Lebensberichte Testbericht

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Erfahrungsbericht von chaosdiva

Trau keinem über dreißig?

Pro:

...

Kontra:

...

Empfehlung:

Nein

Ein paar Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag war ich mit ein paar Freunden nach London gefahren und wir schliefen zu sechst, Schlafsack an Schlafsack, auf dem spärlich ausgebauten Dachboden eines kleinen besetzten Hauses im Londoner Stadtteil Brixton. Party hier, Party da. Zusammen mit unserem Gastgeber zogen wir im Pulk Tag für Tag und Nacht für Nacht durch die Londoner Szene.

Mein Geburtstag näherte sich, und von Tag zu Tag wurde ich unruhiger. 30. Diese Zahl schien immer bedrohlicher und drückender in meinem Kopf zu werden und sich zu einer heftigen Krise auszuweiten.

Ja, das was allgemein als Midlife Crisis bekannt ist, würde den Zustand, in dem ich mich damals befand, äußerst treffend beschreiben. Obwohl ich natürlich mit meinen fast dreißig viel zu jung für so etwas wie Midlife Crisis war, stiegen heftige Zweifel an meinem bisherigen Leben in mir hoch.

Da meine Eltern der Meinung waren, daß ich als Frau ohnehin keine besondere Ausbildung bräuchte, denn ich würde ja irgendwann heiraten und dann als Ehefrau von einem Mann „versorgt“, erkämpfte ich mir mein Abitur, indem ich trotz Berufstätigkeit ab Mitte zwanzig Abend für Abend mir in meiner Freizeit den Unterricht des Abendgymnasiums reinzog.

Zugegeben, das fiel alles andere als leicht, denn damit hatte ich mich perfekt aus meinem sozialen Umfeld herauskatapultiert. Während mein Freundeskreis sich zum Essen, fürs Kino, für die Disco oder zu irgendeiner Party traf, saß ich ein paar Jahre lang von Montag bis Freitag jeden Abend bis 23:00 in der Schule, um die spärliche Freizeit am Wochenende dazu zu nutzen, zu lernen.

Zu genau wußte ich, was ich mit diesem Abitur anfangen wollte. Der verschulte Unterricht und einige unserer Lehrer, die dort ebenfalls auch am Tagesgymnasium Jugendliche unterrichteten, schienen mir viel zu wenig auf meine doch schon so „erwachsenen“ Bedürfnisse in Bezug auf Lerninhalte und Unterrichtsgestaltung einzugehen.

Ich initiierte private außerschulische Arbeitsgruppen, um diejenigen, die Schwierigkeiten hatten, dem Lernstoff zu folgen, zu unterstützen und mit durchzuziehen. Ich schlug aktuelle Unterrichtsthemen vor und mein rebellisches junges Erwachsenensein führte schließlich dazu, daß ich meinem Deutschlehrer, der wohlgemerkt der Rektor dieser Schule war, vor der ganzen Klasse sagte, daß ich seine Unterrichtsmethoden für völlig veraltet hielt und dass mich seine autoritäre Umgangsweise mit uns ankotzen würde.

Dies tat ich wohlgemerkt an einem Abend vor Beginn einer Klassenarbeit. Ich ging nach vorne, gab aus Protest mein leeres Blatt, lediglich mit meinem Namen und mit Datum versehen ab und verließ den Raum. Natürlich handelte ich mir somit eine Notenverschlechterung ein. Daher zierte mein Abizeugnis in Deutsch also dann nur eine Zwei anstatt der nach meinen sonstigen schriftlichen Leistungen errechneten Eins.

So fand ich mich also im zarten Alter von neunundzwanzig als Erstsemesterstudentin an der Uni ein und hatte nichts besseres zu tun, als einem meiner Profs in seiner Sprechstunde „Film als Kunstform“ als mein Thema für meine Magisterarbeit vorzuschlagen. Er war eigentlich sehr nett und meinte, ich solle doch erst mal ein paar Semester studieren und sagte mir damals nicht ins Gesicht, dass er mich wohl für ziemlich verrückt hielt. Rückblickend meine ich jedoch, er muß es wohl damals so empfunden und gedacht haben.

Diese Krisenstimmung machte mich unleidlicher und unzufriedener mit meinem Leben. Ja ich hatte Panik, jetzt mit dreißig nun plötzlich „alt“ zu sein, je näher mein dreißigster Geburtstag rückte, und so konnte es nicht ausbleiben, daß zu allem Elend auch noch meine Beziehung zu kriseln begann und vor dem absoluten Crash stand.

Das alles ging mir durch den Kopf, während sich mein dreißigster Geburtstag näherte und plötzlich schien mir auch London nicht mehr zu genügen. Ich hatte nur das Bedürfnis, ganz ganz weit weg zu gehen, alles hinter mir zu lassen, einfach noch mal ganz von vorne anzufangen. So saß ich dann exakt an meinem dreißigsten Geburtstag im Flieger von London nach Los Angeles.

