Kurzgeschichten Testbericht

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Erfahrungsbericht von Anonym120

Wer braucht schon kunststudierende, fußballspielende, biertrinkende Eltern?

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Es ist doch immer das gleiche.

Der Wecker klingelt viel zu früh.
Wie jeden verdammten Tag.

6:30 - naja...dann halt noch ´ne Viertelstunde schlummern, dann muss er sich halt im Bad etwas beeilen.

Aber irgendwie kann er nicht mehr einschlafen.
Er denkt.
Irgendwas fehlt.

15 Minuten später schnell unter die Dusche, die ist zwar warm, aber irgendeine Art von Wärme fehlt.
Irgendwie seltsam.

Beim Zähne putzen hat er wieder nachgedacht.
Soviel vor hat er heute.
Und was bringt´s ihm?
Was hat er davon, zu Arbeiten?
Ein Dach über dem Kopf. Toll.

Was hat er davon, heute nachmittag ins Fußballtraining zu gehen?
Einen sportlichen Körper. Toll.

Was hat er davon, sich heute abend mit dieser Frau zu treffen, die zwar seinen Körper, nicht aber seine Seele befriedigen kann?
Sex. Toll.

Aber wenn er keinen Sport machen würde und gar kein Geld hätte, hätte er auch keinen Sex. Zumindest nicht mit dieser Frau. Er findet, dass sie ja ganz gut aussieht. Tut sie auch, aber...irgendwas fehlt.

Er hat seit zwei Monaten seine Eltern nicht mehr angerufen. Was soll´s, sie melden sich ja auch nicht bei ihm. Wer braucht schon Verwandte?

Frühstück.
Ein Stück kalte Pizza von gestern. Es ist ´ne richtig gute Pizza, wie immer. Er kennt ja den besten Bringdienst in der Gegend. Kein Wunder. Er hat ja auch schon alle ausprobiert, weil er zu faul zum Kochen ist.
Dazu ein Schluck Kaffee. Viel zu stark, aber es macht ihn wenigstens wach - obwohl...wach ist was anderes...

Wach sein bedeutet einen offenen Geist zu haben.
Er weiß, den hat er nicht.
Das muss man doch ändern können, denkt er...und merkt, das ist wieder einer seiner lichten Momente. Einer der Augenblicke, in denen er zeichnen kann.
Davon dürfen aber seine - zugegebenermaßen wenigen - Kumpels nichts wissen. Die trinken lieber Bier und reissen frauenfeindliche Witze. Die einzige Kunst, die er mit denen produziert, sind die Bananenflanken und Freistoßvarianten am Wochenende beim Kreisligaspiel.
Er mag Fußball eigentlich nicht, aber womit soll er sich sonst die Zeit vertreiben?
Da ist wieder der lichte Moment.
Mit Malen. Damit kann er die Zeit vertreiben.
Er setzt sich hin und malt.
Ein Bild einer Frau, deren Gesicht im Nebel verschwindet.
Und die Silhouette eines Mannes, seiner selbst, die neben ihr steht, die Hand zu ihr ausstreckt. Aber der Mann kann sie nie erreichen. Ein Blitz schlägt zwischen den beiden ein.
Er findest schlecht. Aber es ist ihm egal. Der künstlerische Standpunkt würde sagen: "streng dich mehr an" oder "sieht ganz gut aus, aber du hast eben kein Talent". So wie es ihm seine Schwester gesagt hat, als er ihr mal eines seiner Bilder gezeigt hat. Es war ein abgemagerter Löwe in einem Käfig, um die Gitter tanzten Hyänen und lachten den Löwen aus. Kunststudentin. Der würde er nie wieder eins seiner Bilder zeigen. Sie hat ihn ohnehin seit zwei Jahren nicht mehr besucht.
Wer braucht schon Verwandte.

Er malt weiter.
Und er denkt.
Seine Gedanken schweifen frei durch den Raum, durch das dreckige Loch, dass er seine Wohnung nennt und plötzlich ist es ein Palast. Sie schweifen durch die Wände und durch die Straßen, durch die Stadt und die ganze Welt.
Er hat das Gefühl, als wrde er zum ersten Mal denken. Traurige Gedanken. Aber er fühlt, dass er dabei ist, etwas zu entdecken.
Es interessiert ihn...

