Schuluniformen Testbericht

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Erfahrungsbericht von TurkishPsycho

Schuluniform jetzt auch für die Lehrer? Ist das das Heil für die dt. Bildungsmisere?

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Meine sehr verehrten Leser,

die vor knapp einem Jahr durchgeführte Pisa- Studie, die den Schulsystemen der ganzen Welt auf den Zahn gefühlt hat und die Stärken und Schwächen der einzelnen Nationen erbarmungslos aufzeigt, brachte an die deutsche Öffentlichkeit, was schon seit langem bekannt war, was aber niemand bisher so deutlich sagen wollte: die deutschen Schüler sitzen im internationalen Vergleich weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, und zwar schneiden sie in beinahe allen getesteten Bereichen gleich miserabel ab. Was also ist zu tun? Wie kann der Karren wieder aus dem Dreck gezogen werden? Seit Jahrzehnten schon ist ein Umbau des gigantischen Gesamtsystems, vom Kindergarten bis zur Universität, überfällig, aber seit Jahrzehnten schon wird dieser Umstand immer wieder übersehen, wird er immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Was bleibt, ist ein riesiger Scherbenhaufen und keiner im Lande weiß so richtig, wo man mit den Aufräumarbeiten beginnen soll.
Mit dem Pisa- Schock geriet die Diskussion um das deutsche Bildungssystem zwangsläufig immer mehr in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Wie hungrige Wölfe stürzten sich die Medien auf das gefundene Fressen, bis heute ist die Flut der medialen Erörterung des Problems nicht abgeebbt, im Gegenteil, immer breiter wird der für die Journalisten und Bildungspolitiker eröffnete Pool an Problemen im Schulsystem, immer detaillierter, kleinlicher werden die angeblichen Schwachstellen, immer weiter in die Ferne rückt ein Ende der Diskussion und damit ist auf lange Sicht wohl nicht mit einer Verbesserung im hiesigen Schulsystem zu rechnen.

Nachdem sich Willi Lemke, der Senator für Bildung und Wissenschaft in Bremen, in einem „Bild“- Interview über die unsittliche Kleidung mancher Schülerinnen beschwert hat, die mit „Reizwäsche“ in den Unterricht gingen („Es gibt Sexbomben an unseren Schulen, da möchte ich nicht Junglehrer sein“), geraten nun auch die Lehrkräfte aufgrund ihrer Kleidung in die Kritik.
Sind zerrissene Jeans, enganliegende Tops bei Modelfigur oder kurze Hosen im Sommer statt Schlips und Kragen unangebracht? Sollte es nun statt der geplanten Uniform für Schüler eine Kleidervorschrift für Lehrer geben, oder gar eine einheitliche Schuluniform, die sowohl für Lehrkräfte als auch für Schüler gilt?

Selbstverständlich muss man einräumen, dass die Lehrkraft eine gewisse Respektperson gegenüber ihren Schülern darzustellen hat. Sie muss eine gewisse Autorität inne haben, denn die Schüler müssen erkennen, dass sie eine Person vor sich haben, die mit gekonnter Strenge und Fachkompetenz unterrichtet. Und auch hat sich eine Floskel seit Jahrhunderten bewährt: Kleider machen Leute! Dieser Umstand fordert natürlich eine angemessene Kleidung und vor allem eine ansprechende Körperpflege der Lehrer.
Denn ein Lehrer, der unrasiert, mit ungewaschenem Haar, verdreckten Klamotten und eingerissenem Schuhwerk vor seine Schüler tritt, wird, egal, wie sehr er bemüht ist, seine Fachkompetenz unter Beweis zu stellen, damit rechnen müssen, dass ihm nur Spott und Mitleid entgegengebracht wird, aber gewiss nicht die Aufmerksamkeit, der es bedarf, um eine normale Unterrichtsgestaltung zu ermöglichen.
Auch wird eine junge Lehrerin vom Schlage Jennifer Lopez, spärlich bekleidet mit einem knallengen, brustbetonten Top und den dazu passenden, viel Haut zeigenden Hot- Pants gerade bei den älteren männlichen Schülern nicht viel Aufmerksamkeit gegenüber der ebenso graziösen Kurve des Funktionsgraphen auf der Tafel im Mathematikunterricht erwarten.
Eine gepflegte, unauffällig, aber dennoch passend gekleidete Lehrkraft wird demnach keine Schwierigkeiten damit haben, das Publikum vom eigenen Äußeren unbeeinflusst zu lassen.


