Kasachstan Testbericht

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Erfahrungsbericht von Swinja

Goldsuche in der heißen Wüste: Wir folgen Dschinghis-Khan

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Obwohl es jetzt bald 7 Jahre her ist - viel geschrieben wird über dieses Land leider nicht. Ich versuche mal, 4 Wochen Reise aus dem Gedächtnis zusammenzubringen.

Juli 1995. Wir - drei Geologen einer deutschen Hochschule - haben eine Einladung von einem wissenschaftlichen Partner, dem Institut für Rohstoffe und natürliche Ressourcen in Karaganda. 4 Wochen Geländearbeit sind geplant, in deren Verlauf im Zentralbereich des Landes Gesteinsproben von Granitmassiven - also Gebilden magmatischen Ursprungs - genommen werden sollen.

Die jeweiligen Visa erhielt man damals gegen ein formloses Einladungsschreiben, das Name, GebTag, Adresse, Reisepass-Nr. des Antragstellers enthalten mußte, bei der Kasachischen Botschaft, damals noch in Bonn. Das Visum ist ein in den Paß eingeklebtes Etikett mit einem Hologramm des Landeswappens (wobei man allerdings keinen holografischen Eindruck davon hat), zweisprachig in Kasachisch und Englisch, handschriftlich ausgefüllt in Russisch. Das ist etwa so, als wäre ein Visum für Deutschland zweisprachig in Deutsch und Türkisch, ausgefüllt in Englisch.

Die Flugverbindung geht von Nürnberg über Brest und Kustanaj nach Karaganda, mit einer Tu-154 der \"Kasachstannyn Awialiniii\". Die allermeisten Passagiere sind deutschstämmige Aussiedler, die die Verwandten in der alten Heimat besuchen wollen. Fast jeder schleppt mindestens sein eigenes Körpergewicht und -volumen als Gepäck mit.

Die erste Zwischenlandung erfolgt in Brest, an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Hier, wo 1917 der Waffenstillstand zwischen Deutschland und dem revolutionären Rußland geschlossen wurde, erfolgt auch die Zoll- und Visakontrolle für die gesamte ehemalige SU. Die Polizisten amüsieren sich aus irgendwelchen Gründen königlich über das kasachische Hologramm-Visum. Nicht nur wegen der Nichtfunktionalität des Hologramms, sondern auch weil sie den Inhalt des Visums kaum erraten können - sie beherrschen Kasachisch wie Englisch gleichermaßen gut. Einer ihrer Kollegen tastet unlustig alle Passagiere ab und fragt dabei in gebrochenem Deutsch: \"Was wollen kaufen? Whisky, Gin, Zigaretten?\" Hinter einem Verschlag liegen drei schmierig aussehende Mannen um einen kurzbeinigen Tisch herum und verkaufen dort zollfreie Ware, an denen ihr uniformierter Kollege offensichtlich mit Prozenten beteiligt ist.

Mittlerweile wird es Abend, und die Maschine fliegt aufgetankt nach Kustanaj, im Südural dicht hinter der Grenze zur Russischen Föderation gelegen, weiter. Moskau wird nur überflogen. Auf der linken Seite des Flugzeugs erkennt man einen silbervioletten Streifen am Horizont - die Reflexion des Sonnenlichts durch das Polareis, ein reizender Kontrast zur sternübersäten Nacht. Über Zentralrußland dreht das Flugzeug eine Rechtskurve, und man erkennt tief unten ein Gebilde, das wie ein in Flammen stehendes Spinnennetz aussieht. Es ist die Stadt Moskau, hellerleuchtet.

Früh am Morgen landet das Flugzeug in Kustanaj, nach einem Landeanflug, der eher einer verzweifelten Suche nach einer Landebahn ähnelt. Wieder wird betankt, Flughafenarbeiter stehen rauchend neben der Spritleitung, und freilebende Hunde laufen über das holprige Rollfeld.

Karaganda. Wieder ein Landeanflug, als müßten sich die Piloten erst entscheiden, ob und wo sie landen wollen. Eine Sammlung abgestellter Militärmaschinen auf dem Rollfeld. Ein trostloser Betonklotz, in dem es nach Putzmittel und Urin riecht. Eine weitere Paßkontrolle, aufdringliche Taxifahrer, und ein plötzlicher Aufruhr aus Limousinen und Bodyguards für den Metropolit von Moskau, der eigens hierherkam, um eine neugebaute orthodoxe Kirche zu segnen. Karaganda besteht größtenteils nur aus Betonklötzen wie eine Neubausiedlung in Neufünfland, einem großen Vergnügungspark und einigen repräsentativen Gebäuden (wie dem der \"Karagandugol\", dem lokalen Kohlekonzern, er hat das frühere Prachtgebäude der Parteileitung der KP besetzt).

Nach zwei Nächten im etwas abbruchreifen Hotel \"Konakh Uy Kasachstan\" brechen wir mit einem geliehenen Unimog, der mit Ausrüstung und Verpflegung vollgestopft wurde, zuerst nach Nordosten auf, Richtung Temirtau. 6 Mann in einem Unimog bedeutet, daß 3 davon im Gepäckraum sitzen und sich für eventuelle Verkehrskontrollen als Gepäckstücke tarnen. Die eigentümliche Situation bedingte es damals, daß das Land, obwohl Erdölproduzent, an einer Benzinknappheit litt, und die Polizei hielt ihre Einsatzfahrzeuge mobil, indem man bei willkürlich angehaltenen Wagen Treibstoff konfiszierte.

