Nackt (VHS) Testbericht

Nackt-vhs-drama
ab 9,48
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Erfahrungsbericht von T-Shirt

Lebensweisheiten vom Kalenderblatt

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Vor gut 15 Jahren hat sich Doris Dörrie in „Männer“ schon cineastisch mit zwischenmenschlichen Beziehungen auseinandergesetzt – dank der leichtfüßigen Inszenierung und den pointierten Dialogen wurde der Film damals ein großer Erfolg. Auch für „Nackt“, ihr neuestes Werk, hat sich Dörrie wieder dieses Themas angenommen – doch von Leichtfüßigkeit und pointierten Dialogen fehlt diesmal leider jede Spur.

Drei Pärchen treffen in „Nackt“ aufeinander: Der unambitionierte Boris (Jürgen Vogel) und die ebenso erfolgreiche wie zickige Karrierefrau Anette (Alexandra Maria Lara) scheinen auf dem Weg zum Traualtar. Der südländische Macho Dylan (Mehmet Kurtulus) und die überdrehte und launische Charlotte (Nina Hoss) schwelgen im Luxus, ihre Beziehung ist aber am kriseln. Ober-Zyniker Felix (Benno Fürmann) und die sensible Emilia (Heike Makatsch) schließlich haben sich gerade getrennt.

In dieser Konstellation trifft man sich in der teuer, aber unterkühlt eingerichteten Wohnung von Dylan und Charlotte zum Abendessen. Bei den Vorbereitungen hat Charlotte ihrem Partner Dylan noch vorgeworfen, er habe „Speck auf der Seele“ angesetzt und sehe nur noch ihren Körper, aber nicht mehr ihre Seele. Und so schneidet sie das Thema an, das die sechs Delinquenten den ganzen Abend lang beschäftigen soll: Beziehungen. Die eigenen Befindlichkeiten werden so lange fein säuberlich seziert, bis das ganze in einer obskuren Wette mündet. Anette, Boris, Charlotte und Dylan müssen sich komplett entkleiden und mit verbundenen Augen ihren Partner ertasten ...

Freunde der platten Pornographie kommen hier allerdings nicht auf ihre Kosten. Es ist zwar keineswegs so, dass sich die Kamera schamhaft im Hintergrund hält, ganz im Gegenteil: Die Kamera fährt meist so dicht heran, dass fast nur noch einzelne Hautpartikel zu sehen, die keiner Person mehr zuzuordnen sind. So wird die delikate Szene geschmackvoll und ohne jeden Voyeurismus ins Bild gesetzt.

Und noch etwas spricht für diese Szene: Sie bietet endlich eine Abwechslung zu dem öden Einerlei, das sich zuvor in den Wohnungen der Protagonisten und anschließend rund um den gedeckten Tisch abgespielt hat.

Das Drehbuch suggeriert, die sechs jungen Menschen seien miteinander befreundet. Aber leider gibt es dafür keinerlei Anzeichen. Sie scheinen keine Gemeinsamkeiten zu haben und agieren eher gegeinander als miteinander. Man versucht, sich gegenseitig zu imponieren und den Gegenüber in irgendeiner Form auszustechen oder zu übertrumpfen. Dass hier Freundschaften bestehen sollen, wirkt in keinem Moment glaubwürdig, und der Zuschauer fragt sich ernsthaft, was diese sechs Menschen an diesem Abend zusammengeführt hat. Allein die Tatsache, dass diese Konstellation hinten und vorne nicht funktioniert, ist schon ein Negativpunkt an sich. Darüber hinaus krankt der Film aber auch ganz entscheidend daran, dass die Protagonisten zwar miteinander sprechen, aber sich eigentlich nichts zu sagen haben.

