Heaven Testbericht

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ab 309,26
Auf yopi.de gelistet seit 12/2006
Summe aller Bewertungen
  • Action:  durchschnittlich
  • Anspruch:  durchschnittlich
  • Romantik:  durchschnittlich
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Spannung:  durchschnittlich

Erfahrungsbericht von wildheart

Über die innere Ausweglosigkeit

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Nach den überragenden Leistungen, die Tom Tykwer mit »Lola rennt« (1998) und »Der Krieger und die Kaiserin« (2000) ablieferte, wendet er sich in »Heaven« einer ziemlich unkonventionellen (Liebes-)Geschichte zwischen Traum und Wirklichkeit zu, die mich durchaus tief bewegt hat. Der Film ist in bestimmter Hinsicht eine Qual, weil er quälende Fragen stellt. Tykwer verfilmte ein Drehbuch aus dem Nachlass des 1996 verstorbenen Krzysztof Kieslowski.

Inhalt
Filippo (Giovanni Ribisi) zeigt seinem viel jüngeren Bruder Ariel (Alessandro Sperduti) am Computer anhand eines Flugsimulators, wie man einen Hubschrauber steuert. Die Kamera bewegt sich über künstlich-grüne Landschaften mit starkem, virtuellem Wind. Filippo warnt Ariel, den Hubschrauber nicht zu hoch zu lenken ...

Philippa, Lehrerin in Turin, geht in ein Hochhaus, in dem sie im Zimmer des Drogenhändlers Marco Vendice (Stefano Santospago) eine von ihrem verstorbenen Mann gebaute und von ihr nach seinem Drogentod entdeckte Bombe im Papierkorb versteckt. Sie will, das Vendice stirbt, der – getarnt als Chef einer Elektronikfirma – in großem Stil Drogen an Schüler, auch ihre eigenen, vertreiben lässt. Doch die Putzfrau schafft den Papierkorb in den Fahrstuhl. Sie sowie ein Mann und seine zwei Kinder werden in die Luft gesprengt.

Philippa wird festgenommen und von Staatsanwalt (Alberto di Stasio) und Major Pini (Mattia Sbragia) verhört. Als protokollierender Polizist ist Filippo anwesend, dessen Bruder ebenfalls Schüler bei Philippa ist und ihm erzählt, dass alle Schüler sie unheimlich mögen. Philippa bricht zusammen, als sie erfährt, was sie durch die Bombe angerichtet hat. Filippo verliebt sich in sie und teilt ihr heimlich mit, dass er ihr zur Flucht verhelfen will, wenn sie einverstanden ist. Alle Beweise, die Philippa gegen Vendice gesammelt hatte, ihre Eingaben an die Polizei, diesen Mann zu verhören und festzusetzen, sind verschwunden. Kein Wunder: Denn Vendice hat starke Verbündete, u.a. Major Pini.

Philippa hat nur noch ein Ziel in ihrem Leben: Vendice muss sterben. Nur darum willigt sie ein, dass Filippo ihr zur Flucht verhilft. Er besorgt ihr eine Waffe und bestellt Vendice unter einem Vorwand in das Büro Major Pinis ein ...

Inszenierung
Was sich anhört wie ein actiongeladener Kriminalfilm ist in Wirklichkeit ein Drama, in das der Zuschauer von Anfang an tief hineingezogen wird. Es geht weder um die Verstrickungen zwischen einem Drogenboss und staatlichen Stellen, noch wilde Verfolgungsjagden, die zwar auch stattfinden, aber nicht im Zentrum des Films stehen. Philippa hat erkannt, dass ihr Leben sinnlos geworden ist. Sie flieht trotzdem mit Filippo, über die wirkliche Hügellandschaft nach Montepulciano, ihren Heimatort, gequält von der Schuld, die sie auf sich geladen hat, wissend, dass es keinen Ausweg, keine Lösung mehr für ihr Leben gibt. Weil sie dies weiß und in sich akzeptiert hat, bleibt sie ruhig, fast gelassen, so, als wenn nichts geschehen wäre, als wenn die Flucht nur ein Stück Weg wäre, den sie gemeinsam mit Filippo geht.

Filippo liebt Philippa bedingungslos. Er würde alles für sie tun. Er gibt sein bisheriges Leben als junger Polizist, der gerade am Anfang seiner Laufbahn steht, von einer Sekunde auf die andere auf und verschreibt sich freiwillig, ohne dass es irgend jemand von ihm verlangen würde, der jungen Frau.

Tykwer inszeniert den Weg der beiden in starkem Kontrast zur Verfolgung durch die Polizei. Die Realität der beiden Fliehenden kapselt sich immer mehr von der Realität ab, in der sich die anderen bewegen. Beider Realität nähert sich fast der virtuellen Welt des Flugsimulatorspiels an. Die zwei Welten scheinen nur ab und zu Kontakt zueinander zu finden. Und doch besteht nur eine Welt. Filippos Vater (Remo Girone, bekannt als Tano in »Allein gegen die Mafia«), der die beiden in Montepulciano heimlich besucht, fasst das in die Worte, warum man oft in schwierigen Situationen wie dieser nichts tun könne, absolut nichts.

