Die Nanny Testbericht

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ab 15,21
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Summe aller Bewertungen
  • Unterhaltungswert:  sehr gut
  • Informationsgehalt:  sehr gut
  • Präsentation:  sehr gut
  • Spaß:  sehr viel
  • Spannung:  sehr viel
  • Romantik:  sehr viel

Erfahrungsbericht von Swinja

Über die Kunst, gscheit blöd zu sein

Pro:

Tatsächlich, die Sprüche sind etwas, wo man noch was lernen kann.

Kontra:

Ansonsten ist es eine zwar kultige aber doch recht überdrehte Ami-Comedy.

Empfehlung:

Ja

Wenn man ihren Bildungsstand nach der PISA-Studie bewertet, ist sie eigentlich gar kein Mensch, sondern allenfalls ein höheres Säugetier. Sie gleicht einem knallroten Sportwagen, dem der Motor fehlt: was nützt das beste Aussehen, wenn der ganze Körper hohl ist. Der Prager Fenstersturz ist für sie ein Teil des Hausbaus, und den Zusammenbruch des Ostblocks sieht sie als Beweis dafür an, daß bei dessen Errichtung gepfuscht wurde, wie überall am Bau. Übers Ohr gehauen zu werden, setzt sie mit einer Watschen gleich. Mit dem Versuch, einen Satz anders als absolut wörtlich zu verstehen, wäre sie sogar zu dritt noch überfordert.

Die Rede ist von der Quasseltante des VOX-Vorabendprogramms, Kindermädchen \'Nanny\' Fran Fine. Eine endlos scheinende Sketchfolge, die Geschichte einer gutaussehenden Mittdreißigerin aus einer verkrachten jiddischen Familie, die ihren Kopf hauptsächlich aufhat, damit die mehr als üppige Frisur nicht direkt aus dem Hals herauswächst. Sie ist ständig auf der Suche nach einem Traummann, wobei ihr das Beste nicht gut genug, aber das Glück einfach nicht hold ist. Bis sie schließlich in depressiven Phasen selbst einsieht: mit einem Knochen um den Hals würde wenigstens Nachbars Hund mit ihr spielen.

Bis sie, nach diversen beruflichen Flops, eine Traumstellung findet: im Hause eines verwitweten erfolgreichen Produzenten, des von der britischen Insel gebürtigen Max Sheffield, wird sie die Ersatzmutter seiner drei halbwaisen Kinder. Männer wissen: zum Herz der Mutter gelangt man über die Kinder. Umgekehrt gilt es praktisch genauso.

Das gilt umso mehr, als daß Sheffield in ihren Augen wirklich gutaussehend (heißt: ein krawattentragender Schnösel. Er sieht in etwa aus wie Mischähl Friedman in einer weniger unappetitlichen Version) ist. Da stünde nur ein Hindernis im Weg: \"Sieh Sieh\" alias Miss C. C. Babcock, Sheffields enge \'berufliche Kollegin\' im Filmgeschäft, zu deren Aufgaben scheinbar auch nichtberufliche Dinge gehören. Zwei Frauen in einem Haus sind per Definition eine zuviel, und dementsprechend freundschaftlich ist das Verhältnis der beiden Frauen auch: ungefähr so, als würde man zwei hungrige Kannibalen zusammen einsperren.

Ruhender Pol in diesem Intrigenspiel ist allenfalls Niles, der immer etwas versnobt und (wie scheinbar alle seines Berufes) stocksteif wirkende Butler, der sich mit Miss Fine als Bedienstetenkollegin schnell arrangiert hat und außerdem Frau Babcock ungefähr so liebt wie eine Wanzenplage - was er sie ungeniert spüren läßt. Und alle Folgen hindurch dreht es sich um die Frage: schafft es Miss Fine, ihre Konkurrentin C. C. auszubooten und bei dem (eigentlich sehr liebenswürdigen, aber in Liebesdingen ganz schwer auf dem Schlauch stehenden) Traummann Sheffield zu landen?

