Kurzgeschichten Testbericht

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Erfahrungsbericht von Divalein

Von Tabak und Gras

Pro:

Weg als Ziel

Kontra:

Weg mit Unebenheiten

Empfehlung:

Nein

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Von Tabak und Gras

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Ein Tag wie jeder andere. Gelbe Straßen, braune Fenster, die Luft feinkörnig wie immer.
Sie geht langsam über die schichtigen Bürgersteige, arbeitet Steine ab, nach einem Ziel suchend.
Ein Tabakladen, nach Eitelkeit stinkend, lockt sie ins Innere. Rote, gelbe, grüne, und wie bizarr, goldene Eckformen geben teuren Sargnägeln ihre Hülle. Zwei kauft sie - der noch vor ihr liegende Weg verlangt es. Die Händlerin, hager wie die Aussicht ihrer Ware, schaut gelangweilt aus dem Fenster, Gelb scheint ihr mehr zu gefallen als das Grau vorm ewigen Schwarz. Das Wechselgeld, nicht kälter als der Gelbsüchtigen Hand, riecht unangenehm. Es mit bitterer Miene wegsteckend, beschließt sie, sich weiterhin der Zielsuche auszusetzen. Als sie der Enge des Ladens entkommen ist, fingert sie hastig an einer Eckform herum und entzieht ihr den ersten Schritt zur Transparenz. Gierig am Filter saugend tritt Gift ein und nimmt ihr die Furcht, umsonst losgegangen sein. Blind Abfall ausblasend sucht sie in sich nach Orientierung und der Antwort auf die Frage, ob nach rechts oder links zu gehen ist. Auch geradeaus wäre eine Möglichkeit, je nach Gesellschaftslage.
Doch es ist alles anders.
Ihre Lippen erstarren, trocknen aus, schmerzend klebt der Filter an ihnen. Weit aufgerissene Augen verkünden einen Wechsel, Herzrasen weist auf dessen Befremdlichkeit hin.
Das Gelb ist fort. Sie stiert auf grüne Unendlichkeit. Es ist still, sie alleine. Kühl. Die Luft dicker, unheimlich, aufdringlich. Ihr Herz will fortrennen, ihr Geist schlägt Purzelbäume, auf der Stelle. Verlorenheit.
Ein Reflex will sie in das Grau des Ladens zurückgehen lassen, doch wo einst der Klotz ragte, bekennt sich nun mächtiges Nichts keiner Existenz.
Es gibt kein Zurück.
Sie möchte verrückt werden, schreien, kreischen und in tausend Teile zerspringen, weiß aber, dass sie nichts davon kann und sucht zumindest nach einer Träne. Keine da. Auf Reise. Noch ein Giftstab muss her. Doch der Eckklotz ist fort, ihre Hände sind leer. Nicht ganz. Drei, vier Grasfäden zieren ihre bleichen Finger. Sie nimmt starken Naturgeruch wahr und versucht mit hastigen Bewegungen, ihre Haut zu klären. Das Grün bleibt aber permanent, der Geruch dringt in und durch sie, seine Erscheinung schneidet den Himmel zum Horizont. Wolken existieren als wollene Pünktchen, die mutig vor der Sonne niederknien.
Sie sieht die Himmelsflecken nicht, ihre Augen sind ummantelt von Furcht. Die Veränderung ihres erbärmlichen Daseins betrauernd sinkt sie zu Boden und wird vom festen Jeansstoff am Graskuss gehindert. Sich zum Embryo zurück entwickelnd lauscht sie von der unerträglich lauten Stille weg, in sich selbst, und kramt nach einer eigene Melodie. Die Komposition dauert ewig. Stunden. Jahre. Äonen. Durst treibt sie dazu, sich mit einer zufrieden zu geben. Eigentlich möchte sie ihn nicht anerkennen, wippt tapfer zum Binnengesang und ignoriert das Wesen der Wiese. Dann jedoch, als Brennen und Trockenheit zu Bedrohungen anwachsen, rupft sie ein Büschel Grashalme aus, verurteilt kurz ihre kalte Brutalität und den Widersinn ihrer eigenen Natur, um aus der Feuchtigkeit des sterbenden Grüns zu lernen.
Frische, Feuchtigkeit. Feuchtigkeit, Regen, Wasser. Wasser, Leben. Gewässer. Ihren Appetit in die hinterste Ecke ihres Verstandes abstellend möchte sie fliegen. Ihren Mord im Gewissen tragend, rennt sie los. Weitschrittig, mit Schmerz und Hoffnung, dem Horizont entgegen. Irgendeinem Horizont entgegen.
Den See suchend. Irgendeinen. Einen, den sie zu ihrem machen kann.
Mit ihm die Algen.
Und die Fische.

