Lebensberichte Testbericht

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Erfahrungsbericht von cesabi

Warum es mir mit nur einem Bein besser geht!

Pro:

Auch im Schlechten kann man das Positive finden

Kontra:

Ist Krankheit negativ????

Empfehlung:

Ja

Heute möchte ich über mich reden, über meine Krankheit und darüber wie ich heute damit fertig werde. Vorweg möchte ich noch sagen, dass ich aufgrund meiner Krankheit mein Bein verloren habe. Wie es dazu kam...... ich fange ganz von vorne an (denn schließlich hat es ja auch da begonnen!). Aber ich warne euch im voraus, es kann lang werden. Also für diejenigen, die wirklich an meiner Geschichte interessiert sind ......bitte weiterlesen.
Als ich vier Jahre alt war, lebten wir in Sizilien. Damals ahnten meine Eltern (beide Italiener) noch nicht, dass ihr süßes, blondes Töchterchen an einer Krankheit litt, wogegen sie als Eltern nichts machen konnten. Im Nachhinein, hätten wir es gewusst, wäre es besser gewesen, wenn wir uns in Deutschland befunden hätten.
Nun, an einem Tag, als alle Kinder (wir waren drei) gebadet wurden, stellte mich meine Mutter auf dem Tisch um mich besser abtrocknen zu können. Da stellte sie fest, dass ich eine Schieflage im Becken hatte. Bedeutete, dass mein eines Bein länger (!) war als das andere. Von da an fing meine Tortur an, die schließlich vor 4 1/2 Jahren endete. Von da an, war mein junges Leben bestimmt von Arztbesuchen, Untersuchungen, Quälereien, usw. Die Ärzte in Sizilien, ich möchte sie ja nicht schlecht machen, waren aber vor 30 Jahren nicht besonders fit in der Medizin. Sie untersuchten das offensichtliche, nämlich, warum ein Bein länger war als das andere. Ich bekam Nadeln in die Füße gesteckt, wo ich die Schmerzen heute noch spüre. Sie konnten sich einfach nicht erklären, warum der Knochen einen Wachstumsschub gemacht hatte. Viele Ärzte, Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte später, und zwar vier Jahre, kam immer noch nichts dabei heraus. Mein linkes Bein hatte inzwischen eine dunklere Farbe bekommen, war länger und deutlich heißer als das andere Bein.
Dann kam die Zeit, in der wir nach Deutschland kamen. Ich war 8 Jahre alt. Meine Eltern, liebend und treusorgend wie sie waren, brachten mich hier sofort zum Arzt um mich untersuchen zu lassen. Da die Italiener gesagt hatten, es würde am Knochengerüst liegen, gingen wir also zum Orthopäden. Der Orthopäde stellte aber fest, dass es keinesfalls am Knochen lag, sondern, dass die Ursache ganz woanders zu suchen sei. Er überwies mich also in die Medizinische Hochschule (Hannover). Dort stellte man fest, dass ich einen Gen-Defekt hatte. Und diese angeborene Krankheit verursachte eine Gefäßkrankheit, genannt: Arterio-Venöse-Shunts (auch AV-Fisteln genannt). Man könnte operieren, aber dazu wurden auch Bluttransfusionen benötigt werden. Da meine Eltern (und später auch ich) aus religiösen Gründen Transfusionen ablehnten, wurden die Götter in Weiß dort sehr böse! Schließlich würde es um die Gesundheit ihres Kindes gehen. Meine Eltern fragten die Professoren, ob diese nicht eine Alternative wüssten, denn sie wollten sehr wohl, dass ich gesund (?) wurde, sonst hätten sie nicht eine Odyssee an Arztbesuchen (sie wussten nicht was noch kommen würde) hinter sich!! Ich weiß nicht ob der Arzt es nicht mit voller Absicht tat, um meine Eltern zu verunsichern, aber er nannte uns einen Professor in Ulm, der