Der Vorleser (Taschenbuch) / Bernhard Schlink Testbericht
Erfahrungsbericht von topfmops
Über die Schrecken des Analphabetismus
Pro:
Ganz einfach eine Pflichtlektüre
Kontra:
Anal phabeten
Empfehlung:
Ja
Also dieser Bericht. Denn ich möchte über etwas berichten, von dem ich keine Ahnung habe, obwohl ich es am eigenen Leib schon erlebt habe. Und es schürt eine meiner Urängste, nicht Lesen und Schreiben zu können. Ob ich Lesen kann, das weiß ich, ob ich schreiben kann, müsst Ihr beurteilen. Und doch bin ich schon mal – als erwachsener Mensch – auf den Zustand des Analphabeten zurückgeworfen worden.
Einige meiner treuen Leser wissen, dass ich in Jugendmaienblütenzeit – also 1965 – mal auf dem Daumen rund ums Mittelmeer gezogen bin, mit Abstechern nilaufwärts nach Khartoum und in den Irak.
Und im südlichen Ägypten oder im angrenzenden nördlichen Sudan findest du kaum noch Menschen, die eine europäische Sprache beherrschen und die Schrift ist Arabisch. Schlagartig kannst du nichts mehr lesen oder etwas fragen. Nicht dass dieses Erlebnis mich traumatisiert hätte, aber es ist fürchterlich.
Strafverschärfend kommt bei diesem Buch hinzu: Es ist von einem Juristen geschrieben und dann setzt bei mir ein ‚gesundes’ Misstrauen ein, denn von einem Juristen habe ich noch nie eine eineindeutige – also eine umkehrbar eindeutige – Antwort auf eine Frage bekommen, außer er hat das Mandat noch nicht.
Vordergründig ist dies eine Geschichte um verlorene, wiedergefundene und dennoch unerfüllte Liebe.
Es heißt:
DER VORLESER,
ist erschienen 1995 im Diogenes Verlag, der im Netz mit www.diogenes.ch zu erreichen ist, hat 206 Seiten, die ISBN-Nummer 3-257-22953-4. Ursprünglich hat es mal DM 7,90 gekostet, wird bei amazon.de für dieselbe Summe in Euro angeboten und für unser Mängelexemplar haben wir auf dem Büchermarkt die obligatorischen 50 Eurocent ausgegeben. Die erste Umschlagseite ziert ein Ausschnitt aus „Nollendorfplatz“ aus dem Jahre 1912 von Ernst Ludwig Kirchner, der mich immer wieder an den Blick vom Bismarckplatz auf die Hauptstrasse in Heidelberg erinnert, als Anfang der 70er noch die Straßenbahn durch eben diese Hauptstrasse fuhr.
Der Verfasser ist Bernhard Schlink und das ist von Beruf ein Jurist.
Bernhard Schlink (* 6. Juli 1944 im ostwestfälischen Großdornberg bei Bielefeld) ist ein deutscher Jurist, Romanautor und Richter. Er wuchs in Heidelberg auf, wo sein Vater Edmund Schlink als Theologieprofessor tätig war.
Er bekam auf der Criminale 1989 den Glauser-Preis für seinen Kriminalroman Die gordische Schleife verliehen.
Für Der Vorleser erhielt er den Hans-Fallada-Preis (1997), einen italienischen Literaturpreis (1997), den Prix Laure Bataillon (bestdotierter Preis für übersetzte Literatur) (1997) und den WELT-Literaturpreis der Zeitung Die Welt (1999).
Der Vorleser wurde in 37 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times stand.
Belletristik
· 1987 Selbs Justiz (zusammen mit Walter Popp), ISBN 3-257-21543-6
· 1988 Die gordische Schleife, ISBN 3-257-21668-8
· 1992 Selbs Betrug, ISBN 3-257-22706-X
· 1995 Der Vorleser, ISBN 3-257-22953-4
· 2000 Liebesfluchten, ISBN 3-257-23299-3
· 2001 Selbs Mord, ISBN 3-257-23360-4
· 2006 Die Heimkehr, ISBN 3-257-86136-2
Der Roman ist als Quasi-Autobiografie angelegt, in der von den Begegnungen eines Schülers und eines jungen Studenten berichtet wird, der in Beziehung zu einer älteren, analphabetischen Schaffnerin und – wie sich später herausstellt – Kriegsverbrecherin steht.
Nun ist Analphabetismus in der Bundesrepublik weit verbreitet. Ca. 5 – 7 Millionen erwachsene Deutsche sind funktionale Analphabeten, die dies geblieben sind, obwohl sie eine 8- oder 9-jährige Schule in Deutschland besucht haben.
In diesem 1995 zuerst in den USA unter dem Titel The Reader erschienenen Roman setzt sich Schlink mit der Judenvernichtung im Dritten Reich auseinander und ebenso mit der Frage, wie mit den Tätern umgegangen werden sollte. Gleichzeitig handelt der Roman von einem Generationenkonflikt der 1950er.
Die Handlung des Buches ist deutlich auf die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Michael Berg und Hanna Schmitz zugeschnitten. Die Haltung beider Personen zueinander als auch ihre Charaktere werden dabei als ambivalent und unentschieden gekennzeichnet.