Unser erstes Ziel ist ein Tagebau namens Sanarsk, in dem Kupfererz abgebaut wird. Ein glühendheißes Loch, groß genug um den Kreml darin zu verbuddeln. Schließlich haben wir kontinentalen Sommer, das Quecksilber zeigt 35 Grad, und die Luft ist staubtrocken. Wir nehmen einige Proben und suchen das Minencamp auf, eine Sammlung von Baracken, in denen die Arbeiter hausen. Es gibt Strom, aber kein fließend Wasser: dieses wird täglich von einem LKW gebracht und in einem Wasserturm aufbewahrt. Statt Wasserhähne gibt es nur Campingduschen und statt Waschbecken einen \"Umywalnik\": ein an die Wand befestigter Blecheimer mit einem Loch im Boden – das von einem pilzartig geformten Metallstück verschlossen wird. Unten aus dem Lock schaut nur ein fingerlanges Stück von der geschwungenen Form eines Kuheuternippels heraus. Drückt man diesen Pilz leicht nach oben, fließt einem Wasser über die Hände. Eine sinnreiche Erfindung.

Mischa, der Vorarbeiter, erzählt uns, daß japanische Ingenieure die Mine besichtigten und sich anschließend in seiner Höhle die Hände waschen wollten. Allein, woher sollen Japaner russische Technik kennen? Der erste zog, natürlich erfolglos, an dem metallenen Euter. Der zweite drehte daran, der dritte drückte, der vierte rieb daran... erst nach einer technischen Einweisung (nach oben pressen) verstanden die \"Japonskije Inschenery\" die Vorrichtung. Dann allerdings wurden sie nicht müde, sie von allen Seiten zu fotografieren. Einer fertigte sogar eine technische Skizze davon an.

Wir machen uns auf den Weg nach Süden, Richtung Balchash-See. Die Fernstraße – in der lokalen Kategorie sogar als \"Magistral\", als Autobahn deklariert – ist eine Sandpiste mit Rudimenten von Asphalt. Längs der Straße findet man weggeworfene Autoteile, ganze Wracks, und anderen Müll. Mit dem was allein zwischen Karaganda und den ersten 10 Kilometern liegt lassen sich ca. 2 Wolga, 4 Moskwitsch und 3 KAMAS-Sattelzüge zusammenbauen, wenn auch nicht fabrikneu. Gelegentlich treffen wir auf eine \"Askhana\", einen kombinierten Imbiss mit Tankstelle, der aus einigen Jurten, einem völlig verrosteten Blechcontainer (dern die Gastronomie beherbergt), zwei bis drei Tankanhängern mit Treibstoff, Öl und Trinkwasser und Unmengen von Müll besteht. Die Landschaft besteht hier aus Sandsteppe mit dürrem Grasbewuchs und einigen dornigen Büschen. Die einzigen Erhöhungen sind Klippen und Höhenrücken aus basaltischem und granitischem Gestein, die manchmal ringförmige Wälle bilden – Überreste von Vulkanen. Die Sonne brennt gnadenlos, am Horizont erscheinen geisterhafte Spiegelungen, und der Schweiß läuft inzwischen nicht mehr. Man sieht kaum Fauna, lediglich einige Vögel (Geier?) oder manchmal eine Pferdeherde mitsamt Hirten. Die Titelmelodie des Uraltwesterns \"The Good, the Bad, the Ugly\" mit Clint Eastwood und Lee van Cleef geht mir nicht mehr aus dem Sinn.

Wir halten bei Aktschatau, einer einsamen Lokalität abseits der Haupstraße. Die geologische Formation gleichen Namens ist ein ringwallartiges Gebilde aus Rhyolithen und Basalten und zwischen 300 und 400 Mio Jahren alt. In den Gesteinen findet man Quarzgänge mit vereinzelten Erzmineralen.

Wir schlagen unser Lager in einer kleinen Senke auf, die von einem verwitterten ringförmigen Gesteinsrücken umgeben ist. Etwa in der Mitte der Senke verdichtet sich die Vegetation zu dichtem Buschwerk und sogar einigen Bäumen – hier fließt eine Quelle. Aus einem Spalt in einem großen Granitblock sprudelt herrlich sauberes und kühles Wasser. In Eile werden die Zelte, alte Armeezelte der Sowjetarmee, aufgebaut. Pjotr, seines Zeichens Professor und Expeditionsleiter, kocht – Gemüseeintopf und Konservenfleisch. Dazu niederländisches Importbier.

Der nächste Tag sieht einen Aufstieg auf einen der zahlreichen Ringwälle vor, um von der Spitze, aus dem Top-Bereich des ehemaligen Vulkans, einige Proben zu nehmen. Das Umfeld von Vulkanen ist durch den Durchfluß heißer hochgespannter Wasserlösungen reich an natürlichen Erzmineralisationen, mit Eisen, Kupfer, Blei, Zink und anderen Elementen als Sulfidverbindungen. Diese hydrothermale Aktivität überdauert zeitlich den eigentlichen Vulkanismus und ist Grundlage von Vererzungen. Neben einigen schönen, fingergroßen Rauchquarzen finden wir Pyritwürfel, etwas Kupferkies und Turmalin. Von den ca. 200 m hohen Felszacken hat man einen herrlichen Ausblick – nur leider gibt es nicht allzuviel zu sehen, außer Ebene und Sand. Gelegentlich erkennt man Gräben und Löcher in der Landschaft mit rostenden Baumaschinen – stillgelegte Erzabbaue, die nicht mehr rentabel waren. Wir besuchen noch einige weitere Formationen zur Probenahme, der Rucksack mit den Steinen wird immer schwerer.