Er geht heute nicht mehr zur Arbeit. Morgen auch nicht. Er wird nie wieder irgendetwas tun, ausser zu zeichnen. Denn das berührt seine Sinne. Wer braucht schon kunststudierende, fußballspielende, biertrinkende Eltern?

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-03-29 14:50:14 mit dem Titel Im Leben verlaufen

Die Dunkelheit stört ihn nicht weiter.
Den Regen, der den Dreck von den Straßen peitscht und seine Kleidung durchnässt, bemerkt er nicht.
Auch die kleinen Rinnsale, die sich in seine Schuhe fressen, bei jedem Schritt durch eine der bräunlichen Wasserpfützen, interessieren ihn nicht.
Die alte Frau, die er anrempelt und deren Schirm dabei vom Wind davongetragen wird, was sie - zu Recht - mit Fluchen quittiert, er bemerkt sie gar nicht.

Er will nur zu seinem Ziel.

Das Auto kann gerade noch bremsen, er steht da, wie angewurzelt, gleichgültig, aber nicht apathisch. Die ältliche Fahrerin des altmodischen Kleinwagens ist von seiner Unverfrorenheit derart schockiert, dass sie nicht mal hupt. Ein Donnern reisst ihn aus seiner körperlichen Lethargie. Sein Geist denkt ständig, ist nicht teilnahmslos, auch wenn man es vielleicht vermuten könnte. Er hat eben andere Probleme als die Bremsbeläge und den Blutdruck der Greisin in ihrer Schrottkarre.

Der Donner weckte seine Glieder und er setzt seinen Weg fort.

Die dunkle, riesige Allee, die er jahrelang, Morgen für Morgen durchschritt, die Trauerweide, der vierte Baum auf der linken Straßenseite, die ihn immer so beeindruckte. Sie wirkte immer depressiv, aber sie war da. Immer. Andere Bäume waren eingegegangenen von Kinderstreichen, Hundeurin und Autoabgasen. Die sahen immer fröhlicher aus als die Trauerweide. Aber die Trauerweide blieb in ihrer düsteren Stimmung. Widerstand allem. Er bewunderte sie, seit er sie das erste Mal sah.
Was wird wohl mit dem auf Posterformat vergrößerten Foto dieses müden, aber ungebrochenen Baumes, dass er in sein Zimmer gehängt hatte? Werden sie´s wegschmeißen?

Wie unbedeutend alles wird.

Nur Dinge, die mit Erinnerungen verknüpft sind, sollen der Nachwelt erhalten bleiben.
Unabhängig vom materiellen Wert.
Für sein Auto hat er gespart, seit er 15 war.
Das Poster hat er einfach machen lassen.
Das Auto ist ihm egal, das Poster nicht.
Irgendwie witzig.
Zumindest unter dem Einfluß einer Flasche Rotwein findet er das witzig.

Wieder wird er aus seinen Gedanken gerissen.
Weil er ausrutscht und fällt.
Hose dreckig, Knie blutig.
Egal.
Alles egal.

Der Schönling und seine blonde Freundin auf der anderen Straßenseite lachen ihn aus. Hm, mal sehen, ob sie´s noch lustig finden, wenn sie es morgen in der Zeitung lesen.

Und was wird sein Klassenlehrer sagen? Wird er sich eine Teilschuld aufladen, weil er ihm vor drei Tagen ´ne mündliche 5 gegeben hat? Vielleicht.
Vielleicht hätte er auch gar nicht so Unrecht, wenn er sich Vorwürfe macht.
Irgendwie ist jeder ein bißchen mitschuldig.
Aber wahrscheinlich wird´s ihn nicht besonders tangieren. "Er war nunmal ein stets renitentes und zudem perspektivlos-degeneriertes Subjekt" wird er seiner Frau sagen, nachdem er vor der Klasse Betroffenheit geheuchelt hat. So wie er es immer gerne tut, um seine Mitmenschen zu verwirren.
Nur schade für ihn, dass das renitente Subjekt sein Fachausdruckkauderwelsch immer verstanden hat.
Zumindest ein kleiner Sieg in einem Leben voller Niederlagen.

Nächste Querstraße links.

