Erfahrungsbericht von Indigo
Indigos Parkbank
Pro:
-
Kontra:
-
Empfehlung:
Nein
Diee Kurzgeschichte existiert bei Yopi nun in drei Versionen. Ich empfehle hier vorab alle drei. Die weiteren Betrachtungen über Parkbänke sind bei den hochgeschätzten Yopi-Mitgliedern Charley und Anachronistin zu finden.
Die Parkbank
Ich kannte diese Parkbank genau. Schon als kleines Kind hatte diese Bank für mich etwas Erlösendes. Die Spaziergänge am Sonntagnachmittag mit den Eltern waren für mich endlos. Die Parkbank am See war regelmäßig mein Etappenziel. Schon hundert Meter davor erhöhte ich die Geschwindigkeit, um mich endlich hinzusetzen. Im Hintergrund die Geräusche des Waldes, im Vordergrund der See mit seinem Schilfgürtel. Die Bank war immer leer. Niemals hatte ich die Situation erlebt, dass sie besetzt war. Oft habe ich diese Überlegung im Kopf durchgespielt, schon zu Beginn des Spaziergangs. Wäre diese Bank besetzt gewesen, mir wäre der ganze Sonntag verdorben gewesen. Es war nie der Fall, also wurde es meine Bank.
Zwanzig Jahre später, bei einem Besuch meiner Eltern, fiel mir diese Parkbank wieder ein. Ich fuhr zunächst in die Stadt, ging in den Buchladen und suchte mir ein Buch aus. Ich wollte ein Buch für mich und die Parkbank, es sollte etwas Passendes sein. Kein Buch erschien mir geeignet, die Klappentexte ließen mich erahnen, dass ich womöglich gar nicht in der Lage war, auf meiner alten Parkbank zu lesen.
Schließlich kaufte ich mir die ZEIT vom Vortag. Diese Zeitung erschien mir dick genug und erhielt mir ein Stück Unverbindlichkeit. Ich konnte sie lesen, musste aber nicht. Ich konnte einzelne Artikel überfliegen, mich vertiefen oder auch nur die zusammengerollte Zeitung neben mir auf der Parkbank ablegen.
Ich fuhr an den Stadtrand, erreichte den neu befestigten Parkplatz, stellte mein Auto ab und ging den altbekannten Weg. Ich hörte den Wald und erblickte von Weitem die Parkbank. War das noch meine Bank? Das konnte eigentlich gar nicht sein. Wie lange hält eigentlich eine Parkbank? Doch keine zwanzig Jahre. Auf jeden Fall war die Parkbank frei. Es war meine Parkbank. Sie war zwar nicht mehr aus Holz, sondern aus Kunststoff. Sie war aber nicht neu, sondern durch die Verwitterung war das Dunkelgrün inzwischen durch einen grauen Nebelschleier überzogen. Auf Anhieb konnte ich erinnern, dass der Standort exakt identisch war. Ich setzte mich, legte meine Zeitung ab und blickte über den See. Ich lauschte den Geräuschen des Waldes und konnte den Geruch erinnern wie das Bohnerwachs mich beim letzten Klassentreffen - nach fünfzehn Jahren - an den Erdkundeunterricht erinnerte. Es war meine Parkbank, mein Wald und mein See.
Ich merkte schnell, dass ich nicht in der Lage war, in der Zeitung zu lesen. Die Zeitung war eine angemessene Begleitung. Sie zwang mich zu nichts, störte mich nicht, sie war aber da. Ich musste inzwischen etwa eine Viertelstunde dort gesessen haben als ich beobachtete, wie sich ein Mensch auf dem Uferweg in meine Richtung bewegte. Weit und breit war absolute Stille und nun ein Mensch. Ich empfand diesen Menschen als Störung, war gleichzeitig neugierig und gespannt. Ich spielte innerhalb von Sekunden die Situation im Kopf durch, wie die Begegnung vor meiner Parkbank ablaufen würde. Wie verhalten sich die Blicke, wie ändert sich die Gehgeschwindigkeit, nimmt sie zu oder nimmt sie ab. Ich beschloss, eine Prognose durchzuspielen. Mein Blick fiel auf die Zeitung, dann wieder auf den Menschen. Der Mensch kam näher, noch etwa 90 Sekunden. Jetzt konnte ich erkennen, dass es sich um eine Frau handelte. – Ich griff mit der linken hand zu der Zeitung. Wollte ich jetzt lesen, so tun als ob? Ich spürte meine Verunsicherung. Lag das daran, dass es eine Frau war? Jetzt konnte ich erkennen, dass die Frau jünger war als ich. In der Hand hielt sie einen Zweig. Und sie lief mit gleichbleibender Geschwindigkeit. – keine 60 Sekunden mehr.