Am Abend dieses erfolgreichen Tages macht vor und nach dem Essen die Wodkaflasche die Runde. Schon etwas angeheitert, beschließen wir, im nahegelegenen Baggersee uns abzukühlen – das Wasser ist erstaunlich schweinekalt. Die Nacht bricht wiederum in Sekundenschnelle herein. Mensch, so deutlich habe ich die Milchstraße ewig nicht gesehen. Pjotr erzählt, daß er hier in den siebziger Jahren bereits gearbeitet hatte – und gelegentlich helle feurige Kometen zu sehen waren, die über den Himmel zogen. Es waren Starts aus Baikonur, dem Stolz der sowjetischen Weltraumfahrt, gewesen. Mit fortschreitender Leere in den Wodkaflaschen Nr. 1 bis 3 (wir sind immerhin 7 Personen) wird es immer heiterer – bis hin zum Anstimmen russischer Gesangskultur. Neben Moskovskaya werden diverse regionale Marken ausprobiert, übelste Gesöffe, die an Reinigungsmittel erinnern. Gut daß wir den guten Moskovskaya vorneweg getrunken haben, unsere Geschmacksnerven nehmen die schlechte Qualität der anderen Getränke nicht mehr völlig wahr.

Am anderen Tag erwache ich mit einem Kopf, der so groß ist wie ein Kuhstall und in dem ein gewaltiges Uhrwerk tickt.

Auch der Rest der Truppe liegt noch im Delirium. Ich beschließe, zur Quelle zu taumeln, meinen Brand zu löschen und meine Wasserflasche aufzufüllen. Die Stechmücken (\"Komari\") sind, im Gegensatz zu mir, schon wach.

Noch während ich vor dem Wasser knie, sagt mir ein nicht näher spezifizierbares Sinnesorgan, daß mich Augen anstarren. Von hinten.

Ich drehe mich um. Sehr langsam, nur keine hastige Bewegung. Es könnte sein, daß es nicht zwei Augen sind, sondern drei – das dritte mit einem Durchmesser von z. B. 7,62 mm.

Schließlich starren mir 4 Augenpaare entgegen. Sie gehören zu 4 zottig und verwahrlost aussehenden Wesen, deren Stammbaum irgendwo zwischen Wolf, deutschem Schäferhund und afghanischem Windhund liegt. Sie starren mich aufmerksam und auf irgendeine Weise interessiert an. Einer von ihnen knurrt, und es scheint mir, mit dem Magen.

Mein Herz überlegt einen Moment lang, ob es sich in dieser Situation überhaupt noch lohnt, weiterzuschlagen.

Noch bevor das Herz einen für mich unangenehmen Entschluß fassen kann, bewegt sich hinter den Büschen ein weiteres Wesen. Ein Pferd.

\"Allmecht\", rede ich erleichtert vor mich hin, \"etz fehln bluß no a Katz und a Giger (Hahn), unn die Bremer Stadtmusikann senn feddich.\"

Statt Katze und Hahn taucht Achmat auf, ein etwa 30 jähriger Farmer, dem das benachbarte Land, Pferd und Hunde gehören. \"Kayrly Kun – Guten Morgen\", grinst er mich an.

Wir unterhalten uns einige Sätze. Ich erkläre ihm, wer wir sind und woher, und stelle ihm dabei die anderen, mittlerweile zu Leben erwachten Zombies vor. Achmat bietet mir an, auf seinem Pferd – das ich die ganze Zeit verliebt anstarre – einige Runden zu drehen, während er sich mit Professor Pjotr unterhält.

Die Pferde der kasachischen Nomaden sind relativ klein, eher wie Ponys, sehr ausdauernd und genügsam. Das ganze Zaumzeug ist eine Sensation: es besteht nur aus halbseidenen Stricken, inklusive Steigbügel, und der Sattel ist ein räudiges Fell eines nicht identifizierbaren Tiers. Aber Hottehüh pariert hervorragend und geht vor allem los wie ein Quarterback, erkunde erstmal die Umgebung damit. Achmat staunt etwas, daß ein Nichtnomade und westlicher Städter überhaupt auf diesem Tier reiten kann, vor allem, weil seine Beine fast bis zur Erde reichen. Es ist, als ob man auf einem Hund reiten würde.

Als wissenschaftliche Arbeit ist an diesem Tag vorgesehen, einen Abbau zu besichtigen, der erst angefahren (vorbereitet) wird. Eigentlich geht es dort um geringe Mengen an Gold, aber die Minenarbeiter verkaufen unter der Hand auch Berylle und Turmaline. In Akschaly durchwühlen wir eine alte Abbauhalde, neben den üblichen Proben finde ich wieder Rauchquarze, unzählige Pyritwürfel und anderes.