Gefäßoperationen ohne Bluttransfusionen durchführte. Er hatte wohl nicht mit der Überzeugung meiner Eltern gerechnet, die um die halbe Welt geflogen wären um mir zu helfen! Wir also ins 800 Km entfernte Ulm. Zugfahrt. Kind sehr ängstlich und ungeduldig... Ich war mittlerweile 10 Jahre alt. Dort angekommen erklärte uns der Professor, was meine Krankheit eigentlich bewirkte. Ich versuche es mit einfachen Worten: Meine Blutgefäße im linken Bein würden neue Gefäße bilden, die sich zu einem verworrenen Nest aus Adern in verschiedenen Stellen lagern würden. Verstanden??? O.K. Weiter im Text, er schlug vor, an mehreren Hauptgefäßen Klammern anzulegen um die Blutzufuhr zu diesen Nestern zu unterbinden und sie somit nicht mehr zu versorgen, was bedeutete, dass sie verkümmern würden. Das wurde denn auch gemacht. Meine erste Operation bestand aus einem sehr langen Schnitt, von der Mitte des Oberschenkels zur Mitte des Unterschenkels an der Innenseite. Ich weiß es noch wie heute, es waren 29 Stiche (ich war klein, heute bin ich schon 1,50 cm ***grins***), beim Laufen tat es brutal weh, da ich das Bein durch den OP-Schnitt nicht strecken konnte, und die Wunde entzündete sich an drei Stellen. Doch es heilte alles ab, ich bekam keine Bluttransfusion .....und ich merkte nichts!! Ich sollte in einem Jahr zur Kontrolle kommen. Im nächsten Jahr wurde statt nur einer Kontrolle eine neue Operation anberaumt, diesmal in der Leiste. Die darauffolgenden zwei Jahre....noch mal dasselbe. Inzwischen war ich 14. Am Zustand meines Beines änderte sich nichts. Außer dass 4 hässliche Narben mein Bein verunzierten. Und das in dem Alter!! Jedenfalls hatte ich dann die Nase voll, und ging 7 Jahre nicht mehr zu den "Kontrollen". Ein Unterschied merkte ich nicht. Aber ich war nun erwachsen, 20 Jahre alt, und dachte mir, es wird Zeit doch noch mal hinzugehen. Nach der Untersuchung sagte man mir, da die Medizin fortgeschrittener sei, zwei Operationen durchzuführen zu wollen. Eine würde wie gehabt, Gefäße abklemmen, mit der anderen würde man mir, mittels einer Acrylmasse, eine Arterie verschließen. Damit hoffte man den gleichen Effekt zu erzielen ohne große Schnitte machen zu müssen. Nun muss ich dazu sagen, dass im Unterschenkel lediglich 3 große Schlagadern verlaufen. Eine wollte man mir stopfen. Der Erfolg (oder Misserfolg!) war, dass 2 Schlagadern verstopft wurden! Meine anderen Gefäße im Bein bildeten aber trotzdem immer wieder neue Gefäße. Könnt ihr euch vorstellen, was für einen Druck in diesen Adern war??. Wahrscheinlich nicht. Nun aber, durch diesen immensen Druck, fing mein Bein an, offene Stellen zu bilden die nicht abheilen konnten (durch den Druck). Die erste im Innenknöchel. An dieser Stelle spritzte mir das Blut ab und zu wie eine offene Fontäne heraus. Dann ging eine weitere Stelle an der Außenseite des Schienbeins auf! Ich hatte gerade geheiratet und war 22! (Ich könnte immer noch heulen vor lauter Selbstmitleid!). Mein Mann war sehr verständnisvoll. Diese zweite Wunde war die hartnäckigste und am längsten dauernde. Bis zum Schluss! Das Blut, dass ich durch diese Wunde verlor, verdoppelt das Gesamtvolumen an Blut, dass ich besitze. Einmal, hatte ich geschlafen. Als ich aufwachte, hatte ich so ein komisches nasses Gefühl am Po (!). Ich hatte fast ein Liter Blut in meinem Bett verloren. Klar, dass ich sehr schwach war. Aber ich habe mich trotzdem immer wieder aufgerappelt.

