Angst - Lacrimosa Testbericht

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- Cover-Design:
- Klangqualität:
Erfahrungsbericht von LilithIbi
Ein Gefühl, welches das Dasein bestimmt....
Pro:
-
Kontra:
-
Empfehlung:
Ja
Einige Menschen schämen sich, dass sie welche verspüren - vor welchen Dingen und aus welchen Gründen auch immer.
"Lacrimosa" kennt nicht nur das Innere, sondern widmet den verschiedenen "schlechten" Gefühlen gleich ganze Alben.
Angst und Liebe, Leben und Einsamkeit, gut und böse, hell und dunkel - all das steht dich beieinander; und sollte ruhig beim Namen genannt, und nicht immer "versteckt" werden.
Mit dem 1991 erschienenen Album "Angst", welches für ca. 23 DM bei "Amazon" sowie für ca. 18 bei "InfraRot" zu kaufen ist, beginnt "Lacrimosa", dem Hörer aufweckende und vor allem ehrliche Texte zu vermitteln - präsentiert durch die eindringliche Stimme Tilo Wollfs sowie Musik, die nicht einordbar in je dagewesene Kategorien ist.
Das Ciao Mitglied Black-Rose hat hierzu gemeint, es wäre eine "Mischung aus Darkwave, Gothic und Klassik." - dem möchte ich hiermit zustimmen.
Aber eigentich reicht es auch zu sagen, dass jedes einzelne Stück berührt und wirkt - selbst wenn man sich nicht mit allen identifizieren könnte.
Ich jedoch finde mich in fast jedem song wieder......
//DIE SONGS//
01. "Seele in Not" (9:21 min)
Die Einleitung in das Album "Angst" besteht aus einer düsteren, eindringlichen Orgelmusik, welche von einer Art "Kreischen", dass immer lauter zu werden scheint, begleitet wird - so steigert sich die Spannung des Zuhöres aufs unermessliche, bis nach ca. 3 Minuten der Text beginnt.
Im dem song geht es um die persönliche Verzweiflung, bildlich ausgedrückt in ein Schiff, das längst gesunken ist, und von anderen auch nicht gerettet wird.
"Eine leere Flasche / und ich sterbe vor Durst" - Sehnsucht, Gier nach etwas; nach dem Leben?
Oder eher nach dem Tod?
Denn beinahe vorwurfsvoll klingen die Zeilen "Doch ich lebe / ich lebe immer noch / ich lebe / als eine Lüge", fragend die Worte "verloren wenn wir sterben / verloren an was?".
Die Liebe wird als "eine Illusion" bezeichnet - der Angesprochene "tanzt in Eitelkeit".
Vermutlich ist sich der Angesprochene der Liebe sicher, interessiert sich aber weiter nicht dafür während der Sänger "Blind vor Schmerz / taub aus Liebe" ist; und nicht fähig ist den Satz "ich liebe dich" zu sprechen.
Dies alles gibt ihm anlass, die Erinnerung zu verfluchen und sie weit fortzuschicken - "Sie legt sich in mein Grab und wärmt für / mich den Sarg".
Er hat genug von der falschen Erinnerung, die immer nur alles in den schönsten Farben erscheinen lässt; denn "Gemalte Bilder schmeicheln nur / denn wer mal schon was so hässlich ist?"
Kurz und gut: sehr eindringlicher song, besonders für die, die gerade mal wieder festgestellt haben, dass Schmerz und Liebe dich beieinander liegen - wie z. B. auch "Die Ärzte" in dem Song "Liebe und Schmerz" gesungen haben; wenn auch nicht so anklagend verpackt.
02. "Requiem" (9:51 min)
"Requiem" wurde nicht einheitlich auf deutsch gesungen, sondern wird zudem ausgefüllt bzw. vervollständigt durch die lateinischen Worte "in nomine Patris, filii et spirituus sancti - Amen".
Dieser umstand wirkt aber keinesfalls befremdlich, sondern passt wunderbar zu den schwermütigem Klavierspiel, welches "solo" den song einleitet.
Der Text beginnt wieder recht spät; wodurch jedoch eine perfekte musikalische Einstimmung geschaffen wird. Nach ca. 2:50 Minuten erfolgen die einführenden Worte
"Als die Sonne den Tag verliess / den Finger am Abzug / die Füsse im Dreck" die gleich zu Anfang klarstellen: hier fühlt sich jemand am Ende seines Lebens, von Dreck beschmutzt (ähnlich wie in auch in dem song "Stolzes Herz", in dem es heisst "aufzustehn noch aus dem Dreck / tief beschmutzt doch stolz im Herz"), vielleicht gar selbst wie Dreck auf Erden.
