Chicago (DVD) Testbericht

Eins vorweg: \"Chicago\" bietet perfekt gespieltes, gesungenes und choreographiertes Musical. Hätte ich diese Performance in irgendeinem Theatersaal auf dieser Welt live gesehen, wäre ich wohl vor Begeisterung von meinem Sitz aufgesprungen und hätte minutenlang Beifall geklatscht. Als aber nach knapp zwei Stunden die Lichter im Kinosaal wieder angingen, konnte ich mir ein \"schon lang nicht mehr so gelangweilt\" einfach nicht verkneifen.

Chicago erzählt die Geschichte der Mörderin Roxie Hart (Renée Zellweger), die sich nichts mehr wünscht, als ein großer Varietestar zu werden. Kaltblütig hat sie ihren Liebhaber umgebracht. Und trotzdem wird das Gefängnis wird dank des gerissenen und selbstverliebten Anwalts Billy Flynn (Richard Gere) zu Roxies Sprungbrett. Er bringt Roxie in die Schlagzeilen, als liebreizende Unschuld vom Lande, die fälschlicherweise im Gefängnis sitzt. Schon bald liegt ihr ganz Chicago zu Füßen und hofft auf ihre baldige Freilassung. Ganz so problemlos geht die freilich nicht vonstatten. Gibt es da doch noch ihren gehörnten Ehemann Amus und den wirklichen Star Velma Kelly (Catherine Zeta-Jones), der ebenfalls wegen Mordverdacht im Gefängnis sitzt und sich mit Roxie unfreiwillig den Anwalt teilen muss.

Inszeniert ist das Ganze als furiose Mischung aus Real- und Revuefilm. Nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass Regisseur Rob Marshall bereits mehrfach als Choreograph gearbeitet hat. Während der Gesangsszenen wird zwischen diesen beiden Ebenen auch immer hin und her geschnitten. So ist der Gerichtssaal in der entscheidende Szene nüchterne Wirklichkeit und farbenprächtige Circusmanege zugleich. Mittendrin Richard Gere als Billy Flynn, dessen virtuoses Plädoyer als Stepptanz inszeniert ist. Beinah all übrigen Gesangseinlagen sind genauso großartig choreographiert. Man denke nur an die höchst erotische Szene, in der Roxies Mitgefangenen ihr erzählen bzw. \"ersingen\", warum und wie sie sich ihrer Männer entledigt haben. Oder die humorvolle erste Pressekonferenz Roxies, präsentiert als Puppenspiel mit Gere als Puppenspieler und Zellweger als Puppe.

Neben den grandiosen Choreographien überzeugt vor allem die hochkarätige Schauspielerriege. Renée Zellweger, Catherine Zeta-Jones und Richard Gere tanzen, singen und spielen sich die Seele aus dem Leib. Zellweger pendelt so gekonnt zwischen absolut liebreizend, am Boden zerstört und purer Egozentrik das eine Oscar Auszeichnung ohne Frage verdient wäre. Zeta-Jones gibt die arrogante Zicke mit Grandezza und Nuance. Richard Gere brilliert schließlich als selbstverliebter, zynischer und skrupelloser Anwalt mit herrlichen Dialogen und augenzwinkernden Gesangseinlagen. Die heimlichen Stars aber sind Queen Latifah als verruchte Aufseherin Mama Morton und John C. Reilly als Roxies bemitleidenswerter Ehemann.

Und trotz allem, Chicago ist in meinen Begriffen nicht das filmische Meisterwerk für das es von vielen Gehalten wird. Für einen herausragenden Film fehlen einfach: eine mitreißende Handlung, Spannung und eine Identifikationsfigur. Alle Personen, außer Amus Hart, sind einfach hassenswert. Okay, man kann \"Chicago\" als Satire auf Starrummel und Sensationsgeilheit der Medien betrachten und damit die unsympathischen Figuren begründen. Letztlich bleibt es satirisch aber zu oberflächlich und wenig spitz. Was vielleicht auch daran liegt, dass einem die Protagonisten durchweg schnuppe sind.

Aufgrund der wenig mitreißenden Handlung, der fehlenden Spannung und der durchweg unsympathischen Figuren bekommt \"Chicago\" von mir nur drei Sterne. Denn \"Chicago\" ist in meinen Augen kein Film, sondern abgefilmtes Musical. Wenn man sich damit zufrieden geben kann, dann hat \"Chicago\" ohne Frage fünf Sterne verdient. Grandiose Musik, zwischen Jazz, Swing und typischem Musical Pop. Choreographien von einem anderen Stern. Und Darsteller, die mit Leidenschaft und Können bei der Sache sind. Was will das Musicalherz mehr?