Pro:
soll zum Nachdenken anregen
Kontra:
dazu muß man die Geschichte lesen
Empfehlung:
Ja
Hallo Community!
Heute versuche ich mich mal an einer Kurzgeschichte. Alle Ähnlichkeiten mit tatsächlich lebenden Personen sind rein zufällig und ohne jede Bedeutung.
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RUMMMS!!! – Mit einem lauten Knall fiel die Wohnungstür hinter dem hinausstürmenden Felix in Schloß.
Irritiert sahen sich Frank und Marion am Abendbrottisch gegenüber. Frank war ein ziemlich stämmiger Mann Mitte vierzig. Sein schwarzes Haar, das er seit seinem vierzehnten Lebensjahr ordentlich mit einem Mittelscheitel zu versehen suchte und dass sich immer standhaft dagegen gewehrt hatte und wirr gekräuselt den Kopf umrahmte, fing seit einigen Monaten an, sich an den Schläfen grau zu färben. Bald würde er wie sein Vater und sein Großvater schneeweiß sein. Das lag in der Familie. Seine graugrünen Augen, blickten fragend zu seiner Frau. Diese war gerade dabei, die Frühstücksbrote für den sechzehnjährigen Felix zu schmieren. Nachdem sie bereits die Butter auf den Pumpernickelscheiben verteilt hatte, war ihr nun das Messer aus der Hand geglitten und sie starrte ihren Mann aus weit aufgerissenen Augen an. Die blonden Locken hatte sie sich heute hochgesteckt und dadurch wirkte ihr Gesicht sonst noch etwas kindlich. Doch jetzt sah sie plötzlich sehr alt aus. Jeglicher Glanz war schlagartig aus den Augen und dem Gesicht gewichen. Die sonst immer zu einem verschmitzten Lächeln geformten vollen Lippen, welche bisher auch ohne jeglichen Lippenstift immer zum Küssen einluden, waren weit aufgerissen. Und doch kam kein Laut heraus.
Frank holte tief Luft. „Was ist nur mit Felix los?“ fragte er verständnislos. Doch auch seine Gegenüber wusste darauf keine Antwort.
Früher hatten sie immer ein wunderbares Verhältnis gehabt und konnten sich über alles unterhalten. Meistens kann Felix von selbst, wenn er irgendein Problem hatte oder auch nur, um zu erzählen, wie der Tag war. Das waren dann immer die angenehmen Stunden des Tages. Doch seit einiger Zeit waren den Eltern aufgefallen, dass sich Felix verändert hatte. Er war meistens gereizt und sprach kaum noch mit seinen Eltern. Wenn sie ihn fragten, was denn los sei, antwortete er oft gar nichts oder er meinte, dass sei seine Sache. Frank meinte dann immer, das sei wegen der Pubertät und der Hormone, die verrückt spielten. Marion schob es dagegen auf den Prüfungsstress. Felix war doch in der zehnten Klasse und da war es schon schwierig. Er hatte immer relativ gute Noten gehabt, musste aber auch ziemlich fiel dafür tun. So manchen Nachmittag war er nur mit seinen Hausaufgaben und Bücher beschäftigt gewesen. Doch auch das hatte nachgelassen. Meist kam er ziemlich spät aus der Schule und verschwand dann gleich wieder, nachdem er hastig das aufgewärmte Mittagessen in sich hineingeschlungen hatte. Er sei ‚bei einem Klassenkameraden zum Lernen‘ meinte er dann meistens.
Anfänglich hatten sich seine Eltern ja darüber gefreut, dass Felix endlich Anschluss gefunden hat. Er war immer sehr schüchtern und zurückhaltend gewesen und hatte dadurch auch kaum Freunde gefunden. Doch dann war vor etwa einem dreiviertel Jahr eine Familie neu zugezogen, die ebenfalls einen Jungen in Felix‘ Alter hatten und der mit ihrem Sohn gemeinsam die Schulbank drückte. Sandro war sein Name. Die beiden verstanden sich von Anfang an sehr gut und unternahmen viel gemeinsam in der Freizeit. Doch im letzten halben Jahr zeigten sich dann diese negativen Veränderungen bei Felix.
Doch die Eltern waren in letzter Zeit ziemlich mit sich selbst beschäftigt. Frank war vor 7 Monaten entlassen worden, weil seine Firma keine Aufträge mehr hatte. Er hatte über 20 Jahre in einer Spedition als Fahrer gearbeitet. Doch nun drängten vor allem osteuropäische Unternehmen auf den deutschen Markt und mit ihren im Vergleich zu den alteingesessenen Firmen beachtlich billigeren Angeboten schnappten sie diesen natürlich auch viele lukrative Aufträge weg. Frank hatte immer gemeint, das sei ein Problem der ‚Ossis‘, aber nun zeigte es sich, dass die Probleme nicht an der alten Zonengrenze halt machten. Und jetzt war auch Frank davon betroffen.