Dennoch sei dahingestellt, ob ein alteingesessener Lehrer mit wilhelminischem Schnurrbart, perfekt sitzendem Schlips, gestärktem Kragen mit penibel trist gewähltem Sakko und frisch gebügelter Stoffhose, durch seinen autoritären und respekteinflößenden Auftritt seine Schüler besser im Griff hat, als eine junge, lebensfrohe Lehrkraft mit kurzen Hosen, einem modischen T-Shirt, ausgestattet mit keckem Witz und Charme.
Lehrer sollen ihre Vorbildfunktion nicht vernachlässigen, heißt es, doch sollten wir doch mal einen Blick auf die heutige Jugend, auf den modernen Zeitgeist werfen. Übertriebene Autorität und übertriebener Respekt sind längst überholte Wertvorstellungen – zum Glück! Denn rückt so nicht die fachliche Kompetenz, die Person an sich nicht immer mehr in den Vordergrund? Ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit vor allem im Bereich der Lehrkräfte nicht ein viel bedeutenderes Vorbild für die Jugendlichen, als die sture Übernahme einer Rolle aus Zwang und Vorschrift? Man erzählt den Schülern tagtäglich vom Schrei nach Freiheit in den Geschichtsstunden, von einem Schrei, der noch heute nicht an Stärke verloren hat und verlangt gleichzeitig erzkonservative Verhältnisse? Das kann nicht im Sinne der Bildung sein, denn die Schüler möchten Lehrkräfte haben, die sich integrieren können, die abwechslungsreichen, mal lustigen, mal ernsten Unterricht machen, denn gerade in den sozialen Brennpunkten wird „spießig“ gekleideten Lehrern Feindseligkeit entgegengebracht, die Schule wird zu einem langweiligen Ort, den man so schnell wie möglich verlassen möchte. Eine militärisch, elitäre Atmosphäre der Schule, mit der ‚Lizenz Struktur und Disziplin zu lehren’ erhöht den Druck auf die Schülerschaft enorm, es lässt das triste Bild einer Kaserne, eines Klosters aufkommen.
Die Schüler scheren sich nicht darum, welche Kleidung ihre Lehrkraft trägt, sie möchten vom Lehrer mitgerissen werden, sie erwarten interessante Themen, sie erwarten eine Lehrkraft, von der sie verstanden werden – und das kann nur dann geschehen, wenn die Lehrkraft befreit auftritt, sich gibt, wie sie ist und sich rebellisch zeigt gegenüber Konventionen, die veraltet sind und keineswegs mit dem modernen Zeitgeist einhergehen.

Initiatoren derartiger Diskussionen wollen eigentlich nur von dem eigentlichen Problem ablenken, sie wollen von einem gänzlichen Versagen des Systems ablenken, indem sie auf Kleinigkeiten eingehen. Aber sie müssen sich gesagt sein lassen, eine neue Kleiderordnung führt ganz sicher nicht dazu, dass es mit der deutschen Bildung wieder bergauf geht. Keiner möchte so recht daran glauben, dass ein gänzlicher Umbau des Bildungssystems notwendig ist.

Aber wer immer mehr zum Opfer des ständigen Redens und Diskutierens und des unentwegt fehlenden Handelns wird, sind die Schüler dieses Landes. Denn sie können am wenigsten dafür, dass Politiker Geldhähne zudrehen, dass das Studium des Lehramts ungeheure Lücken aufweist, dass wir keine zureichend ausgebildeten Lehrkräfte haben, dass das Abitur in Deutschland bald nichts mehr wert sein wird, dass das Studium an einer deutschen Universität nicht mehr dazu genügt, um im internationalen Vergleich mitzuhalten.
Man muss endlich aufhören über Belanglosigkeiten zu diskutieren, denn weder in Uniform noch splitternackt werden die Deutschen bei der nächsten Pisa- Studie besser abschneiden als bisher.

2003-09 by TurkishPsycho

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