Als sie näher kam, hatte ich die Zeitung in der Hand und hielt sie auf meinem Schoß. Ich weiß nicht, wie sie da hin gekommen ist. Die Frau ging nahezu mit unveränderter Geschwindigkeit auf mich zu, zögerte etwa zehn Meter vor meiner Parkbank, nahm Blickkontakt mit mir auf und fragte, ob sie sich zu mir setzen dürfte. Mit meiner Zeitung deutete ich ohne Worte eine Geste der Zustimmung an. Was hätte ich nur ohne die Zeitung gemacht? Ich hätte kein Wort herausbekommen. Sie setzte sich, etwa so weit weg, so dass zwischen uns noch ein schlanker Mensch gepasst hätte. Ich konnte sie riechen, traute mich jedoch nicht sie zu betrachten. Der Geruch, besser der Duft war ausgesprochen angenehm und passte zum Wald wie eine gezielte Komposition. Ich konnte sehen, dass sie etwas kleiner war als ich. Ich lenkte meinen Blick so auf den See, dass ich ihr Profil wahrnehmen konnte. Sie hatte lange, dunkelblonde Haare, keinen Ohrring im sichtbaren Ohr, einen wohlgeformten Hals und eine schlanke Figur. Ansonsten war ich mir ziemlich sicher, dass ich diese Frau attraktiv und schön fand. Mein Blick richtete sich wieder auf die andere Seite des Ufers. Ich konnte ihre abflachende Atmung hören.
Was würde jetzt passieren? Ich fand die Situation spannend, irritierend und unangenehm. Ich fühlte mich unwohl, wollte aber auch nicht weg. Ich konnte auch nicht weg. Ich konnte weder aufstehen, noch meine Zeitung in die Hand nehmen und lesen. Ich achtete auf meine Atmung, sie hatte den gleichen Rhythmus wie der Atem der Frau. Das war schon mal gut und unauffällig. Oder fiel ihr etwa auf, was mir auffiel? Warum hatte sie sich auf meine Parkbank gesetzt?
Umgekehrt hätte ich es als unhöfliche Störung empfunden, mich einfach zu dieser Frau zu setzen. Gut, es gab nur diese eine Bank weit und breit. Ich hatte schon als Kind überlegt, was ich tun würde, wenn sie belegt ist. Ich habe diese Überlegung jedoch nie abgeschlossen. Die Parkbank war immer frei. Damals haben mich immer meine Eltern geschützt. Hatte ich mich gesetzt, taten sie dies auch. Da zwängt sich dann niemand mehr dazwischen.
Die Zeit verging in Zeitlupe. Ich hatte kein Gefühl mehr für die Dauer dieser Situation. Mein Kopf raste. Wie sollte das hier bloß weitergehen, wie sollte es aufhören? – Eigentlich könnte es mir doch egal sein. Natürlich hört es irgendwann auf. Ich könnte ja bis dahin so tun als wäre sie gar nicht da. Warum hat sie das getan? Was will sie von mir und meiner Parkbank? Ich hielt es langsam nicht mehr aus. Ich wurde immer sicherer, dass nur die Frau die Situation auflösen konnte. Schließlich hatte sie es ja auch eingerührt. Sollte sie doch dafür sorgen, dass es vorbei geht. Aber es ging nicht vorbei.
Nach einer endlosen Zeit passierte es. Ich spürte, wie sich meine Hände auf der Bank aufstützten, die Arme wurden steif und ich schaffte es, mich zu erheben. Ich glaube, ich murmelte so etwas wie eine Verabschiedung und meine Füße trugen mich mit schnellem Schritt in die Richtung, wo mein Auto stand. Nach etwa zehn Metern hörte ich hinter mir ihre Stimme: „ Sie haben Ihre Zeitung vergessen!“ Ich blieb stehen, drehte mich um und ging zurück zur Parkbank.
Es war nicht mehr meine Parkbank. Die Zeitung hatte sich gelohnt. Es war nun unsere Parkbank. Wir sind dann zusammen weiter gegangen, bis heute.