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(c) Divalein, Mai 2004

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Der harmlose Abschaum

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Nach öden Reihengängen treten wir hinaus in ein schwülwarmes Klima, das uns den Atem raubt.
Zombies umwandeln und unterwandern uns, versuchen es zumindest mit stoischer Seelenlosigkeit.
Wir umqueren sie denkend, wollen nichts mit ihnen zu tun haben, erkämpfen uns den Weg zum Blech-Gefährt. Hier und da rempeln wir gegen einzelne Konsummonster und tun so, als wäre nichts geschehen, wie es nun einmal üblich ist.

Endlich im schützenden Innenraum angekommen, atmen wir tief durch, schnaufen auf, freuen uns, dass wir das ewige, leidige Ritual hinter uns gebracht haben, sind stolz und wissen, dass wir die Gefühle verdienen, die uns nun durchfließen.

Dann fahren wir umher, sind aus Prinzip und mit Plaisier völlig ziellos, um das Geschehene zu verarbeiten, um auch die letzten Zipfel Leichenstaub auf der Fahrbahn abzutreten.
Die Gedanken werden freier, das Herz geht auf und schlägt fast wieder rhythmisch, da drängt sich mir ein Anblick auf.

Da ist er.
Obwohl: Es ist eigentlich völlig unerheblich, ob das betreffende Wesen männlich oder weiblich ist.
Wichtig ist nur, dass es in einer rot-weißen Regenjacke durch die Hitze humpelt. Ich möchte Wetten abschließen, sein süffig wirkender Kleidungsfetzen ist mit Sicherheit auch noch wattiert.
Dass das Wesen ein Er ist, mag zwar unwichtig sein, ist aber sofort ersichtlich.
Seine Statur ist ganz klar männlicher Herkunft, außerdem ist das schmierige Gesicht seit Tagen nicht mehr rasiert.

Wenn man in seine stoppelige Fratze blickt, empfängt einen stets ein hirnloses Grinsen - der Wink der Gewissheit, dass er seit Ewigkeiten und für alle Zeiten nichts mehr zu erwarten, aber auch nichts mehr zu bedauern hat?

Er taumelt, droht zu stürzen, vielleicht endgültig, sich auf ewig auf dem Bürgersteig auszubreiten. Doch er fängt sich, torkelt weiter. Man könnte meinen, sein Blick sei übermütig, wenn man nicht wüsste, dass dieses Gesicht so etwas nicht mehr kennt. Fast möchte man annehmen, dass niemals auch nur ein Quäntchen davon im gesamten Wesen existierte.

Er kommt alle paar Wochen aus seiner Höhle am Ende der Stadt, nimmt dutzende Kilometer auf sich, um sich inmitten des Städtchens zu postieren und Beleidigungen rauszufeuern. Währenddessen lässt er literweise Alkohol in sich laufen.
Seine Stimme schallt und scheint nicht von dieser Welt, erzeugt ihr eigenes abscheuliches Echo.

Man will sofort wegsehen, wenn man ihn ausgemacht hat.
Man kann es aber nicht immer.
Ich vermag eigentlich nie ganz wegzusehen, nur dann, wenn er mich anzuschauen scheint.
In Wahrheit sieht er aber nichts als seine eigene feindliche Welt. Er meint anscheinend, dass all die Zombies noch leben würden.

Meist postiert er sich zur Verbreitung seiner Meinung in Wartehäuschen und vor Ladeneingängen. Mit der Flasche in der Hand und einem erstaunlich gesund anmutenden Körper zetert er dann plötzlich los, ohne ein Blatt, das seine schwarze Mundtinte aufsaugen könnte.
Er spricht frei und gellt, er ruft und röhrt, er hält mit nichts hinterm Berg.
Worte sind für ihn Kanonen. Er fährt seit Anbeginn mit den schärfsten auf.