Abends im Camp, pünktlich zum Abendessen, taucht Achmat samt Kindern (Junge und Mädel, ca. 10 Jahre alt), Opa (oder zumindest sieht er so aus) und Abendessen (geschlachteter Hammel) auf. Alle zu Pferd, und sie sehen darauf besser aus als alle Dressurreiter des Aachener CHIO. Wieder wird, während des Shashlyk-Essens (Pjotr erweist sich wieder als begabter Hobbykoch), die Wodkaflasche herumgereicht. Die Kasachen sind zwar Moslems, aber die Frage des Alkoholverbots durch den Propheten sehen sie äußerst pragmatisch. Die Unterhaltung zwischen uns funktioniert, je nach Sprecher, in Deutsch, Englisch, Russisch und Kasachisch. Mit fortschreitendem Promillegehalt verwischen die Grenzen zwischen den einzelnen Sprachen. Achmats Kinder fragen mir Löcher in den Bauch – wie in Deutschland Städte aussehen, wieviele Menschen dort wohnen, ob es in Deutschland Pferde gibt und ob man sie auch reiten kann. Natürlich gibt es sie und einzelne Leute können auch reiten, aber die meisten Deutschen sind eher Autofahrer, erkläre ich ihnen. Daß man in einem deutschen Reitverein nicht in beliebiger Kleidung aufs Pferd steigen darf, sondern nur mit Sicherheitshelmen usw., verkneife ich mir – ich will mich vor zwei Kindern, die eher Reiten als Laufen lernten, nicht unbedingt lächerlich machen. Achmat versucht mir etwas Kasachisch beizubringen. Vergebens. Wie soll man eine Sprache, die keine Zukunft und keine Vergangenheit, aber 5 verschiedene Formen der Gegenwart kennt, lernen können?

Am anderen Morgen brechen wir Richtung Balkhash-See auf, zur gleichnamigen Stadt an dessen Ufer. Nach Passieren des GAI-Postens, eine Art Wegelagerer-Fort der Verkehrspolizei, taucht am Horizont ein Gebilde auf, das auf den ersten Blick dem Brandenburger Tor ähnelt – es ist eine Siloanlage des örtlichen Kupferkombinats. Balkhash selbst ist eine Kleinstadt mit ca. 30000 Einwohnern, mit den üblichen Plattenbauten und einigen verwahrlosten Repräsentativgebäuden. Überall in der Stadt hängen Plakate und Bilder von Abaj Kunanbajew, einem kasachischen Wissenschaftler und Poeten, der in einem früherne Jahrhundert lebte. In diesem Jahr ist sein Andenken Gegenstand einer Aktion der UNESCO, und Abaj wird zum Nationalheld der neugegründeten Republik.

Balkhash ist die einzige mir bekannte Stadt, deren Frischwassersystem nicht unterirdisch, sondern direkt auf Straßen und Bürgersteig liegt. Da auch die Autos über die verschweißten Rohre fahren, sieht man gelegentlich lustige Fontänen, die das städtische Grün und die Passanten begießen. Auf dem Basar kaufen wir ordentlich ein: Proviant für die nächsten Tage (darunter reichlich Dosenbier), Sprit und vom kasachischen Militär einen Reservereifen für den Unimog, wir handeln ihn zwei Brotzeit machenden Soldaten ab (\"Nein, Genosse Leutnant, welcher Reservereifen? Wir hatten noch nie einen dabei!\"). Für mich einige Souvenirs: Bücher, ein Bergmannsgeleucht (Stirnlampe mit Akku) und anderes; auf dem Markt sitzen gruppenweise Rentner und verkaufen allen möglichen Krimskrams: gebrauchte Haushaltswaren, Schuhe, Kleidung, Spielwaren, oft ihr Tafelsilber – sprich: ihre dringendst notwendigen Gebrauchswaren. In diesem Jahr geht es abwärts, und das spürt die Bevölkerung sehr hart. Aber es gibt auch welche, die Business machen können. Aus einem Lieferauto mit kyrgisischem Kennzeichen grinst mich ein halber Schweinekopf an, Bauern aus der Umgebung bieten Melonen, Äpfel, Trauben und alles mögliche Obst an. Sie sind von den Gewinnern der neuen Ordnung noch die sympathischsten, denn sie verdienen selbst auch nur ihr eigenes Leben. Die wahren Gewinner steigen in Absteigen wie den Hotels in Karaganda gar nicht erst ab.
Ich kaufe eine Handvoll Tomaten und beiße hinein. Die Tomaten haben die Konsistenz von saftigen Äpfeln und jede einzelne schmeckt wie ihrer viele. Einen derart konzentrierten Tomatengeschmack habe ich nicht erwartet.

Wir kommen außerhalb der Stadt in einer Art Campingplatz unter, auf dem etwa ein Dutzend Hütten a 4 Betten gemietet werden können. Eine Gemeinschaftsküche ist genauso vorhanden wie ein Badestrand, und das außerhalb liegende Holz-WC sieht aus als habe schon Hunnenkönig Attila persönlich hindurchgesch*****.... Nachts liegen wir, nicht mehr ganz nüchtern, am Sandufer des Balkhash, lauschen dem Gesang der Grillen und starren den Sternenhimmel an.

Übrigens ist der Balkhash-See zweigeteilt: durch eine Schwelle am Beckenboden ist er in einen süßen und einen salzigen Teil unterteilt. Wir sind hier im Süßwasserbereich, und merkwürdigerweise ist der gesamte See auch ein Schlangenparadies für Kreuzottern und eine buntgescheckte Natternart.