Der "Finger am Abzug" macht klar - hier soll es so nicht weitergehen - eigentlich überhaupt nicht weitergehen.
"Die Zukunft voller Angst" - so kann es nicht weitergehen.
Er fleht "lasst mich leben" - wer aber meint, er sehnt sich doch nach dem Leben, will nicht sterben, liegt hier falsch.
Denn auf dieses flehen folgt die Bitte "Nur diesen Augenblick / Nur noch einen Moment / Dann nehmt mich mit".
- Oder will er letztendlich doch noch einen Aufschub erwirken, weil ihn doch noch irgendetwas ans Leben hält; auch wenn er selbst nicht weiss, was?
Nein, er nimmt hier Abschied von allem - fragt sich "Wer schickt nach mir? / Ich bin doch nicht blind / und doch, ich kann nichts mehr sehen / es ist soweit habe ich recht?"
- Auch er ist blind gegenüber gewisser Dinge geworden; hat zu oft die Augen geschlossen, bis sich seine Seele dran gewöhnt hat, einfach nichts mehr wahrzunehmen.
Einzige Rettung, dem Teufel der Ignoranz zu entgehen ("Ich komme zurück zu euch / aber niemals zum Teufel"): der Weg in den Tod.
Ein Schuss ertönt - daraufhin setzt eine heitere Drehorgelmusik ein, die auch auf dem Nachfolgealbum "Einsamkeit" mehrfach auftaucht.
Hierdurch findet das Stück seinen dramatischen, beinahe ironischen Ausklang - doch ist es nicht so, dass das Leben der anderen heiter weitergeht, egal was der einzelne tut?
Selbst die anklagenden, ängstlichen, panischen Fragen "hört mir noch jemand zu?" wurden ignoriert - und vermutlich wird auch den "gewählten Ausweg" niemand verstehen wollen.
03. "Lacrimamosa" (5:17 min)
Hierbei handelt es sich um ein rein musikalisches Stück, was anscheinend von mehreren Klavieren gespielt wurde.
Auf mich persönlich wirkt es weder besonders bedrückend, noch irgendwie gegenteilig.
Finde ich persönlich also nicht unbedingt empfehlenswert.
04. "Der Ketzer" (7:22 min)
In diesem song steht der Papst eindeutig unter Anklage.
Zeilen wie "Mit gespaltener Zunge / tröstest du die Armen / arm, weil du ihr Geld stahlst / ... / Unser Papst auf Erden / Dein Name vergehe / Dein Wille ist des Satans / Dein Reich ist die Hölle"
sprechen für sich.
Auch wenn es hier heisst "wir vergeben deinem Fleisch", wird dem Papst blanker Hass entgegengebracht; jedoch wird hierfür um Verzeihung gebeten; denn "ich weine um deine Seele".
Mitleid mit dem Papst, weil dieser gar nicht erkennt, dass er "Satans Wille" erfüllt, "des Satans Diener" ist?
Die Begleitmusik gestaltet sich durch gelungene Abwechslung von Gitarre, einer vorsichtig eingesetzten Drehorgel, Schlagzeug, wolfsähnlichem Heulen und wieder intensivem Orgelspiel; welches dramatisch und beinahe bedrohlich wirkt.
Der Chor, der die Zeilen "Deinem Blut - des Fleisches Kraft" immer wieder wiederholt bewirkt bei mir manches mal eine Gänsehaut, was durch das abrupte Ende des songes noch bestärt wird.
Auf mich persönlich macht der song bzw. die Musik ein wenig den Eindruck, als wäre daran etwas "falsch", als ob irgendwas nicht richtig zusammenpasst.
Da aber auch der Papst mit seiner "Allmacht" und sein Tun nicht richtig zusammenpasst, bildet dieser Aspekt widerrum eine besondere Genialität.
05. "Der letzte Hilfeschrei" (5:21 min)
Der für mich "beste" track auf dem Album.
Schon die ersten Zeilen berühren mich zutiefst, erinnern mich an mich selbst - halten mir einen Spiegel vor.
"Wochen und Monate verstreichen / und die Einsamkeit steht mir bei" - nichts ändert sich je, auch wenn dies "der Alptraum meines Daseins" ist.
Was anfänglich eher langsam, aber mit kraftvoller Stimme gesungen wird, wandelt sich bei den Zeilen
"Alleine - vergessen - abgeschoben ins Exil / Keine Liebe, Wärme, Hoffnung / nur die Sehnsucht brennt in mir /Ich hör nur Stimmen und Geschwätz / doch keiner redet je mit mir / Ich will hier raus - ich will hier weg
/ Ich weiss nicht mal was mir fehlt / Ich bin gesund" in einen schnellen, sehr anklagenden, aber auch verzweifelt, ängstlich wirkenden Ton des Sängers.
