Arbeitslosigkeit Testbericht

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Erfahrungsbericht von mg1970

Meine Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit

Pro:

viel Freizeit, mehr Zeit für Hobbys/Familie, Zeit für Gedanken zur Neuorientierung, evtl. Erholung von den Strapazen des vorherigen Jobs, lange schlafen ;-)

Kontra:

Geldprobleme, gesellschaftliche Probleme, neue Arbeitsstelle oft zu schlechteren Bedingungen als die alte, Differenzen mit dem Arbeitsamt

Empfehlung:

Nein

Arbeitslosigkeit – ein immer aktuelles Thema. Über 4,5 Millionen Deutsche sind offiziell arbeitslos gemeldet, und sicher gibt es noch viele mehr, die nicht arbeiten (aber arbeiten könnten). Die sich aus welchen Gründen auch immer nicht beim Arbeitsamt gemeldet haben.

Viele, die dies hier lesen, arbeiten vielleicht – oder lesen den Text sogar auf der Arbeit. Aber die Arbeitslosigkeit kann (fast) jeden treffen. Auch ich war schon zweimal arbeitslos, einmal war ich sogar Langzeitarbeitsloser. Und es ist beim heutigen Arbeitsmarkt gar nicht mal so einfach, diese Situation zu beenden. Nicht selten muss man auch Schikanen seitens des Arbeitsamtes über sich ergehen lassen.

Dieser Bericht ist weniger ein Ratgeber, sondern die Schilderung meiner bisherigen Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit.

Hier ist also meine Geschichte…

Nach einer relativ langen Schulzeit („Fast“-Abitur auf dem Gymnasium, danach noch 2 Jahre Höhere Handelsschule und dort ein gutes Fachabitur Typ Wirtschaft erworben) absolvierte ich irgendwann Anfang der 90er Jahre meine Ausbildung zum Industriekaufmann. Diese konnte ich wegen meiner Schulausbildung von drei auf zwei Jahre verkürzen. In der Ausbildungsfirma verlief nicht immer alles glatt, aber schließlich habe ich nach den beiden Jahren die Abschlussprüfung mit gutem Ergebnis bestanden.

Ich brauchte etwa 10 Bewerbungen, um diese Lehrstelle zu bekommen. Dieser Prozess fand ein Jahr vor Ausbildungsbeginn statt.

Schon etwa einen Monat vor meiner Prüfung eröffnete mir der Juniorchef, dass die Firma in diesem Jahr die Auszubildenden nicht in ein festes Angestelltenverhältnis übernehmen würde. Einerseits rechnete ich schon damit, weil es auch mal Differenzen mit der Ausbildungsleitung gab (Überziehung der tariflich festgelegten Arbeitszeit und ausbildungsfremde Tätigkeiten waren nämlich an der Tagesordnung), andererseits enttäuschte es mich schon ein wenig, denn insgeheim hoffte ich, dass ich vielleicht in der EDV-Abteilung bleiben könnte, da dieses Gebiet mein Steckenpferd im kaufmännischen Bereich ist. Aber auch in anderen Betrieben (Berufsschulkollegen) war es häufig nicht anders mit der Übernahme. Sicher ein Drittel meiner Berufsschulkollegen wurde von den Ausbildungsbetrieben nicht übernommen.

So stand mir erst einmal nach dem ganzen Lern-, Prüfungs- und auch beruflichen Stress ein langer Sommer bevor, in dem ich mal so richtig die Seele baumeln lassen könnte. Die Frage war nur, wie lange. Das konnte ich damals noch nicht wissen. Ich dachte schon, dass die Arbeitslosigkeit nicht all zu lange andauern könnte, bei dem ordentlichen Abschluss.

