Weimar Testbericht

Weimar
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Erfahrungsbericht von kassandra

Der etwas andere Weimar-Bericht

Pro:

siehe Bericht

Kontra:

siehe Bericht

Empfehlung:

Ja

Als ich 1972 im Rahmen einer Jugendweiheveranstaltung (die „Wessi’s“ werden jetzt fragen, was das ist – ihr könnte ja gerne per Mail bei mir nachfragen, Antwort gibt’s garantiert) in Weimar. Damals war ich 14, voll in der Pubertät und nicht anders als heutige 14jährige.

Schon als wir in Weimar ankamen hat es geregnet. Es war so ein fieser Nieselregen, bei dem man die Hand vor Augen kaum sieht. Wir waren damals zur Besichtigung im Konzentrationslager Buchenwald, haben danach im „Weißen Schwan“ – eine sehr historische Gaststätte, heute ein Luxusrestaurant – Mittag gegessen, haben einen Stadtbummel gemacht, das Schiller-Haus besichtigt und sind dann wieder nach Hause gefahren. Damals habe ich mir geschworen: nie wieder nach Weimar.

Seit 25 Jahren lebe ich nun in dieser Stadt. Meinen Vater hatte es damals beruflich nach Weimar verschlagen. Weimar im Regen ist immer noch etwas hässliches, aber ich fühle mich mittlerweile sehr wohl in dieser Stadt. Gott sei Dank überwiegen die Sonnentage.

In Weimar, einschließlich der eingemeindeten Orte, leben etwa 65.000 Einwohner. Man kann gut hier leben. Die Menschen in Weimar sind schon ein recht eigentümliches Völkchen. Sie sind stolz auf die Stadt der Dichter und Denker und viele haben sich intensiv mit der Geschichte der Stadt und ihrer früheren Bewohner beschäftigt. Manchen ist das allerdings auch ein wenig zu Kopf gestiegen. Die Weimarer bilden sich schon etwas darauf ein, in einer so geschichtsträchtigen Stadt zu leben.

Es gibt genügend Wohnraum, für jeden Geschmack etwas. Es gibt wunderschöne alte Villen oder Stadthäuser, und die Stadt selbst hat 3 große Neubaugebiete, die in den 70er Jahren entstanden sind. Aber auch in den letzten Jahren ist viel gebaut worden, vor allem am Stadtrand und in den eingemeindeten „Vor“-Orten. In einem solchen „Vor“-Ort lebe ich jetzt. in Gaberndorf. Gaberndorf ist ein idyllisches altes Dorf direkt unterhalb des Ettersberges. Hier entstand Anfang der 90er Jahre – also kurz nach der Wende – eine neue Siedlung mit vielen Ein- und Zwei-Familienhäusern.

Früher hat Weimar hauptsächlich von zwei Großbetrieben gelebt, zum einen das Weimar-Werk, hier wurden Kartoffel-Rode-Maschinen gebaut, und zum anderen vom Uhrenwerk. Beide Betriebe sind mit der Wende „untergegangen“ und heute gibt’s in Weimar keine „Groß“industrie mehr. Arbeitsplätze sind in Weimar knapp geworden, die Arbeitslosenrate beläuft sich hier auf ca. 14 %.

Die Mühlen in Weimar mahlen langsam. Es hat z.B. fast 10 Jahre gedauert, bis die Stadt den Bau einer neuen Drei-Felder-Halle beschlossen hat. Es erscheint eigentümlich, wenn eine Straße wochenlang gesperrt ist, weil z.B. Gasleitungen neu verlegt werden, und ein Jahr später ist dieselbe Straße wieder gesperrt, weil die Telekom-Leitungen erneuert werden. Da fragt man sich wirklich, wo der Amtsschimmel wiehert.

Sportlich ist in der Stadt überhaupt nicht viel los. Sicher, es gibt Karate- und Tennisschule, der Polizeisportverein erntet beim Judo so manche Medaille, aber es gibt nur ein winziges Stadion, und die Schulen, die keine eigene Sporthalle haben müssen ihre Schüler sonst wohin schicken, damit überhaupt Sportunterricht stattfinden kann. Es erschien mir wie ein Wunder, dass die Mannschaft von Schalke 04 diesen Sommer nach Weimar kam, um hier ein Freundschaftsspiel zu absolvieren.

Negativ finde ich auch, dass die Ämter der Stadt teilweise ziemlich weit auseinander liegen. Wenn man z.B. an einem Tag auf’s Ordnungsamt, zum Jugendamt und zum Sozialamt möchte, braucht man wirklich fast den ganzen Tag, um seine Wege zu erledigen. Dabei ist Weimar gar nicht so groß und die Busverbindungen sind nicht schlecht.