Der nächste Besuch gilt dem Kupfertagebau Qunyrat, dessen Erz in Balkash verhüttet wird – was auch die giftgelben Qualmwolken über der Stadt erklärt. Der Abbau ist ein ca 450 m tiefes Loch, in das in Spiralen eine zweigleisige Breitspurbahn hinunterführt. Das Gestein ist ein teils stark alterierter Granit und Granodiorit, das durch die Umwandlung fast weiß ist und Kupfererz als Imprägnation enthält. In der Grube staut sich die Hitze, wir messen 45 Grad, und die Luft staubt durch den Abbauvorgang. Wir bewegen uns nur noch im Schneckentempo, um ja nicht zuviel zu schwitzen. Aussichtslos. Ich darf 20 kg Probenmaterial tragen.

Für Eisenbahnfreunde: die Bahn wird mit Krokodil-ähnlichen Elloks (ich meine die 194) betrieben, die aus Honeckers Reich stammen. Jeder Zug drückt im Schrittempo vier vollbeladene Erzwagen die Spirale hoch, auf diese Weise werden täglich ca. 22000 t Gestein gefördert. Vom Grubenrand sieht das Ensemble aus Gleiswendel und Zügen wie eine skurrile Modellbahn aus. Ich darf im Lokführerstand mit hochfahren (*freu-wie-kleines-Kind*).

Hah. Die erste Nacht seit einer Woche in einem festen Gebäude. Und gleichzeitig auch schon wieder die letzte. Wir fahren weiter nach Qunyrat-Ost, wo bis vor wenigen Jahren noch untertägig Wolfram und Molybdän abgebaut wurden. Von der Schachtanlage ist nichts außer verrostenden Ruinen geblieben. Nach dem alltäglichen Probensammeln schlagen wir unsere Zelte diesmal am salzigen Balkhash-Ufer auf, kaufen einem Einheimischen Fisch ab und kommen auf den Geschmack von: Kumyß.

Abseits der Straße, auf einer ehemaligen Kolchose, die jetzt, wie viele ehemalige Kolchosen, privat bewirtschaftet wird, besuchen wir eine Bauersfamilie, die Kumyß verkauft. Ich denke, ich bin in einem Kriegsgebiet. Zwischen einer scheinbar nach einem Luftangriff verwüsteten Kolchose laufen Rinder, Pferde, Schafe, sowie einige vierbeinige haarige Wesen herum. Letztere bellen, es dürften Hunde sein. In der Stube des verfallenen Gebäudes, die gleichzeitig der einzige Raum zu sein scheint, liegt ein feister Mongole, ein Mann Mitte 30, wie ein antiker Gott der Schlemmerei auf einem verwanzten Diwan und begrüßt uns nur mit einem freundlichen Handwinken und einem Grunzlaut. Der Stubenboden besteht aus gestampftem Boden, und ein kurzbeiniger Holztisch und eine morsche Kommode mit einem verblichenen Landschaftsposter darüber sind das einzige Mobiliar. Man hat den Eindruck, in einem ausgeplündertem Museum sowjetischen Wohnlebens der frühen 50er zu stehen.

Seine Frau Bäuerin, die trotz ihres belastenden Berufes sehr apart und elegant wirkt, redet viel mit uns und setzt uns aus rostigen Militäreßgeschirr-Tassen den Kumyß, die vergorene Pferdemilch, vor. Sie bereiten es selbst zu, wie es seit vielen Jahrhunderten Tradition ist. Was aussieht wie Buttermilch mit toten Fliegen darin, ist Produkt eines Gärungsprozesses, bei dem Teile der Milch in Alkohol, andere in irgendwelche linksrumdrehende Fettsäuren umgesetzt werden – das sind dann die dunklen fleckigen Brocken. Gut gekühlt schmeckt das Getränk hervorragend, in etwa wie leicht bittere Müllermilch, und soll gut gegen Lungenkrankheiten sein. Nebenbei wirkt es aufheiternd, da es in etwa den Alkoholgehalt von dünnem Sekt hat. Überflüssig zu erwähnen, daß dieses Getränk auch die einheimische Variante von Alete ist – tatsächlich wird es auch als Babynahrung verabreicht, da der Nährwert der Milch außer Zweifel steht. Ich denke an Ahmats Kinder, die vermutlich mit nichts anderem großgezogen wurden und schon auf dem Pferderücken saßen, als Gleichaltrige in Europa noch nicht laufen konnten. Wir kaufen der Bauersfamilie in ihrer Ruinenwirtschaft eine ganze Kanne davon ab.
(Trotzdem, obwohl der Hof der Familie den Eindruck eines Katastrophenladens macht, habe ich den Eindruck, als seien die Dörfer der mongolischen Bevölkerung, auch wenn nicht geleckt, eine Spur sauberer und gepflegter als bei den Russen. Damals nur ein Eindruck, Jahre später erfahre ich die Bestätigung dafür in der Sendung \"Russisches Tagebuch\": bei Völkern wie den Tataren oder Kasachen soll es tatsächlich etwas sauberer und gepflegter sein, als bei den Russen. Leute, bitte kommt mir jetzt nicht mit antirassistischem Moralgequatsche. Ich mache niemand einen Strick daraus ob sein Gartenzaun gerade steht oder nicht.)

