Berufsschule allgemein Testbericht

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Erfahrungsbericht von Andreas1501

Berufsschule - zu Recht ungeliebt und verspottet?

Pro:

Man kann durchaus einiges lernen.

Kontra:

Dafür muss man auch etwas tun.

Empfehlung:

Ja

Berufsschule - zu Recht ungeliebt und verspottet?


Berufsschulen sind oft als \"Leer\"anstalten und die dort tätigen Lehrkräfte (vor allem im IT-Bereich) als ahnungslose Dumpfbacken verschrien, ob zu Recht oder nicht, das kann sicherlich nur der Einzelfall zeigen. Wie in allen anderen Bereichen gibt es auch bei den Schulen schlechtere und bessere Qualitäten. Das ist aber hier nicht das Thema, es geht in diesem Bericht um allgemeine Hinweise sowie um Tipps und Tricks zur Berufsschule aus der Sicht eines dort tätigen Lehrers.


Die Schule ernst nehmen
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Auszubildende könnten es in vielen Belangen leichter haben, wenn sie die Berufsschule nicht als freien bzw. erholsamen Tag in der stressigen Arbeitswoche einstufen, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe ernst nehmen würden. Noch (?) ist es so, dass die Abschlussprüfungen sich in vielen Bereichen auf die Lerninhalte aus der Berufsschule beziehen. Und immer wichtiger nehmen nach meiner Erfahrung auch die Unternehmen die Berufsschule und deren Noten wieder. Morgen werde ich zum Beispiel wieder Firmengespräche über Halbjahresleistungen einiger Azubis führen, und diese Gespräche beruhen auf Wünschen der Unternehmen! Ich fürchte, dass sich einige meiner Schüler nach diesen Gesprächen ziemlich warm anziehen müssen. Das müsste nicht sein! Es ist zwar sicher so, dass Auszubildende aus großen Unternehmen im innerbetrieblichen Unterricht sehr viel vermittelt bekommen, was die Schule auch macht - Langeweile ist die logische Folge. Andererseits müssen die vielen Auszubildenden aus kleinen und mittleren Unternehmen auch die Chance haben, die Inhalte zu erlernen, und diese Azubis haben meistens keinen innerbetrieblichen Unterricht. Hier ist die Berufsschule oft der einzige Rettungsanker, wird aber nicht als solcher wahrgenommen. Eine Bewusstseinsveränderung tut Not!


Schülerengagement statt Berieselung
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Ich erlebe es häufig, dass Berufsschulklassen unisono verlangen, den für die Prüfung benötigten Stoff möglichst kompakt serviert zu bekommen, dass man ihn schön auswendig lernen und dann irgendwo in der Arbeit oder Prüfung hinschreiben kann. Aber was um Gottes Willen hat so was mit Unterricht zu tun? Wie soll man durch Berieselung und - vielleicht - Abschreiben von der Tafel wirklich etwas Dauerhaftes lernen? Gerade in Ausbildungsberufen, die in den Prüfungen mehr verlangen als Wissenswiedergabe, nämlich Anwendung und Transfer, muss der Unterricht mehr leisten. Und dass der Unterricht mehr leisten kann, müssen die Schüler mehr tun - ganz einfach! Der Tipp kann nur lauten: Mitnehmen, was geboten wird! Teamarbeit, eigenständiges Arbeiten, Präsentieren, vor größeren Gruppen frei sprechen, Hand-outs erstellen, am Computer arbeiten usw., alles kann später sehr hilfreich sein, und wehe dem, der solche Fähigkeiten erst spät erlernen muss...


Über den eigenen betrieblichen Tellerrand hinausschauen
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Es ist nie gut, nur im eigenen Saft zu schmoren. Die Berufsschule ist eine gute Gelegenheit, etwas über Arbeitsweisen und Organisationsformen aus anderen Betrieben zu erfahren. Oftmals heißt es, wenn ein Lehrer etwas erklärt: \"Das machen wir anders!\", oder schlimmer: \"Sie erklären das falsch!\". Genau das ist der Punkt: Vielleicht erklärt ja der Lehrer nicht falsch, sondern der Betrieb arbeitet nur etwas anders?! Oder der Lehrer erklärt allgemein gültige Regeln, die jeder Betrieb auf seine Situation hin zuschneidet. Da sollte man als Schüler besonders genau hinhören und die eigenen Kenntnisse mit denen aus Unterricht und Lehrbuch vergleichen, um ein \"rundes\" Bild zu bekommen.


