Das Mädchen mit dem Perlenohrring (Taschenbuch) / Tracy Chevalier Testbericht

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ab 6,04
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Erfahrungsbericht von fuerstklaas

Neulich in Delft

Pro:

Schön erzählt, gut recherchiert

Kontra:

vorhersehbar

Empfehlung:

Ja

1. Inhalt
Das Buch spielt im Delft des 17. Jahrhunderts, genau gesagt in den Jahren 1664 bis 1666, und dann, im letzten Kapitel, noch im Jahr 1676.

Die anfangs 16-jährige Griet ist die Tochter eines Fliesenmachers, der seit einem Arbeitsunfall blind ist und für den Unterhalt der Familie nicht mehr aufkommen kann. Ihr Bruder Frans will in die Fußstapfen des Vaters treten und ist ebenfalls bei einem Fliesenmacher in der Lehre, ihre kleine Schwester Agnes wohnt noch zuhause bei den Eltern, die Mutter hat hauptsächlich alle Hände voll zu tun, den Haushalt zu bewältigen.

Also muss Griet die Familie unterstützen. Hierfür tritt sie eine Stelle als Dienstmagd an im Haus des Malers Jan (auch Johannes) Vermeer van Delft.

Exkurs für alle, die´s nicht wissen: Diesen Vermeer gab´s tatsächlich. Er wurde 1632 in Delft geboren und starb dort 1675. Der Mann war wirklich fruchtbar, er hinterließ 11 (elf) Kinder. Nomen est omen? Egal, bei seinen Bildern war er, nach dem, was wir heute wissen, weniger produktiv. Ihm werden lediglich 45 bis 60 Bilder zugeordnet, pro Jahr also ca. 2-3.
Vermeer hatte einen charakteristischen Malstil, der auf der einen Seite sehr realistisch war, auf der anderen Seite auch wieder nicht. So existiert von ihm z.B. ein Gemälde mit dem Titel \"Ansicht von Delft\", welches durch seine Detailgenauigkeit besticht, auf der anderen Seite aber Perspektiven zeigt, die so vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen einfach nicht möglich waren. Das alles im Sinne der Kunst, weil Vermeer uns dadurch seine Stadt so zeigen wollte, wie er sie sah.
Genug davon, zurück zum Buch.

Im Haus von Vermeer lebt neben dem Meister selbst seine Frau Catharina, die als herrschsüchtige aber schwache Person dargestellt wird. Sie steht im Schatten ihrer übermächtigen Mutter, Maria Thins, der wahren Hausherrin. Diese ist Griet jedoch durchaus wohl gesonnen. Dann lebt noch eine weitere Dienstmagd namens Tanneke im Haus sowie zu Anfang der Geschichte vier Töchter und ein kleiner Junge. Aufgrund der eingangs erwähnten Paarungsfreudigkeit des Malers (den Kalauer mit dem Pinsel verkneife ich mir an dieser Stelle) ändert sich die Anzahl der Kinder jedoch im Laufe des Buches.

Das Buch erzählt, wie das Bild \"Das Mädchen mit dem Perlenohrring\" (auch \"Mädchen mit Turban\" genannt) entstanden ist. Nebenbei erfährt man viel über das Leben im Delft des 17. Jahrhunderts und es finden mehrere Liebesgeschichten statt, teils unvollendet, teils nicht. Griet lernt den Sohn des Fleischers Piet kennen, der ebenfalls Piet heißt, und im Buch ist zur Unterscheidung immer die Rede von \"Piet, der Vater\" bzw. \"Piet, der Sohn\". Verliebt ist sie nicht in Piet. Vielmehr hat die Beziehung der beiden etwas geradezu Zwangsläufiges, eins führt zum anderen. So kommt es zu ersten Nahkampf-Erfahrungen der Dienstmagd mit dem Fleischer in irgendwelchen Gassen in der Nähe von Griets Elternhaus. Und auch Griets Eltern üben sanften Druck auf Griet aus, zum einen, weil sie glauben, dass Griet nun langsam ins heiratsfähige Alter kommt, zum anderen aus ganz pragmatischen Erwägungen: Die Familie ist arm, und Fleisch gibt es höchstens mal an hohen Feiertagen. Aber mit so einem Fleischer als Schwiegersohn hätte man zumindest eine Sorge weniger.

Griet schwärmt seit ihrer Anstellung im Haus des Malers schon für Vermeer, sicher auch, weil der einer anderen Gesellschaftsschicht angehört, und eigentlich unerreichbar ist. Trotzdem verhält er sich Griet gegenüber freundlich-distanziert. Dies ist ein krasser Gegensatz zu dem Verhalten, das des Malers Frau an den Tag legt. Sie ist überheblich und versucht Griet zu zeigen, wo ihr Platz ist. Dabei spielt auch Eifersucht eine Rolle, denn zu Griets Aufgaben gehört auch, im Atelier von Vermeer zu putzen. Dafür muss sie das Atelier betreten, und dieses Privileg haben nicht viele. Die Ehefrau des Malers hat es jedenfalls nicht.