Nach einigen Wochen gelebter California dreams im Winter, ich lag in der Sonne und genoß die angenehme Wärme, die die Westküste zu dieser Jahreszeit bot, wurde mir plötzlich klar, daß mir meine Freunde fehlten, daß ich zurückwollte, daß ich weiter studieren wollte.

So beendete ich meinen amerikanischen Traum und kehrte zurück. Lange noch danach hatte ich mit dem Gefühl zu kämpfen, nun für vieles „zu alt“ geworden zu sein.

Inzwischen, viele Jahre später, kann ich über diese erste richtig große Krise in meinem Leben wirklich einfach nur noch lachen.

Ich fühle mich jünger als je zuvor, und versuche einfach nur, alle meine Träume zu leben und zwar in diesem Leben – denn wer weiß schon, ob es auch noch ein nächstes geben wird.

© chaosdiva


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2004-02-11 23:48:19 mit dem Titel Es gibt keinen Weg zurück.

Es gibt keinen Weg zurück.

Keine Erfahrung, die man im Leben machen kann, ist wohl schlimmer als die, zu erkennen, dass es zu spät ist, dass es keinen Weg zurück gibt.

Als ich das erste Mal in so eine Situation kam, war ich ein Teenie. Mein Vater kam wegen einer Thrombose ins Krankenhaus. Einige Tage später, einige umfangreiche Untersuchungen waren inzwischen gemacht worden, sagten die Ärzte meiner Mutter, dass er wohl nicht mehr nach Hause kommen würde. Magenkrebs. Inoperabel. Unser Schock war unbeschreiblich, aber meine Mutter wollte ihm die Hoffnung nicht nehmen, wenn er uns bei unseren täglichen Besuchen mit den Worten verabschiedete: „Ja, und bald bin ich ja auch wieder zuhause und dann …“.

So saßen wir also jeden Tag an seinem Bett und spielten uns gegenseitig heile Welt vor. Irgendwann hatte ich begonnen, Valium zu nehmen, weil ich mit der Situation nicht mehr klarkam. Es machte mich vollkommen taub für jegliche Empfindung und eine abgestumpfte Ruhe breitete sich in mir aus.

Sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Er konnte nur noch künstlich ernährt werden, verlor von Tag zu Tag mehr an Gewicht, es ging ihm schlecht, er wurde schwächer und schwächer. Meine Mutter bestand immer noch darauf, dass wir unseren Versuch, ihm Mut zuzusprechen, fortsetzen. Äußerlich ruhig und gefaßt betraten wir das Krankenhaus, heulend traten wir nach jedem Besuch den Rückweg an.

Drei qualvolle lange Monate sollte dieser Zustand bis zu seinem Tod eines Nachts andauern. Die ganze Zeit war ich wegen der Valiumeinnahme, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte, wie ein Zombie durchs Leben gelaufen. Ich brauchte lange, um von dem Beruhigungsmittel wieder runterzukommen.

Und dann irgendwann, als ich begann, wieder klar zu denken, erinnerte ich mich daran, dass er im Krieg Sanitäter war. Mir wurde bewußt, dass er ab irgendeinem Zeitpunkt selbst spürte, selbst wußte, dass er nicht mehr nachhause kommen würde. Aber er hatte das Spiel mitgespielt und seine Worte „Wenn ich wieder zuhause bin, dann …“ klangen mir im Ohr.

Zu dem Schmerz über seinen Verlust kam der Schmerz über meine eigene Unfähigkeit, mit der Situation offen umzugehen.

Meine Unfähigkeit, ihm die Möglichkeit zu geben, offen und ehrlich miteinander reden zu können, um uns gemeinsam mit der Situation auseinanderzusetzen. Auch wenn wir unter medizinischem Aspekt nichts für ihn hätten tun können, so hätten wir wenigstens voneinander Abschied nehmen könnten. Das jedoch fand nicht statt. Drei Menschen hatten sich drei Monate lang unter immensem Kraftaufwand gegenseitig vorgemacht, dass doch alles nicht so schlimm sei und es lediglich eine Frage der Zeit sei, wann alles wieder gut werden würde.

Als meine Mutter Jahre später nach einem Schlaganfall nicht mehr in der Lage war, sich alleine zu versorgen, entschied ich mich, sie nicht in ein Altersheim abzuschieben, sondern zu betreuen.

Zusammen mit dem Hausarzt, der Hausbesuche machte, der Altenpflegerin, einer Frau, die an bestimmten Tagen zum Einkaufen und Putzen kam. Ich organisierte alles, kümmerte mich um ihren Papierkram, am Wochenende bekochte ich sie und badete sie.

Das Mutter-Tochter-Verhältnis hatte sich plötzlich umgekehrt. Ich zog sie aus, wusch sie, zog sie wieder an, bereitete das Essen für sie zu, so, wie sie das früher mit mir getan hatte, als ich ein kleines hilfloses Kind war.