Ich meldete mich natürlich sofort arbeitslos. Das dauerte natürlich ewig, bis ich da mal nach dem Ziehen meiner Nummer dran kam beim Arbeitsamt. Außerdem waren einige der Arbeitsvermittler auch nicht gerade die freundlichsten. Wegen einer fehlenden Unterschrift musste ich sogar noch einmal zurück zum Ausbildungsbetrieb, der auch nicht gerade um die Ecke lag, und dann wieder zurück zum Arbeitsamt. Als nach vielen Stunden schließlich alles formgerecht erledigt war, sagte man mir nur, „ich würde bald wieder von ihnen hören“.

Als ich gerade mal übers „erst mal Urlaub machen“ nachdachte, war schon der erste Schrieb von denen in meinem Briefkasten. Ich sollte mich bei der und der Firma bewerben. Das war zugleich schon eine, die relativ weit von meinem Wohnort entfernt lag (45 Minuten pro Strecke), das bei Arbeitszeiten bis nach 18 Uhr täglich. Und das Anforderungsprofil klang ziemlich hoch. Disposition. Der Sprung ins kalte Wasser? Diese Abteilung hatte ich in meiner Ausbildung gar nicht durchlaufen. Das fängt ja schon gut an, dachte ich. Natürlich bewarb ich mich trotzdem dort.

Lange Zeit hörte ich gar nichts von denen. Schon bald hatte ich den nächsten Schrieb im Briefkasten, mit genau gleich lautendem Text, nur Tätigkeit, Datum und Firmenadresse waren anders. Sofort schickte ich die nächste Bewerbung ab.

Nach mindestens 8 Wochen bekam ich eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in der Firma, die 45 Minuten vom Wohnort entfernt liegt. Dieses war um ein Vielfaches kürzer als die Hin- und Rückfahrt, mit dem Ergebnis, dass die Firma doch eher einen schon qualifizierteren Bewerber mit langjähriger Berufspraxis suchte anstelle eines Berufseinsteigers. Schon mit dem Gefühl, dass es nicht geklappt hat, fuhr ich nach Hause.

Den Restsommer konnte ich jedenfalls noch komplett genießen, und es kam der Herbst, dann der Winter. Immer noch war ich zu Hause. Zumindest hatte ich hier eine sinnvolle Tätigkeit. Ich lebte noch bei meinen Eltern in einem „Kinderzimmer“ in deren Haushalt, und das mit 25 Jahren. Jedoch wurde im Haus meiner Eltern eine Wohnung frei, in die ich einziehen könnte, sobald sie renoviert ist. So nutzte ich die freie Zeit für die Auflösung des vorherigen Haushalts und die Vorbereitung der Renovierungsarbeiten (Teppichböden und Tapeten entfernen etc.), so dass man sich so manchen Handwerker gespart hat.
Natürlich schrieb ich immer wieder fleißig Bewerbungen. So zwei, drei Angebote kamen noch vom Arbeitsamt. Aber darauf konnte ich mich nicht verlassen. Vielmehr studierte ich die Anzeigen in der Tageszeitung. Und darauf bewarb ich mich dann immer wieder. Es kamen natürlich Absagen, jede Menge.
Bis ich eines Tages am Samstag eine ganz kleine Stellenanzeige las und noch am selben Tag die Bewerbungsunterlagen zur Post brachte. Somit bekam der Chef die Bewerbung als erste am kommenden Montag, während der „ganze Stapel“ erst am Dienstag kam. Somit stach meine Bewerbung ins Auge. Schon für den kommenden Dienstag hatte ich ein Vorstellungsgespräch.

Dieses dauerte sicherlich zwei Stunden, und ich verließ es sehr zuversichtlich. Schon fast war es sicher, dass ich die Zusage hatte. Natürlich freute ich mich schon mal. Die Arbeitsbedingungen und der Tätigkeitsbereich hörten sich auch sehr positiv an. Eine Woche später hatte ich tatsächlich meine Zusage. Ich freute mich noch mehr, aber auch dachte ich, dass ich mich dann später immer noch mal verändern könnte, wenn ich erst mal Berufspraxis hätte.

