“ spürbar unter die Haut, frisst sich regelrecht ins Hirn des Lesers und sorgt oftmals für die Art Unwohlsein, die sich manch einer gar nicht entziehen will. Der Sog, der von der Lektüre ausgeht, ist unbestreitbar; während ich dem Thriller gleichermaßen zu Gute halten will, dass trotz kleiner Vorhersehbarkeiten der brachiale Überraschungseffekt dennoch überzeugend auf mehrere, kleinere Details gelegt wurde.
So innovativ, wie Veit Etzold es dem Leser auf S. 397 befindliche Detail bezüglich dessen weismachen will, ist jene „Idee“ zwar nicht (Stichwort „Untreaceable“), ihre Wirkung verfehlt dieser Einschlag nichtsdestominder keineswegs.

Großartig wie beeindruckend durchaus das extensive Fachwissen, welches der Autor in sein Werk einfließen lies. Fachlich-sachliche Hintergründe, Kontext und Absichten nicht nur der Menschen, sondern ebenso technischer Ausgefeiltheiten werden derartig imposant auf den Punkt gebracht und ans Tageslicht befördert, dass man hier und dort nur staunen kann. Ob es um den Google-Server geht, der in der Antarktis steht (Kühlung für lau!), das Verschlüsselungsprinzip einschlägiger Pädophilie-Webseiten, chemische Verbindungen oder obduktionsbezogene Details.... Veit Etzold hat seine Hausaufgaben nicht nur gemacht, er scheint vollends von diesen Dingen fasziniert oder gar nur verstört zu sein. So sehr, dass sich dies auf den Leser überträgt, der oftmals nicht wissen wird, ob manches ihn ausnahmslos erschüttern oder doch eher auf hinterrückse Art imponieren soll.

===Summa summarum=== basiert der von mir vorgenommene Punktabzug in der meinigen Bewertung, dass „Final Cut“ sich trotz der meinerseitigen Begeisterung zwischenzeitlich immer wieder etwas zähflüssiger las. Manche Fortgänge lassen meines Empfindens nach etwas zu lang auf sich warten, zumal der Leser an eben jener Stelle bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ahnt, dass jene Dialoge im Grunde genommen nur Zeitverschwendung sind.
Durch die Bank gelungen durchaus ebenfalls der Epilog, der eine weitere Gänsehaut nach sich zieht und nicht nur dem Ermittlerteam das Blut in den Adern gefrieren lässt.... doch um den marginalen Punktverlust kommt „Final Cut“ schlussendlich nicht herum, da ich persönlich schlicht und ergreifend (noch) bessere Bücher lesen durfte.

28 Bewertungen, 8 Kommentare

  • Baby1

    03.08.2012, 02:14 Uhr von Baby1
    Bewertung: sehr hilfreich

    .•:*¨ ¨*:•. Liebe Grüße Anita .•:*¨ ¨*:•.

  • morla

    02.08.2012, 23:40 Uhr von morla
    Bewertung: besonders wertvoll

    lg. ^^^^^^^^^^^^petra

  • XXLALF

    02.08.2012, 22:49 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    ....und einen schönen abend

  • sirikit06

    02.08.2012, 22:48 Uhr von sirikit06
    Bewertung: besonders wertvoll

    Wünsche Dir einen schönen Abend! LG

  • Sunny_993

    02.08.2012, 15:47 Uhr von Sunny_993
    Bewertung: besonders wertvoll

    Gern ein BW und liebe Grüße.

  • sigrid9979

    02.08.2012, 13:41 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße Sigrid.........

  • atrachte

    02.08.2012, 13:12 Uhr von atrachte
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh. lg

  • anonym

    02.08.2012, 11:43 Uhr von anonym
    Bewertung: besonders wertvoll

    BW und einen schönen Tag noch