PISA-Studie Testbericht

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Erfahrungsbericht von Indigo

Folgen der Pisa-Studie : Qualitätsentwicklung und politische Verantwortung

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Die Folgen der Pisa-Studie: Qualitätsentwicklung und politische Verantwortung

Qualitätsentwicklung im eigentlichen Sinne berücksichtigt in der Regel drei zentrale Aspekte. Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität. Dies lässt sich auch für die Qualitätsentwicklung an Schulen zeigen:

1. Strukturqualität

Wenn in der Schullandschaft in verschiedenenen Bundesländern (z.B. Berlin und Brandenburg) aufgrund rückläufiger Schülerzahlen Standorte wegfallen, so muss eine verantwortungsvolle Bildungspolitik Massnahmen und Programme entwickeln, die für alle Schüler, für alle sozialen Milieus und für alle Bildungsabschlüsse Chancengleichheit garantiert. Eine novellierte gymnasiale Ausbildung ist löblich, betrifft jedoch nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung. Die Personalpolitik und die Personalentwicklung führen objektiv und mit steigender Geschwindigkeit zu immer größeren Qualitätsverlusten.

Die Gymnasien erhalten Schnellläuferklassen, die Realschule müssen ausgelastet werden und alle Gesamtschulen degenerieren zu Hauptschulen. Wenn die regionalen Schulstandortedann miteinander und gegeneinander ums Überleben kämpfen, erhält der Sieger vom Ministerium womöglich die Förderschule bzw. Sonderschule als Prämie. Ob sich überhaupt schon einmal jemand für die räumlichen und strukturellen Rahmenbedingungen von Förderschulen interessiert hat? Förderschulen haben wenig Lobby, wenig engagierte Eltern und schon die Lehramtsstudiengänger wollen nicht mehr Sonderschulpädagogik studieren.

Wenn Bildungsminister dann wie in Brandenburg die Abschaffung der Gesamt- und Realschulen fordern und mit seiner Sekundarschule ersetzen wollen, so nehmen sie billigend in Kauf, dass die Durchlässigkeit der Schulformen reduziert wird und die Bildungschancen für alle Schüler reduziert werden, die kein Gymnasium besuchen.

Diese Politik ist beim besten Willen nicht offensiv zu etikettieren, dies bedeutet Bildungsabbau in der breiten Massen. Für den besagten Einzugsraum würde für zwei Drittel aller Schüler ein objektiver Qualitätsverlust unstrittig die Folge sein. Die Konsequenzen für das Schulklima und die Sozialstruktur der Bevölkerung liegen auf der Hand.

Eltern, die sich für die Bildungschancen ihrer Kinder interessieren und wählen können, werden nicht mehr in die Orte ziehen, die keine qualifizierte weiterführende Schule haben, die gesunde soziale Mischung an den verbleibenden Schulen wird schon im Grundschulbereich veröden, weitergehend wird die Kaufkraft im Einzugsbereich sinken und für die wirtschaftliche Entwicklung spürbar werden.

Schule ist halt ein zwar weicher, aber durchaus relevanter Standortfaktor. Teilweise haben sich Großinvestoren und Bauträgergesellschaften an Schulbauprojekten finanziell in Millionenhöhe beteiligt, wissend, dass die Verkaufszahlen ihrer Doppelhäuser steigen, wenn die Infrastruktur in Ordnung ist. All dies sind Aspekte einer intelligenten und vorausschauenden Strukturqualität. Es ist überaus fraglich, ob die verantwortlichen Bildungspolitiker dies wissen.

2. Prozessqualität

Qualitätsentwicklung ist daneben immer prozessorientiert. Diese Prozessorientierung ergibt sich u.a. aus den Schulentwicklungsplänen. Diese Pläne dürfen unter Qualitätsgesichtspunkten eben nicht nur Zahlenspiele vollziehen, sondern müssen auch alle anderen relevanten Aspekte berücksichtigen. Aufgrund der Schulentwicklungsplanung haben die Kommunen und Schulträger Investitionen in Millionenhöhe realisiert. Wenn die Bildungspolitik es im Land Brandenburg zum Beispiel bis heute versäumt hat, im eigenen Ministerium, bei den Lehrern und bei den Eltern die Vorurteilsbereitschaft gegenüber den Gesamtschulen zu reduzieren, dann ist ihr auch nicht im Ansatz zuzutrauen, dass die Prophezeiung der Sekundarschulen nicht umgehend als diskreditierte Hauptschulen identifiziert werden. Gesamtschulen in Brandenburg sind mit Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen nur schwer zu vergleichen. Auch sind nicht alle ideologischen Hypotheken seit Anfang der siebziger Jahre aus der alten Bundesrepublik notwendig zu übernehmen. Wenn das Ministerium Qualität von Schule entwickeln will, dann soll es sie nicht abschaffen, weil es eine Überforderung darstellt.