- Ist es nicht so, dass selbst wenn sich jemand mit einem unterhält, kaum wirklich richtig GEREDET wird; sondern wirklich nur der "Unterhaltungswert" zählt?
- Wer hört schon zu, wenn es mal nicht um das heitere Dasein geht, sondern um die Ängste und Sehnsüchte?
Wer sich "zuviele Sorgen" macht, die Welt in den Augen anderer "zu düster" sieht, wird schnell als "bescheuert", "krank" abgestempelt - da kann man so laut ein verzweifeltes "Ich bin gesund!" schreien, wie man will.
Dann steht man ganz allein da, fragt sich
"wo sind die Menschen, die mir ihre Liebe versprachen / ... / wo sind meine Freunde, die zu mir standen?/ ../ Haben sie mich alle vergessen?"
Diese Angst, die sich leider viel zu oft bestätigt und zunimmt, wächst schliesslich in die blanke Panik
"Kann mir denn keiner helfen?"
Neben der Angst, dass es keiner kann steht die unausgesprochene Gewissheit, dass es eben einfach keiner will......
Selbst in einer Irrenanstalt, in die manche abgeschoben werden, wird einem nicht geholfen - wieder fragt man sich "wo ist der Doktor?" denn nicht mal er will helfen, tut dies vermutlich, wenn überhaupt, nur des Geldes wegen.
Die am Ende des songs eindringlichen Schreie
"Ich brauche Hilfe! / Ich bin allein! / Ich habe Angst / Ich bin so allein / ich hab Angst / ich hab Angst"
laufen wiedermal ins Leere- auch hier hört keiner hin, schliesslich ist man ja "irre" - und die soll man bekanntlich "einfach lassen".
Der Herzschlag, der neben dem elektronischen Pulsschlag von Anfang an den track begleitet, endet in der "flatline" - ob das jemanden interessiert........?
06. "Tränen der Existenzlosigkeit" (10:40)
Ein song, der das baldige Ende des "lebens", sofern es die Existenz als solches je gegeben hat, umschreibt.
"Mein Geist will sich mir verschliessen / Mein Herz ist verhungert / meine Seele blickt mich fragend an" - die Seele sucht krampfhaft nach etwas, was dem Weiterexistieren noch einen Sinn geben könnte, schlägt vor "Lasst uns tanzen / ... / lasst uns einfach nur glücklich sein".
Dabei weiss sie jedoch: "doch niemand wird mich hören"; denn "wer soll mich denn auch hören? / ich bin doch ganz allein!"
Selbst wenn tagsüber gelacht und gespielt wurde - nachts, wenn die Dunkelheit alle Vögel verschluckt hat, dann trat das wahre ich in den Vordergrund; der Mensch, der sich durch seine ewige Masken, die er trägt, manches mal zum Clown macht, sitzt da und weint.
"Später wollte ich Schönheit schöpfen" - später.
Warum später, warum nicht jetzt?
Weil es jetzt einfach nicht möglich ist?
Warum sollte es dann "später" möglich sein?
Vermutlich nicht - und diese Erkenntnis führt zu folgendem:
"Bereit zu sterben" und vor allem auch "bereit mich selbst zu vergessen".
Denn dann muss man die Schande, die das eigene Dasein mit sich führte, nicht noch mit in den Tod nehmen - und wenn ich mich selbst vergesse, "so hat es mich nie gegeben" - die anderen haben mich ja eh nie wirklich wahrgenommen........
//DAS BOOKLET//
Hierzu gibt es eigentlich nicht viel zu sagen, ausser das lediglich die songtexte abgedruckt wurden - auch wenn im Endeffekt Kleinigkeiten verändert wurden - so steht z. B. zu song no. 5 im Booklet "Ich habe Angst! / Hilfe!" wobei auf der Cd schliesslich dieses "Hilfe" weggelassen wurde.
Dieser Umstand taucht allerdings nicht nur bei "Lacrimosa" auf, auch bei anderen Bands ist dies dann und wann der Fall.
Fotos oder Zeichnungen befinden sich bei "Angst" nicht im Booklet - es beschränkt sich also ausschliesslich auf das Wesentliche, lenken von der Aussagekraft der einzelnen Texte also nicht unnötig durch Konzertfotos etc. ab.
//FAZIT//
Zum guten Schluss bleibt mir zu sagen, dass das Album "Angst" sehr gelungen wirkt und ich jedem, der sich auch mal ein paar Gedanken machen will, dies ans Herz legen möchte.