Angebote der Schulen nutzen
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Viele berufsbildende Schulen bieten Zusatzqualifikationen an, die freiwillig genutzt werden können - auch und gerade von Berufsschülern. Bei uns läuft momentan gerade eine Aktion an, Englischkenntnisse zu zertifizieren. Noch ist die Resonanz eher mager, dabei kann man leichter kaum noch an ein Englisch-Zertifikat kommen, das nicht mal was kostet. Ob es was bringt, muss die Zukunft zeigen, doch probieren kann man es auf alle Fälle.

Relativ neu im Angebot vieler Berufsschulen sind Wahlpflichtfächer. In diesem Bereich sollte man nicht das leichteste Angebot nutzen, sondern das, welches für den erlernten Beruf und die eigenen Qualifikationen am meisten Nutzen bringt, auch wenn es etwas mehr Arbeit macht. Leider ist oft zu beobachten, dass die Wahl nach Faulheitsgesichtspunkten getroffen wird. Warum nur?


Beratungsangebote nutzen bzw. einfordern
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Wäre ich Auszubildender, würde ich alles daran setzen, möglichst viel über das zu erfahren, was mich in Prüfungen und vielleicht in anderen Unternehmen erwarten könnte. Die Berufsschule kann ein idealer Ort für den Austausch und die Weitergabe solchen Wissens sein. Wer sagt denn, dass man nach der Ausbildung von seinem Betrieb übernommen wird? Welcher Ausbilder in einem kleinen Unternehmen hat wirklich die Zeit, sich um die Prüfungsvorbereitung seiner Auszubildenden zu kümmern? Nach meinen mehrjährigen Erfahrungen kaum einer! Ganz im Gegenteil: Ich erlebe gerade die Azubis aus kleinen Firmen regelmäßig als völlig ahnungslos, was ihre Ausbildung und deren Abschluss betrifft. Leute, fragt, ja löchert eure Lehrer! Die meisten wissen, was in diesen Bereichen abgeht, sind Mitglied in diversen Prüfungsausschüssen, wissen, worauf es bei mündlichen Prüfungen ankommt usw. Und - oh Wunder - zeigen sich Schüler interessiert, ist es meistens auch der Lehrer.


Fazit
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Der alte Spruch: \"Wie es in den Wald hinein schallt, so schallt es auch heraus!\" gilt immer noch. Will heißen: Habe ich als Lehrer eine unwillige passive Klasse vor mir sitzen, die sich nicht aus der Reserve locken lässt, wird der Unterricht entsprechend sein: Monologisch, langweilig, fade. Warum soll ich mir mehr Arbeit machen als nötig, wenn keine Resonanz verspürbar ist? Wie soll ich zur Freude an meiner Arbeit kommen, wenn die Schüler nicht mitziehen? Also folgt Schema F.

Doch das muss nicht so sein, es kann auch ganz anders laufen, und in den meisten Fällen läuft es nach meiner Erfahrung auch recht gut: so bald die Schüler mich fordern, werde ich Leistung bringen, so gut ich kann. Wenn ich merke, dass Interesse da ist, versuche ich dieses Interesse zu befriedigen, und wenn ich merke, dass Engagement da ist, verstärkt sich automatisch mein Engagement. Diese Wechselwirkung den Schülern bewusst zu machen, ist anfangs die größte Schwierigkeit. Ist diese überwunden, kommt schnell eine gute Arbeitsatmosphäre zustande, die allen Beteiligten Spaß machen kann.

Dass Lernen aber immer mit Arbeit verbunden sein wird, daran kann auch der engagierteste Lehrer und der tollste Unterricht nichts ändern, und seine Prüfung macht immer noch jeder für sich selbst.

Ich wünsche jedenfalls viel Erfolg beim Lernen und versuche, jeden Tag meinen Teil zu diesem Erfolg beizutragen.


© Andreas Wilhelm, 25.06.2003


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38 Bewertungen, 1 Kommentar

  • Estha

    22.05.2006, 00:19 Uhr von Estha
    Bewertung: sehr hilfreich

    klasse geschrieben ... sh... @};----..lg susi