Dabei drehen sich ihre Gespräche um durchaus interessante, weil existenziell wichtige Fragen, die sich grundsätzlich um jede Liebesbeziehung ranken. So gesehen hat der Film eigentlich jede Menge Potenzial, das jedoch leichtfertig verschenkt wird. Gerade in der großen Sechser-Runde werden zwar viele Fragen aufgeworfen, aber meist nur mit lauen Sprüchen oder Platitüden beantwortet. „Wann seid ihr zum letzten Mal glücklich gewesen?“ fragt Charlotte die anwesenden Pärchen. Das Ergebnis sind unterirdische Antworten, zum Beispiel Joggen bei eiskaltem Wind. Da mag man vieles hinein interpretieren: Sprachlosigkeit, fehlendes Feingefühl, erkaltete Liebe ... weiß der Kuckuck! Tatsächlich ist dieser Gesprächsfaden aber ebenso öde und belanglos wie fast alle anderen auch.

Vielleicht schämen sich die Figuren auch nur, in der großen Runde mit Menschen, die sie eigentlich nicht mögen, ihre innersten Gefühle preiszugeben. Doch mit dieser Grundannahme beraubt sich der Film all seiner Möglichkeiten – wenn statt tiefgehender Gesprächen letztlich nur eine sinnfreie Aneinanderreihung von Worten geboten wird, mag das Thema noch so interessant sein ... letztlich bleibt nur leeres Gestammel. Plausibel wäre obengenannte Erklärung aber trotzdem, denn in den letzten Szenen des Films, als die Paare wieder sich selbst überlassen sind, liegt die inhaltliche Qualität der Gespräche deutlich höher als zuvor.

Aber auch unter vier Augen fallen leere Sätze wie „In jeder Beziehung gibt es nur einen glücklichen Tag“. Was will die Autorin uns damit sagen? Und wo hat sie diese Lebensweisheiten eigentlich her? Aus der „Brigitte“? Von der Wand einer öffentlichen Toilette? Von der Rückseite eines Kalenderblatts? Irgendwo auf diesem Niveau zumindest bewegt sich das Drehbuch über weite Strecken.

Zudem sind die einzelnen Figuren einfach völlig uninteressant und in sich nicht stimmig. Charlotte wirft zwar schlaue Denkansätze in die Runde, fängt im nächsten Moment aber völlig unmotiviert an zu kichern oder zu singen. Auch ihr Verhalten gegenüber Dylan schwankt mitunter unerklärlich zwischen den Extremen. Anette wirkt meist so klug, brav und zurückhaltend, dass ihre plötzliche Bereitschaft, sich für die Wette auszuziehen, ebenso wenig glaubwürdig erscheint, wie ihre gelegentlichen zickigen Ausbrüche. Ähnlich holzschnittartig ist Felix zusammengezimmert, in dessen Verhalten es keine Abstufungen gibt: Entweder gibt er den abgebrühten Zyniker oder den sensiblen Mann, der „Die Sendung mit der Maus“ schaut. Und sowohl Boris als auch Dylan sind vor allem eines: öde und uninteressant.

Dass sich Emilia in Mullbinden kleidet, mag einer tieferen Symbolik geschuldet sein, wirkt aber letzlich nur lächerlich. Ohnehin wirkt die Symbolik furchtbar aufgesetzt. So kalt, wie die Wohnung von Charlotte und Dylan eingerichtet ist, wirkt auch ihre Beziehung. Und so chaotisch, wie Emilias Gefühlsleben ist auch ihre Wohnung eingerichtet. Statt eines Sofas hat sie ein Schlauchboot, und sie schläft in einem Zelt. Das ist so gewollt originell, dass es fast weh tut.

Das gute Schauspieler-Ensemble tut sein bestes, um den leblosen Figuren und dem vermurksten Drehbuch etwas Leben einzuhauchen, aber es gelingt ihnen zu selten. Die Darsteller können den Film insgesamt ebensowenig retten wie die wenigen überzeugenden Szenen und eine handvoll guter Kameraeinstellungen. So groß das Potenzial auch sein mag – der Film bleibt in wenigen guten Ansätzen stecken. Textlastiges Ensemble-Kino (despektierlich könnte man auch von „Laber-Filmen“ sprechen) sind eine Spezialität der Franzosen. Sie können so etwas leicht, locker und unverkrampft inszenieren. Doris Dörrie ist mit diesem Vorhaben hingegen kläglich gescheitert.

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