Positiv hingegen ist auch das Bildungsangebot in Weimar. Es gibt 4 oder 5 Gymnasien, etliche Regelschulen, eine Schule für Lernbehinderte, Ausbildungsstätten für Berufsausbildung, eine Volkshochschule usw. Und es gibt die Bauhaus-Universität, eine der wichtigsten und besten Ausbildungsstätten für Architekten und Bauingenieure. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang die Hochschule für Musik. Hier gibt’s Studienrichtungen vom Instrument bis zum Gesang, natürlich hauptsächlich klassisch.

Kulturell hat Weimar ja nun wirklich einiges zu bieten. Es gibt etliche Museen und Ausstellungen. Eigentümlicherweise hat vor kurzem das Stadtmuseum schließen müssen, weil angeblich die Besucher weggeblieben sind. Und das Museum für Ur- und Frühgeschichte – eines der schönsten Museen in Weimar – hat seit Monaten wegen Umbaumaßnahmen geschlossen.

Mir persönlich war der Schiller schon immer lieber als der Goethe, aber immerhin gab’s hier noch Herder, Bertuch, Wieland, Gropius usw. usf. Es gibt so viele Namen, die man nennen könnte. Und zu fast jeder Persönlichkeit, die einmal in dieser Stadt gelebt hat, gibt es ein Museum, oder zumindest doch eine Ausstellung. Und zu manch anderen Dingen gibt’s auch Museen, so gibt’s zum Beispiel ein Ginkgo-Museum und ein Bienenmuseum.

Es gibt das Deutsche Nationaltheater, ein Kino, eine neue Schwimmhalle, den Park an der Ilm, ein schönes Rathaus mit dem Porzellan-Glockenspiel aus Meissner Porzellan, das historische Hotel „Elephant“, das Schiller-Haus, das Goethe-Haus, das Goethe-Gartenhaus, das Liszt-Haus, das Kirmes-Krakow-Haus ... Es nimmt kein Ende. Und es gibt den Zwiebelmarkt, das Highlight des Jahres, nicht nur für Touristen, auch für die Einwohner der Stadt ist mindestens ein kurzer Besuch des Zwiebelmarktes Pflicht. Der Zwiebelmarkt findet jeweils am 2. Wochenende im Oktober statt, fängt Freitag Nachmittag an und endet Sonntag abend. Und wie der Name schon sagt dreht sich hier alles um die Zwiebel, da gibt’s vom Zwiebelzopf bis zum Zwiebelkuchen natürlich auch noch eine Menge kulturelle Höhepunkte. Dieses Jahr sollen 300.000 Besucher auf dem Zwiebelmarkt gewesen sein.

Im Jahr 1999 war Weimar ja die Kulturhauptstadt Europas. Mann, war da was los. Schon 2-3 Jahre vorher fing das an. Überall wurde gebaut, ständig waren irgendwelche Umleitungen, weil auch die Straßen neu gemacht werden mussten. Und das Jahr 1999 war das totale Chaosjahr an sich. Millionen von Touristen haben die Stadt regelrecht gestürmt, ständig war ein Gedränge in der Stadt, dass man kaum noch durchkam. Straßen und Parkplätze voll geparkter Autos, die Busse übervoll, fast jeden Tag irgendeine Veranstaltung, von Riesen-Eröffnungsfeiern, Theateraufführungen bis Open-Air-Konzerte, Feuerwerke, Ballett usw. Es war alles dabei. Ein Höhepunkt jagte den anderen.

Ständig hatten wir irgendwelche Besucher, weil alle unsere Bekannten und Verwandten ja auch was davon haben wollten, dass Weimar mit dieser Ehrung bedacht wurde, und wenn da schon jemand wohnt, den man kennt, dann kann man da ja auch kostenlos übernachten ... Dabei hat Weimar mindestens 30 Hotels, dazu noch etliche Pensionen und für die jungen Leute 3 Jugendherbergen. Aber was soll’s, wir haben’s überlebt, und schön war’s ja doch, das Kulturhauptstadtjahr in Weimar.

Hab’ ich was vergessen? Bestimmt. Aber dazu kann ich nur sagen: Kommt doch mal nach Weimar und seht Euch um. Es macht schon Spaß, hier zu sein. Als Gastgeber kann ich Weimar jedenfalls nur empfehlen. Und auch außerhalb Weimar’s gibt’s noch einiges zu entdecken. Bericht dazu folgt.

Ein guter Rat noch: Wenn ihr mal nach Weimar kommt, sagt nie zu einem Einwohner, er wäre Weimaraner. Der wäre total eingeschnappt. Weimaraner sind nämlich Hunde, die Einwohner nennen sich Weimarer.

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