Niemand sagt ihm, dass er seine Hassreden und Beleidigungen einstellen soll. Niemand schert sich um ihn.
Anscheinend hält man ihn allgemein hin für ein verwurzeltes Übel, das man nicht entfernen kann.
Allzu verwurzelt scheint er mir aber nicht. Er bewegt sich durchaus hin und her, uriniert mal hier, mal da, ungehemmt in der Gegend herum, geht zum Erbrechen hinter die Büsche, kann laufen, springen, trinkt und trinkt, trinkt aber anscheinend nicht stets und ständig, ist nicht immer präsent, ist zwischendurch absent - wo mag er dann sein?

Was wenn er seinen Schlachtplan veränderte und statt des Mundes Fäuste sprechen ließe? Würden die Zombies dann fort rennen oder ihn krankenhausreif trampeln?
Würden sie dann Notiz von ihm nehmen? Will er das überhaupt?

Jetzt, da ich ihn so daher torkeln sehe, in Richtung seines Verschlages, fällt mir auf, dass ich ihn noch nie zuvor nach Hause gehen sah. Für gewöhnlich übernachtet er in seinem desolaten Zustand unterm Sternenhimmel, ob kalt oder warm.
Wird etwa auch er alt? Hat man ihm gesagt, er soll sich zum Teufel scheren?
Was denkt er sich, während er nun breitbeinig den Weg zu meistern versucht?
Kann er in diesem Zustand wohl denken? Denkt er überhaupt jemals? Hat er je gedacht?

Und: Was hat ihn denn nur zu dem gemacht?

Immerhin, ich habe einen Verdacht!

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© Divalein / Eminencia, 10.05.2006

59 Bewertungen, 19 Kommentare

  • blackangel63

    10.10.2008, 02:22 Uhr von blackangel63
    Bewertung: sehr hilfreich

    LG Anja....................................

  • anonym

    06.09.2008, 21:21 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    ein schönes WE wünscht rettchen

  • bambie34

    11.06.2008, 10:24 Uhr von bambie34
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich,lg Tanja

  • Baby1

    10.09.2007, 11:12 Uhr von Baby1
    Bewertung: sehr hilfreich

    .•:*¨ ¨*:•. Liebe Grüße Anita .•:*¨ ¨*:•.

  • Volker111

    29.04.2007, 21:36 Uhr von Volker111
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr poetisch

  • hjid55

    04.03.2007, 14:07 Uhr von hjid55
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sh & lg Sarah

  • anonym

    29.12.2006, 17:47 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh :o)

  • Zuckermaus29

    22.11.2006, 09:50 Uhr von Zuckermaus29
    Bewertung: sehr hilfreich

    :o) liebe Grüße Jeanny

  • morla

    30.10.2006, 02:42 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • Gozo-Bernie

    17.09.2006, 02:35 Uhr von Gozo-Bernie
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schoenen Tag - bernie

  • sonarmaster

    26.04.2006, 17:01 Uhr von sonarmaster
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr gute Geschichte. Weiter so :-). - LG Tom

  • Gemeinwesen

    03.04.2006, 22:30 Uhr von Gemeinwesen
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein Hoch auf den Expressionismus! Beste Grüße vom Gemeinwesen.

  • Django006

    03.04.2006, 21:57 Uhr von Django006
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh & *lg* Alan :o))))

  • Wurzelchen2

    31.07.2005, 14:10 Uhr von Wurzelchen2
    Bewertung: sehr hilfreich

    Da laufen einem ja Schauer über den Rücken. Echt gut!!!

  • Whiteghost

    03.07.2005, 19:49 Uhr von Whiteghost
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ich fange an zu begreifen, dass diese Gedichte/Kurzgeschichten einen tiefen, aber zu ergründlichen Grund haben, dem jedes Schriftstück näher kommt, aber welches keinen jeh berühren wird... Vielleicht stoße ich ja irgendwann auf i

  • Melhase

    26.06.2005, 21:23 Uhr von Melhase
    Bewertung: sehr hilfreich

    mag zwar geschichten und gedichte nicht sonderlich. aber diese hier ist echt total rührend

  • anonym

    26.06.2005, 21:16 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    voll schön geschrieben, sehr traurig irgendwie..

  • Magayla

    26.06.2005, 21:11 Uhr von Magayla
    Bewertung: sehr hilfreich

    rührend geschrieben. LG MAtthias

  • Overknees

    26.06.2005, 20:46 Uhr von Overknees
    Bewertung: sehr hilfreich

    Irgendwie kommen ich mir leicht gaga vor, hier eine Bewertung vorzunehmen... ;) Aber so weißt Du... nichts bleibt ungelesen. Marc A.