Mittlerweile war ich Mutter geworden. Ich war 28 Jahre alt. Logisch, dass die Schwangerschaft meiner Wunde nicht guttat. Diese vergrößerte sich auf die Größe eines 5-Euro-Scheins. Was soll ich sagen: die Wunden und deren morgendliche Versorgung, die immer 1 Stunde dauerte bis ich endlich aufstehen konnte, hatte ich bestens im Griff. Bis auf die Blutungen. Dazu muss ich sagen, dass ich trotzdem noch alle zwei Jahre zum Arzt, diesmal in Hamburg, ging, um durch die kleineren OPs und den Krankenhausaufenthalt die Wunden verkleinern zu lassen. Als mein Kind nun 3 Jahre war, und ich 31, fing eine alte Wunde am Knöchel an sich zu öffnen. Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn ich diesmal nicht so fürchterliche Schmerzen gehabt hätte! Ich bekam immer stärkere Schmerzmittel verschrieben. Und ich begann immer mehr abzunehmen, da ich durch die Medikamente meinen Appetit verlor. Ich wog damals um die 60 Kg. Als ich abnahm war ich bei 52 angelangt. Im Oktober 2000, (ich war fast 32) entschloss ich mich wieder ins Krankenhaus zu gehen, um meine Wunden heilen zu lassen. Es war ein Krankenhausaufenthalt bei dem ich fast mein Leben verlor! Meine Wunde am Knöchel war so schmerzhaft, dass diese alle zwei Tage nur unter Vollnarkose versorgt werden konnte (ich kriege beim Schreiben Gänsehaut, allein wegen des Erinnerns!!). Ich habe die Narkosen gezählt, nur die für die Wundversorgung waren 19. Die Schmerzen wurden mittlerweile mit Morphium, welches durch eine Braunüle in der Halsarterie gegeben wurde, gestillt. Zumindest versucht. Inzwischen konnte ich nicht mehr gehen mit meinem Bein, denn sobald ich das Bein auf die Erde setzte, spritzte mir das Blut um die Ohren! Also lag ich im Bett. Nach einigen Wochen hatte ich schon einen Spitzfuß bekommen!!! Das Bein war also nicht mehr zu gebrauchen. Nun lag ich schon fast 3 Monate im Krankenhaus! Mein Kind sah ich am Wochenende, und er sagte schon "Oma" zu mir, weil er tagsüber bei meiner Schwiegermutter war. Es war entsetzlich! Weihnachten sagte dann eine Ärztin zu mir: (in einem sehr garstigen Ton!) " sie sollten sich überlegen, ob es für sie ohne Bein nicht besser wäre!!!" ...................Für mich ging in dem Moment die Welt unter! Ich konnte vor lauter Weinen nicht mehr sprechen. Wenn mich jemand ansprach konnte ich nur Schluchzen. Am Telefon dasselbe. Das ging eine Woche so. Dann habe ich mich damit abgefunden!!! Ich habe mir gedacht: "Ich kann mein Bein sowieso nicht mehr benutzen, und heutzutage werden so gute Prothesen gebaut, dass ich bestimmt bald wieder laufen kann!" Ich wog inzwischen 43 Kg. Wenn ich etwas zu essen bekam wurde mir übel.
Dann ging die Planung für die Amputation los: wo sollte man das Bein abnehmen, an welcher Stelle, und wie sieht es aus, da ich immer noch keine Bluttransfusion annehme, während der OP! Ich wurde in ein Krankenhaus in 60 Km Entfernung gebracht, wo dann die Amputation am 08. Februar 2001 durchgeführt wurde. Trotzdem ich ziemlich viel Blut verlor, fast 2 Liter, und ich nur einen Hb-Wert von 5,0 hatte, habe ich mich so gut erholt, dass ich schon nach 3 Tagen auf Gehstützen laufen konnte!! Das erste Mal aufstehen nach 4 Monaten!!! Ich spürte, wie mein Kreislauf in Schwung kam. Morphium wurde abgesetzt, fast ohne Entzugserscheinungen. Mein Appetit kehrte zurück, ich verschlang alles was an Essbarem vor meine Nase gesetzt wurde. Mein Hb-Wert stieg nach einer Woche auf 8,2 und nach drei Wochen hatte ich 11,3. Und das alles ohne Bluttransfusion!
Abgenommen wurde das Bein übrigens genau am Knie, d.h. Oberschenkel wurde vom Unterschenkel getrennt ohne den Knochen zersägen zu müssen und somit mit weniger Blutverlust. Nach drei Wochen kam ich noch 5 Wochen in die Reha um das Gehen mit einer Prothese zu lernen, die inzwischen angefertigt wurde. Am 11. April kam ich nach Hause, nach mehr als 7 Monaten!!!
Ich muss nicht dazu sagen, dass ich mein Familienleben ebenfalls neu lernen musste zu leben. Aber es hat prima hingehauen. Im ersten Jahr, habe ich allerdings 30 Kg zugenommen. Was ein derber Schlag für mein sowieso schon angeschlagenes Selbstvertrauen war. Aber, da ich nun keinerlei Medikamente mehr nehmen brauchte und ich eine sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit hatte, habe ich alles was ich gegessen habe sofort in Fett umgewandelt. Vor zwei Jahren wog ich dann 83 Kg, als ich mich entschloss mit WeightWatchers abzunehmen.