Und aus diesem ersten Versuch, erste Berufspraxis zu erwerben, wurden drei volle Jahre. Leider hielt der Chef nicht seine Versprechungen. Ich wurde eher zu Arbeiten weit unter meiner Qualifikation eingesetzt (Texterfassung, Ablage, Telefondienst…), und die Computer waren ein Witz. Windows 3.1 sogar noch im Jahr 1999, ansonsten war nur Word installiert. Toll, nicht? Durch diese ganze „Handarbeit“ fielen täglich Mehrstunden an, das Klima war allgemein schlecht – und um es kurz und knapp auszudrücken, es wurde gemobbt!

Irgendwann hielt ich diese Belastungen nicht mehr durch und kündigte selbst, nachdem ich mich schon seit einem Jahr vergeblich um eine neue Stelle bemühte. Ich hörte gerade von Weiterbildungen im PC-Bereich und hoffte, dort vielleicht unterzukommen, und danach sehen wir mal weiter.

Leider verlief es im Anfang nicht so wie erhofft. Natürlich ging ich am nächsten Werktag, an dem ich „in Freiheit“ war, zum Arbeitsamt. Wieder ähnliche Erfahrungen wie knapp 4 Jahre zuvor. Ich musste wieder Formulare ausfüllen. Vermutlich war ich noch in deren Rechner gespeichert, denn mehrmals riefen die bei meinen ELTERN an, anstatt bei mir. Durch meinen Umzug innerhalb desselben Hauses änderte sich zwar die Straße/Hausnummer nicht, aber wohl meine Telefonnummer – und natürlich gab ich meine aktuelle an. Das schienen sie übersehen und stattdessen meine alten Daten übernommen zu haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Als erstes wurde mir erklärt, dass ich keinen Anspruch auf die anstehende EDV-Maßnahme hätte. Ich sollte besser „richtig“ arbeiten, und kündigen hätte ich auch nicht sollen. Sie würden mir das harte Arbeitsleben schon beibringen, anstatt dass ich nur auf „Lenz“ mache, sie hätten nämlich so einiges für mich.
Eine 6-wöchige Sperre des Arbeitslosengeldes brummte man mir auch noch auf. Da half es nichts, dass ich denen sagte, wegen Mobbing sei keine Fortführung des Arbeitsverhältnisses von meiner Seite zu vertreten gewesen. Auch brachte es nichts, dass ich eine Kopie meiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte (so weit war es schon gekommen). Aber mir war es ehrlich gesagt egal mit der Sperre, Hauptsache ich hatte erst mal meine Ruhe.

Und schon bald kam das erste Angebot von denen. In einer Leihfirma. Zweistellige Zahl der Arbeitsstunden. Nicht pro Woche, sondern pro Tag. Dafür ist das Nettogehalt dreistellig. Nicht in Euro, sondern damals noch in DM. Tätigkeit: wieder Schreibmaschine schreiben, Zahlen mit Taschenrechner addieren, Ablage und Telefondienst machen, Kaffee kochen und so weiter. Erst mal bewarb ich mich dort nicht, denn ich wäre vom Regen in die Traufe gekommen. Insgeheim hoffte ich doch noch auf meine Weiterbildung.
Nach ca. 2 Wochen wurde ich vom Arbeitsberater eingeladen, welcher mir eine Standpauke hielt. Ein älterer Herr. Ich schilderte ihm, was ich gelernt habe und welche Kenntnisse ich habe, aber das interessierte ihn nicht. Diese Stelle war immer noch nicht besetzt (wer schreibt auch schon freiwillig 10 Stunden pro Tag Schreibmaschine für einen Hungerlohn). So zwang er mich, die Bewerbung nachzuholen. Da mir aber eine Augenoperation bevorstand, konnte ich ihm gleich einen „Gelben“ in die Hand drücken und das Problem somit umgehen.