Schlinks Stil im Vorleser ist in den erzählenden Passagen schlicht und präzise. Es herrschen parataktische oder syntaktisch einfache Sätze vor. Ein Stilmittel sind Kapiteleröffnungen, die in einem lapidaren Satz wichtige oder überraschende Informationen vermitteln, der Handlung eine Wende geben: „Am nächsten Morgen war Hanna tot.“
In reflektierenden Passagen wird die Sprache poetisch. Vor allem das Spiel mit Gegensätzen („Ich habe nichts offenbart, was ich hätte verschweigen müssen. Ich habe verschwiegen, was ich hätte offenbaren müssen..“; Kap. 15) und Versuche, komplexe Erinnerungen in einprägsame Bilder zu fassen, sind bestimmend („...Bilder von Hanna, die mir geblieben sind. Ich habe sie gespeichert, kann sie auf eine innere Leinwand projizieren und auf ihr betrachten, unverändert, unverbraucht.“ Kap.12).
Das Sprachniveau ist durchgehend hochsprachlich. Zugleich benutzt Schlink viele durchgehende Bilder und Motive, etwa bei der Beschreibung des Bade-Rituals. Die Beschreibung ist geprägt durch die teilweise schon reflektierte (vorgebliche) Schreibhaltung des Ich-Erzählers, die emotionale Nähe ist dennoch an den meisten Stellen spürbar.
In diesem Abschnitt sind einige Zitate aus meinem Allzweckhelferlein ‚wikipedia’ verwendet worden.
Ein Roman, der mich sehr beeindruckt hat; insbesondere das verzweifelte und schamhafte Bemühen Hannas, ihre ‚Schwächen’ zu verbergen und die sich dadurch immer mehr in ihre Schuld verstrickt.
Ein Roman für alle, die sich mit der Behandlung der Juden im Dritten Reich und der juristischen Aufarbeitung in der Nachkriegszeit auseinandersetzen möchten.
Für mich war er in zweierlei Hinsicht erschütternd: Einmal, dass jemand auch als Analphabet im öffentlichen Dienst Karriere machen kann und auf der anderen Seite das liebevolle, dennoch distanzierte Bemühen des Michael Berg, die Schwächen Hannas, die er als einziger erkennt, zu beheben.
Ein Roman, der sicher mit allen zur Verfügung stehenden Sternen und der Höchstnote ausgezeichnet, empfohlen werden muss.
topfmops, der auch auf anderen Plattformen zu Gange ist, bedankt sich fürs Lesen und Bewerten und freut sich auf lesenswerte Kommentare.
56 Bewertungen, 19 Kommentare
-
01.09.2007, 12:41 Uhr von DOMMEL
Bewertung: sehr hilfreichMÜSSEN wir auch lesen
-
07.03.2006, 20:10 Uhr von Naffy
Bewertung: sehr hilfreichGruß Naffy
-
04.03.2006, 23:54 Uhr von anonym
Bewertung: sehr hilfreich...sh...*g*...Lg, Christina
-
03.03.2006, 17:51 Uhr von anonym
Bewertung: sehr hilfreichsehr hilfreich
-
03.03.2006, 17:25 Uhr von Fluetie
Bewertung: sehr hilfreichDas klingt ja schon mal ganz interessant, das Buch. <br/>LG Dirk
-
02.03.2006, 22:20 Uhr von TorstenEnders
Bewertung: sehr hilfreichja toll.....
-
01.03.2006, 19:04 Uhr von Barbara01
Bewertung: sehr hilfreichSehr schöner interessanter Bericht. LG Barbara
-
01.03.2006, 18:18 Uhr von Lotosblüte
Bewertung: sehr hilfreichAlso wirklich....du beleidigst mich..:-) <br/>lg
-
01.03.2006, 13:55 Uhr von marina71
Bewertung: sehr hilfreichich finde das Buch auch sehr beeindruckend. lg
-
01.03.2006, 12:37 Uhr von Nathalie
Bewertung: sehr hilfreichsehr informativ
-
01.03.2006, 11:09 Uhr von marti22
Bewertung: sehr hilfreichsh LG Tina
-
28.02.2006, 23:14 Uhr von skorbut
Bewertung: sehr hilfreichsehr hilfreich
-
28.02.2006, 20:31 Uhr von Cicila
Bewertung: sehr hilfreichBei uns an der Schule ist das sogar Pflichtlektüre ;-) <br/>LG Cicila
-
28.02.2006, 19:50 Uhr von nelchen
Bewertung: sehr hilfreichtoller Bericht, würde mich über Gegenlesungen freuen..LG nelchen
-
28.02.2006, 19:07 Uhr von WreckRin
Bewertung: sehr hilfreichgelungener Bericht, freu mich über Gegenlesungen <br/>LG Sandra
-
28.02.2006, 18:56 Uhr von lemsi
Bewertung: sehr hilfreichsehr hilfreich
-
28.02.2006, 18:54 Uhr von morla
Bewertung: sehr hilfreichsehr hilfreich <br/>
-
28.02.2006, 18:51 Uhr von dg1m4l
Bewertung: sehr hilfreichsh finde ich echt super...
-
28.02.2006, 18:51 Uhr von Alphanova1
Bewertung: sehr hilfreichSchöner Bericht!!!
Bewerten / Kommentar schreiben