Fazit nach allem: Heute wiege ich 68 Kg (ich weiß, immer noch zu viel, aber ich gebe mir Mühe weiter abzunehmen), habe keinerlei Schmerzen mehr, mein Familienleben ist intakt (mein Mann liebt mich immer noch!), und was am wichtigsten ist, ich laufe auf zwei Beinen. Auch wenn eines davon nicht meins ist..... wer merkts?


Ich hoffe ihr seid nicht zu sehr schockiert, das war nicht meine Absicht, aber nun habe ich mich vor euch nackt gemacht. Es ist das erste Mal, dass ich so offen über meine Krankheit und meine Gefühle rede. Allein das Schreiben hat mir gutgetan!

8 Bewertungen, 8 Kommentare

  • ladylaura1de

    02.11.2005, 15:34 Uhr von ladylaura1de
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr ergreifend! LG Laura!

  • Chris270475

    10.10.2005, 11:14 Uhr von Chris270475
    Bewertung: sehr hilfreich

    Nein, ich bin nicht schockiert, ich finde es sogar sehr gut, dass du diesen Bericht geschrieben hast. Gruss Chris

  • anonym

    05.10.2005, 21:17 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Du weißt ...

  • morla

    05.10.2005, 18:09 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr guter Bericht

  • nele83

    05.10.2005, 15:41 Uhr von nele83
    Bewertung: sehr hilfreich

    toller Bericht.

  • Töffel1

    05.10.2005, 14:56 Uhr von Töffel1
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh. Ja, das Leben kann mächtig hart sein. Aber du scheinst es trotz allem (oder genau deshalb?) meistern zu können. Hut ab vor so viel Stärke. LG Martina

  • anonym

    05.10.2005, 14:53 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Nein nicht schockiert sondern einmal mehr in der Lage andere Menschen für ihre Kraft zu bewundern :o)

  • Zuckerwatte

    05.10.2005, 14:40 Uhr von Zuckerwatte
    Bewertung: sehr hilfreich

    Klasse Bericht, mein Respekt für Deine positivie Einstellung trotz des Schicksals, alle Achtung! Liebe Grüße