Seine Frau kümmerte sich seit einigen Wochen intensiv um ihre Mutter, die knapp achtzig war und nun gesundheitlich ziemlich stark abbaute. Das war eigentlich schon ein Fall fürs Pflegeheim, meinte Frank schon mehrmals. Aber Marion beharrte darauf, dass es ihre Mutter sei und solange sie selbst noch halbwegs kriechen könne würde sie ihre Mutter nicht an die Fürsorge abschieben. Außerdem müssten sie dann den Heimplatz bezahlen, da das Sozialamt für ehrlich arbeitende deutsche Bürger da nichts bezahlen würde. Anderen würde aber das Geld hinterher geschmissen.
Heute nun hatte die Schule angerufen und mitgeteilt, dass Felix schon mehrfach auf dem Schulhof in Schlägereinen und Rangeleien zwischen Deutschen und Ausländern verwickelt gewesen sei. Die Eltern waren völlig perplex. Ihr Sohn Felix ein Schlägertyp? Wo er doch eigentlich immer so friedlich war. Er hatte es doch nicht einmal übers Herz gebracht, seinen Kater, der von einem Auto angefahren worden war, einzuschläfern. Und jetzt sollte er sich mit anderen prügeln? Er war zwar schon mal mit einer dreckverschmierten Jacke und Hose nach Hause gekommen, aber da hatte er gemeint, er wäre gestolpert und gestürzt. Das klang damals plausibel, zumal zufälligerweise gerade die Straße vor dem Haus gebaut wurde. Und das Veilchen vor 3 Wochen hatte er damit begründet, dass er eine Zimmertür in der Schule an den Kopf bekommen habe. Aber jetzt erschienen diese Geschichten in einem ganz anderen Licht. Außerdem wurde im Ort auch erzählt, dass in der Schule die rechtsradikale Szene ziemlich aktiv wäre. Sollte Felix etwa mit solchen Leuten zusammen sein?
Am Abendbrottisch wollten Sie ihn zur Rede stellen. Doch da explodierte Felix förmlich. Er fing an zu schreien, das alle nur rumsitzen würden und nichts tun. Dann war er aufgesprungen und hatte wütend, ja fast schon rasend die Wohnung verlassen. Beim Hinausgehen hatte er vor sich hingemurmelt, dass sich hier mal was ändern müsse. So hatten Frank und Marion ihren Sohn noch nie erlebt. Minutenlang sagte keiner von beiden etwas. Beide waren in ihre Gedanken versunken. Warum verhielt sich Felix so abweisend? Irgendwie machten sie sich plötzlich Vorwürfe. Hatten sie nicht vielleicht in manchen Bemerkungen viele ihrer Probleme auf die Ausländer geschoben und Felix dadurch indirekt dazu angestachelt, ebenfalls einen Hass auf diese Menschen zu entwickeln? Die Vertrauenslehrerin der Schule hatte zwar vor einiger Zeit an alle Eltern appelliert, auf verräterische Anzeichen zu achten, ob ihre Kinder in diese Szene abrutschen. Aber doch nicht Felix! Nicht ihr Sohn! Aber eine andere logische Erklärung schien es für sein Verhalten nicht zu geben. Sie nahmen sich vor, am nächsten Tag nochmal vorsichtig mit ihrem Sohn zu sprechen.
Nach dem Abendessen schauten sie die Tagesschau. Irgendein Regierungssprecher erzählte was von schlechten Zeiten und alle müssten sparen. Frank musste unwillkürlich lachen. ‚Klar müssen alle sparen. Alle kleinen Leute. Die großen dagegen verpulverten Millionen und bekamen dann noch ne Auszeichnung dafür.‘ Frank musste sogar schon das Taschengeld von Felix halbieren, damit die Haushaltskasse reichte. „Wenn man nicht selbst von den Problemen betroffen ist lässt es sich sehr gut darüber reden,“ erwiderte ihm seine Frau, die inzwischen die Bügelwäsche erledigte. Anschließend schauten beide noch gemeinsam eine Reportage über den Rückgang des Regenwaldes in irgendeinem afrikanischen Land. Da im Anschluss daran das Fernsehprogramm nichts mehr zu bieten hatte, beschlossen beide, ins Bett zu gehen. Frank hatte noch nie Einschlafprobleme gehabt und begann nach wenigen Minuten voller Inbrunst zu schnarchen. Marion dagegen lag noch über eine Stunde wach und grübelte über das Verhalten von Felix. Was hatte das zu bedeuten? Warum hatte der Junge sich so verändert? Und wieso hatten sie nichts bemerkt. Allmählich begannen sich ihre Gedanken im Kreis zu drehen und sie glitt in einen unruhigen Halbschlaf hinüber. Kurz nach Mitternacht schrak sie plötzlich hoch, weil einige Straßen weiter eine Polizeistreife und ein Rettungswagen vorbeifuhren. Das kam öfters vor, da einige Straßen weiter das Malteser-Krankenhaus war. Regelmäßig wurden hier die Opfer der nächtlichen Raserei eingeliefert. Mit der Bemerkung „Blöde Raser“ nickte sie wieder ein.