Danach hörte ich nie wieder was vom Arbeitsamt. Es kam kein einziges Angebot. Ich bewarb mich auch nicht auf Anzeigen, da ich gesundheitlich noch außer Gefecht war. Bis dann wieder eine Anzeige für diese angestrebte EDV-Maßnahme erschien, die nun endlich nach einigen Verschiebungen (mangels Teilnehmern!) in der zweiten Jahreshälfte stattfinden sollte. Ich bewarb mich einfach für diese Maßnahme, und schon kam der Anruf vom Arbeitsamt, dass es doch wohl unverschämt sei, dass ich mich dort anmelde, ich sollte doch lieber richtig arbeiten, und wenn, dann würden SIE (das Amt) die Kandidaten auswählen!
Nach einigem Hin und Her konnte ich doch durchsetzen, dass ich an dieser Maßnahme teilnehmen konnte. In der Zeit bekam ich weiterhin mein Geld vom Arbeitsamt, die Maßnahme war eine schöne Zeit (dauerte ein Jahr), und die Prüfungen habe ich schließlich alle mit gutem Ergebnis bestanden, Praktikum habe ich auch abgeleistet. Laut Papier hatte ich nun also Qualifikationen in der PC- und Netzwerkbetreuung.

Schon vor Ende des Lehrgangs (Praktikumsbetrieb übernahm übrigens auch nicht) schrieb ich Bewerbungen: kaufmännische Stellen mit Schwerpunkt EDV. Bei einer Firma hätte es fast auch geklappt, ich war in der Endrunde von 2 Bewerbern, leider bekam der andere wegen längerer Praxis den Zuschlag.

Noch mal konnte ich einen Restsommer genießen, bis wieder ein Schrieb (mit demselben Wortlaut wie vor 5 Jahren) im Kasten lag. Ich sollte mich wieder bei einer Leihfirma bewerben. Wieder so eine „2+3“-Stelle (Stundenzahl, Gehalt, siehe oben), und wieder mal nur Klimpern auf der Schreibmaschine bzw. PC-Tastatur, Ablage, Telefondienst, Kaffee kochen und so weiter. Ich bewarb mich tatsächlich! Aber mit Nennung meiner Qualifikationen und Berufswünsche, inkl. angestrebtem Einstiegsgehalt, welches sogar in Euro eine Stelle mehr hat. Ich dachte nämlich, ob diese Leihfirmen vielleicht Beziehungen zu anderen Unternehmen haben könnten, die qualifizierteres Personal suchen.
Aber die „Alte“ von der Leihfirma hatte nichts Besseres zu tun, als diesen Vorfall dem Arbeitsamt zu melden. Und schon hatte ich wieder eine Einladung. Schon wieder bei demselben älteren Heini, der mich schon 1½ Jahre vorher zur Schnecke machte. Diesmal brüllte er mich erst recht an. Was würde ich mir wohl einbilden? Auch wenn ich jetzt höhere Qualifikationen hätte, so sei nach unten alles offen, ich müsste auch niedere Arbeiten annehmen. Er drohte mir den endgültigen Verlust meines Anspruchs auf Arbeitslosengeld an, aber gab mir noch einmal die gelbe Karte. Das lag wohl nur daran, dass in wenigen Monaten mein Anspruch sowieso erschöpft war.

NIE WIEDER bekam ich ein Stellenangebot vom Arbeitsamt. Lediglich bekam ich eine Maßnahme aufgebrummt, in der ich lernen sollte, wie man die richtige Bewerbung schreibt. Dabei hatte ich das in meinem EDV-Lehrgang schon durchgekaut. Ich war mit 30 der Jüngste dort. 6 Wochen dauerte diese Maßnahme. Mit 100%iger anschließender Beschäftigungsgarantie, angeblich. In der Praxis war das aber nur Kinderkram, niemand fand eine Stelle danach, drei machten sich selbstständig.