Da sieht er sie endlich. Die, die seinen Körper in die Tiefe stürzen lassen wird, in der Hoffnung, die Seele steige danach hinauf.

Die Brücke.

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-03-29 17:23:33 mit dem Titel Ein sonniger Tag

Es ist ein sonniger Tag.

Die kleine Anja spielt mit ihren Freunden auf der Straße. Kinderlachen erfüllt die klare Luft. Unter dem wolkenlosen Himmel malen die achtjhrige und ihre Freunde mit Kreide Bilder auf den Boden. Die Mädchen zeichnen bunte Wiesen, übersät mit schönen Blumen, Tieren und Bäumen. Die Jungs entwerfen rote Sportwagen.
Plötzlich fährt ein ebensolcher Sportwagen mit überhöhter Geschwindigkeit um die Ecke und erfasst Anja.
Sie ist auf der Stelle tot.

Es ist ein sonniger Tag.

Die 15jährige Christina sitzt in ihrem Zimmer, während ihre Freundinnen lachend in einem Café sitzen, Jungs hinterherschauen und Cola trinken. Christina hat keine Lust, wegzugehen. Sie hat die Vorhänge zugezogen und starrt auf eine einsam im Raum stehende Kerze. Das Flackern erhellt ihr Gesicht, Tränen werden sichtbar. Die Tür ist abgeschlossen, damit ihr Vater nicht hereinkommt und sie vergewaltigt, so wie er es seit acht Jahren täglich macht.

Es ist ein sonniger Tag.

Der 53jährige Peter sitzt auf einer Parkbank, Sonnenstrahlen kitzeln seine Nase. Zufrieden streckt er sein Gesicht dem Himmel entgegen. er hat gerade etwas gutes gegessen und ist relativ zufrieden mit dem heutigen Tag. Doch auf Dauer wird es ihm etwas zu heiß. Er sucht sich einen schattigen, kühlen Platz.
Aber Peter verkriecht sich unter einer Brücke, statt nach Hause zu gehen und den Ventilator anzumachen, weil er seit Jahrzehnten obdachlos ist.

Es ist ein sonniger Tag.

Franziska sitzt mit einer Freundin auf ihrem Balkon und plaudert. Die beiden Mittvierzigerinnen trinken Kaffee und freuen sich am Duft des frischgebackenen Kuchens, der auf dem Tisch steht. Franziskas Freundin meint, es wäre heute so schön wie seit Wochen nicht mehr.
Franziska denkt sich, dass sie vielleicht nie mehr so schönes Wetter erleben wird.
Denn nur sie und ihr Arzt wissen, dass Franziska an Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium leidet.

Es ist ein sonniger Tag.

Friedrich, 72 Jahre alt, steht an seinem Wohnzimmerfenster und schaut durch die frisch geputzte, im Sonnenlicht blitzende Glasscheibe. Er ist froh darüber, dass er heute in einem Putzanfall die ganze Wohnung so sauber gemacht hat, das alles - einfach alles - blitzt. Wenn seine Frau sehen könnte, was er trotz seines Hüftleidens aus der alten Zwei-Zimmerwohnung gemacht hat: neue Möbel, moderne Teppiche. Es würde ihr gefallen. Aber sie steht nicht mehr neben ihm. Sie hat sich vor zwei Monaten aufgrund ihrer Depressionen das Leben genommen.

Es ist ein sonniger Tag.

13 Bewertungen, 4 Kommentare

  • ryus_descendant

    07.04.2002, 21:15 Uhr von ryus_descendant
    Bewertung: sehr hilfreich

    so sieht's aus

  • darkeye669

    31.03.2002, 13:41 Uhr von darkeye669
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ziemlich krass, heisst das jetzt ich soll jeden Tag genießen, da mir demnächst was schlimmes passieren könnte??? MfG und Frohe Ostern!!!

  • anonym

    29.03.2002, 18:38 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Bin wiedermal sprachlos. Leichter Sarkasmus, was an einem sonnigen Tag alles passieren könnte... Ich wünsche dir frohe Ostern. MFG Garlin

  • DerMolf

    29.03.2002, 18:37 Uhr von DerMolf
    Bewertung: sehr hilfreich

    Würd gern was Geistreiches dazu schreiben... Gruß, Molf