Am Morgen klingelte Marions Wecker wie immer genau um 06:00 Uhr. Eigentlich hätte sie den Wecker gar nicht benötigt, sie war bereits vorher wach und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Jetzt war sie froh, dass sie der Wecker endlich erlöste. Sie ging ins Bad um sich frisch zumachen und schaltete dabei wie jeden Morgen das Radio an, um die Nachrichten zu hören. Aus dem Lautsprecher kam die Nachricht, dass in der Nacht eine Gruppe Jugendlicher das örtliche Asylbewerberheim überfallen habe und es dabei zu einer Schlägerei gekommen sei. Mehrere Jugendliche seien festgenommen worden. Andere seien verletzt worden und würden nun im örtlichen Malteser-Krankenhaus behandelt. Mit einem spitzen Schrei ließ sie die Haarbürste fallen, die klirrend auf den Fließen des Badezimmers aufschlug. Mit fünf schnellen Schritten war sie an Felix‘ Zimmertür und riss sie auf. Sie erstarrte. Felix‘ Bett war unberührt. Er war diese Nacht nicht wie sonst manchmal erst kurz nach Mitternacht zurückgekommen. Er war nicht da. Ihr wurde mit einem mal schwindelig und sie musste sich am Türpfosten festhalten. Was, wenn Felix in der Nacht in einem der Rettungswagen lag, den sie gehört hatte?
Inzwischen war auch Frank durch Marions Schrei erwacht und sofort in den Flur geeilt. Fragend blickte er zunächst seine an den Türrahmen gelehnte Frau an und dann über ihre Schulter in das leere Zimmer seines Sohnes. „Sie haben ... Sie sind ... Er muss ... Wenn ... im Radio ... das Heim ... „ stammelte sie. Frank fasste seine Frau mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte sie leicht, damit sie wieder zu sich kam und einen klaren Gedanken fassen konnte. Dann erzählte sie in kurzen Sätzen und immer wieder nach Luft schnappend von den Sirenen in der Nacht, den Nachrichten und dass sie nun vermutet, ja sich eigentlich ganz sicher ist, das Felix dort dabei war. Sämtliche Farbe schien auch Marions und Franks Gesichtern gewichen zu sein. Sprachlos hörte er den Worten seiner Frau.
Beide erschraken, als es plötzlich an der Wohnungstür klingelte. Frank zog sich schnell einen Morgenmantel über und legte auch seiner Frau den ihrigen um die zitternden Schultern. Er selbst holte nochmals tief Luft und öffnete dann die Wohnungstür. Draußen standen zwei Polizisten und ein kleines Häufchen Elend, welches sich nach genauerem Hinsehen als Felix entpuppte. Zum einen erleichtert, dass sein Sohn nicht im Krankenhaus lag, zugleich aber auch erschüttert über den Anblick, den sein Sohn ihm bot, bat er die Beamten leise herein. Wortlos ging Felix zwischen den Polizisten in die Küche und seine Eltern folgten und alle setzten sich gemeinsam an den großen Küchentisch. Marion blickte ihren Sohn mit großen Augen an. Ihre Augen, ja ihr ganzes Gesicht schien nur eine einzige Frage zu sein: WARUM? Tränen rannen über die Wangen. Sowohl über die von Marion als auch bei Felix.
Einer der Beamten, den Namen vergaß Frank sofort wieder, beugte sich leicht vor und erklärte kurz, was vorgefallen war. Man sei alarmiert worden, weil Anwohner eine Schlägerei vor und im Asylbewerberheim gemeldet hätten. Daraufhin seien mehrere Streifenwagen schleunigst zu demselben gefahren und hätten umgehend eingegriffen. Mehrere jugendliche Angreifer, die vermutlich der rechtsradikalen Szene zuzuordnen seien, wären festgenommen worden. ‚Also stimmt das mit Felix doch‘, ging es Frank durch den Kopf.