Nachmittags müssen wir die Zelte festhalten: Ein Unwetter zieht auf, ein Gewitter mit orkanartigen Windböen. Ich sitze im Zelt und halte es mit beiden Händen fest. Oder besser, mit dem ganzen Körper. Ich muß mich auf die unteren Enden der Zeltbahnen setzen, um nicht abzuheben wie ein Luftschiff. Der Rucksack mit den Gesteinsproben ist mir dabei eine willkommene Hilfe. Auch die anderen haben sich in ihre Zelte verkrochen, die sie mit ihrem Körpergewicht am Boden halten. Eine Verständigung ist unmöglich, denn das Heulen übertönt jedes andere Geräusch – außer dem von Sandkörnern, die gegen die Metallwände des Unimogs geblasen werden und klingen wie ein tödlicher Stakkatobeschuß.
Nach etwa einer Stunde flaut der Wind relativ schnell wieder ab. Ja, du darfst die vier Zipfel der Zeltbahn wieder loslassen und ausspucken. Auch den Sand, den es mittlerweile in jede Ritze getrieben hat. Ansonsten hat der Sturm keine Schäden hinterlassen. Da das Wetter weiterhin nicht allzu freundlich bleibt, fällt auch der Abend wenig stimmungsvoll aus – eher aus psychologischen Gründen, wegen des unfreundlichen Wetters.

Am nächsten Morgen fahren wir am Nordufer des Balkhash-Sees entlang nach Osten, zur Lagerstätte Dolinnoye. Hier hat ein hydrothermaler Mineralisationsvorgang eine Vererzung mit Gold in Quarzgängen produziert. Das Nebengestein ist ein grünliches fettglänzendes Gestein: Jadeit... Die Arbeiter bauen untertägig ab, in einigen Dutzend Meter Tiefe befindet sich der Vortrieb, der durch einen geräumigen Hauptförderstollen erreicht wird. Geräumig heißt hier: Ein Radlader japanischer Bauart kann hindurchfahren. Das Gestein, das er herausschrappt, wird handverlesen – sprich: drei zerzaust aussehende Männer sortieren aus den kopfgroßen Trümmern die goldhöffigen Gesteinsbrocken heraus und werfen sie auf einen Haufen. Eine Arbeit, die man in Europa als unzumutbar einstufen würde. Interessant ist hier nicht nur das Gold. Zentimeterlange Kristalle von Beryll gehören mit zur Beute. Wir nehmen sie nicht einfach mit, sondern kaufen sie den Arbeitern ab.

Nach einem letzten Besuch zurück im Städtchen Balchash geht der Weg nach Karaganda zurück. Aber in getrennten Gruppen. Nicht, daß wir uns zerstritten hätten. Sondern um schneller zu sein. Serjosha, unser Fahrer, bringt mit dem LKW die Gesteinsproben nach. Jan, Nina und ich, dazu einer der Minengeologen aus Dolinnoye, der ohnehin den Weg fährt, nehmen den Zug.

Der Fernschnellzug, der nachmittags in Balkash Hbf losfährt, besteht aus einer rostbraunen Doppel-Diesellok (in der ex-DDR als \"Taigatrommel\" bekannt) und einer endlosen Schlange dunkelgrüner, breiter wuchtiger Schlafwagen, Made in USSR, Waggonfabrik Tikhwin. Wir besetzen eine 4-Personen-Koje, um unter uns zu sein. Da ich mir einen lustigen Abend vorstelle, habe ich 6 Flaschen Bier (Marke \"Schachtjorskoe\" aus Karaganda) und zwei Flaschen Wodka gekauft.
Fehlanzeige. Sergej, unser Begleiter, entpuppt sich als wortkarger Melancholiker, und Jan und Nina sind kaputt und erschöpft. Die beiden Wodkaflaschen finden auf rätselhafte Weise den Weg zum Flaschenöffner, in meine Trinktasse und... nun ja, geschmeckt hat er gut.

Der Zug kämpft sich, wie ein Kriegsschiff hupend, schnurgerade durch die Steppe. Die ersten Passagiere, erstaunlich viele junge Kerle in Militärklamotten, taumeln sternhagelvoll durch die Gänge der Waggons. Es ist heiß in den Wagen, schwül, und riecht anheimelnd sowjetisch nach einer Mischung aus sauer gewordenem Tee, alten Socken und Urin. Das Wasser aus den Trinkwasserbehältern in den Waggons ist praktisch ungenießbar, nicht nur weil es brühwarm ist.

Der Zug (Copyright 2002 Swinja. Publiziert bei dooyoo, YOPI und CIAO) hält an einer einsamen Station, die aus einigen vom Sand überwehten Nebengleisen, einem Stationsschild und einigen windschiefen Hütten besteht. Aber alle Passagiere wissen, wo sie sind, denn sie steigen in gewaltigen Scharen aus. Ihr Ziel ist ein rostiger Schwengelbrunnen hinter einer der Hütten, aus dem sie Flaschen, Kannen, Gläser und Dosen füllen. Noch während die Lok das zweite Abfahrtstuten von sich gibt, füllen die letzten ihre Trinkgefäße, und steigen erst im Fahren auf. Offensichtlich ist diese Stelle hier zum Wasserfassen bekannt, denn weder hat man in dem \"Bahnhof\" Fahrgäste, noch andere Menschen, noch überhaupt in dem ganzen \"Ort\" lebende Menschen gesehen.