Indigo 2005
----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2005-01-16 14:22:04 mit dem Titel Der Zahnarzt und das Eheproblem
Der Zahnarzt und das Eheproblem
Es ist Freitag, ein lauer Sommerabend und in den Nachbargärten duftet die Grillkohle. Eine Kiste Radeberger, zwölf eingelegte Nackensteaks, rote Kinderkacke von Charley, angeröstetes Baguette, aufgeschnittene Tomaten und ein Teller Gurken runden das spontane Grillvergnügen ab. Schnell noch die Nachbarn fragen, ob sie rüber kommen wollen, und das Grillfest beginnt.
Genüsslich beiße ich in mein kross gegrilltes Schweinenackensteak und spüre plötzlich, dass sich eine Plombe meines Backenzahns selbständig macht. Gut, dass mein Freund und Nachbar Zahnarzt ist. Ich trinke noch einen Schluck Bier und telefoniere kurz mit meinem Nachbarn. Ich schildere ihm die Situation und er bietet mir an, kurz rüber zu kommen, dann werde er mir schnell eine provisorische Füllung einsetzen. Dafür habe er alles zuhause. Gesagt, getan!
Mein Nachbar lässt mich im Wohnzimmersessel Platz nehmen, nimmt die Stehlampe zu Hilfe und erledigt mein kleines Problem innerhalb von zehn Minuten mit seinem Erstehilfeköfferchen aus seinem Saab-Cabriolet. Anschließend trinken wir noch ein gemeinsames Bier, ich biete ihm an, doch rüber zu kommen, aber er lehnt ab. Er hat mit seiner Frau zwei Theaterkarten und muss bald los. So nimmt mein Grillabend doch noch ein gutes Ende.
Drei Wochen später flattert mir von meinem Nachbarn eine Rechnung ins Haus, mit dem Hinweis, ich möge diese doch bitte bei meiner Krankenversicherung einreichen. Etwas irritiert betrachte ich die Rechnung, zucke mit den Schultern und folge am nächsten Tag dem Hinweis.
Zwei Monate später.
Ich sitze abends vor dem Fernseher und warte auf den Beginn des aktuellen Sportstudios. Ich bin allein zuhause und das Telefon klingelt. Mein Nachbar, der Zahnarzt ist dran, schildert mir in dramatischen Zügen die Situation seiner scheiternden Ehe und fragt mich, ob er rüber kommen könne. Er brauche dringend jemanden zum Reden und er vertraue auf meinen Rat. Ich sage zu und zwei Minuten später steht mein Zahnarzt in der Tür. Wir setzen uns ins Wohnzimmer, ich schalte den Fernseher aus und hole eine Flasche Chianti aus dem Keller. Der Abend verläuft, wie er verlaufen muss: Ich höre zu, bündele seine Gedanken, frage nach und gebe Ratschläge. Ich verhalte mich so, wie ich es in meinem Beruf jeden Tag tue. Das Gespräch dauert dreieinhalb Stunden. Kurz nach Mitternacht verlässt mich mein Zahnarzt, schüttelt mir die Hand, bedankt sich noch einmal überschwänglich und geht schlafen.
Zwei Tage später treffe ich meinen Zahnarzt vor der Haustür. Er berichtet mir, wie gut ihm das Gespräch getan habe, dass ich ihm sehr geholfen hätte und er nun konsequent meinen Ratschlägen folgen werde.
Ich sitze wieder zuhause, denke nach und erinnere mich an die Situation des Grillabends, an meinen drohenden Zahnschmerz, die schnelle Hilfe und an die Rechnung. Ich setze mich in mein Arbeitszimmer und schreibe meinem Nachbarn nun auch eine Rechnung. Die Gesamtsumme kalkuliere ich ausnahmsweise so, dass sie dem Rechnungsbetrag meines Zahnarztes auf den Cent entspricht. Ich stelle ihm genau das in Rechnung, was ich hauptberuflich und professionell jeden Tag mache, genauso wie er es umgekehrt getan hat. Die Rechnung führte ein Beratungsgespräch mit Anamnese, Diagnose und Behandlung auf und eine Dauer von 3 Stunden und 25 Minuten. Um auf den gleichen Betrag inkl. Umsatzsteuer zu kommen, habe ich einen Stundenverrechnungssatz von 38,50 Euro angesetzt. Das ist vergleichsweise preiswert.
Nachdem mein Nachbar die Rechnung erhalten hatte, haben wir sechs Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Er hat sie fristgerecht bezahlt und geschwiegen.
Letztens haben wir wieder einmal zusammen gegrillt und uns an diese Episode erinnert.