Doch der Beamte war noch nicht fertig. Er sagte, die Ermittlungen hätten übereinstimmend ergeben, dass Felix nicht zu den Angreifern gehört habe. Vielmehr habe er mit einem weiteren Jugendlichen (offenbar Sandro) sich bereits mehrere Stunden vorher im Asylbewerberheim aufgehalten. Es hätte sich gezeigt, dass die Beiden freundschaftliche Kontakte zu einer Gruppe Jugendlicher aus dem Heim unterhielten. Beim Angriff hätten sie die Asylbewerber unterstützt und sich nur verteidigt.
Sprachlos blickten Frank und Marion ihren Sohn an. Irgendwie waren sie nun total verwirrt. Was hatte denn das nun wieder zu bedeuten. Einige Minuten herrschte Schweigen. Alle schauten auf Felix und dieser starrte nur vor sich hin. Keiner sagte etwas. Als Marion dann nach fünf scheinbar endlosen Minuten fragte, ob jemand Kaffee haben wolle, fing Felix auf einmal sprechen an.
Und dann erzählte er die ganze Geschichte:
Zu Beginn des letzten Schuljahres waren zwei neue Schüler in der Klasse. Zum einen Sandro, mit dem er sich sofort super verstand. Er war damals so froh, dass er endlich einen Freund gefunden hatte. Und dann war da noch Sahel. Sie kam aus Afrika und war dunkelbraun, fast schwarz. Sie war sehr zurückhaltend, da sie große Probleme mit der deutschen Sprache hatte und sich dadurch schlecht verständigen konnte. Bereits nach wenigen Tagen sei es losgegangen. Einige in der Klasse machten sich ständig über Sahel lustig. Sie verlangten von ihr, dass sie irgendwelche schwierigen deutschen Phantasieworte nachsprach und wenn es nicht klappte, schubsten sie sie herum. Dann wieder fragten sie, ob sie überall schwarz sei. Eben lauter fiese Sachen. Mehrmals sei sie sogar von einigen Jungen und Mädchen aus der Klasse geschlagen und getreten worden. Das waren keine zufälligen Rempler, sondern gezielte Schläge und Tritte.
Eigentlich wollte er sich da raushalten und das ging auch mehrere Wochen gut. Er schaute dem ganzen Treiben nur zu und bewunderte Sahel für ihre Geduld und wie sie dass alles ertrug. Aber er wusste, dass er nicht wirklich helfen konnte, und wenn er eingreifen würde, wäre er künftig ebenfalls das Ziel solcher Angriffe und Tätlichkeiten. Doch dann habe Sandro für Sahel Partei ergriffen, als es mal wieder ganz schlimm war. Die anderen in der Klasse seinen an diesem Tag in heller Aufregung gewesen, wie es jemand wagen könne, sich der Klasse entgegenzustellen. Und da habe er sich ein Herz gefasst und ebenfalls zu Sahel und Sandro gehalten.
Er fand sie mittlerweile sogar richtig süß. Wenn sie sich über etwas freute, was leider viel zu selten vorkam, konnte sie so schön lächeln. Ihre weißen Zähne strahlten dann richtig.
Bei diesem Punkt der Erzählung musste Felix erst mal seine Tränen aus den Augen wischen und kurz nach Luft schnappen.
Drei Tage später ging es dann aber erst richtig los. Auch Sandro und Felix wurden nun attackiert. Auch in den Pausen auf dem Schulhof kam es regelmäßig zu Rangeleihen, von denen die Lehrer oft nichts mitbekamen oder mitbekommen wollten. Nach dem Unterricht begleiteten Felix und Sandro gemeinsam Sahel nach Hause ins Asylbewerberheim. Dort lernten Sie noch andere Jugendliche in ihrem Alter aus verschiedenen Ländern kennen, die teilweise auf andere Schule gingen und fanden, dass das ganz normale Menschen waren. So verabredete man sich zum Fußballspielen am Abend und traf sich von da an regelmäßig, um gemeinsam verschiedene Dinge, wie zum Beispiel Basketball oder Schwimmen im Baggersee zu unternehmen. Richtig gute Freunde seien sie schon geworden. Manchmal würden sie auch nur zusammen sitzen und beim Quatschen ein Bier oder ne Cola trinken.