Ohne Angebote vom Arbeitsamt zu bekommen, schrieb ich stattdessen weiterhin auf Stellenanzeigen, auch wenn die Arbeitszeit und Tätigkeit nicht so günstig waren, außerdem schrieb ich sicherlich 10 oder mehr der bekanntesten Industriebetriebe in der näheren Umgebung an, als Initiativbewerbung!

Ein paar Vorstellungsgespräche folgten, aber letztendlich hätte ich mit meinen Absagen ein ganzes Zimmer tapezieren können. Die Hoffnung, eine Stelle mit Schwerpunkt EDV zu finden, gab ich sowieso schon auf. Ich bewarb mich „back to the roots“, als „einfacher“ Industriekaufmann. Aber auch da gab es keine Chance. Nur mit einem Windows 3.1-Textprogramm klimpern und Zahlenkolonnen per Taschenrechner addieren und kalkulieren (ohne Excel-Kenntnisse), das können viele. Und bei solchen Sekretariatsstellen waren anscheinend die Damen bevorzugt (ein männlicher Sekretär ist auch eher selten). Für andere hatte ich wiederum mangelnde Vorkenntnisse, denn gerade der Bereich des Industriekaufmanns ist sehr weit gefächert, wenn man sich mal die ganzen verschiedenen Abteilungen anschaut.

Und es kam der nächste Sommer. Ich hatte gerade mal wieder ein paar Bewerbungen laufen, zum Teil auch unfreiwillig, weil die Tätigkeit wieder mal unter meiner Qualifikation war, und von einigen Firmen war es auch bekannt, dass jeden Tag bis in die späten Arbeitsstunden gearbeitet werden muss. Aber ich hätte ja immer noch abspringen können, wenn sich was Besseres ergibt.
In diesem Sommer machte ich oft Tagesausflüge mit dem Bus in eine der nächstgelegenen großen Studentenstädte. Im Bus sah ich viele hübsche junge Frauen, die eine sehr positive Ausstrahlung hatten, auf ihrem Schoß lagen zu lernende Unterlagen für ihr Studium. Und unsereiner dachte da gerade, vielleicht sitze ich heute das letzte Mal in diesem Bus auf der Rückfahrt und arbeite morgen schon zu dieser Zeit noch, und 5 Stunden später auch noch. So ging ich zitternd zum Postkasten, aber nichts dabei, und erst Wochen später gab es Antwort – in Form eines großen DIN A 4-Umschlags. Einige Firmen schickten die Unterlagen auch gar nicht zurück.

Mittlerweile gab es auch schon "nette" Verwandte und Nachbarn, die mich als "faulen Sack" abstempelten. Statt der Begrüßung hörte ich: "Hast Du schon Arbeit?" Das waren auch meist diejenigen, die der Meinung waren, dass mir eine Arbeit mit 10 bis 15 Stunden mal 6 Tage pro Woche nicht schaden würde. Und die, falls weiblich, selbst sehr früh geheiratet haben, um Hausfrau zu werden. Und falls männlich, konnten sie oft die Überstunden so auf den frühen Morgen legen, so dass es ihnen nicht weh tat, denn der späte Nachmittag und Abend gehörte ihnen und ihren Lieben. Die Überstunden brachten ihnen noch 20 bis 30 zusätzliche Urlaubstage pro Jahr ein. Und diese Leute haben erwachsene Kinder, die allesamt von Beruf Tochter bzw. Sohn sind oder waren.

Als ich diese ganzen fröhlichen Studenten sah, kam mir erstmals der Gedanke, ob es vielleicht auch für mich noch nicht zu spät ist zu studieren. So wie jetzt ging es jedenfalls auch nicht weiter. Und gleichzeitig dachte ich mir auch, als ich diese fröhlichen jungen Studentinnen sah, dass ich auch eigentlich noch viel zu jung bin, um schon im Büro zu versauern. Meine Pläne waren zwar noch nicht konkret, aber es stand fest, dass ich mich verändern muss.