Nachdem die zwei Pullen Wodka und das Bier seine Wirkung getan haben, wache ich erst wieder beim Zwischenhalt in der Station auf, wo die Linie nach Dsheskasgan abzweigt – ein Geologen wohlbekannter Ort, denn dort stehen mit Kupfererz imprägnierte Sandsteine an. Auf dem Bahnsteig steht eine wahre Oase in der Wüste – eine halbwüchsige Blondine, die aus einer Kühlbox heraus gekühltes Bier verkauft, 20 Tenge die Flasche (das ist etwa 30 Pf). So schnell habe ich noch nie mit Geld in der Hand einen Waggon verlassen, und als ich mit den Pullen zurückkehre, handle ich mir Anschisse von der Schaffnerin ein – \"jetzt rennst du mit deinen schmutzigen Socken erst aufn Bahnsteig und wieder ins Bett zurück!\" Nein nein, Babushka, der Bahnsteig ist genauso sauber wie euer Waggon innen. Sorg Dich mal nich.

Am anderen Morgen, zurück in Karaganda, habe ich deutliche Probleme, mir klarzuwerden, wo ich eigentlich aus dem Zug gestiegen bin. Kasachisch Wodka nix gutt.

Die letzten Tage in Karaganda sind nur noch etwas wissenschaftliche Arbeit im Labor, sowie eine transport- und untersuchungsgerechte Aufarbeitung der Proben. Karaganda hat zwischen den Straßen, wo man nicht so leicht hinkommt, seine verstohlenen Ecken, so einen gewaltigen Park, der mit Riesenrad, Karussell und Eisbuden einem Vergnügungspark ähnelt, aber ganzjährig geöffnet ist. Derartige Parks hatte früher jede bessere Sowjetstadt. Mein täglicher Fußweg zwischen Hotel und Institut führt hier durch. Zu den Freuden dieses Parks gehören Polizeipatrouillen, die jeden ausländisch aussehenden (aus ihrer Sicht jeden gut ernährt aussehenden Europäer) kontrollieren. Aber auch für den Eisenbahnfreund gibt es hier etwas: eine ca. 2 km lange \"Pioniereisenbahn\" auf schmaler Spur, die mit einem 5-Wagen-Zug und einer erstaunlich großen Diesellok hier verkehren. Ich gebe mich als Reporter eines deutschen Modellbahnermagazins aus, interviewe Bahnhofsvorsteherin (eine feiste Matrone in Uniform und hinter dicken Lagen Schminke verschanzt) und Lokführer (ein hageres altes Männchen) und schieße reichlich Fotos.

Abflugtag. Eigentlich dürfte ich meine Gesteine gar nicht mitnehmen ohne eine schriftliche Genehmigung des Rohstoffministeriums aus Almaty. Aber die habe ich nicht, und dieses Gesetz gibt es auch erst einige Wochen. Woher kriegen so schnell, und nicht klauen? Auf Frechheit spielen, denke ich mir. Das Institut schreibt mir eine Erlaubnis, diese Gesteine auszuführen, ohne daß es befugt wäre dazu. Unterschrieben wird das Dokument von dem 90 jährigen Professor A. Abdulin, ein Veteran der geologischen Forschungen in Kasachstan. So hoffe ich, den Zoll auszuschmieren.Wäre nicht das erstemal, Rebjati.

Abflug aus Karaganda, der bekannten Betonruine mit der Duftwolke von Pisse und Erbrochenem. Paßkontrolle, Einchecken. Und dann der Griff des Schicksals nach meinen Cojones. In Form eines Uniformierten, in etwa mein Alter.
\"Hey! Mach den Koffer nochmal auf! Das will ich sehen!\"
Shit, der hat jetzt meine schöne Bergmannslampe gesehen. Naja, das kann ich auch in Deutschland kaufen, das Teil.
\"Das hier! Was ist DAS?\" (*meinenKofferaufreiß*)
Ein Bergmannsgeleucht. Vom Markt in Balkhash. Hatn alter Opa verkauft.
\"Nicht das. DAS HIER! Wo haben Sie das her?\"
Weia. Mein Kampfmesser, noch aus Bundeswehrzeiten. Ich habe es schon 10 Jahre.
\"Das ist doch eine Kriegswaffe! Das darf man gar nicht einführen! Das hätten Sie deklarieren müssen! Das steht unter Strafe!\"
Oha. (Mein Herzschlag geht noch einmal auf ein kritisches Maß zurück.) Wieviel Jahre? (Um wieviel verlängert sich mein Geologiestudium dadurch?)
Herr Oberleutnant der Zollpolizei ist in etwa in meinem Alter, sympathisch und intelligent. Ich erkläre dem Genossen in Uniform, warum ich das Messer mithabe. Geologen, Geländearbeit, Jagen & Fischen. Undsoweiter. Er zeigt sich einsichtig. \"Naja, gut. Geologe. Wenn das so ist.\"

Er ist Slawe, wie man aus seinen Gesichtszügen und seinem Namen am Brustschild sehen konnte, jedenfalls kein Kasache. Er wird es noch schwer haben, denn die ethnischen Nicht-Kasachen werden seit der Unabhängigkeit 1991 systematisch aus dem Staatsdienst gedrängt – oder allerlei Schikanen, wie dem Erlernen der kasachischen Sprache in Wort und Schrift, ausgesetzt. Ersetzt werden die auf diese Weise hinausgeekelten Russen, Ukrainer und Belarussen durch Kasachen, bei denen nicht immer die Qualifikation, aber die ethnische Zugehörigkeit stimmt. So ein Exemplar werde ich gleich noch treffen.