Wir hatten für diesen Abend ein erfüllendes Thema.
Übrigens war ich gestern Abend zum Grillen eingeladen, bei guten Freunden, im Januar bei knapp 3 Grad über null.
Indigo 2005
Die Parkbank
Ich kannte diese Parkbank genau. Schon als kleines Kind hatte diese Bank für mich etwas Erlösendes. Die Spaziergänge am Sonntagnachmittag mit den Eltern waren für mich endlos. Die Parkbank am See war regelmäßig mein Etappenziel. Schon hundert Meter davor erhöhte ich die Geschwindigkeit, um mich endlich hinzusetzen. Im Hintergrund die Geräusche des Waldes, im Vordergrund der See mit seinem Schilfgürtel. Die Bank war immer leer. Niemals hatte ich die Situation erlebt, dass sie besetzt war. Oft habe ich diese Überlegung im Kopf durchgespielt, schon zu Beginn des Spaziergangs. Wäre diese Bank besetzt gewesen, mir wäre der ganze Sonntag verdorben gewesen. Es war nie der Fall, also wurde es meine Bank.
Zwanzig Jahre später, bei einem Besuch meiner Eltern, fiel mir diese Parkbank wieder ein. Ich fuhr zunächst in die Stadt, ging in den Buchladen und suchte mir ein Buch aus. Ich wollte ein Buch für mich und die Parkbank, es sollte etwas Passendes sein. Kein Buch erschien mir geeignet, die Klappentexte ließen mich erahnen, dass ich womöglich gar nicht in der Lage war, auf meiner alten Parkbank zu lesen.
Schließlich kaufte ich mir die ZEIT vom Vortag. Diese Zeitung erschien mir dick genug und erhielt mir ein Stück Unverbindlichkeit. Ich konnte sie lesen, musste aber nicht. Ich konnte einzelne Artikel überfliegen, mich vertiefen oder auch nur die zusammengerollte Zeitung neben mir auf der Parkbank ablegen.
Ich fuhr an den Stadtrand, erreichte den neu befestigten Parkplatz, stellte mein Auto ab und ging den altbekannten Weg. Ich hörte den Wald und erblickte von Weitem die Parkbank. War das noch meine Bank? Das konnte eigentlich gar nicht sein. Wie lange hält eigentlich eine Parkbank? Doch keine zwanzig Jahre. Auf jeden Fall war die Parkbank frei. Es war meine Parkbank. Sie war zwar nicht mehr aus Holz, sondern aus Kunststoff. Sie war aber nicht neu, sondern durch die Verwitterung war das Dunkelgrün inzwischen durch einen grauen Nebelschleier überzogen. Auf Anhieb konnte ich erinnern, dass der Standort exakt identisch war. Ich setzte mich, legte meine Zeitung ab und blickte über den See. Ich lauschte den Geräuschen des Waldes und konnte den Geruch erinnern wie das Bohnerwachs mich beim letzten Klassentreffen - nach fünfzehn Jahren - an den Erdkundeunterricht erinnerte. Es war meine Parkbank, mein Wald und mein See.
Ich merkte schnell, dass ich nicht in der Lage war, in der Zeitung zu lesen. Die Zeitung war eine angemessene Begleitung. Sie zwang mich zu nichts, störte mich nicht, sie war aber da. Ich musste inzwischen etwa eine Viertelstunde dort gesessen haben als ich beobachtete, wie sich ein Mensch auf dem Uferweg in meine Richtung bewegte. Weit und breit war absolute Stille und nun ein Mensch. Ich empfand diesen Menschen als Störung, war gleichzeitig neugierig und gespannt. Ich spielte innerhalb von Sekunden die Situation im Kopf durch, wie die Begegnung vor meiner Parkbank ablaufen würde. Wie verhalten sich die Blicke, wie ändert sich die Gehgeschwindigkeit, nimmt sie zu oder nimmt sie ab. Ich beschloss, eine Prognose durchzuspielen. Mein Blick fiel auf die Zeitung, dann wieder auf den Menschen. Der Mensch kam näher, noch etwa 90 Sekunden. Jetzt konnte ich erkennen, dass es sich um eine Frau handelte. – Ich griff mit der linken hand zu der Zeitung. Wollte ich jetzt lesen, so tun als ob? Ich spürte meine Verunsicherung. Lag das daran, dass es eine Frau war? Jetzt konnte ich erkennen, dass die Frau jünger war als ich. In der Hand hielt sie einen Zweig. Und sie lief mit gleichbleibender Geschwindigkeit. – keine 60 Sekunden mehr.