Doch zu Hause habe er das Gefühl, dass seine Eltern ebenfalls etwas gegen Ausländer hätten. Sie würden immer solche Andeutungen und Bemerkungen fallen lassen, dass die doch an allem Elend in Deutschland schuld seien. Und da habe er keinen Bock gehabt, mit ihnen drüber zu reden oder gar zu streiten. Er fühle sich gar nicht mehr wohl zu Hause. Bei seinen Freunden sei es viel schöner, sie würden zusammenhalten und sich super verstehen. Und offensichtlich erwiderte Sahel auch seine Gefühle.
Während Felix so erzählte, rannen Marion die Tränen über die Wangen. Das hatte sie alles nicht mitbekommen und schämte sich für ihrem Verdacht. Auch Frank war völlig in sich zusammengesunken. Zu sehr wurde ihm bewusst, wie schnell man sich missverstehen kann und dadurch auseinanderlebt. Auch bei ihm, dem „starken Mann“, blitzte eine Träne im Augenwinkel.
Doch Felix erzählte weiter:
Gesten Abend wollten sie gemeinsam Tischtennis spielen. Im Heim ist eine Platte im Keller aufgebaut und da gäbe es manchmal richtige Turniere. So gegen 23:00 Uhr ist Sahels Bruder ganz aufgeregt in den Keller gestürmt gekommen und meinte, draußen seien welche, die rumschreien würden und Steine werfen. Sofort sind alle Jugendlichen hochgestürmt, um zu schauen, was da los sei. Oben hätten die vielleicht zehn oder fünfzehn meist jugendlichen Angreifer sofort mit einer Schlägerei angefangen. Die Bewohner des Heimes hätten sich nur verteidigt und er und Sandro hätten sie dabei unterstützt. Und dann wäre plötzlich die Polizei aufgetaucht und habe dem Ganzen ziemlich schnell ein Ende gemacht. Und jetzt sei er hier.
Felix schluchzte, während er seine Geschichte zu Ende erzählte.
Wieder herrschte zwei Minuten Stimme in der kleinen Küche. Dann beugte sich Marion nach vorn und legte ihre Hand auf die ihres Sohnes. Da konnte sich Felix nicht mehr länger beherrschen und fiel seiner Mutter um den Hals und weinte hemmungslos. „Es tut mir so leid“ kam ihm mehrfach über die Lippen. Auch seine Mutter schluchzte immer wieder, während sie Felix im Arm hielt stammelte: „Es tut mir leid! Es tut mir so leid!“
Der ältere der beiden bis hierher wortlosen Beamten erhob sich langsam. Er schaute nochmals auf Felix und seine Mutter und wandte sich dann an Frank: „Sie können sehr stolz auf ihren Sohn sein!“ Und als er Franks fragenden Blick sah, fügte er noch hinzu: „Soviel Zivilcourage haben sehr wenige Leute. Die meisten laufen einfach mit der großen Masse mit. Doch Ihr Sohn hat Mut bewiesen und hat Schwächere unterstützt, ohne auf die Hautfarbe und die Nationalität zu achten. Das ist wahre Größe!“
Nachdem die Beamten Frank noch auf die Schulter geklopft hatten und der Familie versicherten, dass von ihrer Seite alles in Ordnung sei und sie sich freuten, dass es noch mutige junge Leute gäbe, verabschiedeten sie sich, um zur Wache zu fahren und Berichte zu schreiben, wie sie beim Hinausgehen sagten.
Der Vater kehrte nach dem Verschließen der Wohnungstür wieder in die Küche zurück und nahm seine Frau und seinen Sohn in den Arm. Gemeinsam standen sie so mehrere Minuten wortlos da und ließen ihren Tränen frei Bahn. Dann, als sie sich alle wieder ein bisschen beruhigt hatten, setzten sie sich wieder an den Küchentisch und sprachen über die letzten Stunden, Tage und Monate. Es wurde ein sehr langes Gespräch, dass bis zum Mittag andauerte. Die Eltern entschuldigten sich für die Verdächtigungen, die sie ihrem Sohn gegenüber gehabt hatten und auch Felix entschuldigte sich dafür, dass er nicht mehr wie früher mit seinen Eltern gesprochen hatte.
Abspann:
Felix‘ Eltern luden Sahel ein, sie doch mal mit ihren Eltern zu besuchen. Aus dieser Einladung entwickelte sich ein enger Kontakt zwischen den Familien. Felix und Sahel sind weiterhin ein Paar. Aufgrund der Probleme in der Schule, die sich auch nach diesem erschreckenden Ereignis nicht besserten, wechselten Felix, Sandro und Sahel in eine andere, tolerantere Schule und können nun unbehelligt am Unterricht teilnehmen.
Vielen Dank fürs Lesen, Bewerten und Kommentieren.
Ciao am 30.03.2004
Yopi: 09.04.2004 weiterlesen schließen
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