Zwar beschränkt sich die Gesamtspielzeit der Cd lediglich auf knapp 47 Minuten - jedoch sind 6 songs eine durchaus angemessene Menge, um den Hörer wachzurütteln und nicht womöglich zum genervten wieder-weghören, weil sich alles immer irgendwie wiederholt, zu bewegen.
In jedem der songs wird eine eigenen "Geschichte" dargestellt - aber letztendlich zieht sich der rote Faden deutlich durch das gesamten Werk.
Sicherlich hätte "Lacrimosa" -vielleicht sogar jeder von uns- noch dutzende Lieder zum Thema "Angst" auf die Cd pressen können - aber ich denke, mit der letztendlich veröffentlichen Anzahl ist sehr gut gewählt.
Denn somit verbreitet sich nicht eine zu melancholische Stimmung auf den Hörer - nein, die melancholie greift lediglich soweit, wie sie muss: das auch wir nicht vergessen, dass es anderen genauso geht.
Auch wenn man es ihnen nicht unbedingt ansieht..........
- "Angst" findet sich in einem jeden, doch viel zu oft wird sie von anderen als lächerlich dargestellt.
Wer sich davon "beeindrucken" oder gar "verändern" lässt, dessen Seele läuft Gefahr, zu verkümmern oder gar zu sterben.
Gleichzeitig schafft "Lacrimosa" mit seinen Texten die stumme Anklage, die wir Verzweifelten in uns tragen - und widderum aus Angst vor den möglichen Konsequenzen ("Abgeschoben ins Exil") oft nicht wissen, wie wir sie vermitteln sollen, und somit irgendwann dran ersticken werden - verständlich, wenn auch teilweise verschlüsselt und mehrfach interpretierbar, in Worte zu fassen.
Besonders erwähnen möchte ich, dass man sich die songs am besten mehrfach anhört, um sich in Rue ein Urteil darauf bilden zu können.
Denn je nach Stimmung wirken sie unterschiedlich - ich für meinen Teil fand gestern noch den track "Tränen der Existenzlosigkeit" beinahe nervig; doch heute habe ich ihn neben "Der letzte Hilfeschrei" zu meinem Favoriten erklärt.
Liegt vielleicht daran, dass ich heute noch ein wenig mehr als gestern in der Verfassung bin, sehen und verstehen zu wollen - und mich nicht wieder durch Comedy-serien im TV vernebeln und blenden lasse.
Hierzu sei aber noch gesagt:
"Lacrimosa" will keine Grabesstimmmung verbreiten und "verbieten" Spass und Freude zu haben - ganz im Gegenteil.
Es soll nur niemand die andere Seite (auch die in sich selbst) dauernd ignorieren , verdrängen oder gar sterben lassen.......
16 Bewertungen, 11 Kommentare
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30.05.2006, 22:35 Uhr von anonym
Bewertung: sehr hilfreichsh :o)
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30.05.2006, 21:59 Uhr von schnekuesschen
Bewertung: sehr hilfreichKlasse Bericht...LG Sandy :-)))
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30.05.2006, 20:00 Uhr von Mogry1987
Bewertung: sehr hilfreichIch habe das neueste Album von Lacrimosa, hört sich nicht schlecht an =)
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30.05.2006, 19:35 Uhr von SuicideToday
Bewertung: sehr hilfreichsh und lg
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30.05.2006, 19:16 Uhr von bodspy
Bewertung: sehr hilfreich* * * SEHR HILFREICH * * * Liebe Grüße.. RenÖ ;o
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30.05.2006, 18:23 Uhr von SeriousError
Bewertung: sehr hilfreichEin "sehr hilfreich" von mir für diesen tollen Beitrag. :o) Gruß SeriousError!
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30.05.2006, 18:12 Uhr von topfmops
Bewertung: sehr hilfreicher Bericht. und wie sagten die alten Latriner schon so gaaanz richtig: 'de gustibus NON est disputandum!' und so lange sich über Geschmack nicht streiten lässt, habe ich da auch nicht dran cognaczukritiseren, weder 'rum' noch 'cogn
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30.05.2006, 17:24 Uhr von Sommergirl
Bewertung: sehr hilfreichsehr ausführlich
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30.05.2006, 17:24 Uhr von presscorpse
Bewertung: sehr hilfreichoh wow!!! wahnsinn! das ist ja suuper ausführlich! SH
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30.05.2006, 17:18 Uhr von Estha
Bewertung: sehr hilfreich.•:*¨¨*:•. ... sh ... .•:*¨¨*:•.
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30.05.2006, 16:52 Uhr von phobee
Bewertung: sehr hilfreichEin absolut genialer Bericht! Schade, dass es hier kein "Besonders hilfreich" gibt! LG, Pia
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