Als sie näher kam, hatte ich die Zeitung in der Hand und hielt sie auf meinem Schoß. Ich weiß nicht, wie sie da hin gekommen ist. Die Frau ging nahezu mit unveränderter Geschwindigkeit auf mich zu, zögerte etwa zehn Meter vor meiner Parkbank, nahm Blickkontakt mit mir auf und fragte, ob sie sich zu mir setzen dürfte. Mit meiner Zeitung deutete ich ohne Worte eine Geste der Zustimmung an. Was hätte ich nur ohne die Zeitung gemacht? Ich hätte kein Wort herausbekommen. Sie setzte sich, etwa so weit weg, so dass zwischen uns noch ein schlanker Mensch gepasst hätte. Ich konnte sie riechen, traute mich jedoch nicht sie zu betrachten. Der Geruch, besser der Duft war ausgesprochen angenehm und passte zum Wald wie eine gezielte Komposition. Ich konnte sehen, dass sie etwas kleiner war als ich. Ich lenkte meinen Blick so auf den See, dass ich ihr Profil wahrnehmen konnte. Sie hatte lange, dunkelblonde Haare, keinen Ohrring im sichtbaren Ohr, einen wohlgeformten Hals und eine schlanke Figur. Ansonsten war ich mir ziemlich sicher, dass ich diese Frau attraktiv und schön fand. Mein Blick richtete sich wieder auf die andere Seite des Ufers. Ich konnte ihre abflachende Atmung hören.
Was würde jetzt passieren? Ich fand die Situation spannend, irritierend und unangenehm. Ich fühlte mich unwohl, wollte aber auch nicht weg. Ich konnte auch nicht weg. Ich konnte weder aufstehen, noch meine Zeitung in die Hand nehmen und lesen. Ich achtete auf meine Atmung, sie hatte den gleichen Rhythmus wie der Atem der Frau. Das war schon mal gut und unauffällig. Oder fiel ihr etwa auf, was mir auffiel? Warum hatte sie sich auf meine Parkbank gesetzt?
Umgekehrt hätte ich es als unhöfliche Störung empfunden, mich einfach zu dieser Frau zu setzen. Gut, es gab nur diese eine Bank weit und breit. Ich hatte schon als Kind überlegt, was ich tun würde, wenn sie belegt ist. Ich habe diese Überlegung jedoch nie abgeschlossen. Die Parkbank war immer frei. Damals haben mich immer meine Eltern geschützt. Hatte ich mich gesetzt, taten sie dies auch. Da zwängt sich dann niemand mehr dazwischen.
Die Zeit verging in Zeitlupe. Ich hatte kein Gefühl mehr für die Dauer dieser Situation. Mein Kopf raste. Wie sollte das hier bloß weitergehen, wie sollte es aufhören? – Eigentlich könnte es mir doch egal sein. Natürlich hört es irgendwann auf. Ich könnte ja bis dahin so tun als wäre sie gar nicht da. Warum hat sie das getan? Was will sie von mir und meiner Parkbank? Ich hielt es langsam nicht mehr aus. Ich wurde immer sicherer, dass nur die Frau die Situation auflösen konnte. Schließlich hatte sie es ja auch eingerührt. Sollte sie doch dafür sorgen, dass es vorbei geht. Aber es ging nicht vorbei.
Nach einer endlosen Zeit passierte es. Ich spürte, wie sich meine Hände auf der Bank aufstützten, die Arme wurden steif und ich schaffte es, mich zu erheben. Ich glaube, ich murmelte so etwas wie eine Verabschiedung und meine Füße trugen mich mit schnellem Schritt in die Richtung, wo mein Auto stand. Nach etwa zehn Metern hörte ich hinter mir ihre Stimme: „ Sie haben Ihre Zeitung vergessen!“ Ich blieb stehen, drehte mich um und ging zurück zur Parkbank.
Es war nicht mehr meine Parkbank. Die Zeitung hatte sich gelohnt. Es war nun unsere Parkbank. Wir sind dann zusammen weiter gegangen, bis heute.
Indigo 2005
----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2005-01-16 14:22:04 mit dem Titel Der Zahnarzt und das Eheproblem
Der Zahnarzt und das Eheproblem
Es ist Freitag, ein lauer Sommerabend und in den Nachbargärten duftet die Grillkohle. Eine Kiste Radeberger, zwölf eingelegte Nackensteaks, rote Kinderkacke von Charley, angeröstetes Baguette, aufgeschnittene Tomaten und ein Teller Gurken runden das spontane Grillvergnügen ab. Schnell noch die Nachbarn fragen, ob sie rüber kommen wollen, und das Grillfest beginnt.