Unser Verhältnis war während meiner Jugend alles andere als gut. Je älter ich wurde, desto bewußter wurde mir, daß es vieles zwischen uns beiden zu klären gab. Tiefe Verletzungen waren auf beiden Seiten entstanden. Ich lebte nicht das Leben, das sie sich von ihrer Tochter gewünscht hätte. Von ihr fühlte ich mich unverstanden. Aber: Wir hatten uns arrangiert, indem wir all die langen Jahre über die Konflikte, die im Raum standen, einfach nicht sprachen.

Immer wieder hatte ich mir vorgenommen, diese Belastung von uns beiden zu nehmen, ein klärendes Gespräch zu führen. Aber wie es so ist, wollte sich einfach keine geeignete Situation für ein offenes Gespräch finden. Mal ging es ihr nicht gut, mal ging es mir nicht gut, dann war ich selbst krank, hatte jede Menge eigener Probleme zu lösen.

Es war an einem Morgen im Dezember, wenige Tage vor Jahresende. Die vergangene Nacht hatte ich durchgearbeitet, um mich auf einen wichtigen Termin noch vorzubereiten. Irgendwann morgens gegen sieben wollte ich mir wenigstens noch zwei, drei Stunden Schlaf gönnen, um mich meiner Jobrealität dann mit einer Extraration Kaffee und überschminkten Ringen unter den Augen mehr oder weniger fit aber professionell wie immer zu stellen.

Als das Telefon gegen neun klingelte, war mir noch nicht bewusst, dass an diesem Tag alles ganz anders kommen sollte, als ich es geplant hatte.

Eine ruhige Stimme bat mich eindringlich, so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu kommen, meine Mutter sei eingeliefert worden und habe darum gebeten, mich zu benachrichtigen.

Müde und verschlafen, war ich unfähig, irgendwelchen Fragen zu stellen. Notierte mir das Krankenhaus, die Station. Zog mich in Windeseile an und rannte zu dem Krankenhaus, das normalen Schrittes in etwa zehn Minuten Fußweg von meiner Wohnung zu erreichen war.

Die genannte Station war eine Intensivstation und der Pfleger, der auf mein Klingeln öffnete, bat mich, noch einen Moment zu warten. Dann durfte ich zu ihr. Zwischen Schläuchen und in regelmäßigen Abständen fiependen Apparaten lag ein bleiches Wesen, das ich kaum mehr erkannte, so sehr hatte sie sich seit dem Vortag verändert. Und ohne dass die Ärzte viel erklären mußten, wußte ich, als ich ihr eingefallenes Gesicht sah, dass der Tod bereits im Raum stand.

Sie war nicht mehr bei Bewußtsein und so bahnte ich mir einen Weg zwischen all den Schläuchen und Kanülen hindurch, lehnte mich halb auf ihr Bett, legte einen Arm um sie, und streichelte abwechselnd sanft ihre Schulter und ihren Kopf. Mit der anderen Hand umschloß ich ihre rechte Hand.

Zwischendurch kam ein Pfleger und meinte, ich solle doch mit ihr reden, manche Patienten würden in diesem Zustand noch etwas wahrnehmen. Aber – was sollte ich ihr sagen? Alles was mir in diesem Augenblick wichtig war, war, sie durch meine körperliche Nähe spüren zu lassen, dass sie nicht alleine war. Und wie schutzsuchend bewegte sich ihre Hand in meiner, versuchte sie, meine Hand festzuhalten.

Stundenlang saß ich so da, hörte auf die manchmal sich verändernden Töne der Apparate, sah wie ihr Brustkorb sich manchmal schwerer, manchmal etwas leichter beim Atmen hob und senkte. Der Arzt der Nachtschicht holte mich irgendwann von ihrem Bett weg, sagte, dieser Zustand könne noch Tage dauern, ich solle nachhause gehen und versuchen, selbst etwas zu schlafen. Darauf ließ ich mich ein, unter der Bedingung, dass man mich sofort anrufen würde, wenn sich irgend etwas an ihrem Zustand verändern sollte.

Den Weg nachhause hätte ich nicht machen brauchen, denn ich lag angezogen regungslos auf meinem Bett und starrte an die Decke. Als das Telefon am nächsten Morgen klingelte, rannte ich wieder ins Krankenhaus. Zu spät. Kurz bevor ich dort ankam, war sie gestorben.

Ich habe lange Zeit gebraucht, bis ich wieder in so etwas wie ein normales Leben eintauchen konnte. Und seitdem bin ich bemüht, Konflikte dort, wo sie entstehen, gleich zu lösen. Nichts mehr will ich unausgesprochen im Raum stehen lassen. Den Menschen, die mir etwas bedeuten, will ich das auch zeigen – und zwar solange sie leben.

Denn die schönsten Blumen auf einem Grab – sie sind zu spät.

Ich widme diesen Bericht meinen Eltern, die in den vielen größeren und kleineren Prägungen, die sie in mir hinterlassen haben, in mir weiter leben. Meinen Eltern, die ihre Spuren in meinem Gefühl und in meinem Denken hinterlassen haben.

© chaosdiva

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