Im Herbst erkundigte ich mich dann mal näher, ob ein Studium für mich in Frage käme. Ich hatte Glück, da eine Hochschule am Wohnort ist und außerdem ein am besten passender Studiengang angeboten wird, nämlich Wirtschaftsinformatik. Eine Mischung aus BWL und Informatik, was meiner angestrebten Tätigkeit am nächsten kommt.
Einige Stammleser wissen schon, dass ich nun schon seit einiger Zeit Student bin. Natürlich kommt diese Möglichkeit wohl für die meisten nicht mehr in Frage, die seit ähnlich langer Zeit auf Arbeitssuche sind. Ich konnte auch nur aufgrund einiger günstiger Voraussetzungen studieren (Hochschule am Wohnort, Wohnung im Haus der Eltern, noch keine eigene Familie, Teil-Unterstützung durch die Eltern, Ersparnisse). Für viele wäre das finanziell nicht machbar. Denn auch wenn man durch das Studium eine bessere Qualifikation für später erlangen kann, wird man für seine „Arbeitsfaulheit“ bestraft, in Form von nicht vorhandenem Anspruch auf Bafög, horrenden Krankenkassenbeiträgen (beides ab 30) und ggf. Studiengebühren, wenn man das Studium nicht in einem „Durchmarsch“ besteht (das Lernen kann durchaus sehr schwer fallen, wenn die Schule schon Ewigkeiten zurückliegt, ich spreche da aus Erfahrung).

Auch wenn für viele ein Studium oder eine Zweitausbildung nicht mehr in Frage kommen, so können sich Betroffene dennoch Gedanken machen, wie es weitergehen soll, wenn man im bisherigen Beruf nichts findet.

Erstens: Abstriche machen? Das habe ich ja auch schon mal zumindest probiert. Auch wenn man viele Qualifikationen hat, kann man denn nicht auch „eine Stufe darunter“ arbeiten? Wie sieht das mit der Arbeitszeit aus? Leider tendieren viele Firmen heute dazu, die „richtige Arbeit“ auf die späten Arbeitsstunden zu verlagern und teilweise auch samstags zu arbeiten, zu Lasten des Privatlebens und der Familie bzw. des Freundeskreises. Manche Firmen sparen auch an der Büroausstattung, indem nur alle ca. 15 Jahre ein neues EDV-System angeschafft wird, trotz der schnelllebigen Zeit, oder die meist älteren Vorgesetzten sind neuen Arbeitsmethoden gegenüber ablehnend (eigene Erfahrung). Man stellt sich die Frage, kann man damit leben, keine Freizeit mehr zu haben? Wer mit diesen Entbehrungen leben kann, der findet wahrscheinlich eher eine Arbeitsstelle als diejenigen, denen die Freizeit und das Privatleben „heilig“ sind (ich zähle eher zu letzterer Gruppe). Wie sieht es mit dem Verdienst aus? Ist ein kleines Gehalt erst mal ausreichend? Wie weit darf die Firma vom Wohnort entfernt liegen? Wie sehr darf die Tätigkeit von der Wunschtätigkeit bzw. Ausbildung abweichen?

Zweitens: Was für Alternativen gibt es, wenn sich gar nichts findet? In meinem Fall habe ich mich für ein Studium entschieden, was natürlich nicht für jedermann in Betracht kommt. Aber vielleicht eine Umschulung? Oder vielleicht auch eine Weiterbildung, so wie ich sie machte? Man könnte sich da evtl. beim Arbeitsamt beraten lassen, auch wenn man zuerst auf Ablehnung stößt. Vielleicht macht sich Hartnäckigkeit auch mal bezahlt. Allerdings werden heute immer weniger dieser Maßnahmen angeboten…

Ansonsten: auf jeden Fall selbst aktiv werden und nicht aufs Arbeitsamt warten. Schaut regelmäßig in der Zeitung oder auch mal im Internet, ob nicht irgendwelche Firmen jemanden suchen. Wenn ja, dann immer darauf bewerben, wenn das Profil annähernd Eurem Profil entspricht.