Eines Tages erhält Vermeer von seinem Gönner van Ruijven den Auftrag, ein Bild von der \"Magd mit den runden Augen\" zu malen. Damit meint er Griet. Van Ruijvens Motive sind dabei das Gegenteil von ehrenhaft. Er versucht, alles zu begatten, was nicht bei 3 in den Grachten ist, und er macht auch bei Griet keine Ausnahme. Um seine Vorfreude etwas anzustacheln, will er dieses Bild haben.

Vermeer ist auf van Ruijven angewiesen und hat keine Wahl. Das ist für ihn eine ziemlich Zwickmühle, weil er eigentlich das Mädchen (Griet) vor aller Unbill beschützen will, was auch sein ziegiges Weib einschließt. Der Schaffensprozess gerät zu einem emotionalen Slalomlauf für Maler und Modell. Das soll zum Inhalt reichen.

Das Buch ist in der Ich-Form geschrieben, Erzählerin ist eben jene Griet.

2. Mein Eindruck
Die Erzählweise ist insgesamt sehr unaufgeregt und unspektakulär. Das würde aber auch zum Inhalt nicht passen. So gesehen hat der Erzählstil nicht Zwingendes, man muss sich schon darauf einlassen. Anders als mir das z.B. bei Büchern von Stephen King geht, die mich entweder schon von der ersten Seite an fesseln oder bei denen ich zumindest weiß, dass sie das ziemlich bald tun werden.

Der Plot ist beinahe zu banal um erzählt zu werden. Aber gerade diese Alltäglichkeit, kombiniert mit dem historischen Hintergrund (denn Maler und Bild gab/gibt es wirklich, nur die Entstehungsgeschichte ist fiktiv) macht für mich den besonderen Reiz dieses Buches aus.

Tracy Chevalier gelingt es sehr gut, ein Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. So wusste ich bis zur Lektüre gar nicht, dass es im damaligen Holland als unzüchtig galt, wenn man als Frau seine Haare offen trug. Man erhält auch einen Einblick in die Abhängigkeiten. Ich musste mich beim Lesen an den Gedanken gewöhnen, dass es so etwas wie einen \"Mittelstand\" nicht gab. Das bedeutete, dass man sich, wenn man nicht selbständig oder Künstler war, in irgendein Abhängigkeitsverhältnis begeben musste, um zu überleben. Was das alles so mit sich bringt, auch davon handelt das Buch.

Die Geschichte ist in Teilen ziemlich vorhersehbar, aber das passt zum Gesamteindruck. Es geht hier nicht darum, irgendwelche überraschenden Wendungen, eine Kriminalgeschichte oder einen wie auch immer gearteten Thriller zu würzen. Das Fehlen solcher Spannungsspitzen wirkte beim Lesen manchmal auf mich fast schon deprimierend, aber das macht es dann auch wieder so wirklichkeitsnah. Das Buch erzählt eine Alltagsgeschichte, und auch in meinem Alltag ist seit der letzten überraschenden Wende schon einige Zeit vergangen.

3. Fazit
Alles in allem kann ich das Buch für all diejenigen empfehlen, die eine gut erzählte Geschichte zu schätzen wissen, und die nicht unbedingt den Wecker früher stellen, um vor dem Aufstehen schnell noch ein paar Seiten zu verschlingen.

Das Buch ist bei List unter der ISBN 3-548-60069-7 erschienen, die broschierte Ausgabe kostet bei Amazon 8.95 EUR.

28 Bewertungen, 6 Kommentare

  • Baby1

    01.05.2006, 11:15 Uhr von Baby1
    Bewertung: sehr hilfreich

    LG Anita

  • Natascha20

    10.04.2006, 17:27 Uhr von Natascha20
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh + LG, Natascha

  • anonym

    11.03.2006, 19:36 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    ...sh...*g*...Lg, Christina

  • morla

    11.02.2006, 23:16 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich <br/>

  • Connector

    24.01.2006, 12:49 Uhr von Connector
    Bewertung: sehr hilfreich

    Danke für deine Lesung und zur Belohnung folgt auch gleich eine Gegenlesung. LG an Dich!

  • Bea_im_Netz

    22.12.2005, 17:07 Uhr von Bea_im_Netz
    Bewertung: sehr hilfreich

    bist du ein actionjunkie? Ich mag das buch gerade wegen seiner erzählruhe…