Vorerst muß ich mich noch mit den Jungs an der Waage herumschlagen, die bei mir ein derartiges Übergewicht feststellen, als wäre ich Otfried Fischer, nachdem er Franz Josef Strauß aufgefressen hat. Schuld sind meine frech in die Rangerweste verpackten Gesteinsproben. 86 Dollar darf ich bezahlen, die ich nicht habe. Wir einigen uns auf nicht ganz 50 Dollar, die in Bündeln von Dollar, D-Mark, Francs, russischen Rubeln und kasachischen Tenge gezahlt werden. Als ich tue, als hätte ich noch weitere Währungen im Ärmel, winken die Jungs entsetzt ab.

Und nun kommt mein absoluter Liebling. Ein Kollege des Mannes, der mir in Brest Whisky und Gin andrehen wollte. Er trägt eine kasachische Zolluniform, ist ethnischer Kasache und trägt einen Gesichtsausdruck wie jemand, der auf seine Uniform und seine Macht stolz ist. Und, wie ich gleich merken werde: Seine IQ und seine Gesichtszüge befinden sich in einem ewigen Wettstreit in der olympischen Disziplin der Dämlichkeit.

Er tastet meine Jacke ab, die ihm wie ein gefülltes Warenlager vorkommen muß. Mein Geländenotizbuch blättert er mit dem verstehenden Ausdruck eines Menschen durch, der noch nie ein Buch gesehen hat. Oder nur als Hilfsmittel zum Anheizen des Lagerfeuers kennt.
Unter den vielen Utensilien in meiner 1000-Taschen-Jacke findet er einen der Bergkristalle. Er versteht, daß dies eines der Dinger ist, die er finden muß und dafür belohnt wird. Das Schreiben des Instituts halte ich ihm als Pik-As hin. Und siehe, die neue Gesetzgebung ist noch nicht beim Zoll angekommen. Ich darf alle Gesteinsproben die ich besitze, mitnehmen.
Zu guter Letzt findet er einen dicken schwarzen Edding-Stift. Er betrachtet ihn von allen Seiten. Es könnte eine Art Munition sein. Er findet heraus, wo man ihn öffnet. Er schnuppert an der Spitze – hmmmm, riecht berauschend – und schaut mich prüfend an. Seine Augen sind tausend Fragezeichen.

Mir liegt es sozusagen auf der Zunge, eine erklärende Handbewegung zu machen – diejenige des Lidschattennachziehens. Mal sehen, ob so ein kasachischer Steppentrampel, nachdem er frisch mit Staatsmacht ausgerüstet wurde, Humor hat. Ich lasse es. Eigentlich will ich seinen Humor doch nicht austesten, schon gar nicht von einem Steineklopflager im TienShan aus.

Schluß. Aus. Die Tu-154 der kasachischen Awialinnii trägt mich allein, diesmal ohne den Zwischenhalt in Kustanaj, wieder über Brest, nach Nürnberg zurück.


Zum Abschluß ein paar Tips: Das Land ist touristisch wenig erschlossen. Am besten sind Studienreisen von Veranstaltern, zu denen man z. B. über die Zeitschrift WOSTOK (www.wostok.de) Kontakt bekommt. Da K. insgesamt ärmer ist als etwa Rußland, ist auch die Kriminalität höher. Nur in Gruppen reisen. Die Währung, der Tenge, dürfte sich mittlerweile stabilisiert haben (damals, 1995: ca. 50 Tg = 1 DEM). Korruption: hoch. Sprache: wen es ehrlich interessiert, der möge sich das Kasachisch-Lehrbuch von Thomas Höhmann aus der Globetrotter-Serie (Kasachisch für Globetrotter) zulegen. Ist aber eigentlich überflüssig wie ein Plattdeutsch-Lehrgang für Deutschlandtouristen. Russisch ist allgemeine Verkehrssprache und wird es angesichts der zahlreichenh Völkerschaften auch noch länger bleiben. Empfehlenswerte Impfungen: Diph+Tet, Hepa A+B. Tagesbüdget: damals reichten in Karaganda ca 20 USD pro Tag dick aus. Hygieneartikel und Medikamente mitnehmen. Empfehlenswerte Reiseziele: Balkhash-See, Almaty mit dem Medeü-Berg, sowie das Grenzgebirge zu China (als Individualreisende praktisch unmöglich, unbedingt Reiseveranstalter nehmen).

20 Bewertungen, 3 Kommentare

  • roma1

    12.06.2002, 23:19 Uhr von roma1
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein megainteressanter Bericht. LG joanna

  • elektronaut

    10.06.2002, 23:11 Uhr von elektronaut
    Bewertung: sehr hilfreich

    super informativ und umfangreich ! Danke ! grüsse elektronaut

  • Alusru

    10.06.2002, 23:10 Uhr von Alusru
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wahnsinn da möchte ich unbedingt hin, Gruß Uschi.