In großartigen Bildern verdeutlicht Tykwer den Kontrast der nur einen Welt, die sich gespalten zu haben scheint. Die Kamera streift vom Flugzeug aus über die Stadt, man sieht im Sommerlicht die quadratisch, mathematisch fast exakt angelegten Straßenzüge und Häuserblocks; dann die kalte, technisch perfekte Welt des Hochhauses mit Außenfahrstühlen; dann die hügelige, grüne, saftige Landschaft außerhalb, das stille Montepulciano, in dem sich Jahrhunderte lang nichts geändert zu haben scheint. Doch all dies, auch der inszenierte Kontrast, bleibt äußerlich, nicht bewegt, nicht beseelt, fast unwichtig angesichts dessen, was geschehen ist.

Tykwer fasst die Situation als eine der inneren Ausweglosigkeit. Philippa weiß um ihre Schuld. Natürlich gibt es Wege: den ins Gefängnis, der möglicherweise mit ihrem Tod endet, weil Major Pini sie als potentielle Zeugin los werden will, oder zumindest mit lebenslanger Haft; die Flucht aus Italien, um neu anzufangen, doch dieser Weg wäre für Philippa keine Lösung; sie müsste mit ihrer Schuld weiterleben. Warten, Hoffen, Fliehen, all dies macht keinen Sinn mehr. Filippo weiß dies genauso wie Philippa. Beider Welt erscheint fast wie eine Traumsequenz, an deren Ende nur der Tod stehen kann oder das Paradies, in dem alles verziehen wird.

Schauspieler
Ich habe Cate Blanchett selten in ihrer Rolle so aufgehen gesehen wie in
»Heaven«. Sie spielt eine Frau, die vor ihrer Tat ruhig, besonnen und sich nicht um das eigene Schicksal kümmernd ihren Weg geht. Als sie von dem Tod der vier unschuldigen Menschen hört, bricht sie zusammen. Doch sie begreift sehr schnell, dass dies auch für sie eine schicksalhafte Wendung mit sich bringt, der sie nicht entfliehen kann. Wenn sie es schafft, Vendice zu töten, ist ihr Schicksal erfüllt. Es bleibt nur noch der selbst gewählte Freitod.

Giovanni Ribisi als männliches Gegenstück, der durch das Zusammentreffen mit Philippa eine endgültige Entscheidung für sein ganzes weiteres Leben trifft, spielt ebenso überzeugend und war die richtige Besetzung für diese Rolle.

Fazit
Tykwers Film handelt von unausweichlichem Schicksal, vom Abfinden damit. Geht es darüber hinaus noch um Schuld und Unschuld, Sühne und Strafe? Vielleicht in einem tieferen Sinn, als eine Frage an die Moderne, die jedes Problem, jeden Konflikt, jeden Streit, jede Schwierigkeit für letztendlich lösbar hält wie in einer mathematischen Gleichung. In einem gewissen Sinn sind Philippa und Filippo Opfer ihrer eigenen Taten, nicht in einem moralischen oder gar strafrechtlichen Sinn, sondern weil es nichts gibt, was ihr Leben in bezug auf ihre Liebe, die vom Schicksal mehr diktiert ist als von einer »konventionellen« Zuneigung, noch einmal ändern könnte. Die Traumwelt, in die sie flüchten, ihre Flucht, ihr letzter Weg als Flucht, ist doch zugleich eine Kapitulation vor sich selbst. Denn ihr potentieller Tod ist zugleich auch Ausdruck von Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit, nicht nur in bezug auf sie selbst, sondern auch im Hinblick auf alle anderen. Vier Menschen sind tot, vorher starben Jugendliche und Kinder an Drogen, zwei sterben möglicherweise einen Freitod, ein Vater verzweifelt und die Erde dreht sich weiter, weil es Menschen nicht verstehen, die Dimension dessen, was passiert und was sie selbst tun, zu ermessen.

Die traumähnlichen, schicksalsbeladenen, nahezu traumatischen Sequenzen des Films sind die dramaturgisch deutlich formulierte Antwort Tykwers auf die Un(auf)lösbarkeit von Beziehungsgeflechten, die durch derartige Vorgänge, wie im Film geschildert, heraufbeschworen werden. Innere Ausweglosigkeit und Schicksal korrespondieren.

Ein bezaubernder, erschreckender, aufwühlender Film. Ich weiß, dass nicht jeder für solche Filme »zu haben« ist. Manche werden vielleicht nur eine verunglückte Liebesgeschichte mit vielen Widersprüchen darin sehen, andere einen verkorksten Kriminalfilm. Für mich schon einer der Filme des Jahres.

Heaven
Deutschland (England, USA) 2002, 95 Minuten
Regie: Tom Tykwer
Hauptdarsteller: Cate Blanchett (Philippa Paccard), Giovanni Ribisi (Filippo), Remo Girone (Filippos Vater), Stefania Rocca (Regina), Mattia Sbragia (Major Pini), Alberto di Stasio (Staatsanwalt), Alessandro Sperduti (Ariel, Filippos Bruder), Stefano Santospago (Marco Vendice)


© Ulrich Behrens 2002
(dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in www.ciao.com unter dem Mitgliedsnamen Posdole)

22 Bewertungen, 3 Kommentare

  • XXLALF

    30.11.2009, 09:58 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    Oh mann, was für ein Schicksalbeladener Film. Wirklich super toll beschrieben, obwohl ich den Film noch nicht gesehen habe, kann man sich die ganze Tragödie bildlich vorstellen. bw und ganz liebe Grüße

  • Puenktchen3844

    29.09.2007, 21:52 Uhr von Puenktchen3844
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein ausführlicher Bericht. LG

  • Sayenna

    15.12.2006, 12:26 Uhr von Sayenna
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh & Kuss :-)