3. Ergebnisqualität

Qualitätsentwicklung ist immer auch an den Ergebnissen zu messen. Die Ergebnisse von Schulabschlüssen müssen vergleichbar und konkurrenzfähig sein. In unserer modernen Gesellschaft ist diese Anforderung nicht erst seit Pisa europäisch zu denken. Wichtig ist jedoch, dass nicht nur die Abiturergebnisse relevant sind, sondern alle Bildungsabschlüsse zu berücksichtigen sind. Das gegenwärtige Ansinnen der Bildungsminister nimmt jedoch billigend in Kauf, dass das Niveau in den mittleren Bildungsabschlüssen weiter sinkt. Sekundarschulen bereiten sicherlich nicht besser als Gesamtschulen oder gar Realschulen auf den ersten Arbeitsmarkt vor. Auch der Inder mit Greencard hat sicherlich keine beseeere Schulbildung. Und die Sieger der Pisastudie wie Schweden und Finnland werden nur dann als Beleg herangezogen, wenn Vorschläge legitimiert werden sollen. Z.B. belegen die Pisa-Ergebnisse objektiv, dass die Länder überdurchschnittlich gut abschneiden, wo die Schüler möglichst spät getrennt werden, nicht nach der 4. oder 6. Klasse an weiterführende Schulen, sondern so spät wie möglich.. Das sagt aber keiner. Wir reden über Ganztagsschulen als Lösungsmodell.

Wenn das Hauptmotiv tatsächlich nicht bei weiteren Einsparungen zu suchen ist, dann drängt sich allerdings die Frage auf, was sich denn konkret und praktisch ändert, wen die gleichen Personalressourcen bleiben, die gleichen Wahlmöglichkeiten und die gleichen Leistungsdifferenzierungen im Unterricht. Auch die Einführung von weiteren Prüfungen kann nur suggerieren, dass ein besseres Ergebnis erzielt wird. Auch diese Option beinhaltet ein zulässiges, ein anerkanntes, aber auch nur ein pädagogisches Grundverständnis.

Schülerinnen und Schüler lernen demnach eben doch lieber für Prüfungen als fürs Leben. Wenn dies bundesweit mehrheitsfähig ist, womöglich europaweit gängige Praxis, dann muss man es einführen. Man kann es auch einführen, weil man es ganz allein für sich schön findet oder weil es ein Koalitionskompromiss ist. Die Ergebnisqualität der Bildungsabschlüsse ändert sich dadurch jedoch überhaupt nicht. Das lernt jeder fortschrittliche und moderne Pädagoge im 2. Semester.

Es ist selbstverständlich, dass Schule einen wesentlichen Faktor der kommunalen Identität bildet. Es verwundert auch nicht, dass bei rückläufigen Schülerzahlen und gefährdeten Standorten die jeweils Betroffenen um ihre Schule kämpfen. Eine verantwortungsvolle Bildungspolitik sollte jedoch die Betroffenen und Beteiligten ernst nehmen, vielleicht auch einmal selbst kreativ werden. Der angehende Bundestagswahlkampf lässt befürchten, dass diejenigen, die wenig verstehen, viel sagen und sich schließlich um Kopf und Kragen reden.





----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2005-02-03 06:59:27 mit dem Titel Die Pisa-Studie und der schiefe Turm von Pisa

Der schiefe Turm von Pisa und die Pisa-Studie in Deutschland - eine vergleichende Betrachtung.


Warum ist der schiefe Turm von Pisa schief?
Seit Jahrzehnten wird der schiefe Turm von Pisa immer wieder gesperrt und eingerüstet. Touristen aus aller Welt reisen nach Pisa und bestaunen den schiefen Turm. Der Turm droht immer wieder umzukippen und Statiker und Architekten entwerfen Konzepte, die die Standfestigkeit des Turmes sichern sollen. Niemand will, dass der Turm zukünftig gerade steht. Die Geschichte belegt, der Turm steht schief, er kippt aber auch nicht um. Warum steht er schief? – Weil das Fundament nicht richtig ist!

Warum sind die Ergebnisse der Pisa-Studie in Deutschland so katastrophal? Weil das Fundament nicht stimmt! Diese Metapher kann das Dilemma verdeutlichen.