Oder auch Initiativbewerbungen schreiben. Das sind Bewerbungen an bekanntere Firmen im Umkreis, die gerade nicht inserieren. Aber wer weiß, vielleicht wird dort doch jemand gebraucht. Manche Stellen werden nämlich gar nicht extern ausgeschrieben. Natürlich gehört hier auch eine Portion Glück dazu. Einige Firmen halten die Unterlagen aber auch für ein halbes Jahr oder so auf Wiedervorlage, denn vielleicht ergibt sich zwar heute nichts, aber Kollege Meier aus der Rechnungsabteilung könnte in vier Monaten überraschend kündigen, so dass dann eine Stelle frei wird.

Eine weitere Möglichkeit wäre, selbst eine Annonce in der Zeitung aufzugeben. Das ist aber nicht ganz billig, aber manchmal könnte das was bringen. Am besten am Samstag, denn dann sind auch viele Firmenchefs zu Hause und lesen die Zeitung. Das habe ich auch schon mehrmals versucht. Dabei waren auch schon mal betuchtere Privatmänner, die jemanden suchten, der „zu jeder beliebigen Tageszeit“ deren Finanzangelegenheiten verwalten sollte, oder wieder Leihfirmen, aber hier kann man ja selbst entscheiden, worauf man sich bewirbt und worauf nicht. Zwielichtige Zuschriften kann man ja ruhigen Gewissens der „Ablage P“ zuordnen (Papierkorb), ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Abschließend möchte ich noch mal betonen, dass man sich nicht nur aufs Arbeitsamt verlassen sollte. Oft haben die dort vorhandenen Angebote einen Haken (Arbeitsbedingungen, Profil, Gehalt), und nicht selten schreiben gerade die Firmen ans Arbeitsamt, die nur billige Arbeitskräfte suchen. Außerdem stimmen nicht immer die Profile der Stellenangebote mit denen des Bewerbers ein – in der Regel werden die Aufforderungsschreiben zur Bewerbung nur von den Computern des Arbeitsamtes ausgespuckt. Manchmal sind die Stellenangebote auch schon veraltet.

Diese Möglichkeiten versprechen zwar nicht immer Erfolg, aber wie Ihr seht, gibt es doch mehrere Möglichkeiten, die einen Versuch wert sind, die Arbeitslosigkeit zu beenden oder ihr vorzubeugen.

Viel Glück!

PS: Zum Schluss zu meiner Bewertung. Natürlich kann ich Arbeitslosigkeit nicht empfehlen. Aber es kann in einigen bestimmten Fällen durchaus nicht ganz verkehrt sein, erst mal ein paar Wochen/Monate auszuspannen, je nach vorheriger Belastung. Gerade dann, wenn man in der vorherigen Firma unter extremsten Bedingungen arbeiten musste (Überstunden bis spät abends, lange Zeit kein Urlaub, Dauerstress, Mobbing). Und diese Auszeit kann man evtl. auch dazu nutzen, über eine Neuorientierung nachzudenken. Nur dadurch erklärt sich der eine Pluspunkt, den ich gegeben habe. Insgesamt ist das also eine Bewertung von einem Stern.

Erstveröffentlichung von mir unter gleichem Benutzernamen auch bei ciao.de in 02/2004

23 Bewertungen, 1 Kommentar

  • anonym

    21.06.2004, 22:40 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr interessant, was du so über das Arbeitsamt und dein bisheriges Berufsleben so schreibst. Ist echt schrecklich, dass man als Arbeitsloser vom Arbeitsamt so niedergemacht wird. Ich bin auch eher der Typ der sagt, dass man eine Stelle mit geringeren