Genüsslich beiße ich in mein kross gegrilltes Schweinenackensteak und spüre plötzlich, dass sich eine Plombe meines Backenzahns selbständig macht. Gut, dass mein Freund und Nachbar Zahnarzt ist. Ich trinke noch einen Schluck Bier und telefoniere kurz mit meinem Nachbarn. Ich schildere ihm die Situation und er bietet mir an, kurz rüber zu kommen, dann werde er mir schnell eine provisorische Füllung einsetzen. Dafür habe er alles zuhause. Gesagt, getan!
Mein Nachbar lässt mich im Wohnzimmersessel Platz nehmen, nimmt die Stehlampe zu Hilfe und erledigt mein kleines Problem innerhalb von zehn Minuten mit seinem Erstehilfeköfferchen aus seinem Saab-Cabriolet. Anschließend trinken wir noch ein gemeinsames Bier, ich biete ihm an, doch rüber zu kommen, aber er lehnt ab. Er hat mit seiner Frau zwei Theaterkarten und muss bald los. So nimmt mein Grillabend doch noch ein gutes Ende.
Drei Wochen später flattert mir von meinem Nachbarn eine Rechnung ins Haus, mit dem Hinweis, ich möge diese doch bitte bei meiner Krankenversicherung einreichen. Etwas irritiert betrachte ich die Rechnung, zucke mit den Schultern und folge am nächsten Tag dem Hinweis.
Zwei Monate später.
Ich sitze abends vor dem Fernseher und warte auf den Beginn des aktuellen Sportstudios. Ich bin allein zuhause und das Telefon klingelt. Mein Nachbar, der Zahnarzt ist dran, schildert mir in dramatischen Zügen die Situation seiner scheiternden Ehe und fragt mich, ob er rüber kommen könne. Er brauche dringend jemanden zum Reden und er vertraue auf meinen Rat. Ich sage zu und zwei Minuten später steht mein Zahnarzt in der Tür. Wir setzen uns ins Wohnzimmer, ich schalte den Fernseher aus und hole eine Flasche Chianti aus dem Keller. Der Abend verläuft, wie er verlaufen muss: Ich höre zu, bündele seine Gedanken, frage nach und gebe Ratschläge. Ich verhalte mich so, wie ich es in meinem Beruf jeden Tag tue. Das Gespräch dauert dreieinhalb Stunden. Kurz nach Mitternacht verlässt mich mein Zahnarzt, schüttelt mir die Hand, bedankt sich noch einmal überschwänglich und geht schlafen.
Zwei Tage später treffe ich meinen Zahnarzt vor der Haustür. Er berichtet mir, wie gut ihm das Gespräch getan habe, dass ich ihm sehr geholfen hätte und er nun konsequent meinen Ratschlägen folgen werde.
Ich sitze wieder zuhause, denke nach und erinnere mich an die Situation des Grillabends, an meinen drohenden Zahnschmerz, die schnelle Hilfe und an die Rechnung. Ich setze mich in mein Arbeitszimmer und schreibe meinem Nachbarn nun auch eine Rechnung. Die Gesamtsumme kalkuliere ich ausnahmsweise so, dass sie dem Rechnungsbetrag meines Zahnarztes auf den Cent entspricht. Ich stelle ihm genau das in Rechnung, was ich hauptberuflich und professionell jeden Tag mache, genauso wie er es umgekehrt getan hat. Die Rechnung führte ein Beratungsgespräch mit Anamnese, Diagnose und Behandlung auf und eine Dauer von 3 Stunden und 25 Minuten. Um auf den gleichen Betrag inkl. Umsatzsteuer zu kommen, habe ich einen Stundenverrechnungssatz von 38,50 Euro angesetzt. Das ist vergleichsweise preiswert.
Nachdem mein Nachbar die Rechnung erhalten hatte, haben wir sechs Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Er hat sie fristgerecht bezahlt und geschwiegen.
Letztens haben wir wieder einmal zusammen gegrillt und uns an diese Episode erinnert.
Wir hatten für diesen Abend ein erfüllendes Thema.
Übrigens war ich gestern Abend zum Grillen eingeladen, bei guten Freunden, im Januar bei knapp 3 Grad über null.
Indigo 2005
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