Seit Jahrzehnten ist Bildungspolitikern, Lehrerverbänden und Erziehungswissenschaftlern klar, dass das Fundament nicht stimmt. Wird die öffentliche Diskussion durch Zentralabitur, dreigliedriges Schulsystem und Schulprogrammatik determiniert, so benennen die vorgenannten Experten die zentralen Ursachen in der Vor- und Grundschulphase. Erziehungswissenschaftlich und sozialpsychologisch besteht aktuell Einigkeit, dass es den Sozialisationsverläufen von Kindern widerspricht, die Schulfähigkeit an ein Geburtsdatum zu koppeln. Kinder könnten hinsichtlich ihrer Fähigkeiten teilweise mit vier Jahren eingeschult werden, teilweise jedoch auch erst mit acht Jahren. Das Alter ist hier nur ein Indikator. Die Vorschulzeit ist zudem kein lernfreier Raum. Als wesentliche Kompetenz lernen Kinder hier das Lernen. Die Selbstbildungsprozesse der Kinder bilden das Fundament für die spätere Schulphase. Forschungserkenntnisse zu diesem Thema stecken in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Die USA ebenso wie die Skandinavier haben hier jahrelangen Vorsprung (z.B. High-Scope-Programm oder das ABCDarien-Konzept) und rekurrieren in der Regel auf entwicklungspsychologische Konzepte (Piaget, Wigotsky).

Unterricht in der Grundschulzeit ist aus keinem nachvollziehbaren pädagogischen Grund altershomogen. Man stelle sich nur vor, die Busgesellschaften würden ihre Fahrgäste nach Geburtsjahren sortieren oder Arbeitgeber hätten diesbezüglich Einstellungskriterien. Die Spitzenreiter der Pisa-Studie trennen die Kinder auch nicht nach vier Grundschuljahren wieder. Schlüssig nachvollziehbar werden Ergebnisse dokumentiert, dass die Lernergebnisse um so besser ausfallen, je länger die Schülerinnen und Schüler im Klassenverband verbleiben. Entwicklungspsychologen ohne ideologische Verblendungen empfehlen mindestens acht Schuljahre und fordern den Wechsel erst nach der 10. Klasse. – Diese Erkenntnis ist in Deutschland nur aufgrund der politischen Vorbehalte nicht durchsetzbar und womöglich, weil Lehrerinnen und Lehrer dann ein ganz anderes pädagogisches Verständnis bräuchten. Sie müssten vom klassischen Lehrer zum Lernpartner werden, sie wären Berater und Trainer, sie würden Schüler bis zum Abitur ebenso coachen wie bis zum Berufseinstieg.

Ein weiterer interessanter Aspekt wird in den geschlechtsspezifischen Unterschieden deutlich. Aufgrund ihrer biologischen Unterschiede lassen sich die Empfehlungen für weiterführende Schulen bei Mädchen nach vier bis sechs Grundschuljahren mit einer relativ guten Prognose erstellen, Jungen hingegen sind zum gleichen Zeitpunkt wesentlich unsicherer einzuschätzen. Teilweise wird bei 14-jährigen ein enormer Leistungssprung oder auch –abfall diagnostiziert. In den USA wurde eindrucksvoll herausgearbeitet, dass Mädchen in den naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik, Informatik, Astronomie und Chemie ca. um 30 % bessere Lernergebnisse zeigen, wenn der Unterricht nach Geschlechtern getrennt durchgeführt wird. – Auch dies ist biologisch und psychologisch gut nachvollziehbar zu erklären.

Wenn wir das nun wissen, was ist dann zu tun? Was zeigt die Tatsache, dass ich alle Aspekte meines Beitrages aus einem Expertenbericht zusammengefasst habe, der für die Bundesregierung erstellt wurde und welcher der Kultusministerkonferenz vorgestellt wurde? Warum thematisieren die Verantwortlichen nicht einen dieser Aspekte, sondern streiten um die Siegerlisten der verschiedenen Bundesländer? Was machen engagierte Lehrer, Schulleiter und Schulräte mit diesen Ergebnissen? – Ich glaube, sie machen nichts!

Ich glaube vielmehr, dass erst dann, wenn Eltern, Wähler und andere Repräsentanten in der Öffentlichkeit Forderungen stellen, wenn sie die Einsicht gewinnen, dass der Bildung und Erziehung in öffentlichen Einrichtungen neben der Familie die zentrale Bedeutung für die nächsten Generationen zukommt, eine Chance besteht, dieses überalterte System zu novellieren. Gegenwärtig würde wahrscheinlich jeder Politiker, der derartige Vorschläge öffentlich diskutiert, bei der nächsten Gelegenheit abgewählt.

Das Bildungssystem ist defizitär.

Es ist wie beim schiefen Turm von Pisa: das Fundament ist nicht in Ordnung.

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