Zu den Nebenfiguren zählen nicht nur Sheffields Kinder, sondern auch Miss Fines (kaum weniger \'geistig erleuchtete\') Freundinnen, ihre Mutter (eine überschminkte gefräßige Matrone) und sogar ihre jiddische Großmutter, eine von den Schlägen des Lebens gehärtete Donna Senilia mit dem Habitus einer ehemaligen Bordellbetreiberin. Und sogar einige aus Film und Politik bekannte Prominenz spielt mit, aber ich verrate nicht, wer...

Die ganze Serie lebt von den Dialogen, genauer gesagt, von den \'karierten\' Sprüchen, die ausgetauscht werden, und etwa im 30-Sekunden-Rhythmus aufeinanderfolgen. Dabei rattert zumeist im Keller die berühmte Bartwickelmaschine. Aber die Serie läuft jeden Abend fast eine Stunde, und mindestens einmal die Woche fällt ein Spruch, bei dem ich ungehemmt lache, weil ich ihn nicht nur noch nicht kannte, sondern weil er auch gut war. Für eine aus Amiland stammende Komödie ist das gar nicht mal so schlecht.

Und die Herkunft der Serie merkt man mehr als überdeutlich. Zum Einen, weil man es in Hollywood nicht lassen kann, das übliche Gelächter vom Band einzuspielen. Zum Anderen: Schaltet man den Ton ab, merkt man es immer noch, und zwar an der affektierten Mimik: sie ist ein einziges Grinsen, Grimassenschneiden und Zähnefletschen, wie scheinbar bei allen amerikanischen Frauen, wenn eine Kamera in ihre Richtung schaut. Das ist zum Teil auch gar nicht schlecht gespielt, vor allem bei Frau Babcock, wenn Butler Niles ihr wieder mal einen deftigen Kommentar (\"Gehen Sie doch nach Indien, gnädige Frau. Dort würde man Sie als Heilige verehren.\") eingeschenkt hat: Dann grinst sie, innerlich vor Wut kochend, so giftig wie jemand, der mit der Hand in den Fleischwolf geraten ist und sich nichts anmerken lassen will. Göttlich dafür Butler Niles: würdevoll und mit der mitfühlenden Trauermiene eines Scharfrichters kommentiert er die Vorgänge aus der Sicht des neutralen Beobachters, wobei jeder sein Fett abbekommt, Miss Babcock natürlich das meiste. Er ist mein absoluter Liebling, und seine Sprüche sind auch die scharfsinnigsten und unbarmherzigsten.

Aber so dümmlich Serie wie Hauptdarstellerin wirken - irgendwo hat Miss Fine doch eine Art von Klasse, die weit über ihre Optik hinausreicht. Sie ist stockdumm, aber schlau - bauernschlau nennt man so etwas. Sie ist nur das Hausmädchen - aber mit der ihr eigenen Form von \'Chuzpe\', wie man diese Mischung aus unschuldiger Dreistigkeit und freundlicher Aufdringlichkeit nennt - spielt sie sich ständig an ihrer weiblichen Konkurrentin vorbei in den Vordergrund. Ihr Verstand reicht kaum bis zur nächsten Türschwelle, aber ihr Instinkt führt sie zu Zielen, die weit dahinter liegen.

Einerseits ist die ganze Serie, wenn man konzentriert hinhört, dann doch um eine Haaresbreite intelligenter und lustiger, als vergleichbares aus Hollywood, was sonst nur für die geistige Schrottpresse taugt. Das Problem ist es, konzentriert hinzuhören, was mir pro Abend maximal für zehn Minuten gelingt. Dann geht es mir entsetzlich auf den Wecker, und ich sehne mich nach etwas Ruhigerem auf dem Bildschirm - und wenn es Harald Schmidt ist. Miss Fine ist sicher für eine große Anzahl von Fernsehzuschauern zu einer Kultperson geworden, mit ihrer einzigartigen Mischung aus dumm und dämlich, gewieft und schlau gleichzeitig. Aber ich kann sie nicht allzu lange damit aushalten - danach wird sie von der Kultperson zur Nervensäge.

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